Merkmal

[654] Merkmal (tekmêrion, nota, determinatio, praedicatum) ist eine Bestimmung, eine Eigenschaft, an welcher man ein Object erkennt, der Teilinhalt eines Begriffs. Man unterscheidet wesentliche (essentielle), ursprüngliche (»originariae, primitivae, constitutivae«), abgeleitete (»consecutivae«), unwesentliche (accidentielle) Merkmale.

Nach ARISTOTELES ist das Merkmal ein Zeichen (sêmeion), welches zu einem Dinge notwendig gehört (Rhetor. I 2, 1357 b 14). Die Scholastiker betonen: »Non entis nulla sunt praedicata.« – Nach PLATNER sind Merkmale »Teile, Eigenschaften, Wirkungen, Verhältnisse, wiefern sie einem Dinge umseines[654] Geschlechtes willen zukommen« (Philos. Aphor. I, § 221). Nach KANT (Log. S. 147; vgl. Falsche Spitzfind. § 1) und FRIES (Syst. d. Log. S. 120) ist ein Merkmal ein Begriff als Erkenntnisgrund von anderen Begriffen. Es gibt »eigentümliche, charakteristische«, »gemeinsame«, »wesentliche« (constitutive oder Attribute), »außerwesentliche« (unveränderliche und veränderliche) Merkmale (l.c. S. 122 ff.) KRUG erklärt: »Ein logisches Ding wird mittelst gewisser Vorstellungen gedacht welche wir darauf beziehen und wodurch wir es von andern Dingen unterscheiden. Solche Vorstellungen heißen daher Merkmale oder Kennzeichen« (Handb. d. Philos. I, 125). JACOB definiert: »Merkmale werden... solche Teilvorstellungen genannt, wodurch die Vorstellungen oder Gegenstände von andern unterschieden werden können« (Gr. d. Erfahrungsseel. S. 212). Nach H. RITTER ist Merkmal des Begriffes das, »woran er von den andern Begriffen unterschieden wird« (Abr. d. philos. Log.2, S. 57). Nach TRENDELENBURG ist Merkmal objectiv das, was den Begriff in der Seele bildet (Log. Unt. II, 255). Nach ÜBERWEG ist Merkmal eines Objects »alles dasjenige an demselben, wodurch es sich von andern Obiecten unterscheidet« (Log.4, § 49). STÖCKL definiert: »Unter Merkmalen im allgemeinen versteht man alle jene Momente, wodurch ein Gegenstand als das, was er ist, erkannt und von allen andern Gegenständen unterschieden wird« (Lehrb. d. Philos. I, § 75). HAGEMANN erklärt: »Die Bestimmtheiten überhaupt, wodurch sich ein Ding von andern unterscheidet, nennen wir seine Merkmale (notae)« (Log. und Noet.5, S. 25). »Diese sind entweder wesentliche (notwendige) oder unwesentliche (zufällige), je nachdem sie mit dem Denkobjecte unzertrennlich verbunden gedacht werden müssen, oder ihm auch fehlen können. Jene nennt man auch Eigenschaften (attributa), diese außerwesentliche Beschaffenheiten (modi)« (l.c. S. 25 f.). Correlative Merkmale sind diejenigen, die sich gegenseitig voraussetzen (z.B. dreiseitig und dreiwinklig) (l.c. S. 26). B. ERDMANN definiert: »Die einzelnen in einer Vorstellung enthaltenen Begriffsbestandteile, ihre Teilvorstellungen, werden, als Bestimmungen des Gegenstandes aufgefaßt, Merkmale genannt« (Log. I, 118). »Nicht jedes Prädicat eines Gegenstandes ist... ein Merkmal« (ib.). Merkmale sind »die unterscheidbaren Bestimmungen der Gegenstände des Denkens« (l.c. S. 119). Es gibt einfache und zusammengesetzte, materiale und formale (l.c. S. 119), constante und veränderliche (l.c. S. 120), ursprüngliche und abgeleitete (l.c. S. 121), eigene und gemeinsame (l.c. S. 123 f.), wesentliche und unwesentliche Merkmale (l.c. b;. 125f.). Artbildende Merkmale sind »die Modificationen der Merkmale, welche die Arten aus der Gattung entstehen lassen« (l.c. S. 135).

BOLZANO behauptet, »daß es verschiedene Bestandteile einer Vorstellung gebe, welche nichts weniger als Beschaffenheiten des ihr entsprechenden Gegenstandes ausdrücken« (Wissenschaftslehre I, § 64). KERRY hingegen meint, »daß ein Begriffsgegenstand in gewisser Weise mindestens alle Merkmale seines Begriffes an sich haben müsse, widrigenfalls man nicht sagen könnte, daß er unter diesen falle« (Vierteljahrsschr. f. wiss. Philos. X, 422). Nach TWARDOWSKI sind als Merkmale »immer nur Teile des Gegenstandes einer Vorstellung, niemals jedoch Teile des Vorstellungsinhaltes zu bezeichnen« (Zur Lehre vom Inh. u. Gegenst. d. Vorstell. S. 46). »Es gibt an jedem Gegenstande materiale und formale Bestandteile, welche durch die entsprechende Vorstellung nicht vorgestellt werden, denen also im Inhalte derselben keine Bestandteile entsprechen,« z.B. die Mehrzahl der Relationen eines Gegenstandes zu andern (l.c. S. 82). Merkmal ist ein Name »für Jene Bestandteile eines Vorstellungsgegenstandes....[655] welche durch die entsprechende Vorstellung, vorgestellt, in ihrem Inhalte durch ihnen correspondierende Bestandteile derselben vertreten erscheinen« (l.c. S. 83).

Vgl. PRANTL, G. d. L. I, 424; HEGEL, WW. VI, 325; HINRICHS, Grundlin. d. Philo(s. d.) Log. S. 25 ff.; HOPPE, Die gesamte Log. 1868, § 104; SIGWART, Log. I2, § 41 f.; HÖFLER, Log. § 15; BAUMANN, Einleit. in d. Philos. S. 9 f.

- Vgl. Begriff, Definition.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 1. Berlin 1904, S. 654-656.
Lizenz:
Faksimiles:
654 | 655 | 656
Kategorien:
Ähnliche Einträge in anderen Lexika