Vittoria Tesi

[102] Vittoria Tesi, eine der berühmtesten Italiänischen Sängerinnen des vorigen Jahrhunderts, ungefähr 1690 zu Florenz geboren, und in der Schule von Redi, Campeggi, und endlich auch des Bernacchi gebildet, erregte zuerst 1719 in Dresden bei Gelegenheit des churprinzlichen Beilagers großes Aufsehen. Dann sang sie wiederum in Neapel; und die vornehmsten Theater Italiens wetteiferten um ihre Person. Für sie schrieb Metastasio seine Zenobia, Didone, Semiramide etc. Auch nach Madrit wurde sie berufen, wo sie mit dem berühmten Farinelli zugleich debütirte, bis sie endlich, unter Carl VI. nach Wien verschrieben, hier bis gegen ihr 50. Lebensjahr aufm Hoftheater blieb, und dann sich zur Ruhe begab. Merkwürdig ist die Art, wie sie dem Zudringen eines Herzogs, der ihr anfangs Liebeserklärungen, zuletzt sogar Heirathsanträge machte, auszubeugen wußte. Da dieser ihr unablässig zusetzte, so ließ sie den Theaterfriseur, Tramontini, zu sich kommen, und trug sich ihm, unter übrigens sehr vortheilhaften Bedingungen, jedoch, daß er nie sonstige Ansprüche als Gemahl an sie machen dürfe, an. Dieser willigte recht gern ein; und die Trauung wurde sogleich vollzogen. Nach Endigung der Ceremonie, als sie nach Hause kam, und nun bald wieder der Herzog mit erneuerten Anträgen erschien, eröffnete sie ihm, daß sie verehelicht sei – ein Opfer, welches sie sowohl seiner Familie und seinem Ansehn, als ihrer Liebe schuldig glaubte. Sie starb 1775, über 80 Jahr alt, und hinterließ ein Vermögen [102] von beinahe 300,000 Gulden, das zum dritten Theil dem ihr angetrauten Tramontini zufiel. – Sie war eigentlich von der Natur mit einer fast männlich starken Contraalt-Stimme begabt, aber bei dem außerordentlichen Umfange derselben sang sie ohne die geringste Anstrengung auch die höchsten Partieen. Sie hatte bei allem Prächtigen und Ernsthaften – wie sich Quanz ausdrückt – auch eine angenehme Schmeichelei im Singen angenommen. Ihre Action war besonders außerordentlich hinreißend; und sie fesselte damit eben so sehr, als mit ihrem Gesang.

Quelle:
Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 6. Amsterdam 1809, S. 102-103.
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