[250] Joseph Anton Cerutti, geb. zu Turin 1738, verrieth schon in seiner frühesten Jugend die glücklichsten Anlagen, wurde von den Jesuiten erzogen, und erhielt nachher die Stelle eines Professors an ihrem Collegium in Lyon. Als man damit umging, den Jesuiter-Orden in Frankreich abzuschaffen, schrieb Cerutti eine Apologie desselben; konnte aber damit dessen Aufhebung (1764 doch nicht verhindern, sondern mußte sich begnügen, in diesem Werke eine Probe seines Scharfsinnes und seiner Gelehrsamkeit abgelegt zu haben. Er ging darauf an Hof, wo ihn der damahlige Dauphin sehr begünstigte, und eines vertrauten Umgangs würdigte. Nachher begab er sich auf das Landgut der Herzogin von Brancas in der Nähe der Stadt Nancy, und lebte daselbst in philosophischer Ruhe bis zum Ausbruche der [250] Revolution, den er schon ehemals geahndet hatte. Im Jahr 1788 gab er eine Schrift heraus, die an das Französische Volk gerichtet war, und nicht wenig dazu beitrug, Ideen über Reform und Staatsveränderungen in Umlauf zu bringen. Cerutti gehörte übrigens zu den so genannten starken Geistern und zu den Modephilosophen, welche ungescheut in Frankreich die Lehre predigten, daß alles Unheil, wovon die Menschheit zerrüttet wird, von der Religion herkomme, und daß es daher rathsam sei, alle Religion abzuschaffen. Diesen schändlichen Satz suchte Cerutti in einem periodischen Blatte, das zunächst für Landleute bestimmt war, aber auch wohl den Stadtleuten willkommen sein mochte, weitläuftig zu erörtern, und für Jedermann faßlich auszuführen Er war so lebhaft von der Wahrheit seiner Meinung überzeugt, daß er noch auf seinem Krankenbette den Kriegsminister Narbonne zu sich rufen ließ, und ihn bat, sich thätig für die Ausbreitung und Fortsetzung dieses Blattes zu verwenden. Zum Glück befreite sein bald darauf erfolgter Tod (den 3. Febr. 1792) den Minister von diesem gefährlichen Auftrage.