Julius Mazarini

[100] Julius Mazarini, insgemein Mazarin genannt; dieser Italiäner ist in der Französischen Geschichte als Staatsmann sehr merkwürdig. Er war 1602 zu Piscina in Abruzzo geboren, studirte in Alcala de Henares die Rechte, und nahm dann unter den päpstlichen Truppen Kriegsdienste. Hier machte er sich durch einige Staatsgeschäfte, die er im Namen des Papstes in Mailand und an andern Orten als Unterhändler führte, rühmlichst bekannt; noch glänzender zeigte sich sein Talent zu Unterhandlungen bei dem für Frankreich vortheilhaften Frieden zu Chierasco, 1631, an dem er den meisten Antheil hatte. Durch seine Geschwindigkeit hierbei wurde ein blutiges Treffen zwischen Spanien und Frankreich gerade noch zur rechten Zeit vermieden, [100] als schon das Zeichen zum Angriff gegeben war; und dieser Vorfall war der Grundstein zu seinem nachherigen Glück. Richelieu, der damahls ganz Frankreich beherrschte, gewann ihn lieb; und er stieg in dessen Gunst noch höher, als er bäld nachher Vice-Legat von Avignon und Nuntius des Papstes in Frankreich ward. Nach geendigter Nunciatur machte ihn Ludwig XIII. auf Richelieuʼs Betrieb zum Minister und Cardinal, in welcher letztern Würde ihn der Papst 1641 bestätigte; ja Richelieu erklärte 1642 auf dem Todesbette, daß niemand als Mazarini fähig sei seine Stelle zu ersetzen. Während der Minderjährigkeit Ludwigs XIV. erklärte ihn die Regentin-Mutter, Anna von Oestreich – die sogar mit ihm in vertrauten Umgange gelebt und dadurch Mutter des bekannten Unglücklichen, des Mannes mit der eisernen Maske, geworden sein soll (wie auch Gibbon in seinen vermischten Schriften versichert) – zum Premierminister und Oberaufseher über des jungen Königs Erziehung. Diese Erhebung machte ihn zu einem willkührlichen und habsüchtigen Bedrücker; er erpreßte für sich selbst ungeheure Summen, und wußte auch seinen Einfluß durch seine Schwestern und Nichten, die er fast alle an die vornehmsten Herzoge und Grafen des Reichs verheirathete, sehr zu verstärken. Ja seine Kühnheit ging so weit, daß er den Plan faßte, eine seiner Nichten Ludwig XIV. zur Gemahlin zu versprechen; allein dieser Streich gelang nicht: und überhaupt kam er während seiner Staatsverwaltung durch die heftige Gegenpartei, die man die Fronde nannte, mehrmahls an den Rand des Abgrundes. Mazarini und der Hof mußte 1649 nach Saint Germain entweichen: das Parlament verbannte den Cardinal auf ewig als einen Feind des Reichs aus Frankreichs Gränzen; und er entfloh, nachdem die Königin ihn zu entlassen gezwungen worden war, 1651 nach Lüttich und dann nach Cölln. Doch diese Unruhen endigten sich damit, daß Ludwig XIV. nach erlangter Volljährigkeit, 1652, seinen Erzieher Mazarini zurückrief und in alle vorigen Würden einsetzte. Noch ein Jahr dauerten die Fehden; und der Cardinal, dem Muth und Entschlossenheit mangelte, ging auf einige Zeit nach Sedan in ein freiwilliges Exil (1652), wurde jedoch abermahls zurückberufen, überwand seine Gegner, und ließ [101] sich durch sie bis an seinen Tod, der 1661 zu Vincennes erfolgte, in seinen Plänen nicht stören, von denen wenigstens diejenigen, die aus wärtige Angelegenheiten betrafen, sehr auf das Wohl des Reichs abzielten. Unter seiner Leitung wurde der Westphälische Friede 1648 zu Münster, und 1659 der Pyrenäische mit Spanien abgeschlossen. Allein seine Verdienste um auswärtige Angelegenheiten wurden durch seine elende Verwaltung des Innern gar sehr verdunkelt. Seine Habsucht und seine Reichthümer waren beinahe ohne Beispiel; er besaß verschiedene ansehnliche Herzogthümer, und an baarem Gelde und Kostbarkeiten ein in der That königliches Vermögen. Eins seiner größten Verdienste war noch, daß er die Wissenschaften sehr thätig beforderte, und kurz vor seinem Tode die Betrügereien des Finanzverwalters Fouquet entdeckte. In Vergleichung mit Richelieu verliert er, sein glückliches Talent in öffentlichen Unterhandlungen abgerechnet, außerordentlich. Er setzte zwar an die Stelle der Hitze und Rachgier jenes Ministers Sanftmuth und Bedachtsamkeit; allein er hatte weder den Muth und die Entschlossenheit noch den Scharfsinn und die Einsicht desselben: seine Politik war ein Gewebe von Verschlagenheit und Verstellung, unterstützt von Schmeichelei und anscheinender Freundschaft, mit der er jeden, der ihm als Gegner hätte die Spitze bieten können, wie durch einen Zauber an sich zog.

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Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 3. Amsterdam 1809, S. 100-102.
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