[520] Declamation ist die Kunst des vollkommenen mündlichen Vortrags, die sich vom bloßen Vorlesen dadurch unterscheidet, daß der Vorleser mit Enthaltung alles Geberdenspiels dem Zuhörer das Vorgelesene nach dessen Sinn und Gefühl deutlich vor die Seele zu stellen sucht, während das Eigenthümliche der Declamation darin besteht, daß der Declamirende seinen Vortrag aus dem Gedächtnisse hält, allein so in den Inhalt eingedrungen ist und ihn in allen Beziehungen sich so zu eigen gemacht hat, daß man nicht mehr fremde Worte und Gedanken zu hören glaubt, sondern daß der Vortrag dem Geiste und Herzen des Declamirenden anzugehören scheint. Unerlaßliche Bedingungen zu einer schönen Declamation sind eine wohltönende Stimme, eine edle Körperhaltung und ein gebildeter Geschmack, wo dann die Wahl des richtigen Redetons und der schicklichen Geberden so schwer nicht ist, indem Beides aus dem recht verstandenen und recht gefühlten Inhalte des vorzutragenden Stücks sich ergibt. Daß dessenungeachtet schöne Declamation so selten unter uns ist, beweist nur den Mangel einer gründlichen Bildung für dieselbe. Bei den alten Griechen und Römern war das anders, denn bei ihnen bildete die Unterweisung und Anleitung zu einem schönen mündlichen Vortrage einen Haupttheil der Erziehung und es konnte so leicht Niemand zu hohen Ehrenstellen gelangen, der kein guter Redner war. Den Werth der Declamation erkennt man sogleich, wenn man erwägt, wie eine auch nur mittelmäßig [520] gedachte und stylisirte Arbeit, wenn sie gut vorgetragen wird, beiweitem mehr Beifall findet und Wirkung hervorbringt, als die bestgedachte und verfaßte, allein schlecht vorgetragene. Deshalb ist eine gute Declamation Jedem unentbehrlich, der als Geistlicher, als Anwalt vor Gerichten, bei denen Öffentlichkeit eingeführt ist, als Volksvertreter und Volksredner durch seine Vorträge etwas wirken will. Den hier Genannten kommt es indessen mehr auf Überzeugung und auf Erregung ihrer Zuhörer durch Gründe an und sie sprechen in der Regel von einem festen Platze aus; die höchste Ausbildung der Kunst des Declamircus wird aber vom Schauspieler verlangt, der Leidenschaften darstellen und durch jedes künstlerische Mittel vergegenwärtigen soll. – Declamator heißt Jemand, der sich auf die künstlerische Ausübung der Declamation versteht, die auch von Manchen als Erwerbsquelle benutzt wird; Declamatorium aber pflegt man öffentliche Unterhaltungen zu nennen, in denen Stücke aus den Werken von Dichtern und Prosaisten declamirt, zuweilen auch nebenbei Musikstücke und Scenen aus dramatischen Werken aufgeführt werden.