[324] Die Eröffnung des Landtags stand unmittelbar nach unsrer Ankunft in Berlin bevor, und die Thronrede kam in Prag zur Berathung. Dort trafen Abgeordnete der conservativen Fraktion ein, welche während des Confliktes zeitweise bis auf elf Mitglieder herabgegangen und durch die Wahlen am 3. Juli unter dem Eindruck der ersten Siege vor Königgrätz sich auf mehr als hundert gehoben hatte. Das Verhältnis würde der Regierung noch günstiger gewesen sein, wenn die Wahl einige Tage nach der entscheidenden Schlacht stattgefunden hätte; aber auch so war dasselbe in Verbindung mit der schwunghaften Stimmung im Lande immerhin geeignet, nicht blos conservativen, sondern auch reaktionären Bestrebungen Hoffnung auf Gelingen zu geben. Für Diejenigen, welche nach einer Rückbildung zum Absolutismus oder doch nach einer Restauration im ständischen Sinne strebten, war durch die Vergrößerung der Monarchie, durch die parlamentarische Situation beim Ausbruch des Krieges und den ungeschickten und ehrgeizigen Eigensinn der Führer der Opposition ein Anknüpfungspunkt gegeben, um die preußische Verfassung zu suspendiren und zu revidiren. Sie war auf das vergrößerte Preußen nicht zugeschnitten, noch weniger aber auf die Einschichtung in die zukünftige Verfassung Deutschlands. Die Verfassungsurkunde selbst enthielt einen Artikel (118), welcher, entstanden unter dem Eindruck der nationalen Stimmung zur Zeit der Verfassungsbildung und aus dem Entwurf von 1848 entnommen, zur Unterordnung der preußischen Verfassung unter eine neu zu schaffende deutsche berechtigte. Es war also eine Gelegenheit gegeben, mit dem formalen Anstrich der Legalität die Verfassung und die Bestrebungen der Confliktsmajorität nach parlamentarischer Herrschaft aus den Angeln zu heben, und dies lag im Hintergrunde des Bemühens der äußersten Rechten und ihrer nach Prag abgeordneten Mitglieder.
Eine andre Gelegenheit, den innern Conflict zugleich mit der deutschen Frage zu erledigen, hatte sich dem Könige dargeboten, als der Kaiser Alexander 1863 zur Zeit des polnischen Aufstandes und des Ueberrumpelungsversuchs für den Frankfurter Fürstencongreß ein preußisch-russisches Bündniß in eigenhändiger Correspondenz lebhaft befürwortet hatte. Auf mehreren eng geschriebenen Bogen in der feinen Hand des Kaisers, weit ausgesponnen und mit mehr Declamation, als in seiner Feder lag, konnte der Brief an Hamlet's Wort:
[325]
Whether 't is nobler in the mind, to suffer
The slings and arrows of outrageous fortune,
Or to take arms against a sea of troubles,
And by opposing end them? –
erinnern, wenn man dasselbe aus dem Zweifel in die Affirmative übersetzt: der Kaiser ist der westmächtlichen und österreichischpolnischen Chikanen müde und entschlossen, den Degen zu ziehen, um sich von ihnen frei zu machen; an die Freundschaft und die gleichen Interessen des Königs appellirend, fordert er ihn zu gemeinsamem Handeln auf, so zu sagen in erweitertem Sinne der Alvensleben'schen Convention vom Februar desselben Jahres.
Dem Könige wurde es schwer, einerseits dem nahen Verwandten und nächsten Freunde eine ablehnende Antwort zu geben, andrerseits sich mit dem Entschlusse vertraut zu machen, seinem Lande die Uebel eines großen Krieges aufzuerlegen, dem Staate und der Dynastie die Gefahren eines solchen zuzumuthen. Auch die Seite seines Gemüthslebens, die ihn geneigt machte, die Frankfurter Fürstenversammlung zu besuchen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit allen alten Fürstenhäusern, trat(en) in ihm der Versuchung entgegen, der Anrufung des befreundeten Neffen und den preußisch-russischen Familientraditionen eine Folge zu geben, die zu dem Bruch mit dem deutschen Bundesverhältniß und der Gesammtheit der deutschen Fürstenfamilien führen mußte. In meinem mehrere Tage dauernden Vortrage vermied ich es, die Seite der Sache zu betonen, welche für unsre innere Politik von Gewicht gewesen sein würde, weil ich nicht der Meinung war, daß ein Krieg gerade im Bunde mit Rußland gegen Oesterreich und alle Gegner, mit denen wir es 1866 zu thun bekamen, uns der Erfüllung unsrer nationalen Aufgabe näher gebracht haben würde. Es ist ja ein namentlich in der französischen Politik gebräuchliches Mittel, innere Schwierigkeiten durch Kriege zu überwinden; in Deutschland aber würde dieses Mittel nur dann wirksam gewesen sein, wenn der betreffende Krieg in der Linie der nationalen Entwicklung gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß er nicht mit der unklugerweise noch immer von der öffentlichen Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt würde. Die deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen, aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innere Conflict, von welchem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an Herrschaft über seine[326] Entschließungen erheblich eingebüßt, seitdem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolutionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde: die Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vorträgen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, welche ein deutsch-russisches Bündniß namentlich im ersten Anlauf haben würde, nicht zurück. Die geographische Lage der drei großen Ostmächte ist der Art, daß eine jede von ihnen, sobald sie von den beiden andern angegriffen wird, sich strategisch im Nachtheil befindet, auch wenn sie in Westeuropa sei es England sei es Frankreich zum Verbündeten hat. Am meisten würde Oesterreich, isolirt, gegen einen russisch-deutschen Angriff im Nachtheil sein, am wenigsten Rußland gegen Oesterreich und Deutschland; aber auch Rußland würde bei einem concentrischen Vorstoß der beiden deutschen Mächte gegen den Bug zu Anfang des Krieges in einer schwierigen Lage sein. Bei seiner geographischen Lage und ethnographischen Gestaltung ist Oesterreich im Kampfe gegen die beiden benachbarten Kaiserreiche deßhalb sehr im Nachtheil, weil die französische Hülfe kaum rechtzeitig eintreffen würde, um das Gleichgewicht herzustellen. Wäre aber Oesterreich einer deutsch-russischen Coalition von Hause aus unterlegen, wäre durch einen klugen Friedensschluß der drei Kaiser unter sich das gegnerische Bündniß gesprengt oder auch nur durch eine Niederlage Oesterreichs geschwächt, so war das deutschrussische Uebergewicht entscheidend. Gleich gute Führung und gleiche Tapferkeit bei den großen Heeren vorausgesetzt, liegt in der territorialen Gestaltung der einzelnen Machtgebiete eine große Stärke der deutsch-russischen Combination, wenn sie von Hause aus sicher zusammenhält. Die Berechnung militärischen Erfolges und der Glaube an einen solchen sind aber an sich unsicher und werden noch unsicherer, wenn die veranschlagte diesseitige Macht keine einheitliche ist, sondern auf Bündnissen beruht.
In meinem Entwurf der Antwort, der noch länger ausfallen mußte als der Brief des Kaisers Alexander, war hervorgehoben, daß ein gemeinsamer Krieg gegen die Westmächte in seiner schließlichen Entwicklung sich wegen der geographischen Verhältnisse und wegen der französischen Begehrlichkeit nach den Rheinlanden nothwendig zu einem preußisch-französischen condensiren müsse, daß die preußisch-russische Initiative zu dem Kriege unsre[327] Stellung in Deutschland verschlechtern werde, daß Rußland, entfernt von dem Kriegsschauplatze, von den Leiden des Kriegs weniger betroffen sei, Deutschland dagegen nicht nur die eigenen, sondern auch die russischen Heere materiell zu erhalten haben und daß die russische Politik dann – wenn mein Gedächtniß mich nicht täuscht, habe ich den Ausdruck gebraucht – an dem längeren Arme des Hebels sitzen und uns auch, wenn wir siegreich wären, ähnlich wie in dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde vorschreiben können, wie unser Friede beschaffen sein solle, ebenso wie Oesterreich es 1859 bezüglich unsrer Friedensbedingungen mit Frankreich hätte machen können, wenn wir damals in den Kampf gegen Frankreich und Italien eingetreten waren. Ich habe den Text meiner Argumentation nicht in der Erinnerung, obschon ich ihn vor wenigen Jahren behufs unsrer Auseinandersetzung mit der russischen Politik wieder unter Augen gehabt und mich gefreut habe, daß ich damals die Arbeitskraft besessen hatte, ein so langes Konzept eigenhändig in einer für den König lesbaren Schrift herzustellen, eine Handarbeit, die für den Erfolg meiner Gasteiner Cur nicht förderlich gewesen sein wird. Obwohl der König die Frage nicht in demselben Maße wie ich unter den deutschnationalen Gesichtspunkt zog, so unterlag er doch nicht der Versuchung, der Ueberhebung der österreichischen Politik und der Landtagsmajorität, der Geringschätzung, welche beide der preußischen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewaltthätiges Ende zu machen. Wenn er auf die russische Zumuthung einging, so würden wir bei der Schnelligkeit unsrer Mobilisirung, bei der Stärke der russischen Armee in Polen und bei der damaligen militärischen Schwäche Oesterreichs wahr scheinlich, mit oder ohne den Beistand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens, Oesterreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirksame Hülfe leisten konnte. Wenn man sicher gewesen wäre, daß das Ergebniß dieses Ueberlaufens ein Dreikaiserbündnis unter Schonung Oesterreichs gewesen wäre, so wäre meine Beurtheilung der Situation vielleicht nicht zutreffend zu nennen gewesen. Aber diese Sicherheit war Angesichts der divergirenden Interessen Rußlands und Oesterreichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrscheinlich und auch der russischen Politik nicht zusagend, daß eine siegreiche preußisch-russische Coalition Oesterreich gegenüber auch nur mit dem Maße von Schonung verführe, welches von preußischer Seite 1866 im Interesse der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet worden ist. Ich fürchtete[328] deshalb, daß wir im Falle unsres Sieges über die Zukunft Oesterreichs mit Rußland nicht einig sein würden und daß Rußland selbst bei weiteren Erfolgen gegen Frankreich nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unterstützungsbedürftigen Stellung an seiner Westgrenze zu erhalten; am allerwenigsten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale Politik im Sinne der preußischen Hegemonie zu erwarten gewesen. Tilsit, Erfurt, Olmütz und andre historische Erinnerungen sagten: vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der Gortschakow'schen Politik, daß wir auf dieselbe Sicherheit rechnen könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen, was aus Polen und Sachsen werden und ob Deutschland gegen französische Invasionen eine von russischen Entschließungen unabhängige Deckung haben, Straßburg Bundesfestung werden solle, in Wien zur Verhandlung kamen. So mannigfache Erwägungen hatte ich anzustellen, um zu einem Entschlusse über die Anträge, welche ich dem Könige machen, und die Fassung des Conceptes, welches ich ihm vorlegen wollte, zu gelangen. Ich zweifle nicht, daß eine Zeit kommen wird, in der auch über diese Vorgänge unsre Archive der Oeffentlichkeit zugänglich werden, es sei denn, daß inzwischen die angeregte Zerstörung der Documente sich vollzieht, welche von meiner politischen Thätigkeit Zeugniß geben.
Die Versuchung war groß gewesen für einen Monarchen, dessen Stellung den maßlosen Angriffen der Fortschrittspartei und dem Druck der österreichischen Diplomatie nicht blos auf dem nationalen Gebiete des Frankfurter Fürstencongresses, sondern auch auf dem polnischen von Seiten der drei großen verbündeten Mächte England, Frankreich und Oesterreich ausgesetzt war.
Daß der König 1863 seine schwer gekränkte Empfindung als Monarch und als Preuße nicht über die politischen Erwägungen Herr werden ließ, beweist, wie stark in ihm das preußische Ehrgefühl und der gesunde Menschenverstand in der Politik waren.
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