Schlacht bei Nancy.[663] 613

5. Januar 1477.

In Verfolgung des Sieges von Murten hatte Herzog René von Lothringen mit Hilfe der Niederen Vereinigung sein Herzogtum wieder in Besitz genommen und auch die Hauptstadt nach kurzer Belagerung wieder erobert. Herzog Karl war zunächst in Burgund geblieben, noch mit Plänen zur Fortführung des Kampfes gegen die Schweizer beschäftigt, als die Nachrichten aus Lothringen ihn bewogen, sich zunächst hierhin zu wenden. Diese Landschaft die ihn von den Niederlanden, dem größeren Teil seiner Besitzungen, trennte, war für ihn wichtiger als alles Andere. Er nahm die Trümmer seines Murtener Heeres zusammen, zog Verstärkungen heran und belagerte Nancy. Herzog René hatte sofort wieder vor ihm weichen müssen, da seine unbezahlten Söldner und Bundesgenossen der Niedern Vereinigung meuterten und den Kampf versagten. Die Besorgnis aber, daß Karl sich wieder zum Herrn von Lothringen machen und von dort aus ins Elsaß fallen würde, bewog die Städte, jetzt dem Herzog René mit Geld beizuspringen, und als er den Schweizern 4 und dann 41/2 Gulden monatlich Sold für den Mann bot, gaben ihm diese die Erlaubnis, bei ihnen unter obrigkeitlicher Leitung zu werben. So brachte René aus Lothringern, Elsässern, Österreichern, Franzosen und Schweizern ein Heer von gegen 20000 Mann zusammen, denen[663] Karl nicht mehr als wohl höchstens 10000 Mann gegenüberzustellen hatte.

Karl konnte sich nicht entschließen, Nancy, das bereits nahe daran war, durch Hunger gezwungen zu werden, fahren zu lassen, sondern setzte die Belagerung fort und stellte sich mit dem Gros seiner Truppen dicht südwärts der Stadt dem Entsatzheer, so daß er noch einen Teil seiner Truppen zurücklassen mußte, um sein Lager gegen einen Ausfall zu decken und hinter sich die feindliche Stadt hatte, die die natürliche Rückzugsstraße versperrte.614

Ob er von der ungeheuren Übermacht, die herannahte, keine Vorstellung hatte?615 Oder ob er in unbändigem Trotz das Wort wahrmachen wollte, daß er nach der Schlacht bei Murten zu dem mailändischen Botschafter voll Zorn über die schlechte Haltung seiner Truppen gesprochen,616 das nächste Mal werde er sie so aufstellen, daß die fechten oder sterben müßten?

Zu eben diesem Botschafter hatte er auch gesagt, daß er das nächste Mal im Kampf gegen die Schweizer die Hälfte seiner Lanzen[664] absitzen und in einem großen Haufen zu Fuß fechten lasen werde. Er berechnete dabei sein Heer auf 2000 Lanzen und den Infanteriehaufen auf 10000 Mann. Man hat hierin eine verspätete und zu späte Nachahmung der Schweizer sehen wollen,617 und RÜSTOW hat in seiner Geschichte der Infanterie (I, 186) dazu wieder bemerkt, man sehe daraus, daß Karl von der wahren Natur der schweizerischen Infanterietaktik durchaus nichts begriffen hatte. Denn der schweizerische Gewalthaufen ist eine Kolonne von blanken Waffen, die im Ansturm den Feind niederrennt und nur von einigen tirallierenden Schützen begleitet wird; Karls Lanze soll aus drei Armbrusten, drei Büchsenschützen, drei Pikenieren und dem Ritter bestehen,618 der Mehrzahl nach also aus Schützen, die dem Anlauf eines mächtigen geschlossenen Haufens von Hellebardierern und Spießern unmöglich stand halten können. Der Vorwurf aber, daß Karl die Schweizer Taktik immer noch nicht begriffen hatte, ist ungerechtfertigt; er hat gar nicht gesagt, daß er die Schweizer vollständig nachahmen wolle, sondern nur, daß er seine Infanterie zu einem einzigen mächtigen Haufen zusammenziehen werde, weil dies auch die Schweizer täten.619 Die Modifikation gegen seine früheren Vorschriften besteht also nur darin, daß statt des Kämpfens in lauter einzelnen Lanzen, wobei die verschiedenen Waffengattungen sich wechselseitig unterstützen konnten, jetzt die eine Hälfte des Heeres enger zusammengezogen wird, und die Ritter von den Pferden steigen, also dadurch mit den Schützen und Pikenieren mehr verschmelzen. Das ist ein uns längst bekanntes Bild; Karl hat damit weder etwas prinzipiell Neues geschaffen, noch schaffen wollen. Wären die Schlachten von Granson und Murten zu voller Entwicklung gelangt, statt durch die Panik und den Überfall[665] von vornherein außer Schick zu kommen, so hätte sich auch dort etwas ganz Ähnliches ergeben. Der Unterschied ist nur, daß von vornherein durch das Absitzen der Ritter und die Betonung des Zusammenziehens der Lanzen zu einer Masse das Gefüge fester gemacht wurde.

Karl stellte nun diese seine so gestaltete, an Zahl schwache Infanterie an einer Stelle auf, wo zwischen der Meurthe links und einem Walde rechts, Front nach Süden, nur ein mäßig breiter Zugang war; rechts und links der Infanterie standen die Reiter. Er rechnete also ganz wie früher, daß der Feind durch das Feuer der Schützen, besonders auch der Artillerie, im Anrücken schwer mitgenommen und vielleicht zum Stutzen gebracht, dann durch die Attacke der Ritter geworfen werden würde. Die Front der Infanterie war noch durch einen Bach und teilweise durch dichte Hecken gedeckt.

Die Verbündeten hüteten sich aber, diese starke Stellung in der Front anzugreifen. Karl muß sich über seine Flankendeckung getäuscht haben. Die Verbündeten bildeten drei Haufen, von denen einer, die Nachhut, auf der Straße im Zentrum nur demonstrierte,620 während der Gewalthaufe links und die Vorhut rechts gleichzeitig beide Flanken des burgundischen Heeres umgingen. Der Marsch vollzog sich in dichtem Schneegestöber, was ihn erschwerte, aber auch wohl gleichzeitig verbarg; das Durchschreiten des Waldes und eines halbgefrorenen Baches rechts von den Burgundern war dem Gewalthaufen sehr beschwerlich und angreifend, führte ihn aber mit den begleitenden Reitern und Schützen in die Flanke des Gegners. Ein tapferer Anfall der burgundischen Ritter gegen die lothringischen hatte anfänglich einigen Erfolg, brach sich aber endlich an dem Feuer der Schützen und dem Haufen der Spießer. Die burgundischen[666] Geschütze, die man schnell nach dieser Seite zu wenden suchte, hatten wenig Wirkung. So rollte der Gewalthaufen, rasch vorwärts rückend, die Burgunder auf.

Ganz ebenso kam von der andern Seite der etwa ebenso starke Haufe der Vorhut. Indem er eng geschlossen ganz nah am Flusse vorging, war er außerhalb der Wirkung der burgundischen Geschütze geblieben. Das Schneegestöber wird für ihn als Schleier noch wichtiger gewesen sein, als für den Gewalthaufen.

Sobald die beiden Haufen mit ihrer mächtigen Überlegenheit erst heran waren an die burgundische Stellung, hatten sie natürlich gewonnen und konnten einen großen Teil des feindlichen Heeres vernichten. Herzog Karl selbst fiel.


Die Umgehung und der Angriff des schweizerischen Gewalthaufens ist in der chronique scandaleuse des Jean de Troyes, Collection Petitot Bd. XIV, S. 50, folgendermaßen beschrieben: »Et si tost que lesdits Suisses se trouverent au dessus et au costé dudit duc de Bourgongne, tout à ung coup se tournerent le visaige vers luy et son armee, et sans arrester, marcherent le plus impetueusement et orgueilleusement que jamais gens firent. Et à l'approucher pour joindre deschargerent leurs coulevrines à main, et à ladicte descharge qui n'estoit pas des generaulx des finances, tous les gens de pié dudit de Bourgongne se mirent en fuite.« Man sieht, der Verfasser hat im ganzen eine richtige Vorstellung von dem Vorgang, wenn wir aber nichts weiter hätten als diesen seinen Bericht, so würden wir unzweifelhaft der Wirkung der Couloevrinen einen viel zu großen Anteil an der Entscheidung zuschreiben, und vielleicht hat Jean de Troyes die hyperbolische Wendung nur gewählt, um seinen Witz anbringen zu können, daß die Decharge der Schützen keine Decharge (Quittung) von Steuereinnehmern gewesen sei.

Auch Commines überschätzt übrigens die schweizerischen Schützen.[667]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 663-668.
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