[638] Volle anderthalb Jahre währte es, bis der Herzog, am Niederrhein und in Lothringen beschäftigt, an den Grenzen der[638] Schweiz erscheinen konnte, um sein Gebiet zu schützen. Die Schweizer hatten mittlerweile Kriegszug auf Kriegszug gemacht und die Nachbarlande, Burgund und Waadt, ausgeplündert. Das Städtchen Stäffis, ein friedlicher Ort am Neuenburger See, der Widerstand gewagt hatte, war dabei völlig ausgemordert worden. Die Besatzung des Schlosses, das zuletzt erstürmt wurde, hatte man lebend vom Turm in die Tiefe gestürzt; selbst die Männer, die nachträglich in irgendeinem Versteck aufgespürt wurden, waren an einem Strick zusammengebunden in den See geworfen worden, um sie zu ersäufen. Dann kamen die Freiburger mit 100 Wagen, um die Tuche, die in dem Städtchen gearbeitet wurden und seinen Reichtum bildeten, fortzuschaffen. Nicht das kleinste Besitztum ließ man den Weibern und Kindern, die übrig geblieben waren. Selbst die Plünderer soll über den entsetzlichen Jammer ein gewisses Mitleid ergriffen haben, und der Rat von Bern ließ an die Hauptleute eine sanfte Ermahnung wegen der »unmenschlich Hertigkeiten« ergehn.592
Die Berner hatten die gemeinsamen Raubzüge benutzt, um ihrerseits die festen Plätze, namentlich an den Jura-Pässen, in Besitz zu nehmen. Aber als nun der Herzog mit einem mächtigen Heer erschien, gab man die Schlösser wieder auf, denn es zeigte sich, daß die östlichen Kantone nach wie vor nicht geneigt waren, für Berns Eroberungen Schlachten zu schlagen. Der weitest vorgeschobene Posten, den die Berner zu behaupten wagten, war Granson. Sie legten eine Besatzung von 500 Mann hinein, in der Berechnung, daß diese sich behaupten, und wenn die Not größer wurde, die Eidgenossen sich schließlich nicht weigern würden, zu ihrem Entsatz auszuziehen.
Wir sind über den Feldzug sehr gut unterrichtet, nicht bloß durch ausführliche Erzählungen in schweizerischen und burgundischen Chroniken, sondern namentlich durch die Berichte, die der Gesandte des Herzogs von Mailand, Panigarola, der in der Umgebung Karls war, seinem Herrn sehr eingehend alle paar Tage erstattete und die gedruckt vorliegen.593[639]
Der nächste Weg, auf dem der Herzog von Burgund in das Land der Schweizer eindringen konnte, hätte über den Jura etwa auf Neuschatel oder Biel geführt. Karl nahm jedoch diesen Weg nicht. Das Ziel, welches er sich setzte, war zunächst noch nicht die Invasion des schweizerischen Gebiets, sondern die Befreiung der Waadt, des von den Schweizern eroberten savoyischen Landes. Hierher also wandte sich Karl, und machte die Waadt zu seiner Operationsbasis, so daß er während des eigentlichen Feldzuges die Front nach Nord-Osten gerichtet hatte.
Das erste strategische Objekt, welches der Herzog ins Auge faßte, war die Wiedereroberung von Granson. Der Ort liegt nicht auf dem Wege, der ihn direkt auf seinen Hauptfeind, die Stadt Bern, geführt haben würde. Aber gerade deshalb wird Karl dieses Manöver gewählt haben: seine Erwägungen werden denen des Berner Rats ganz parallel gegangen sein, aber in entgegengesetzter Richtung. Er wußte, daß keineswegs alle Kantone mit der Politik Berns einverstanden waren. Wäre er nun direkt auf Bern losgegangen, so war anzunehmen, daß trotz aller Differenzen die Eidgenossen Bern nicht im Stich lassen würden. Indem Karl aber Granson angriff, so standen die Kantone zunächst nur vor der Frage, ob sie Veranlassung hätten, Bern in der Verteidigung dieser seiner Eroberung zu unterstützen. Es war möglich, daß sie in dieser Empfindung nur mit halber Kraft oder lässig oder gar nicht zur Hilfe erschienen würden. Mochte nun Bern mit seinen und seiner nächsten Genossen Kräfte allein eine Entsatzschlacht wagen oder die Stadt und Besatzung sich selbst überlassen – immer erschienen die Chancen gerade für dieses Unternehmen ganz besonders günstig.
Es kam ganz, wie der Herzog es berechnet hatte. Alle Nachrichten von dem burgundischen Anmarsch, alle täglichen flehenden Botschaften Berns um Hilfe brachten die Ost-Kantone nicht zu sofortigem Handeln. Erst nach mehr als drei Wochen, nachdem die Burgunder angefangen, das Gebirge zu überschreiten, war das eidgenössische Heer, wenn auch immer noch nicht vollständig, doch aktionsbereit. Mittlerweile hatte sich die Besatzung von Granson auf Gnade und Ungnade ergeben müssen und war von dem ergrimmten[640] Herzog zur wohlverdienten Strafe für die verübten Untaten hingerichtet worden.
Am sichersten wäre es für den Herzog unzweifelhaft gewesen, wenn er in dem wohlgerüsteten, mit Artillerie verteidigten Lager auf der Ebene bei Granson den Angriff der Schweizer abgewartet hätte. Sein Heer war etwa 14000 Mann stark, 2000-3000 schwere Reiter, 7000 bis 8000 Schützen, der Rest Fuß-Spießer.
Etwa 19000 Mann stark, waren die Schweizer ihm zwar um einige Tausende überlegen, aber ob sie den Angriff auf das Lager wagen würden, war doch zweifelhaft, und Karl beschloß deshalb, ihnen entgegenzugehen. Mit seinen berufsmäßigen Kriegern und seiner Artillerie fühlte er sich gegen das Volksaufgebot des Erfolges sicher. Der Weg führte entlang am Neuenburger See; eine Strecke lang machen ihn die an den See herantretenden Berge zu einem Engpaß. Um sich den Durchmarsch zu sichern, bemächtigte sich Karl zunächst des an dem entgegengesetzten (nördlichen) Ausgang[641] liegenden Schlosses Vaumarcus und versah es mit einer Besatzung594 (1. März).
Diese Bewegung bestimmte auch das Vorgehen der Schweizer. Sie hatten in der Tat Bedenken getragen, das befestigte Lager der Burgunder anzugreifen. Jetzt beschlossen sie, auf der Stelle sich gegen Vaumarcus zu wenden. Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß Karl zum Entsatz herbeieilen und so die Gelegenheit zu einer Schlacht in einer nicht vorbereiten, d.h. namentlich nicht mit Artillerie besetzten Stellung bieten werde.
Am 2. März morgens bewegen sich nun die beiden Heere gegeneinander; die Schweizer gegen den nördlichen Ausgang des Engpasses auf Vaumarcus, die Burgunder gegen den südlichen Ausgang. Nur bis zu dieser Stelle, etwa eine Meile von Granson, wollte Karl sein Heer vorwärts bewegen. Der etwa eine halbe Meile breite Bergrücken würde also noch zwischen den beiden Gegnern gelegen haben. Da entwickelte sich, beiden Teilen unerwartet, die Schlacht.
Ein Teil der Schweizer, hauptsächlich Schwyzer, Berner und Freiburger, ist mit einem burgundischen Posten, der auf dem über den Bergrücken hinwegführenden Wege aufgestellt ist, in Kampf geraten. Der Kampf zieht einen Haufen nach dem andern auf diesen Weg, und indem sie, den Feind verfolgend, auf der andern Seite des Berges anlangen, erblicken sie vor sich in der Ebene dessen gesamtes Heer. Die Vortruppen sind bereits angekommen und haben begonnen, das Lager aufzuschlagen; das Gros ist noch im Marsch.
Der Herzog selbst ist mit den Vortruppen zur Stelle und nimmt den Kampf mit den aus dem Paß hervorquellenden Schweizern auf, vornehmlich durch seine Schützen.
Die Situation ist, abstrakt betrachtet, für das burgundische[642] Heer so günstig wie möglich. Beide Heere sind noch in Anmarsch, aber die Burgunder über eine Ebene, die Schweizer durch ein schwieriges Défilé. Man muß daher annehmen, daß das burgundische Heer schneller versammelt und aufmarschiert sein konnte, als das schweizerische; es konnte dann die noch in der Entwickelung begriffenen Schweizer angreifen, und wenn es gelang, sie zu werfen, so mußten sie, an dem Eingang des Défilés sich drängend und stopfend, schwere Verluste erleiden.
Die eigentümliche Zusammensetzung und Taktik beider Heere machte aber dies an sich natürliche Manöver für die Burgunder untunlich. Der Weg, auf dem die Schweizer anrückten, tritt nicht direkt aus dem waldigen Berg in die Ebene, sondern senkt sich allmählich über mit Reben bepflanzten Hügeln hinab. Auf diesem Terrain konnte Karl die beiden Waffen, in die er das meiste Vertrauen setze, seine Ritter und seine Artillerie, so gut wie gar nicht zur Aktion bringen. Hätte er allein die gewaltige Masse seiner Schützen zum Angriff vorgehen lassen, so hätten diese die Schweizer vielleicht genötigt, in den Paß zurückzugehen, aber eine wirkliche Niederlage konnten sie allein, die sich nicht getrauen durften, sehr nahe an den Feind heranzugehen, oder gar es zum Handgemenge kommen zu lassen, ihnen nicht beibringen.
Karl beschloß deshalb, sein Heer in der Ebene aufmarschieren und es hier von den Schweizern angreifen zu lassen. Man sollte meinen, daß er hiermit auf den Hauptvorteil, den die Situation ihm bot, verzichtet habe, nämlich die Schlacht zu engagieren, ehe die Gesamtmacht des Feindes zur Stelle war. Aber selbst das gelang ihm noch, einzurichten. Er ließ das Gefecht durch einige Abteilungen Schützen fortführen, welche den Schweizer Schützen überlegen, vermutlich den Gevierthaufen der Schweizer, der sich nun auf den Hügeln formierte, sehr belästigt haben. Dieser setzte sich daher, noch nicht die Hälfte des schweizerischen Heeres, etwa 8000 Mann umfassend, zum Angriff in Bewegung, ohne die Ankunft der übrigen abzuwarten.
Die wenigen Reiter595 und einige Geschütze, welche die Berner[643] mit sich führten, begleiteten ihn. Man kann sich eine günstigere Situation für das burgundische Heer kaum vorstellen, wenn es nun seinerseits bereits vollständig aufmarschiert gewesen wäre. Das war es aber noch nicht. Man darf annehmen, daß die burgundische Armee wohl vollständig zur Stelle, aber teilweise noch etwas rückwärts im Herausarbeiten aus dem Train und Aufstellen begriffen war, als die Schweizer anrückten. Vielleicht haben sich diese gerade im Hinblick, daß auch die Burgunder noch nicht völlig bereit waren, zu dem isolierten Angriff hinreißen lassen.
Wie dem auch sei: immer glaubte der Herzog noch, alle Vorteile auf seiner Seite zu haben. Kam der schweizerische Gevierthaufen in die Ebene, so konnte er ihn in den Flanken mit seinen Gendarmen packen, in der Front von der Artillerie und den Schützen beschießen lassen. Die wenigen Reiter und Schützen der Schweizer, welche den Gevierthaufen begleiteten, hätten ihn vor den Flanken-, vielleicht auch bald Rückenangriffen nicht zu decken vermocht; er hätte, um sich ihrer zu erwehren, Halt machen müssen und wäre endlich den allseitigen Angriffen erlegen.
Karl befahl also einigen Abteilungen seiner Gendarmen den Flankenangriff von der Bergseite her, andere, sich aus der Front zurückzuziehen, um die Artillerie zu demaskieren. Die Geschützkugeln schlugen in den schweizerischen Haufen ein. Der Angriff der Gendarmen wurde mit großer Bravour ausgeführt; die Plänkler der Eidgenossen flüchteten sich in den Haufen; die Gendarmen kamen bis an die Spieße; aber in den massiven Haufen, aus dem ihnen die langen Spieße entgegengestreckt wurden, einzudringen, waren sie außer stande; der Herr von Chateauguyon, der sein Pferd mit Gewalt hineindrängte, wurde erstochen, die anderen kehrten um. Der Angriff war abgeschlagen, an dem festen Zusammenhalten des Schweizer Gevierthaufens und den langen vorgestreckten Spießen abgeprallt.
Indem war das Schicksal des Tages bereits entschieden. Bei den noch weiter zurück befindlichen Scharen der Burgunder, also wahrscheinlich denen, die noch dabei waren, sich zu ordnen, sowie beim Train war eine Panik ausgebrochen, die sich immer weiter fortpflanzte. Unter dem Ruf »sauve qui peut« ergriff eine Abteilung nach der andern die Flucht. Als Grund dieser Panik gibt[644] Panigarola an, daß die hinteren Abteilungen jene Rückwärtsbewegung, die gemacht wurde, um der Artillerie freies Feld zu geben, als Flucht aufgefaßt hätten. Die Schweizer nahmen an, daß die Ankunft der übrigen Eidgenossen, welche in unaufhörlichem Strom aus beiden Pässen (über den Berg und am See-Ufer) hervorquollen, die Burgunder so in Schrecken gesetzt hatten. Es mag wohl dieses beides und dazu die Abweisung des Angriffs der Gendarmen unter Chateauguyon596 zusammengewirkt haben. Jedenfalls war es zu einem allgemeinen Kampfe gar nicht gekommen. Das Gros des burgundischen Heeres bestand ja aus Schützen, die es auf einen Nahkampf mit Spießern und Hellebardierern nicht ankommen lassen können, und der feste Zusammenhalt eines taktischen Körpers, der den einzelnen davor hütet, sich von der Panik anstecken zu lassen, fehlte. Das burgundische Heer stürzte davon; vergeblich suchte Karl seine Leute aufzuhalten und noch hier und da das Gefecht wieder zum Stehen zu bringen. Die Schweizer folgten den Fliehenden nach, da aber nur noch wenige ihrer Reiter zur Stelle waren, und diese sich nicht isoliert vorwagten, so konnten sie ihnen keinen Schaden mehr tun. Der Verlust von 1000 Mann, der von einigen angegeben wird, ist jedenfalls noch zu hoch; Panigarola sagt, offenbar dem Charakter des Gefechtes entsprechend, daß nur ganz wenige gefallen seien, und der Hauptmann der St. Galler, Freiherr Peter von Hewen, meldete seinem Abt am Tage nach der Schlacht, es seien nur 200 Burgunder geblieben.597
Auf Seiten der Schweizer waren durch das Geschütz und die Pfeile der Burgunder eine nicht ganz unerhebliche Zahl getötet und verletzt; auch bei den Kontingenten, welche nicht bei der Vorhut, sondern bei dem Gewalthaufen waren; die Luzerner z.B. hatten 52 Verwundete. Diese sind vermutlich meist auf der Verfolgung durch rückwärts gesandte Pfeile getroffen worden. Vereinzelt soll sich auch eine Anzahl von Leuten aller Kontingente der Vorhut angeschlossen haben, und mag hiervon einer oder der andere in der Schlacht selbst verwundet worden sein.598[645]
DIERAUER II, 207 hat meine Berechnung der Stärke des burgundischen Heeres auf 13000 bis 14000 Mann angezweifelt, da zu den 11000, die Karl (neben 400 vorausgeschickten Lanzen) heranführte, noch savoyische und mailändische Zuzüge gekommen seien. Ob aber noch mailändische Zuzüge gekommen, und ob Savoyarden bei Granson waren, ist sehr zweifelhaft, während umgekehrt sehr wohl einzelne Teile von Karls Macht detachiert gewesen sein mögen. (Vgl. Pers.u. Burg.- Krieg S. 150.)
FELDMANN, Die Schlacht bei Granson (Freienfeld 1902) will zu einer höheren Zahl kommen, weil ich die Artillerie-Mannschaft, die »Gensdarmen« und die Savoyarden nicht mitgerechnet hätte. Die Artillerie-Mannschaft bestand aber zumeist aus Nicht-Kombattanten; eine »Gensdarmerie«, die ich nicht mitgerechnet hätte, ist nicht nachgewiesen, von den Savoyarden haben wir schon gesprochen.
FELDMANN legt noch Gewicht auf den Ausruf Karls, »20000 Mann seien ausgerissen«, und meint, der Herzog habe doch nicht den Sieg der Schweizer noch größer darstellen wollen, als er war. Ich erwidere: es ist ganz klar, daß der Herzog in der Wut über die Feigheit der Seinen zu ihren Ungunsten noch übertrieben hat.
In der Depesche vom 31. Dezember 1475 gibt PANIGAROLA an, der Herzog behaupte, bereits 2300 Lanzen und 10000 Bogenschützen zu haben. Ich habe angenommen (Pers.- u. Burg.-Kriege S. 149), die 10000 Bogenschützen seien zugleich Teile der Lanzen. Feldmann verwirft diese Auslegung und dürfte damit Recht haben: der Herzog hat tatsächlich sagen wollen: 2300 Lanzen (= 13800 Mann) und 10000 Schützen. Für die Stärkeberechnung bei Granson ist aber dadurch nichts gewonnen. Hierfür ist allein PANIGAROLAS Bericht vom 16. Januar maßgebend, aus dem sich ergibt, daß jene frühere Angabe des Herzogs eine starke Übertreibung gewesen ist.
Buchempfehlung
Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.
54 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro