[261] [261] Die Declamation (a. d. Lat.) ist die Kunst des vollkommenen, sinnlich vernünftigen mündlichen Ausdrucks vorgezeichneter Ideen und Empfindungen. Der wohlthätige Einfluß, den die schönen Künste überhaupt, und namentlich die Kunst des vollkommenen mündlichen Vortrags, auf Veredlung des Geistes, des Geschmacks, und eines ästhetischen Sinnes haben, spricht sich durch sich selbst zu schön aus, als daß es dem Freunde höherer Bildung nicht eine sehr erfreuliche Bemerkung gewähren sollte, daß die Neigung für diese Kunst seit einiger Zeit so hoch gestiegen ist, und die Ausführung derselben gegenwärtig zu dem Ton des Tages gehört. Gleichwohl sind ihre Forderungen so viel und mannigfaltig, daß eine wahre Declamation nur noch ziemlich selten ist; denn nicht allein, daß hierzu besondere körperliche Vorzüge, namentlich guter beugsamer Sprachorgane und eines edlen Anstandes erfordert werden, so heischt diese Kunst auch noch besondere Vorzüge eines gebildeten Verstandes und eines feinen, geläuterten Zartgefühls und anderweitige wissenschaftliche Kenntnisse, deren Mangel sich bei dem, was so mancher als Declamation aufstellt, sehr leicht verräth.
In den Zeiten des alten Roms und Griechenlands stand die Redekunst in so hohem Ansehen, daß in den griechischen Freistaaten Niemand leicht zu hohem Rang und Ehrenstellen emporsteigen, und überhaupt etwas von Bedeutung gelten konnte, wenn er nicht ein guter Redner war; denn die Rednerbühne war damals der Ort, wo sich der Republikaner noch mehr als auf dem Schlachtfelde bewährte. Die besondere Wichtigkeit der Declamirkunst machte daher auch in jenen Zeiten einen eigenen Theil der Erziehungskunst aus, welche zwei besondere Hauptabtheilungen hatte, Gymnastik (s. dies. Art.) und Musik. Von der letztern, der Musik, welche vorzüglich dasjenige umfaßte, was überhaupt den hohen Sinn für das Schöne wecken, üben und schärfen lehrte, war ein besonders wichtiger Theil bei den Alten die Declamation, mit welcher die Mimik verbunden [262] war. Das Ganze wurde unter dem Namen Hypokritik begriffen, welches man am füglichsten durch Darstellungskunst bezeichnen kann, und wovon Mimik und Declamation nur einzelne Theile sind. – Für die Lehre dieser Wissenschaft hatten die Alten eigene Klanggeschlechter und eigene Zeichen zur Betonung der Silben, eine Art unter oder über den Text geschriebener Noten, oder vielmehr eine Art von Tabulatur (s. dies. Art.), indem durch die verschiedenen Richtungen und Wendungen der Buchstaben diese Klanggeschlechter und Töne angegeben wurden. Hiernach wurde das enharmonische, das chromatische und das diatonische Klanggeschlecht (s. den Art. Tonleiter) bestimmt. So wenig zuverlässiges nun aber auch über den eigentlichen Umfang und das Verhältniß dieser Töne bis auf unsere Zeiten gekommen ist, so bleibt doch wohl so viel ausgemacht, daß selbst auch bei wirklich vorhandenen bestimmteren Nachrichten eine allzustrenge Nachahmung durchaus fehlerhaft, und die Declamatorik, so wie sie die griechische Sprache und das damalige Zeitalter forderten, und das griechische Ohr liebte, sehr wenig zu unserer Sprache, zu unserem Zeitalter und zu unserem Ohre passen möchte. Der Vortrag der Redner des Alterthums näherte sich mehr dem Gesange oder unserm heutigen Recitative. Während des Vortrags ließ der Redner gewöhnlich einen andern hinter sich treten, der ihm auf einem musikalischen Instrumente von Zeit zu Zeit den Grundton und die vorzüglichen Abweichungen der Töne angab. Auf diese Art begleitete der Aulos die Declamation auf der Bühne (vergl. auch den Art. Chor in den Nachtr.); und in den Nachrichten von den römischen Lustspielen finden wir, daß sie mit tibiis dextris und sinistris begleitet waren, wobei auch zugleich derjenige mit genannt wurde, welcher die modos, die Composition und Melodie machte.
Der Charakter des zu declamirenden Stückes bestimmt die Wahl des Grundtons, und für diese verschiedenen Grundtöne leistet eine besondere oratorische Scala die besten Dienste, indem diese die verschiedenen Haupt- oder Grundtöne mit ihren [263] Semitonen und der übrigen Tonfolge genau bestimmt. – Die Tone selbst lassen sich überhaupt in drei Hauptklassen eintheilen: die 1ste begreift den Ton, welcher zur Hervorbringung der Worte, als bloßer Verstandesideen, erforderlich ist; die 2te den Ton der Laune und der individuellen Anwandlung, und die 3te Klasse den Ton des Gefühls und der Leidenschaft.
Bei der Declamation beruht alles auf den verschiedenen Tonarten, den mancherlei Biegungen der Stimme und den Accenten. Auch hier wird, so wie in der Musik. die Stimme in die Mittel-, hohe und tiefe Stimme eingetheilt, um hiernach die verschiedenen Tonarten und Grundtöne zu bestimmen, welche für den jedesmaligen Ausdruck der Affecten und Leidenschaften nöthig sind, und welche Grundtöne eine besondere oratorische Scala bestimmt. Jeder Affect, und jede stärkere oder schwächere Gemüthsbewegung hat nehmlich ihren ihr ganz besonders eigenthümlichen Ausdruck im Tone und in dem ganzen Gange der Stimme. Ganz anders spricht der frohe, als der traurige, in tiefe Wehmuth versunkene Mensch; ganz anders ist der Ton des Zornigen, als der Ton des Zufriedenen und Ruhigen u. s. w. und hierauf gründet sich die Lehre von den Grundtönen in der Declamation und insbesondere die oratorische Scala; denn so wie bei einer musikalischen Composition immer ein gewisser Hauptton zum Grunde gelegt wird, innerhalb dessen Grenzen die ganze Composition sich fort bewegt, so ist es auch in der Declamation; indem allemal der Charakter eines zu declamirenden Satzes, Gedichtes oder Rede etc. einen demselben genau entsprechenden Grundton heischt, nach welchem die übrigen Töne und Modificationen der Stimme während des Vortrags sich genau richten müssen. Es gehören denn nun aber freilich mehr als alltägliche obersiächliche Kenntnisse dazu, um den Forderungen der wahren Declamation wirklich Gnüge zu leisten; indem der Declamator nicht allein Virtuos ist, sondern auch den guten vollendeten Componisten von dieser Seite in sich vereinigen muß. – Nach der jedesmaligen Tonart muß sich nun auch stets das eben so sorgfältig zu wählende Tempo auf das strengste richten, indem auf der [264] richtigen Bestimmung desselben und der Taktveränderung außerordentlich vieles in der Declamation beruht.
Eine Hauptsache aber in der Lehre von der Declamation ist die in verhältnißmäßiger Auf- und Abstufung erforderliche Intension der Stimme, wodurch die todten Wörter erst zu lebendigen Worten erhoben, vermittelst welcher die im Innern verborgenen Empfindungen und Ideen anschaulich gemacht werden und lebhaftes Interesse erwecken. Dieses nennt man den Accent, der so sehr verschiedenartig und mannigfaltig ist, daß die Lehre von den Accenten und die Bestimmung ihres richtigen Gebrauchs der schwierigste und bedeutendste Abschnitt in der Deciamation ist, und sowohl in der Theorie, als in der Ausübung besondere wissenschaftliche Ausbildung erfordert Die vorzüglichsten Accente sind der etymologische, der logische und der emphatische Accent, die nun aber wieder sehr mannigfaltige Unterabtheilungen haben, und auch insgesammt absolut und relativ in ihrer Anwendung sind. Außer diesen Accenten kommen auch noch vielfältige andere Biegungen der Stimme bei einem vollkommen richtigen mündlichen Vortrage in Betracht, namentlich Tonfälle, die damit genau verbundenen Pausen, deren Lehre wiederum einen eigenen sehr bedeutenden Abschnitt in der Declamation ausmacht, und die verschiedenen Spannungen der Brust, wodurch das Ganze des declamatorischen Vortrags ausgeführt wird. Und sonach wird denn nun eben die Kunst, vermittelst des richtigen Gebrauchs der Accente und übrigen Modificationen der Redestimme, das Mannigfaltige der rhythmisch neben einander nach bestimmten Gesetzen in der Zeit fortschreitenden Producte der Sprache, bei der Darstellung zu einem regelmäßigen und schönen Ganzen zu vereinigen, unter der Lehre der Declamation, welche auf besondern wissenschaftlichen Principien und Regeln beruhet, begriffen.