4. Kapitel. Esra und Nehemia.

[112] Verhältnis der Judäer in der Heimat und in Persien zueinander. Günstige Lage der Judäer in Persien unter Artaxerxes. Nehemia, Mundschenk des Königs. Eifer für das Gesetz unter den persischen Judäern. Esra. Seine Tätigkeit, das Gesetz zu erfüllen und zu lehren. Esras Auswanderung nach Judäa mit einem großen Gefolge. Artaxerxes' Gunstbezeugung für ihn. Esras Ankunft in Jerusalem. Klage über Mischehen. Esra reißt die Gemeinde zur Reue darüber hin. Trennung von den fremden Frauen und Kindern. Folgen der Absonderung. Feindseligkeit der Nachbarvölker gegen Jerusalem. Zerstörung der Befestigungsmauer. Zerfahrenheit in Judäa. Nehemias Stellung am persischen Hofe. Seine Ankunft in Jerusalem. Seine Hofhaltung und seine Pläne. Die Befestigung der zerstörten Mauern. Hindernisse von seiten der Nachbarvölker und Sanballats. Die falschen Propheten. Nehemias Sorgfalt für die Unglücklichen; er bevölkert das halbverödete Jerusalem und säubert die Geschlechter. Esras Vorlesungen aus dem Gesetzbuche. Sehnsucht des Volkes nach dem Worte der Thora. Zweitmalige Sonderung von den Mischehen. Die große Versammlung unter Esra und Nehemia zur Befolgung der Gesetze. Einweihung der Mauern Jerusalems. Befestigung des Tempels durch die Burg Birah. Einsetzung von Beamten. Sorgfalt für die Abgaben an Ahroniden und Leviten. Nehemias Rückkehr nach Susa. Rück fall in Mischehen. Der Hohepriestersohn Manasse heiratet Sanballats Tochter. Zwietracht in Jerusalem. Der Prophet Maleachi. Sehnsucht nach Nehemia, seine zweitmalige Ankunft in Jerusalem und seine Maßregeln. Nebenbuhlerischer Kultus auf dem Berge Gerisim von Sanballat und Manasse eingeführt. Nehemias Denkschrift und Tod.


(459-420.)

Selten machen sich geschichtliche Neubildungen durch schroffe Übergänge so augenfällig, daß die Mitlebenden selbst davon betroffen und bei jeder Wendung und Lebensäußerung gemahnt werden, daß das Alte dahin und eine neue Ordnung der Verhältnisse eingetreten ist. In der Regel merkt das Geschlecht, das in einen Wendepunkt der Geschichte gestellt ist, den Wechsel nicht, der in ihm selbst, in seinen Anschauungen, Sitten und selbst in seiner Sprache vor sich geht. Während die Mitlebenden noch glauben in den ausgefahrenen [112] alten Gleisen zu wandeln, hat eine unsichtbare Kraft sie in neue Bahnen geschoben, die in einer anderen Richtung gehen und zu anderen Zielen führen, und erst beim Rückblick auf die zurückgelegte Strecke mögen sie gewahr werden, daß das Alte entschwunden und etwas Neues an dessen Stelle getreten ist, und daß sie selbst unter der Hand verwandelt sind. Eine solche anfangs unmerkliche, aber im Verlaufe durchgreifende Umwandlung vollzog sich in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts innerhalb der Judäer. In der Meinung, daß sie nur einfach das Werk ihrer Vorfahren auf dieselbe Weise und mit denselben Mitteln fortsetzten, hatten sie sich selbst verändert und arbeiteten an einer neuen Gestaltung der Zustände. Diese Neubildung hat indes ihre Entstehungsgeschichte, welche, wenn auch dem mitlebenden Geschlechte nicht erkennbar, den später Lebenden nicht entgehen kann. Die Umwandlung ging nicht von dem Gemeinwesen in Juda und Jerusalem, sondern von dem Exile aus, hat aber in kurzer Zeit auch dieses in ihren Kreis gezogen und ihm ihr Gepräge aufgedrückt.

In dem Exilslande Babylonien war ein ansehnlicher Teil der Nachkommen der Exulanten zurückgeblieben, sei es aus Rücksicht auf die Vermögensverhältnisse, oder aus Bequemlichkeit oder anderen Gründen. Die überwältigende Begeisterung für die Rückkehr nach Jerusalem und den Neubau des Gemeinwesens hatte zwar auch die Zurückgebliebenen ergriffen; sie beteiligten sich daran mit ihren Segenswünschen und ihren reichen Spenden. Auch diejenigen, welche noch bis zum Schlusse der Exilszeit dem Götzentum anhingen, ließen es völlig fahren und wurden Anhänger ihres Gottes und ihrer Lehre. Verknüpfte sie doch ein enges Band mit denen, welche in die Heimat zu rückgekehrt waren, indem ein Teil ihrer Familienglieder dorthin gewandert war. Es fand daher ein lebendiger Verkehr zwischen dem Mutterlande und der, wenn man sie so nennen darf, judäischen Kolonie in den Euphratländern, statt. Jerusalemer machten hin und wieder die Reise zu ihren Brüdern in der Golah, wie die babylonischen Judäer genannt wurden, um Klagen über heimische Zustände anzubringen und Abhilfe bei ihnen zu suchen1, und von diesen wanderten noch öfter welche nach Jerusalem, um sich vom Tempel aus in eine geweihte Stimmung versetzen zu lassen und Geschenke dahin zu bringen. Gerieten Judäer aus der Heimat in Gefangenschaft oder wurden als Sklaven verkauft, so machten ihre Brüder Anstrengungen und scheuten kein Opfer, sie auszulösen und ihnen die [113] Freiheit zu erwirken2. Sie waren in der glücklichen Lage, dem Mutterlande Mittel spenden und ihnen unter die Arme greifen zu können, da sie größtenteils wohlhabend waren; das ausgedehnte persische Reich bot ihrem Unternehmungsgeiste weiten Spielraum. Seitdem Susa Residenzstadt der persischen Könige geworden und Babylon sein Ansehen und seine Bedeutung verloren hatte, wanderten Mitglieder der babylonisch-judäischen Gemeinde ostwärts ins persische Reich ein, setzten sich namentlich in Susa fest und bildeten auch hier Gemeindegruppen. Der vierte persische König Artaxerxes (Arthachschaschta 464-423) begünstigte sie ebenso, wie sein Großvater Darius. Ein durch körperliche Vorzüge und durch Klugheit hervorragender Judäer, Nehemia, erlangte an seinem Hofe eine einflußreiche Stellung als Mundschenk. Der König und seine Hauptgemahlin Damaspia waren ihm besonders gewogen und gewährten ihm manchen Wunsch, den er geschickt und in gefälliger Form vorzutragen wußte3. Durch diesen und noch andere bei Hofe wohlgelittene Judäer erlangten die persischen und babylonischen Gemeinden eine günstige Lage.

Die auswärtigen Judäer legten aber Wert darauf, ihre Eigenart zu bewahren und ihren nationalen Charakter zu behaupten; sie schlossen sich von der sie umgebenden Welt ab, heirateten nur untereinander und nahmen die überkommene Lehre zur Richtschnur ihrer Lebensweise. Gerade weil sie in einer fremden Umgebung lebten und vom Mutterlande räumlich entfernt waren, wendeten sie einen besonderen Eifer an, Judäer zu sein und zu bleiben und die Vorschriften ihrer Lehre zu befolgen, um daran ein festes Band zu haben, welches sie als Glieder eines eigenen Volkstums umschlingen sollte. Opfer konnten sie allerdings nicht darbringen und ebensowenig die Gesetze beobachten, welche auf den Tempel Bezug haben. Desto eifriger beobachteten sie diejenigen Vorschriften, welche vom Heiligtum unabhängig sind, den Sabbat, die Festtage, die Beschneidung und die Speisegesetze. Ohne Zweifel hatten sie Bethäuser, worin sie sich zu gewissen Zeiten zum Gebete vereinigten. Selbst die hebräische Sprache pflegten sie so weit, daß sie ihnen nicht fremd geworden ist, oder bedienten sich derselben im Verkehr untereinander4. Woher entnahmen sie die Kenntnis dieser Sprache? Aus dem Schrifttum,[114] das sie in Händen hatten, und in das sie sich um so eifriger hineinlasen, als sie nur daraus ihr religiöses Verhalten schöpften und regeln konnten. Dadurch kam jener Teil desselben zur Geltung, welcher bis dahin nur wenig oder nur gelegentlich beachtet wurde, das Fünfbuch der Thora, mit seiner Gesetzes- und Pflichtenlehre. Früher, während der Exilszeit, waren die Schriften der Propheten beliebter, weil sie die für die Ertragung der Widerwärtigkeiten und zur Erweckung von Hoffnungen nötige Stimmung erzeugten, und weil sie Trost spendeten. Sobald es aber galt, die Stimmung und Gesinnung zu betätigen und den Lebensäußerungen einen eigenen Charakter aufzudrücken, mußte das Gesetzbuch hervorgesucht und befragt werden. Die in der Heimat so lange vernachlässigte Thora oder das Gesetz kam erst auf fremdem Boden zu Ehren und Ansehen. In Judäa wurde z.B. der Sabbat lange nicht so streng gefeiert, wie in den babylonisch-persischen Gemeinden5. Wenn auch die Neigung und Empfänglichkeit für eine solche Richtung in diesem Kreise allgemein vorhanden war, so ging die Anregung dazu, sie leidenschaftlich und eifrig zu verfolgen, von einzelnen aus. Verkörpert war dieser Eifer für die volle Betätigung der Thora, richtiger für die Erfüllung der in ihr vorgeschriebenen Gesetze, in Esra, der jenen Wendepunkt in dem Geschichtsgange des judäischen Volksstammes herbeiführte und ihm einen neuen Charakter verlieh; doch stand er nicht vereinzelt, sondern hatte Gesinnungsgenossen6.

Vermöge seiner Abstammung war dieser Mann, welcher der Schöpfer der religiös-gesetzlichen Richtung wurde, wie berufen, den Eifer für die Thora zu entflammen. Er war ein Nachkomme der Hohenpriester; sein Urahn Chilkija hatte das deuteronomische Gesetzbuch im Tempel gefunden und durch Einhändigung desselben für den König Josia einen Umschwung herbeigeführt (II. 1. Hälfte. S. 270). Er war Spätenkel jenes Hohenpriesters Seraja7, den Nebukadnezar hinrichten ließ, und dessen Söhne das Buch der Thora nach Babylonien gebracht haben mögen. Esra hatte demnach Gelegenheit, sich mit diesem[115] Buche zu beschäftigen. Aber mehr als seine Vorgänger und seine Verwandten von der hohenpriesterlichen Linie hat er ihm Aufmerksamkeit zugewendet. Nachdem er sich eifrig hineingelesen und darin vertieft hatte, sorgte er dafür, daß es nicht bloß toter Buchstabe bliebe, sondern durch Betätigung und Erfüllung der Vorschriften lebendig werde. Selbstverständlich begann er mit sich selbst. Alle die Pflichten, welche das Gesetz der Thora dem einzelnen in Kleidung, Speisen und bezüglich der Festeszeiten auflegt, suchte Esra gewissenhaft zu erfüllen. Dann trat er als Lehrer für seine Stammesgenossen auf, legte ihnen das Gesetz so faßlich aus, daß die Zuhörer es verstehen konnten, und ermahnte sie, es nach allen Seiten hin zu befolgen8. Das Gesetzbuch war für ihn der Ausfluß der Gottheit, die es Mose für Israel offenbart hat. Er stellte es daher höher, unendlich höher als die übrigen Schriften der Propheten, da der erste Prophet und Gesetzgeber höher als die übrigen Propheten stand und gewürdigt war, »Gott von Angesicht zu Angesicht zu schauen«. Selbst von der Göttlichkeit des Mose überlieferten Gesetzes durchdrungen und von Eifer beseelt, es zur Geltung zu bringen, wurde es ihm leicht, den babylonisch-persischen Gemeinden, die ohnehin die Neigung hatten, sich in dem Kreise des eigenen Volkstums zu bewegen, ihnen diese Überzeugung und diesen Eifer einzuflößen. Esra nahm daher unter diesen eine geachtete Stellung ein; sein Wort hatte Autorität, und er fand willigeres Gehör als die Propheten mit ihrer Feuersprache. Allerdings hatten diese ihm vorgearbeitet; sie hatten die Gemüter für die Lehre empfänglich, das Herz von Stein der Hartnäckigen weich gemacht. Israel war nicht mehr das »Haus des Ungehorsams und der Widerspenstigkeit«.

Hatte Esra Kunde davon, daß in dem Heimatland das Gesetz nur lau befolgt wurde, und gedachte er mit seiner Reise dahin und seiner Tätigkeit ihm volle Geltung zu verschaffen? Oder hat ihn nur ein Herzensdrang getrieben, sich in Jerusalem niederzulassen und dort auch diejenigen religiösen Pflichten zu erfüllen, welche der Tempel und das Opferwesen auflegten? Was auch der Beweggrund gewesen sein mag, Esra hat mit der Auswanderung nach Juda, die er ins Werk setzte, eine Wendung herbeigeführt. Sobald der Entschluß in ihm feststand, sich dahin zu begeben, verständigte er sich [116] mit Gesinnungsgenossen, die bereit waren, sich ihm anzuschließen. Es war eine ansehnliche Zahl, mehr als 1600 Männer nebst Frauen und Kindern von den angesehenen Familien, die noch im Exilslande zurückgeblieben waren, und unter ihnen auch ein Urenkel Serubabels von der davidischen Linie9. Diejenigen, welche sich an der Auswanderung nicht beteiligen konnten, gaben Esra reiche Spenden an Gold, Silber und kostbaren Geräten für den Tempel mit. Erstaunlich ist es, daß der König Artaxerxes (Longimanus) ebenfalls Weihgeschenke für das Heiligtum in Jerusalem gespendet hat und nach seinem Beispiele auch seine Räte und andere persische Großen10. Hat Esra persönlich dem König von Persien nahegestanden, oder haben die judäischen Günstlinge in seinem Innern eine so außerordentliche Zugetanheit für ihre Lehre und ihren Stamm zu erregen gewußt? Tatsache ist es, daß in dieser Zeit der Gott Israels unter den Persern und anderen Völkern andächtige Verehrer und Anbeter hatte, von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang war sein Name groß und angesehen unter den Völkern11. Gehörte vielleicht Artaxerxes [117] auch zu diesen Verehrern? Wie dem auch gewesen sein mag, Artaxerxes gestattete Esra nicht nur das Gesuch, mit den Stammesgenossen nach Jerusalem auszuwandern, sondern gab ihm auch Freibriefe an die Satrapen der Länder, durch welche die Wege führten, und an die Landpfleger von Palästina. Er hätte ihm auch Geleitstruppen mit beigegeben, welche die Auswanderer auf der weiten Reise vor räuberischen Angriffen und Feindseligkeit schützen sollten, wenn Esra es verlangt hätte. Er verlangte aber diesen Schutz nicht, weil er und seine Genossen versichert hatten, ihr Gott werde ihnen, sowie allen, die ihn anbeten, vor Gefahren Beistand leisten12.

Denen, die sich zur Auswanderung anschickten, hatte Esra die Weisung zugehen lassen, sich um ihn an einem Vereinigungspunkte zu sammeln, und als sie zu ihm an einem unbekannten Flusse Ahwa (in Persien?) stießen, ließ er sich von den Familienhäuptern ihre Geburtslisten vorzeigen, um sich zu überzeugen, daß sie von echt judäischer oder levitischer oder ahro nidischer Abkunft waren13. Zu seinem Erstaunen fand er keinen einzigen Leviten unter den Auswanderern. Haben diese Bedenken getragen, sich in Jerusalem anzusiedeln, in der Voraussicht, daß sie unter den Ahroniden am Tempel eine untergeordnete Stellung einnehmen würden? Esra lag aber so viel daran, auch Leviten in seinem Gefolge zu haben, daß er eine angesehene Deputation von zwölf Männern an einen hochgestellten Mann Iddo in der Stadt Chasiphia (?) mit dem Auftrage sandte, daß er die in diesem Orte lebenden Leviten bewegen möge, sich dem Zuge anzuschließen. Diese Botschaft erreichte ihren Zweck, sie brachte zwei oder drei angesehene levitische Familienhäupter [118] samt ihren Söhnen und Verwandten mit und noch dazu hundertundzwanzig ehemalige Tempelsklaven (Nethinim)14. Esra scheint die Gleichstellung der Leviten mit den Ahroniden ins Auge gefaßt zu haben, daß sie, obwohl beim Tempel zu einem anderen Dienste bestimmt, doch in der Gesellschaft den gleichen Rang mit diesen einnehmen sollten. Er wählte zu diesem Zwecke eine Kommission von zwölf Ahroniden und zwölf Leviten und ihnen übergab er die Weihgeschenke an Silber und Gold mit der Ermahnung, über diese dem Heiligtume geweihten Kostbarkeiten sorgfältig zu wachen und sie bei der Ankunft dem Schatzmeister zu überliefern15. Ehe sich Esra mit dem Zuge von mehreren Tausend in Bewegung setzte, veranstaltete er am Fluß Ahwa einen Fasten-und Gebettag, um von Gott Sicherheit der Reise vor Fährlichkeit zu erflehen; denn Bedeckung mochte er, wie schon erwähnt, nicht annehmen, und Gefahren genug bedrohten die Auswanderer. Sie legten indes den weiten Weg von Persien und Babylonien in fast fünf Monaten (Nißan bis Ab) ohne unangenehme Begegnung zurück16.

Die Ankunft Esras und seines großen Gefolges in Jerusalem (459-458) muß hier großes Aufsehen erregt haben. Sie kamen mit vollen Händen, mit begeistertem Sinne und mit Empfehlungen vom Könige. Esras Ruf als Schriftkundiger und Gesetzesausleger war ohne Zweifel auch nach Judäa gedrungen, und er wurde hier mit großer Aufmerksamkeit behandelt. Wird er und die Eingewanderten sich der alten Ordnung fügen oder sie umstoßen? Esras erster Schritt war ein stillschweigender Tadel gegen den Hohenpriester. Das mitgebrachte Silber und Gold lieferte er nicht an diesen, damals wohl Eljaschib, Jojakims Sohn, sondern an einen untergeordneten Ahroniden Meremot von der Familie Ha-Koz, und an drei andere Personen, einen Ahroniden und zwei Leviten17. Er hat [119] damit diese als Vertreter des Gemeinwesens anerkannt und den Hohenpriester geflissentlich übergangen. Bald sollten die Jerusalemer noch tiefere Eingriffe in die bisherige Ordnung von den neuen Ankömmlingen erfahren. Sobald Esra sein Lehramt angetreten hatte, brachten die streng Gesinnten, welche die Mischehen mit den Nachbarvölkern und namentlich mit Moabitern und Ammonitern mißbilligt hatten, ihre Klage vor seinen Richterstuhl über die Lauen, welche solche Verbindungen eingegangen waren. Esra war bei der Kunde von diesen Vorgängen wie entsetzt. Die Vertreter des Volkes und Tempels haben sich zum Hohne des Gesetzes mit Heiden verschwägert! Esra hielt es für eine entsetzliche Sünde; nach seiner Anschauung bildete der judäische oder israelitische Stamm eine »heilige Nachkommenschaft«, und erleide durch Vermischung mit fremden Völkerschaften, auch wenn sie das Götzentum fahren gelassen, eine Entweihung18. Nach Esra's Auslegung des Gesetzes dürften Heiden, die sich der judäischen Lehre angeschlossen, allerdings in den Gemeindeverband aufgenommen, aber nicht völlig gleichgestellt werden, sondern sollten als eine eigene Gruppe gesondert bleiben. Wie die ehemaligen Gibeoniten, die Tempelsklaven, bereits seit mehr als einem Jahrtausend dem Staate einverleibt und der Lehre zugetan, doch gesondert gehalten und von der Verschwägerung mit Urisraeliten ausgeschlossen wurden, so sollten auch die zugetretenen Proselyten aus den heidnischen Völkern behandelt werden. Die Verbindung mit ihnen sollte keine innige werden, nicht aus eitlem Adelstolz, der in der Vermischung mit einer niedriger gestellten Klasse oder Rasse eine Selbsterniedrigung erblickt, sondern aus religiös-sittlichen Bedenken, daß die den Nachkommen Abrahams und Israels angeborene oder anerzogene Empfänglichkeit für ein heiliges Leben sich nicht abschwäche und verliere. Esras Auslegung des Fremdengesetzes der Thora war eine irrige und ist später berichtigt worden; aber ihn leitete ein dunkles Gefühl, das in jener Zeit wohl seine Berechtigung hatte, daß die Aufnahme zahlreicher Proselyten oder Halbproselyten, welche [120] nicht den Läuterungsprozeß durchgemacht haben gleich dem Samen Abrahams, nicht in dem »Schmelzofen des Elendes« geprüft wurden, in die innigste Lebensgemeinschaft, dem fremden Elemente das Übergewicht geben und die sittlich-religiösen Errungenschaften zerstören könnte. Diese, man kann nicht sagen, übertriebene Befürchtung hat sein ganzes Wesen ergriffen. Im Schmerze über die in seinen Augen höchst verderbliche, den Bestand des Volkstums gefährdende Versündigung eines großen Teils der Gemeinde zerriß Esra seine Kleider, raufte sich das Haar vom Kopf und Bart aus und saß bis nachmittags traurig und zerstört, ohne etwas zu genießen. Dann begab er sich in den Vorhof des Tempels und sprach auf den Knien liegend ein erschütterndes Sündenbekenntnis aus, daß das Volk ungebessert von den harten Schicksalsschlägen wieder in die alte Sündhaftigkeit verfallen sei, obwohl Gott ihm durch die persischen Könige Gunst zuwenden und einen kleinen Rest bestehen ließ. »Sollen wir wieder deine Gebote übertreten und uns mit den Völkern des Landes verschwägern, so müßtest du uns bis zur Vernichtung ohne Überbleibsel und Rest vertilgen. Und nun sind wir in unserer Schuld vor dir, und wie könnten wir dabei bestehen?«19 Dieses tiefempfundene Bekenntnis, unter Schluchzen und Tränen ausgesprochen, riß die Anwesenden, die sich nach und nach um den auf den Knien flehenden Schriftkundigen gesammelt hatten, Männer, Weiber und Kinder hin; das Weinen steckte alle an, ein Tränenstrom ergoß sich, als wenn das Volk damit die häßlichen Blätter seiner Geschichte auszulöschen gedachte; es beteiligte sich im Gefühle an dem Sündenbekenntnis. Von dem Augenblick der Rührung ergriffen, sprach einer der Anwesenden, Schechanja, von der elamitischen Familie, ein gewichtiges Wort aus. Es gäbe ja ein Mittel, das Geschehene wieder gut zu machen und die Folgen der Vergehung abzuwenden. »Wir wollen ein Bündnis schließen, die fremden Weiber zu entlassen und die von ihnen in Mischehen geborenen Kinder aus dem Gemeinwesen auszuweisen.« Schechanja forderte Esra auf, die Sache in die Hand zu nehmen und vermöge seiner Autorität durchzusetzen. Dieses Wort ergriff Esra sofort, stand auf und forderte die anwesenden Familienhäupter auf, in Gegenwart des Heiligtums bei Gott zu schwören, daß diejenigen, welche aus fremden Völkern Frauen heimgeführt, diese samt den Kindern verstoßen würden. Es war ein Augenblick, der für die ganze Zukunft des judäischen Volkes entscheiden sollte. Auf die Schmiegsamkeit und Anlehnung an die andersartige Umgebung der früheren Zeit, welche Götzentum, Lasterhaftigkeit [121] und Auflösung zur Folge hatten, sollte von diesem Augenblick an Absonderung, strenge Absonderung von der sie umgebenden Welt durchgeführt werden. Juda sollte sich von jeder fremden Beimischung rein erhalten. Esra und seine Gesinnungsgenossen haben eine Scheidewand zwischen dem judäischen Volke und der sie umgebenden Welt aufgeführt. Diese Absonderung war keineswegs streng nach dem Buchstaben des Gesetzes, und Esra selbst, bei aller seiner Schriftkunde, war nicht imstande, sie auf das Wort der Thora zurückzuführen, daß eheliche Verbindungen mit Familien anderer Abstammung verpönt seien, wenn diese den Gott Israels bekannten. Allein diese Strenge war wohl doch zurzeit notwendig, wenn das winzige Juda sich nicht im Gewühle der Völker verlieren und seine geistigen und sittlichen Errungenschaften einbüßen sollte. So mußten denn dieser Notwendigkeit Opfer gebracht werden.

Diejenigen, welche im Augenblick der Erregung einen feierlichen Eid geleistet hatten, mußten ihr Wort einlösen, sich mit blutendem Herzen von den Frauen aus den Familien der Nachbarvölker trennen und ihre eigenen Kinder verstoßen. Die Söhne und Verwandten des Hohenpriesters mußten mit dem Beispiel vorangehen. An dem Tage, an dem sie die fremden Frauen aus dem Hause wiesen, bekannten sie, daß sie mit der Mischehe eine schwere Sünde begangen hätten und brachten ein Schuldopfer20. Ihnen folgten die übrigen Priester, Leviten und Geschlechter, die in Jerusalem wohnten. Nicht so leicht machte sich die Sache in den Landstädten. Die Bewohner derselben standen in engerer Gemeinschaft mit den Nachbarvölkern und mußten fürchten, daß sie diese durch Entlassung der aus ihren Familien heimgeführten Frauen zur Feindseligkeit reizen würden. Aber auch sie sollten sich der Strenge unterwerfen. Aus den für die Ausführung des Gesetzes eifrigsten Ältesten wurde eine Art Senat gebildet, und dieser ließ durch Herolde in allen Städten Judas den Beschluß verkünden, daß alle diejenigen, welche Mischehen eingegangen [122] waren, sich innerhalb dreier Tage in Jerusalem einstellen sollten, bei Strafe mit ihrem Vermögen zu büßen und aus dem Gemeinwesen ausgestoßen zu werden. Alle, alle fügten sich. Welche Verwandelung gegen frühere Zeit, als die vornehmen Geschlechter hartnäckig am Götzentum hielten und den Propheten und selbst dem Befehle der besseren Könige Widerstand leisteten! Nachdem die Weinlese und Feldarbeit vorüber waren, fanden sich die Landbewohner in Jerusalem ein (Khislew – November 458) und versammelten sich auf dem weiten Platz vor dem Tempel. Esra, auf die Lehrtätigkeit sich beschränkend, hielt eine Anrede an die Versammelten, brachte ihnen ihr Vergehen zum Bewußtsein und forderte sie auf, ihre Schuld offen zu bekennen und sich von den Völkern des Landes und besonders von den fremden Frauen zu trennen. Die Versammlung erwiderte mit lauter Stimme: »Alles, was du verlangst, wollen wir tun,« machte aber geltend, daß sie in der Regenzeit nicht in Jerusalem so lange weilen könnten, bis die Sache ausgetragen sein werde. Darauf wurde ein Vorschlag gemacht und billig gefunden, eine eigene Ausforschungsbehörde für diese Sache einzusetzen. Esra selbst wählte die Mitglieder derselben aus, und diese vollendeten ihre Aufgabe in drei Monaten (Tebet – Adar 457)21. Sie zogen Erkundigungen über die Personen ein, welche Mischehen eingegangen waren, und forderten sie auf, nach Jerusalem zu kommen und zu erklären, daß sie die Scheidung von den fremden Frauen vollzogen haben und wahrscheinlich auch das dafür bestimmte Schuldopfer darzubringen, womit ein Sündenbekenntnis verknüpft war22. Die Ältesten der Stadt oder die Richter sollten zur Beglaubigung des vollzogenen Beschlusses in Jerusalem mit eintreffen. Infolge dieses strengen Befehles der Ausführungsbehörde trennten sich alle diejenigen aus den Landstädten, welche sich zur Tagsatzung eingestellt hatten, ebenso wie früher die Jerusalemer von Frauen und Kindern. Indes scheinen doch manche, aus Liebe zu den Ihrigen und aus Rücksicht auf deren Eltern und [123] Verwandten, mit denen sie in innigem Verkehr standen, Widerstand geleistet zu haben23. Ob die auf die Unfügsamkeit verhängte Strafe der Güterkonfiskation und der Verbannung an ihnen vollzogen wurde, ist nicht bekannt geworden.

Diese Härte in der Durchführung der Absonderung von den Nachbarvölkern, den Samaritanern, Ammonitern und anderen, führten, wie sich voraussehen ließ, trübe Folgen herbei. Die Scheidewand, welche Esra und die strenge Partei selbst gegen diejenigen, welche gottesfürchtig waren, und sich der Gemeinschaft angeschlossen hatten, aufgeführt wissen wollten, erbitterte diese in einem hohen Grade. Sie sollten fortan von dem Gotte, den sie erwählt, und dem Heiligtum in Jerusalem, an dem sie sich bisher beteiligt hatten, ausgeschlossen werden? Der Scheidebrief, der ihnen zugestellt wurde, verwandelte mit einem Male ihre freundlichen Beziehungen zum judäischen Gemeinwesen in feindliche; der Haß, der aus zurückgewiesener Liebe entspringt, ist am heftigsten. Die Trauer der Töchter oder Schwestern, welche von ihren judäischen Ehemännern verstoßen und ausgewiesen, der Anblick der Kinder, welche von ihren Vätern verleugnet worden waren, konnten nicht verfehlen, im Herzen ihrer Verwandten das Gefühl der Erbitterung zu erwecken und zu steigern. Zum Unglück für die Judäer standen zwei tatkräftige und erfindungsreiche Männer an der Spitze derer, welche von der judäischen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen waren, Sanballat und Tobija (o. S. 109). Der Ammoniter Tobija war mit judäischen Familien verschwägert, und wahrscheinlich auch Sanballat. Sie waren der judäischen Lehre zugetan und sie wurden zurückgestoßen. Sofort nahmen sie eine feindliche Haltung gegen Juda an, sie wollten mit Gewalt oder List ihre Beteiligung am Tempel in Jerusalem und an dem Gott, der in demselben verehrt wurde, durchsetzen. Anfangs mögen wohl von ihrer Seite Schritte geschehen sein, das einträchtige Zusammenleben wieder herzustellen und den Beschluß der Absonderung rückgängig zu machen. In Jerusalem und in den Landstädten gab [124] es ohne Zweifel eine Partei von milderer Anschauung bezüglich der Mischehen, welche Esras Verfahren nicht billigen mochte. Wie viele Judäer mögen sich nur aus Zwang dem Beschlusse der Trennung von den ihnen teuren Frauen und Kindern unterworfen haben? Andere haben gewiß vorgezogen, das Vaterland zu verlassen, um die Ihrigen zu behalten; die Ausgewanderten wurden wohl von den Samaritanern herzlich aufgenommen. Auch sie mußten ein bitteres Gefühl gegen die Machthaber in Jerusalem, gegen ihre eigenen Stammesgenossen, hegen. Sie machten wohl mit den aus der Gemeinschaft ausgeschlossenen Proselyten gemeinsame Sache. Die Kundigen unter ihnen waren überhaupt anderer Meinung über die Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit von Mischehen mit Frauen, welche, wenigstens äußerlich, der Lehre zugetan waren24. War denn diese Strenge nach dem Buchstaben des Gesetzes? Enthielten die geschichtlichen Erinnerungen aus der Vorzeit nicht Beispiele genug, daß Israeliten fremde Frauen geehelicht hatten? Solche und ähnliche Fragen sind wohl damals aufgeworfen worden. Ein Nachhall der Stimmung und Beurteilung der Vorgänge von der milderen Seite klingt aus einem lieblichen Schriftwerke heraus, das höchst wahrscheinlich dieser Zeit entsprungen ist, aus dem Buche Ruth. Der dichterische Verfasser erzählt scheinbar harmlos eine idyllische Geschichte von einer vornehmen judäischen Familie aus Bethlehem, die nach Moab ausgewandert war, und aus welcher zwei Söhne moabitische Frauen geheiratet haben, aber er berührte damit die brennende Tagesfrage.

In der Richterzeit, so erzählt diese Idylle, war wegen Hungersnot ein Ehepaar Elimelech und Naëmi mit zwei Söhnen nach Moab ausgewandert. Diese Söhne hatten moabitische Frauen, Orpha und Ruth, geehelicht. Nachdem der Gatte und die zwei Söhne in der Fremde gestorben waren, kehrte die tiefbetrübte Witwe Naëmi nach Bethlehem zurück, und ihre zwei Schwiegertöchter mochten sie nicht verlassen, obwohl sie sie widerholentlich ermahnte, in ihrem Geburtslande zu bleiben und sich wieder zu verheiraten. Ganz besonders klammerte sich Ruth an sie und sprach zu ihrer Schwiegermutter: »Dringe nicht in mich, dich zu verlassen! Wohin du gehst, gehe auch ich, wo du weilen wirst, werde auch ich weilen, dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott, wo du stirbst, will auch ich sterben und an deiner Seite begraben sein. Nur der [125] Tod soll mich von dir trennen«. Die Moabiterin Ruth hielt auch treu ihr Wort. Nach Bethlehem mit ihrer verwitweten und verarmten Schwiegermutter eingewandert, sorgte sie zärtlich für sie und sammelte auf dem Felde die zurückgelassenen Ähren Tag für Tag während der Ernte. Ihre Hingebung und Züchtigkeit blieb nicht unbeachtet. Ein angesehener Grundbesitzer Boaz (Boas), in dessen weitausgedehnten Feldern sie am meisten sammelte, lobte sie: »Gott möge deine Tat vergelten, und dein Lohn möge voll sein vom Gotte Israels, unter dessen Flügeln dich zu schützen du gekommen bist.« Diesem Boaz fiel es nach dem Gesetze zu, das hinterlassene Grundstück des Elimelech zu erwerben und damit auch die Ruth zu ehelichen. Das tat er auch gewissenhaft. Bei ihrer Verheiratung rief das Volk dem Boaz zu: »Gott möge diese Frau, die in dein Haus kommt, wie Rachel und Lea machen, welche beide das Haus Israels erbaut haben.« Der Sohn, den ihm Ruth geboren, wurde der Stammvater Davids, des frommen Königs von Israel. Die einzelnen Züge dieses zarten und lieblichen Buches sind fein und künstlerisch ausgearbeitet. Dem Dichter war es aber darum zu tun, zwei Tatsachen nahe zu legen, daß das königliche Geschlecht in Israel von einer Moabiterin stammte, und daß diese Moabiterin, nachdem sie sich eng an das judäische Volk angeschlossen und sich unter Gottes Flügel geborgen hatte, die Tugenden bewährte, wie sie nur eine Tochter Israels zieren können, Züchtigkeit, Zartsinn und Opferfreudigkeit25. Die Anwendung aus diesem Schriftwerk auf die brennende Tagesfrage lag zu nahe, als daß sie nicht gemacht worden sein sollte. Gab es unter den Frauen, welche verstoßen wurden oder verstoßen werden sollten, nicht auch solche, welche der Ruth glichen? Und die Kinder, von den fremden Frauen geboren und von judäischen Vätern gezeugt, sollten als Heiden verleugnet werden? Gehörte also das Haus Davids, der königliche Stamm, dessen Urahn eine Moabiterin geheiratet hatte, auch nicht dem judäischen Volke an?

Indessen alle diese Gründe verfingen nicht: Esra und der regierende Senat in Jerusalem beharrten mit Strenge auf der Ausschließung [126] aller Elemente aus der Gemeinschaft, welche nicht von judäischer Abstammung, »vom heiligen Samen«, waren. Als die Vermittelungsversuche, die ohne Zweifel angestellt worden waren, an der Festigkeit der Eiferer in Jerusalem gescheitert waren, kam es zu feindlichen Reibungen. Einzelheiten darüber sind nicht bekannt geworden; denn das Tagebuch oder die Denkschrift, die Esra über seine Erlebnisse und Vorgänge seinerzeit niedergeschrieben, hat sich nur unvollständig erhalten26. Diese Reibungen dauerten mehrere Jahre (457-444), und die Jerusalemer zogen gewiß den Kürzeren, weil Esra kein Mann der Tat war, nur beten und rühren konnte, und viele Familien es ohnehin heimlich mit den Gegnern hielten, Sanballat dagegen und seine Genossen, von entschlossenem Charakter und von leidenschaftlichem Hasse gegen ihre Verächter geleitet, jede Gelegenheit benutzten, ihre Feinde zu schädigen. Es kam so weit, daß sie Angriffe auf Jerusalem selbst machten. Was mag ihnen diese Kühnheit eingegeben haben, da sie doch wußten, daß Esra von dem persischen Hofe begünstigt wurde, und judäische Günstlinge bei Artaxerxes viel vermochten? Haben sie vielleicht auf den Wankelmut und die Wandelbarkeit der Laune dieses persischen Königs gerechnet? Oder hat ihnen der Aufstand des Satrapen Megabyzus von Syrien, dem auch Juda wie Samaria unterstanden, Vorschub geleistet? Haben sie, während dieser ein persisches Heer nach dem andern schlug, von diesem begünstigt, den kriegerischen Angriff unternommen, um ihre Feinde ins Herz zu treffen?

Was auch Sanballat und seine Genossen zu einem kriegerischen Schritte gegen Jerusalem ermutigt haben mag, es gelang ihnen vollständig. Sie befehligten eine kriegerische Schar27, und die Machthaber in Jerusalem verstanden sich wohl wenig auf das Waffenhandwerk. Die Folge war, daß die Samaritaner Breschen in die Mauern Jerusalems machten, die Tore aus Holz in Feuer verbrannten und auch viele Häuser der Stadt zerstörten; Jerusalem glich wieder einem Trümmerhaufen28. Den Tempel aber verschonten sie; er war auch ihnen heilig. Vermittelst des feindlichen Angriffs gedachte Sanballat Esra, den Senat und die Eiferer zu zwingen, ihn und die Seinigen wieder wie früher in den Bund aufzunehmen. Allein [127] der Tempel wurde doch verwaist. Die meisten Bewohner Jerusalems, des Schutzes der Mauern beraubt, verließen es und siedelten sich da an, wo sie ein Unterkommen finden konnten29. Die Ahroniden und Leviten, welche nicht mehr Abgaben und Zehnten von der Ernte erhielten, verließen den Tempel und suchten sich Lebensunterhalt, wo sie ihn finden konnten30. Es war eine traurige Zeit für das seit kaum einem Jahrhundert wieder organisierte Gemeinwesen Judas. Was tat Esra und was seine Gesinnungsgenossen in dieser Zeit? Wo hielt Esra sich auf? Es verlautet nichts darüber. Viele edle Geschlechter machten ihren Frieden31 mit den Nachbarn, nahmen die verstoßenen Frauen wieder ins Haus oder verschwägerten sich von neuem mit solchen. Um der Verbindung Sicherheit zu geben, scheinen sie sich gegenseitig durch einen Eid verpflichtet zu haben. Esras Werk schien für den Augenblick vereitelt und selbst der Bestand des Gemeinwesens gefährdet. Wie viel fehlte noch zur völligen Auflösung?

Indessen der Eifer, den Esra entflammt hatte, war zu tief eingedrungen, als daß er durch Unglücksfälle so leicht hätte erlöschen können. Er wirkte auch in solchen, die eine bescheidene Stellung einnahmen und im Rate keine Stimme hatten. Sobald die Zerstörung und Verödung Jerusalems erfolgt war, eilten einige Männer, vom Schmerz über die traurigen Vorgänge in Juda durchwühlt, nach Persien, um von dort aus Hilfe zu suchen. Sie rechneten besonders auf Nehemia, den judäischen Mundschenk an Artaxerxes' Hofe (o. S. 114), dessen Verwandter Chanani Augenzeuge der Vorfälle gewesen war. An ihn wandten sie sich und machten ihm eine grauenhafte Schilderung von der traurigen Lage der Judäer in der Heimat und von dem Verfall der heiligen Stadt32. »Die [128] Überbleibsel dort im Lande sind in großem Unglück und in Schmach, die Mauern Jerusalems sind durchbrochen und die Tore verbrannt.« Nehemia war bei der Nachricht entsetzt. Er gehörte zu den Gesetzeseifrigen in Persien und war womöglich noch strenger als Esra33. Jerusalem, die heilige von Gott besonders beschützte Stadt, lebte in seiner Vorstellung wie mit einer Feuermauer umgeben, der sich kein Feind ungestraft nähern dürfte. Und nun war sie wie jede andere irdische Stadt geschwächt und geschändet! Indessen ließ er sich von dem Schmerze nicht übermannen. Nehemia war ein Mann von unermüdlicher Tatkraft und Erfindungsgabe. Am Hofe hatte er die Kunst des Regierens gelernt, wie man mit festem Willen die Menschen lenken und die Verhältnisse bändigen kann. Sein Entschluß stand sofort fest, sich persönlich nach Jerusalem zu begeben und der elenden Lage ein Ende zu machen. Überzeugt war er, daß diese Lage nur durch die Übertretung des Gesetzes oder durch die Lauheit der Bewohner Judas verschuldet sei. Würde dieses aufs strengste befolgt werden, dann würde Gott wieder in Jerusalem weilen und ihm Schutz sein. Diesen Plan wollte er durchführen, Jerusalem wieder widerstandsfähig machen, das Gemeinwesen wiederherstellen und die strenge Beobachtung des Gesetzes, als Schutzmittel, durchsetzen. Allein, wie sollte er abkommen? Er war an den Hof durch seinen Dienst gebunden. Gerade die Gunst, die er bei Artaxerxes genoß, fesselte ihn an Ort und Stelle und benahm ihm die Aussicht, sich nach Jerusalem begeben zu können. In einem inbrünstigen Gebete erflehte er Gottes Beistand, seinen Plan durchführen und besonders den König dafür günstig stimmen zu können34.

Klug, wie Nehemia war, wartete er mit seinem Gesuche bei Artaxerxes, ihm die Reise nach Jerusalem zu gestatten, eine günstige Gelegenheit ab, die sich ihm aber erst nach vier Monaten darbot35. Der Schmerz aber nagte so sehr an seinem Herzen, daß sein Aussehen und sein anmutiges Wesen darunter gelitten hatten36. Als er [129] eines Tages dem König und der Königin Wein kredenzte, fiel sein leidendes Aussehen auf, und Artaxerxes befragte ihn darüber. Sofort ergriff er diese günstige Stimmung und erwiderte: »Wie sollte ich nicht schlecht aussehen, da die Stadt, wo die Gräber meiner Vorfahren sind, verödet ist und ihre Tore verbrannt?« Er brachte zugleich seinen Wunsch an, sich dahin zu begeben und der traurigen Lage abzuhelfen. Artaxerxes war so gnädig, ihm alles, alles zu gewähren, die Reise zu unternehmen, die Mauern wieder aufzubauen und das zerrüttete Gemeinwesen wieder in Ordnung zu bringen. Er gab ihm Empfehlungsbriefe an die königlichen Beamten mit, seiner Durchreise kein Hindernis in den Weg zu legen und ihm Bauholz zu liefern. Selbst ein Geleite von Fußtruppen und Reitern gab er ihm mit und ernannte ihn zum Statthalter oder Landpfleger (Pechah) von Juda. Nur eine Bedingung knüpfte der König an seine Abreise, daß Nehemia sich nicht dauernd in Jerusalem ansässig machen, sondern nach einer abgelaufenen Frist wieder an den Hof zurückkehren möge37. Diese Bedingung konnte nur schmeichelhaft für ihn sein; Artaxerxes mochte ihn nicht missen.

Mit Nehemias Reise nach Jerusalem beginnt wieder eine Wendung im Geschichtsgang des judäischen Gemeinwesens, oder vielmehr sie ergänzte die Wendung und Richtung, welche Esra angebahnt hatte. Mit einem großen Gefolge verließ Nehemia die Residenz Susa, mit Verwandten, Dienern38 und mit kriegerischem Geleite. In der Nähe des Libanons angekommen, zeigte er das königliche Schreiben vor, daß ihm Holz vom Libanon geliefert werden sollte39.

Da er auf seiner Durchreise durch das ehemalige Gebiet des Zehnstämmereiches dem Landpfleger seine Empfehlungsbriefe vorzeigte, so erfuhren auch Sanballat und Tobija von Nehemias Reiseziel und sie ahnten, daß eine Zeit des Kampfes für sie anbrechen würde; es war eine unangenehme Enttäuschung für sie, daß ein Judäer, Artaxerxes' Günstling, zum Landpfleger eingesetzt war und wahrscheinlich sich seiner verfolgten Stammgenossen annehmen würde40.

[130] Als Nehemia in Jerusalem eingetroffen war, hielt er sich drei Tage unsichtbar. Er wollte erst den Schauplatz seiner Tätigkeit und die Personen, mit denen er zu tun haben würde, kennen lernen. Er richtete indes eine Art Hofhaltung ein – er besaß fürstlichen Reichtum und machte fürstlichen Aufwand, führte eine reichbesetzte Tafel und lud viele Gäste dazu ein41. Den Zweck seiner Ankunft hielt er anfangs so geheim, daß er nicht einmal den judäischen Großen Mitteilung davon machte; er traute ihnen nicht. In einer Nacht ritt er heimlich aus, sich den Umfang der Zerstörung der Mauern anzusehen, um einen Plan zur Ausbesserung derselben fassen zu können. Sodann berief er die Vorsteher der Geschlechter, auch diejenigen, welche in den Landstädten wohnten und eröffnete ihnen zu ihrer Überraschung, daß er vom König Artaxerxes Vollmachten in Händen habe, nicht bloß die Mauern wiederherzustellen, sondern auch das Land zu verwalten, und daß es seine Absicht sei, die Schmach und das Elend des judäischen Gemeinwesens abzutun. Er fand die versammelten Männer bereit, nicht bloß ihn zu unterstützen, sondern auch Hand ans Werk zu legen42. Selbst diejenigen, welche mit den Fremden verschwägert waren und mit ihnen auf gutem Fuße standen, zollten ihm Beifall43. Die Verwüstung, welche die Feinde an Jerusalem gemacht hatten, scheint auch manche gegen sie entfremdet zu haben, die früher auf gutem Fuße mit ihnen gestanden hatten. Außerordentlich schwierig war indes die Aufgabe, die sich Nehemia auferlegt hatte. Er sollte ein ganz zerrüttetes Gemeinwesen wieder aufbauen, dessen Glieder, von Furcht, Schwäche, Eigennutz oder Rücksichten verschiedener Art geleitet, nicht Festigkeit genug besaßen, Gefahren zu trotzen. Und Gefahren drohten von vielen Seiten. Sanballat und seine Genossen, das wußte Nehemia, sahen den Aufbau des jüdischen Gemeinwesens mit Schelsucht und Ingrimm und waren entschlossen, ihm Hindernisse in den Weg zu legen oder es geradezu [131] zu stören. Seine nächste Sorge ging dahin, Jerusalem zu befestigen, weil sonst jede Unternehmung und jede Verbesserung durch einen Handstreich hätten vereitelt werden können.

Die Arbeit der Befestigung leitete Nehemia selbst und erleichterte sie durch Verteilung. Die Mauern waren nur stellenweise zerstört, hatten Risse und Breschen; es galt also, diese auszubessern. Infolge von Nehemias unermüdlich eifriger Tätigkeit übernahmen einige Geschlechter oder Städteverbände oder auch einzelne Personen einen Teil der Mauern, ein gewisses Maß auszubessern; manche übernahmen zwei Teile. Von den Städten, welche sich dabei beteiligt haben, werden Jericho, Thekoa, Gibeon, Mizpeh, genannt. Ahroniden, Leviten und selbst die Tempelsklaven (Nethinim) trugen das ihrige dazu bei, und gewisse Innungen, Salbenhändler, Goldarbeiter, Gewürzhändler, traten zusammen, um gemeinschaftlich Hand ans Werk zu legen und die Kosten zu tragen. Die Ausbesserung der Mauern war verhältnismäßig leicht. Die Steine, welche von der Zerstörung in Trümmerhaufen lagen, konnten dazu benutzt werden. Schwieriger war es, die Tore mit Flügeltüren, Riegeln und Klammern zu versehen. Sie mußten aus festen Bohlen gezimmert werden, und solches dauerhafte Holz lieferten die Waldungen der judäischen Berge nicht. Es mußte erst auf dem Libanon gefällt und an Ort und Stelle geschafft werden44, was selbstverständlich viel Zeit in Anspruch nahm.

[132] Indessen, so leicht ging der Bau nicht vonstatten. Die zurückgestoßenen Proselyten, Sanballat und Tobija an der Spitze, denen Nehemia gleich beim Beginne seiner Tätigkeit jede Hoffnung auf Vereinigung abgeschnitten hatte – »ihr sollt keinen Anteil, kein Verdienst und kein Andenken in Jerusalem haben«45 – entwickelten eben so viel Eifer, ihn zu stören, als dieser das Werk zu vollbringen. Anfangs verfuhren sie mit List; sie suchten Nehemia zu verdächtigen, als sänne er auf Abfall und Loslösung von Persien und auf den ehrgeizigen Plan, König der Judäer zu werden. Dann suchten sie die Arbeiter zu entmutigen, spotteten höhnisch über den Bau, daß er so schwach sei, daß er von einem Schakal durchbrochen werden könnte46. Als aber die Mauern zur Hälfte ihrer Höhe ausgebessert und geschlossen waren, verabredeten die Feinde heimlich einen Angriff auf die Arbeiter zu machen und das Werk zu vereiteln. Sie waren aber so unbesonnen, die heimliche Verschwörung den unter ihnen wohnenden und mit ihnen verkehrenden Judäern erraten zu lassen, und diese hatten noch Anhänglichkeit genug an ihre Stammesverwandten, Nehemia Mitteilung davon zu machen. So gewarnt, nahm dieser mit seiner bewaffneten Mannschaft eine kriegerische Haltung an, gab auch den Arbeitern Waffen in die Hand und suchte ihnen Mut einzuflößen47. Da Sanballat und das Mischvolk die Judäer gewarnt und gerüstet sahen, unterließen sie den beabsichtigten Überfall. Nehemia hatte aber ein wachsames Auge. Er ließ seit der Zeit einen Teil seiner Leute und die judäischen Herren mit Waffen in der Hand Wache halten; die Arbeiter gürteten ein Schwert an die Seite, und die Lastträger trugen in der einen Hand eine Waffe und mit der anderen die Last. Um die Vollendung der Mauer zu beschleunigen, ließ Nehemia von der Morgendämmerung bis zum [133] Aufgang der Sterne arbeiten, und einen Teil der Mannschaft innerhalb Jerusalems Wache halten; die Wachenden kamen eine Zeitlang nicht aus den Kleidern. Er selbst war beständig auf dem Bauplatze bald hier, bald da, und ihm zur Seite ein Mann mit einem Horn. Die Arbeiter, welche in dem weiten Umfang zerstreut waren, bedeutete er, so bald sie den Hornton vernehmen sollten, sollten sie sich schleunigst um ihn sammeln48.

Indessen versuchten Sanballat und seine Genossen nicht mehr, die Arbeit durch einen Überfall zu stören, sondern schmiedeten Ränke. Sie sprengten aus, Nehemia ginge mit dem Plane um, sobald Jerusalem befestigt sein werde, sich von den Judäern als König ausrufen zu lassen und von Persien abzufallen. Dadurch machten sie den Leichtgläubigen Angst und gedachten sie vom Werke abzuziehen, um nicht bei den Persern als Mitschuldige zu gelten. Für Geld gewannen sie Verräter unter den Judäern, welche teils Nehemia dringend ermahnten, um der eigenen Sicherheit willen nicht auf der Vollendung der Mauern zu beharren, und teils versuchten, ihn zu einem übereilten Schritte hinzureißen. Merkwürdigerweise traten wieder in der Zeit äußerster Spannung Propheten auf, und auch von diesen sollen sich einige von Sanballat gegen Nehemia haben gewinnen lassen. Genannt werden zwei Propheten Noadjah und Schemajah, Sohn Delajahs49.

Auf der andern Seite suchten die Führer des Mischvolkes eine Annäherung an Nehemia und richteten Briefe an ihn, um ihn zu einer Zusammenkunft aufzufordern. Auch die Geschlechtshäupter, welche mit ihnen befreundet waren, traten in lebhaften Verkehr durch Briefe mit Tobija. Nehemia, aus Mißtrauen und auch aus Abgeneigtheit gegen jede Verbindung mit den Halb-Israeliten, wies indes jede Unterhandlung ab. Da sandte Sanballat ihm einen offenen [134] Brief, für jedermann leserlich, worin er rund heraus sagte, es solle dem König von Persien kund werden, daß Nehemia den ehrgeizigen Plan verfolge, sich als König anerkennen zu lassen, sich von dem persischen Reiche zu trennen und eine feindliche Haltung gegen dasselbe einzunehmen. Nehemia konnte allerdings mit gutem Gewissen den Verdacht zurückweisen. Allein genügte das dem Satrapen von Syrien, dem Juda und sein Landpfleger unterstanden? Konnte dieser ihn nicht ohne weiteres absetzen oder gar hinrichten lassen? Und wenn nun gar die von den Feinden ausgesprengten Gerüchte Artaxerxes zu Ohren kämen! Nehemia muß sehr fest in seiner Gunst gestanden haben, daß dieser schlaue Anschlag gegen ihn ihm nicht geschadet hat. Da Nehemia sich von nichts erschüttern ließ, so machten ihm seine Volksgenossen Angst, es sei auf sein Leben abgesehen. Einer der sogenannten Propheten, Schemajah, wollte ihn überreden, Schutz im Innern des Tempels zu suchen, das er, als Laie, nicht betreten durfte. Es war darauf abgesehen, ihn durch diesen Schritt in den Augen des Volkes als Schänder des Heiligtums zu verdächtigen. Aber alle diese Ränke scheiterten an Nehemias Festigkeit; er vollendete das Werk, das er mit soviel Eifer unternommen hatte, und zwang dadurch den Feinden selbst Bewunderung ab50. Wie es scheint, haben sie seit der Zeit ihre Anschläge, die doch zu nichts geführt hatten, ein für allemal aufgegeben und weder Nehemia beunruhigt, noch das Werk gestört.

Im Innern hatte Nehemia nicht minder Kämpfe zu bestehen. Manche der adligen Geschlechter spielten nicht bloß eine zweideutige Rolle, hielten es heimlich mit den Feinden und hinterbrachten ihnen jedes Wort von ihm, sondern bedrückten die Armen auf die herzloseste Weise. Hatten diese von den Reichen Geld für die Grundsteuer an den König oder Getreide in der Notzeit zum Lebensbedarf entlehnt und dafür ein Unterpfand, entweder ihre Felder, Wein- oder Ölberge oder ihr Haus oder gar ihre Kinder gegeben, so behielten die Gläubiger, wenn die Schuld nicht bezahlt war, den Boden als Eigentum zurück und behandelten die Söhne und Töchter als Sklaven. Als die Klagen der von der Härte Betroffenen immer häufiger und immer lauter in Nehemias Ohren drangen, entschloß[135] er sich, die hartherzigen Reichen darüber zu Rede zu stellen, obwohl er sein ganzes Unternehmen dabei aufs Spiel setzte, wenn die Vornehmen ihn, den Sittenrichter, im Stiche ließen und sich mit den Feinden verbänden. Er berief eine große Versammlung und sprach entschieden gegen diese vom Gesetze ganz besonders verdammte Herzlosigkeit: »Wir Judäer in Persien haben unsere Brüder, welche an die Heiden als Sklaven verkauft waren, von ihnen losgekauft, soweit unsere Mittel reichten. Wenn ihr eure Brüder verkaufen solltet, so würden sie an uns wieder verkauft werden,« so sprach er höhnisch zu ihnen. So groß war indes Nehemias Ansehen, so gewichtig seine Stimme und zugleich so empfänglich selbst die Großen und Reichen für die Ermahnungen im Namen der Thora, daß sie sofort versprachen, nicht bloß den geknechteten Personen ihre Freiheit wiederzugeben, sondern auch Häuser, Äcker und Gärten den Eigentümern zurückzuerstatten und die Schulden überhaupt zu löschen. Diese günstige Stimmung benutzte Nehemia, um die Reichen einen Eid leisten zu lassen, daß sie ihr Wort verwirklichen würden. Freudig taten sie es, sprachen »Amen« auf die Eidesformel und führten sofort ihr Versprechen aus51.

Es war ein bedeutender Sieg, den das Gesetz, von Nehemia würdig vertreten, über den Eigennutz davon getragen hat. Der judäische Landpfleger ging aber allen mit dem Beispiele opferwilliger Selbstlosigkeit voran. Nicht nur nahm er die Leistungen, die ihm gebührten, nicht an, sondern er machte noch den Armen Vorschüsse an Geld und Getreide, und wenn diese zahlungsunfähig waren, ließ er die Schuld verfallen. Seine Verwandten und Diener handelten ebenso uneigennützig und edelmütig52.

Durch dieses Beispiel konnte Nehemia alle Schwierigkeiten überwinden, um das Gemeinwesen wieder in regelmäßigen Gang zu bringen. Das Volk hing an seinem Munde, und auch die Edlen folgten ihm willig. Verlegenheiten gab es indes noch genug. Als die Mauern von allen Seiten vollendet und auch die Tore bereits eingehängt waren, zeigte es sich, daß die levitischen Torwärter und überhaupt die Leviten aller drei Klassen, denen die Überwachung übertragen werden sollte, fehlten53. Sie waren, weil sie während[136] der Zerstörung den Zehnten nicht erhalten hatten, aufs Land gewandert. Die Stadt war überhaupt dünn bevölkert, viele Häuser waren zerstört oder verödet. Es galt also, Jerusalem zu bevölkern und den Tempel mit Dienern zu versehen.

Nehemia scheint an alle diejenigen, welche wegen der Unsicherheit Jerusalem verlassen oder von Anfang an sich in den Landstädten niedergelassen hatten, einen Aufruf erlassen zu haben, dauernden Wohnsitz in der Hauptstadt zu nehmen. Viele von den vornehmen Geschlechtern erboten sich freiwillig dazu54 vom Stamme Juda, Benjaminiten, Ahroniden, Leviten aller Klassen und auch von dem kleinen Reste der Ephraimiten und Manassiten, welche aus Babylonien nach Juda zurückgekehrt waren55. Unter den Benjaminiten waren auch Seitenverwandte des Hauses Saul; dagegen scheinen die Nachkommen dieses Königs von dem lahmen Mephiboschet, die so mannigfache Wandlungen überlebt hatten, Jerusalem gemieden zu haben und in Gibeon verblieben zu sein56. Indessen, da die Zahl der Freiwilligen noch nicht genügte, Jerusalem gebührend zu bevölkern, so wurde bestimmt, daß der zehnte Teil der Landbevölkerung nach der Hauptstadt übersiedeln sollte und zwar nach dem Lose. Allein Nehemia hielt nicht jedermann würdig, Bürger der heiligen Stadt zu werden. Die Propheten hatten verkündet, daß nur Fromme und Gottesfürchtige gewürdigt werden sollten, in Jerusalem zu wohnen57. Am wenigsten mochte Nehemia, in dessen Hand die Entscheidung lag, zugeben, daß diejenigen, welche aus Mischehen geboren waren, Anteil an der heiligen Stadt haben sollten. Er ließ sich zu dem Zwecke das Verzeichnis der aus Babylonien zurückgekehrten Familien vorlegen und prüfte die Abstammung jeder einzelnen Familie, um die Entscheidung über die Würdigkeit zu treffen. Nehemia verfuhr dabei sehr streng58. [137] Drei Familien, 642 Personen, welche nicht nachweisen konnten, daß sie von Israeliten abstammten, wurden zurückgesetzt, und drei ahronidische Geschlechter, welche ihre Stammlisten nicht beibringen konnten, wurden von Nehemia der Priesterwürde bis auf weiteres für verlustig erklärt. Von diesen Geschlechtern stammt das eine, die Benê-Barsilaï, mütterlicherseits von dem ehrwürdigen Barsilaï (I. S. 255), der sich des Königs David auf seiner Flucht mit so rührender Sorgfalt angenommen, und das andere von der alten Priesterfamilie Ha-Koz, nämlich Meremot, welcher bei Esras Ankunft Schatzmeister des Tempels war und bei der Wiederherstellung der Mauer ein doppeltes Maß ausbesserte59. Aber weder Ansehen, noch Verdienst waren für Nehemia maßgebend, Milde walten zu lassen. Das Gesetz, wie er es auslegte, stand ihm höher.

Nachdem Nehemia Jerusalem befestigt und Sorge getroffen hatte, es zu bevölkern, dem Gemeinwesen wieder einen Mittelpunkt und dem Volke gewissermaßen einen widerstandsfähigen Leib gegeben hatte, war er darauf bedacht, diesem Leibe auch die Seele, das Gesetz, einzuhauchen. Aber dazu bedurfte er der Mithilfe der Schriftkundigen, da tiefe Gesetzeskunde nicht seine starke Seite war. Esra, welcher während der eifrigen Tätigkeit Nehemias im Hintergrunde stand, trat nun in den Vordergrund oder wurde von diesem dahin [138] gestellt. Am ersten Tag des siebenten Monates, an einem Festtage, versammelte er alles Volk, auch vom Lande, in Jerusalem auf dem weiten Platze vor dem Wassertore. Hier war ein hohes Gerüste angebracht, auf dem Esra stehen und aus dem Gesetze vorlesen sollte60. Es war darauf angelegt, eine außergewöhnlich nachhaltige Feierlichkeit zu begehen. Die Versammlung war zahlreich; nicht bloß Männer, sondern auch Frauen und reife Kinder waren erschienen. Esra zur Seite standen rechts und links je sieben Ahroniden. Als er die Rolle des Gesetzbuches aufschlug, erhoben sich sämtliche Anwesende, um dem Behältnis der Lehre Ehrfurcht zu zollen, und als er die Vorlesung mit einem Segensspruche eröffnete, fiel das ganze Volk mit hocherhobenen Händen mit einem lauten »Amen« ein. Dann begann Esra mit lauter Stimme einen Abschnitt aus der Thora vorzulesen, und die Anwesenden lauschten mit gespannter Aufmerksamkeit. Denen, welche dem Inhalte nicht folgen konnten, Frauen und Landleuten, erklärten ihn schriftkundige Leviten so deutlich, daß auch sie alles verstanden haben. Beim Vernehmen des Vorgelesenen brach die ganze Volksversammlung in Weinen aus und war aufs Tiefste erschüttert. Was hat diese Wirkung hervorgebracht? Höchstwahrscheinlich hatte Esra den Abschnitt aus dem Deuteronomischen Gesetzbuch vorgelesen, welcher die schauerlichsten Straffolgen auf Übertretung des Gesetzes in Aussicht stellt, und dem Volke wurde dadurch sein Schuldbewußtsein lebendig; es fühlte sich der göttlichen Gnadenleistung unwürdig und war zerknirscht. Nehemia, Esra und die Leviten hatten Mühe, die in Trauer versunkene Gemeinde zu beruhigen. Sie riefen ihr zu, an diesem heiligen Festtage nicht zu trauern und überhaupt nicht betrübt zu sein, denn die Lehre Gottes, sein Eigentum und Erbe, sei seine Kraft61. Nachdem die Versammlung sich beruhigt hatte, beging sie den Festtag mit gehobener Stimmung und freute sich, das Vorgelesene verstanden zu haben. Es war das erstemal, daß das ganze Volk das Gesetzbuch in sein Herz geschlossen, es als Teil seiner selbst und sich selbst als Träger desselben gefühlt hat. Keine der früher vorgekommenen gelegentlichen Vorlesungen aus dem Gesetzbuche hat einen so tiefen und nachhaltigen Eindruck gemacht, wie die auf dem Platze vor dem Wassertor. Die Umwandlung, welche im babylonischen Exile begonnen hatte, wurde damals vollendet. Was die Propheten angebahnt hatten, vollendeten die Schriftkundigen. [139] Bezeichnend ist es, daß die so bedeutsame Versammlung nicht im Tempel stattgefunden hat, sondern neben dem Tempel; der Hohepriester hatte dabei nichts zu tun. Das Heiligtum mit Altar und Opfergeräten trat gewissermaßen in den Hintergrund. Unbewußt hat Esra, obwohl selbst Priester, die Loslösung der Lehre vom Tempel oder Zurücksetzung des Priestertums hinter die Schriftkunde angebahnt.

So verliebt wurde das Volk in die Thora, die es bis dahin gar nicht oder nur wenig beachtet hatte, daß es immer mehr davon hören wollte. Die Häupter der Geschlechter, deren Väter so lange den Propheten hartnäckigen Widerstand geleistet hatten und unverbesserlich schienen, begaben sich tages darauf zu Esra und forderten ihn auf, die Vorlesung fortzusetzen und das Volk anzuweisen, was es zunächst laut der Vorschrift des Gesetzes zu tun habe. Dieser las darauf den Abschnitt von den Festen vor, welche im siebenten Monate gefeiert werden sollten. In diesem Abschnitt kommt auch die Vorschrift vor, daß jedermann sieben Tage in Hütten zubringen sollte zum Andenken daran, daß die Israeliten während der Wanderung durch die Wüste in Hütten gewohnt62. Infolgedessen ließen die Volkshäupter durch Herolde bekannt machen, daß das ganze Volk von den nahegelegenen Bergen Zweige von Olivenbäumen, Myrten, Palmen und anderen Blattpflanzen zur Errichtung von Hütten herbeischaffen sollte. Und das Volk vollzog mit freudigem Eifer den Auftrag und beging das Fest in Hütten, welche die Einwohner teils auf den platten Dächern ihrer Häuser und teils in den Höfen, die Fremden in dem Vorhof des Tempels und auf den weiten Plätzen des Wasser- und Ephraimtores erbaut hatten, in so freudiger Stimmung, wie nie zuvor. An dem achttägigen Feste wurde täglich aus der Schrift des Gesetzbuches vorgelesen, es galt von nun an als Bestandteil des Gottesdienstes63.

[140] Die gehobene Stimmung wollten Esra und Nehemia benutzen, um diejenigen, welche noch in Mischehen lebten, zu bewegen, sie freiwillig aufzulösen. Zu diesem Zwecke sollte eine Fastenversammlung statt finden. Um aber nicht so schroff unmittelbar auf die Festtage einen Fasttag folgen zu lassen, wurde erst der darauffolgende Tag (24. Tischri) dazu ausersehen. Alle erschienen fastend in Trauergewändern und mit Staub bedeckt. Der Abschnitt des Gesetzbuches, welcher Ehen mit Ammonitern und Moabitern verbietet, wurde vorgelesen und erläutert; dann wurde von den Leviten ein Sündenbekenntnis im Namen des Volkes abgelegt. Sofort trennten diejenigen, welche noch fremde Frauen hatten, sich von ihnen, und alle sagten sich von der Verbindung mit den Samaritanern und Mischlingen los64. Ehe die Stimmung verflog, setzte Nehemia in Verbindung mit Esra es bei der Versammlung durch, daß sie in feierlicher Weise ein Bündnis einging und die Verpflichtung übernahm, das Gesetz im allgemeinen zu beobachten, noch besonders Vergehungen in Zukunft sich nicht zuschulden kommen zu lassen und die Unterlassungssünden nicht zu wiederholen, welche bis dahin im Schwange waren. Das Gemeinwesen sollte fortan von dem Gesetze, das durch Mose geoffenbart worden, durchweht sein. Jedermann, auch Frauen, verständige Kinder, die Tempeldiener und die Proselyten, die treu zu den Judäern hielten, gaben durch einen Eid das Versprechen, alle übernommenen Verpflichtungen zu halten. Die besondern Punkte waren, die Töchter nicht an Fremde zu verheiraten und von diesen keine Frau heimzuführen. Diese Sache lag Esra und Nehemia am meisten am Herzen, daher wurde sie an die Spitze gestellt. Das zweite war, Sabbat und heilige Tage zu feiern und an denselben von den Fremden, welche Waren zu Kauf brachten, nichts zu kaufen. Ferner am siebenten Jahre die Felder brach liegen und die Schulden verfallen zu lassen. Zur Unterhaltung des Tempels und seiner Bedürfnisse sollte jeder Mündige ein Drittel Sekel (4/5 Mark) [141] jährlich leisten und zu bestimmten Zeiten nach dem Lose Holz für den Altar liefern. Ferner die Erstlinge von Feld- nnd Baumfrüchten jährlich in den Tempel zu bringen und überhaupt das Heiligtum nicht zu vernachlässigen. Endlich für die Priester und Leviten die Abgaben zu liefern.

Der Wortlaut dieser übernommenen Verpflichtungen wurde in eine Rolle niedergeschrieben, von den Familienhäuptern aller Klassen, den Vertretern des Volkes, unterzeichnet und versiegelt, damit er für die Zukunft im Andenken bliebe und den etwaigen Übertretern als Wort- und Bundesbruch vorgehalten werden könnte. An der Spitze der Unterschriebenen war Nehemia65, und im ganzen haben drei- oder fünfundachtzig angesehene Männer ihre Namen darunter gesetzt. Es sollen aber, nach einer Überlieferung, hundertundzwanzig Volksvertreter das Bündnis durch ihre Unterschrift besiegelt haben. Man nannte diese zahlreiche Zusammenkunft »die große Versammlung« (Kenéset ha-gedolah).

Viel, außerordentlich viel hat Nehemia in kurzer Zeit durchgeführt. [142] Er hat nicht bloß das zerrüttete Gemeinwesen wiederhergestellt, es durch die Befestigung der Hauptstadt dauerhaft gemacht und den Feinden die Gelegenheit benommen, es durch Überfälle zu stören und ihm ihren Willen aufzuzwingen, sondern er hat auch das Volk mit seiner Lehre in Einklang gebracht, daß es sich als gefügiges Organ derselben betrachte und sie in allen Lebensäußerungen betätige und verwirkliche. Es hatte bisher, obwohl sich als Volk Gottes fühlend, nicht begriffen, daß dieser Ehrentitel ihm ein größeres Maß von Pflichten auflegt, Pflichten selbstloser Hingebung, Heiligkeit und höherer Sittlichkeit. Es schwankte stets hin und her zwischen Anhänglichkeit am Eigenen und Buhlerei mit dem Fremden, und eine Folge dieser Schwankung war sein trübseliger Geschichtsgang. Allerdings hatte seine Unwissenheit die Schuld an den Verirrungen getragen. Das Volk im großen kannte den Umfang seiner Pflichten nicht; die großen Propheten bis auf Jeremia hatten zu hoch und zu allgemein gesprochen und nicht auf bestimmte Gesetze hingewiesen, die erfüllt werden müßten. Esras und Nehemias Tätigkeit war nun darauf gerichtet, dieser Unkenntnis ein Ende zu machen. Das Volk, bei der großen Versammlung am vierundzwanzigsten des siebenten Monats vollzählig und in allen Schichten anwesend und durch vorangegangene Kundgebungen empfänglich gemacht, war dankbar für die empfangene Belehrung und wurde von ganzem Herzen gelehrig; es empfand innige Freude darüber, daß es den Inhalt der Thora begriffen habe66, und übernahm willig die auferlegten Pflichten.

Nehemia scheint absichtlich große Volksversammlungen veranstaltet zu haben, um einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden zu erzielen. So ließ er zum zweiten Male das Volk zusammenberufen, um die Mauern, die durch seinen Eifer wiederhergestellt waren, einzuweihen. Auch dabei, wie bei der ersten Vorlesung aus dem Gesetzbuche, wurden Frauen und Kinder zugezogen67. Da diese Feierlichkeit eine freudige Stimmung erzeugen sollte, ließ er sämtliche Leviten von der Sängerabteilung, auch die auf dem Lande angesiedelt waren, zu diesem Zwecke nach Jerusalem kommen, um mit ihrem Gesang und Saitenspiel die Herzen zu erfreuen. Er veranstaltete zwei große Gruppen, welche von einem Platze aus in entgegengesetzter Richtung die Mauern umzogen und im Tempel zusammentrafen. Jedem Zug ging ein Chor von levitischen Sängern voran, welcher ein Lob- und Danklied auf das frohe Ereignis sang, und jedem Chor waren acht Leviten beigegeben, welche mit Harfen, Nablien und [143] Handbecken den Gesang begleiteten. Hinter dem einen Chor schritt Esra und hinter dem anderen Nehemia, die beiden Führer und Häupter des Gemeinwesens. Je sieben Priester stießen in die Posaunen. Jedem Zugeschlossen sich die Hälfte der Fürsten und die Hälfte des Volkes, auch Weiber und Kinder an. So umzog die eine zahlreiche Gruppe vom Westen aus auf der Mauer die Stadt von der West-, Süd- und Ostseite und die andere, von demselben Punkte ausgehend, den westlichen, nördlichen und östlichen Teil der Stadt68. Weithin schallten die Töne der Klangbecken, Harfen, Posaunen und der Gesänge aus dem Munde zahlreicher Leviten, von dem Widerhall der Berge vervielfältigt und getragen, und hoben die Herzen. Auf den Trauer- und Bußtag war ein Tag allgemeiner Freude gefolgt. Selbstverständlich wurde die Einweihung der Mauer durch Freuden- und Dankopfer gefeiert69. Diese Einweihungsfeier soll acht Tage gedauert haben70, zwei Jahre und vier Monate nach dem Beginne des Werkes (um 442)71.

[144] Um das Gemeinwesen, dem Nehemia wieder Lebenskraft eingehaucht hatte, dauernd zu machen, sorgte er für fähige, würdige und zuverlässige Beamte. Es scheint, daß er es war, der das Ländchen in kleine Bezirke (Pelech) einteilte und über jeden Bezirk einen Hauptmann setzte, ihn zu verwalten und in Ordnung zu halten. Die Hauptstadt war in zwei Bezirke geteilt, ebenso das Gebiet von Mizpeh, Keïla, Beth-Zur, von Beth-ha-Kerem und anderen72. Im Norden des Tempels hat, wie es scheint, Nehemia eine Waffenburg gebaut und stark befestigt, damit sie im Notfall dem Heiligtum Schutz gewähren könnte; diese Burg führte den Namen Birah (Βᾶρις). Die Aufsicht über dieselbe übergab er einem treuen und gottesfürchtigen Mann, Chananja73. Seinen Genossen in dem Werke der Reorganisation, den Schriftkundigen Esra machte er zum Tempelaufseher74.

[145] Vor allem faßte er den regelmäßigen Gang der Tempelordnung ins Auge; wenn der Opferdienst nicht wieder unterbrochen werden sollte, so mußte für den Lebensunterhalt der Ahroniden und Leviten gesorgt werden. Die Ackerbesitzer hatten sich zwar feierlichst verpflichtet, die Abgabe für die einen und den Zehnten für die andern zu liefern; das genügte Nehemia aber nicht, die regelmäßige Lieferung sollte überwacht werden. Zur Zeit der Ernte sollten die Leviten sich aufs Land begeben, den Zehnten einsammeln und ihn nach Jerusalem bringen. Damit die Verteilung des Zehnten, von dem die Ahroniden den zehnten Teil bekamen, und der ausschließlich für die letzteren bestimmten Abgaben gleichmäßig stattfinden und keinem verkürzt werden sollte, richtete Nehemia große Hallen als Speicher für das angesammelte Getreide und die Gartenfrüchte ein, und von hier aus sollte die Verteilung an die einzelnen vorgenommen werden. Sie wurde von eigens dazu bestimmten Beamten überwacht75. Wahrscheinlich rührte auch von Nehemia die Ordnung her, daß sämtliche Ahroniden in vierundzwanzig Abteilungen (Machlakot, ἐφƞμερίας) der Vaterhäuser (Beït-Ab, πατριαί) eingeteilt wurden, von denen jede je eine Woche den Opferdienst zu versehen hatte76. Die vier Familien, welche aus Babylon mit Serubabel eingewandert waren (o. S. 99), hatten sich seit dem abgelaufenen Jahrhundert vermehrt, verzweigt und voneinander getrennt. Es waren außerdem in dieser Zeit neue Familien aus Babylonien eingewandert, die ebenfalls berücksichtigt [146] werden mußten. Eine neue Einteilung war darum erforderlich. – Nehemia sorgte, so wie das verödete Jerusalem zu bevölkern, so auch für Wohnungen, worin die angesiedelte Bevölkerung unterkommen sollte. Für diejenigen, die aus eigenen Mitteln nicht Häuser bauen konnten, ließ er solche auf seine Kosten bauen77, wie er denn überhaupt mit seinem Vermögen die Bedürfnisse zu befriedigen suchte78. So hat er fast einen neuen Staat aufgebaut, dessen Obliegenheit sein sollte, nach dem Muster des Gesetzes zu leben. Zwölf Jahre hat er Juda als Landpfleger verwaltet (444-432). Dann mußte er zurück an Artaxerxes' Hof, bei dem er noch immer in Gunst stand. Er schied mit der Hoffnung, daß das von ihm geschaffene Werk äußerer Sicherheit und innerer Gehobenheit von Dauer sein werde.

Indessen menschliche Schöpfungen sind nun einmal wandelbar. Sobald Nehemia den Rücken gekehrt hatte, trat eine Gegenströmung ein, und diese ging, wie es den Anschein hat, von dem Hohenpriester Eliaschib aus. Der gesetzeseifrige Tirschatha hatte nämlich den höchsten Würdenträger des Tempels mehr als einmal verletzt. Ob er ihn zu den Beratungen zugezogen hatte, ist nicht gewiß, aber bei den Versammlungen und Aufzügen hatte er sicherlich Eliaschib nicht den ersten Platz angewiesen, der ihm gebührte. Es scheint, daß er die Hohenpriester von der Nachkommenschaft des Jesua gar nicht als die rechtmäßigen anerkannt, sondern die Erwartung gehegt hat, daß ein würdigeres Geschlecht deren Stelle einnehmen würde, kenntlich durch die Gnade, die Zukunft vermittelst der Erleuchtung der Urim und Thummim auf dem Herzen offenbaren zu können79. Kein Wunder, wenn der damalige Hohepriester, mag es noch Eliaschib oder sein Sohn Jojada gewesen sein, Nehemias Entfernung benutzt hat, um die erfahrene Zurücksetzung zu rächen und seine Würde geltend zu machen. Ein anderer Landpfleger war an Nehemias Stelle getreten80; sobald der Hohepriester sich mit diesem verständigt hatte, konnte er vieles durchsetzen. Das erste war, daß er gegen den Beschluß der [147] großen Versammlung sich wieder den Samaritanern und Mischlingen näherte und sich mit ihnen befreundete. Zur Sicherung des Bündnisses heiratete ein Glied des hohenpriesterlichen Hauses, namens Manasse, Sanballats Tochter Nikaso81. Ungesetzlich nach dem Buchstaben der Thora war diese Mischehe nicht, da die Mischlinge als Verehrer desselben Gottes und als Proselyten angesehen werden konnten. Dem Beispiele des hohenpriesterlichen Hauses folgten auch andere82, welche schon früher heimlich mit Esras und Nehemias strenger Abschließung unzufrieden gewesen sein mögen, aber ihre Gesinnung nicht kundgeben durften. Es war ein vollständiger Systemwechsel. Tobija, der zweite Feind Nehemias, durfte wieder ungehindert nach Jerusalem kommen. Ein Ahronide Eliaschib, der von dem Hohenpriester zum Aufseher über die Speicherhallen für die Zehnten eingesetzt worden, und der mit dem Ammoniter verschwägert war, räumte ihm im Tempelvorhofe eine große Halle zur Wohnung ein83. Diese Priester legten das Gesetz der Verschwägerung anders aus84, und deren Milde war für viele maßgebend.

Eine tiefeingreifende Zerrüttung war die Folge eines solchen plötzlichen Umschlages, daß heute das für erlaubt gelten sollte, was gestern noch streng verpönt war. Im allgemeinen war nämlich das Volk über den Hohenpriester und seinen Anhang so entrüstet, daß es ihnen offene Verachtung zeigte85. Die Grundbesitzer hörten auf, den Zehnten und die Priesterabga ben zu liefern86. Sollten sie die Unwürdigen noch belohnen? Dadurch litten aber auch die Unschuldigen, die Leviten büßten auch ihren Teil ein, und um nicht zu darben, verließen sie Tempel und Hauptstadt87. Auch die Beiträge für die Opferbedürfnisse blieben aus, und um nicht den Altar leer zu lassen, stellten die Priester, welche für Opfer zu sorgen hatten, kränkliche, lahme, blinde und häßliche Tiere88. Manche Priester [148] machten sich selbst über diese Art Opfer lustig und witzelten darüber: »Der Tisch Gottes ist besudelt und seine Speise ekelhaft«89. Von diesem Treiben der Vertreter des Tempels angewidert, wendeten manche ganz und gar dem Heiligtum und dem Gemeinwesen den Rücken und verfolgten nur die eigenen Interessen oft mit Hintansetzung des Rechtes und der bei Gott geleisteten Eide90. Hatte diese Klasse in ihrer Unternehmung Glück, so wurden Fromme daran irre, die mit der Not des Lebens zu kämpfen hatten: »Vergeblich ist's, sprachen sie91, Gott zu dienen, und welchen Gewinn haben wir, daß wir seine Gesetze befolgen und traurig vor Gott wandeln? Wir müssen die frechen Frevler glücklich preisen!«

Schlimmer noch war die Zwietracht, welche infolge des Umschlages das judäische Gemeinwesen zerrüttete; sie brachte selbst in den Familienkreisen Zerwürfnisse hervor. Was ist Recht und Gesetz? Der Vater stimmte darüber nicht mit dem Sohne überein, der eine folgte der strengen, der andere der milderen Ansicht, und so gerieten sie und die Familienglieder miteinander in Unfrieden92. Solchen trübseligen Erscheinungen gegenüber taten sich die eifrig Frommen, die sich in ihrer Überzeugung nicht irre machen ließen, zusammen und verabredeten einen Plan und eine Verhaltungsweise. Ihr Augenmerk und ihre Hoffnung waren auf Nehemia gerichtet, der an Artaxerxes' Hofe weilte. Wenn er sich entschlösse, wieder nach Jerusalem zu kommen, dann würde er mit einem Schlage dem unerträglichen Unwesen ein Ende machen und Jerusalem wieder Eintracht, Gemeinsinn und Heil bringen93. Einer aus diesem Kreise, von der eingerissenen Zerrüttung und besonders von dem Treiben der hohenpriesterlichen Partei tief ergriffen und vom prophetischen Geiste getrieben, trat mit Mut und Kraft auf, um die Bösen zu züchtigen und die Guten zu trösten. Es war Maleachi94, soviel bekannt ist, [149] der letzte Prophet. Würdig schloß er die lange Reihe der Gottesmänner ab, welche in vier Jahrhunderten einander ablösten.

Maleachi fand es für nötig, ehe er seine Strafrede begann, das Volk damit zu beruhigen, daß es noch immer von Gott geliebt sei. Er bewies Gottes fortdauernde Gnade für sein Volk aus Vorgängen der jüngsten Zeit. Die Idumäer, welche nicht aufhörten, die stammverwandten Judäer mit ihrem Haß zu verfolgen, obwohl diese ihnen öfter Freundschaft antrugen, die Idumäer wurden nicht lange vorher von einem harten Strafgericht heimgesucht. Ein bis dahin noch nicht genanntes Volk, dessen Ursprung nicht ermittelt ist, die Nabatäer95, hatte einen Einfall in das idumäische Gebiet gemacht, die Bewohner vertrieben und die Städte zwischen dem toten Meer und dem Gebirge Seïr mit den Festungen in Besitz genommen. Die Hauptstadt des Landes, die Felsenfeste (Sela, Petra), vermochte die Söhne Esaus nicht zu schützen, wie es der Prophet Obadja verkündet hatte; sie wurde Hauptstadt der Eroberer und erhielt später den Namen Arekem (Rekem). Der Überrest der Idumäer oder die Flüchtlinge mußten eine neue Heimat aufsuchen und siedelten sich innerhalb des judäischen [150] Gebietes bei Marescha und Adora an. Von diesem Vorgang nahm der Prophet Maleachi Veranlassung, das Volk von der noch fortdauernden Liebe Gottes zu ihm zu überzeugen: »Nehmet euch das zu Herzen, ich liebe euch, spricht Gott. Wenn ihr sprechet: ›Worin zeigt sich das, daß du uns liebest?‹ Nun, ist nicht Esau Jakobs Bruder? Diesen haßte ich und machte seine Berge zur Einöde und sein Gebiet zum Wohnplatz für Wüstentiere. Edom spricht zwar: ›Wir sind vertrieben, aber wir werden die Trümmer wieder aufbauen‹. Mögen sie bauen, ich werde sie wieder zerstören. Ihr selbst werdet es sehen, und werdet sprechen: ›Groß zeigt sich Gott auch über Israels Gebiet hinaus‹«96. Nach diesem Eingang wendete sich Maleachi an die pflichtvergessenen Priester mit einer überraschenden Anrede: »Der Sohn soll den Vater ehren, der Sklave seinen Herrn fürchten. Bin ich euer Vater, wo bleibt meine Ehre, bin ich Herr, wo bleibt die Ehrfurcht vor mir, so spricht Gott zu euch, ihr Priester, die ihr meinen Namen schändet ... O wäre doch einer unter euch, der die Pforten schlösse, daß ihr nicht zwecklos meinen Altar anzündet, ich habe keinen Gefallen an euch; denn von Sonnenaufgang bis Niedergang ist mein Name groß unter den Völkern ... Ihr aber entweihet ihn«.

Maleachi erinnerte die Nachkommen Ahrons oder Levis an den großen Beruf des Priestertums, um den Abstand ihres Verhaltens recht grell erscheinen zu lassen: »Mein Bündnis war mit Levi, ein Bündnis des Lebens und Friedens ... Lehre der Wahrheit war in seinem Munde und Unrecht nicht auf seinen Lippen befunden. In Frieden und Gradheit wandelte er mit mir, und viele hat er von Verkehrtheit abwendig gemacht; denn des Priesters Lippen sollen Erkenntnis ausströmen, und Lehre soll man aus seinem Munde erfragen, denn er ist ein Bote des Herrn Zebaoth. Ihr aber seid vom Wege abgewichen, habet viele in der Lehre straucheln gemacht, habt das Bündnis mit Levi zerstört ... Haben wir nicht alle einen einzigen Vater, hat uns nicht ein Gott geschaffen? Warum sollen wir einer gegen den andern wortbrüchig sein, das Bündnis unserer Vorfahren zu entweihen. Juda ist wortbrüchig geworden und Gräuel ist in Jerusalem geschehen, denn Juda entweihte den heiligen Samen und umbuhlte die Tochter eines fremden Gottes.«

Den Unmutigen und Verzweifelnden verkündete Maleachi die baldige Ankunft eines Herrn, des Boten für das Bündnis, nach dem [151] viele Verlangen tragen, der bessere Zeiten bringen werde. »Wer wird den Tag seiner Ankunft ertragen, wer bestehen bei seinem Erscheinen? Denn er ist wie das Feuer der Metallschmelzer und wie die Lauge der Wäscher. Er wird sitzen zu reinigen und zu läutern und wird (besonders) die Söhne Levis reinigen und läutern wie Gold und Silber, dann werden sie Opferer in Gerechtigkeit sein.« Das ganze Volk ermahnte der Prophet, nicht infolge der Schlechtigkeit weniger den Zehnten vorzuenthalten, sondern ihn wie früher in das Speicherhaus zu liefern. – Für die entfernte Zukunft verkündete Maleachi, wie die ersten Propheten, das Eintreffen eines großen und fürchterlichen Tages, dann wird der Unterschied zwischen den Frommen und Frevlern offenbar werden. Vor dem Eintreffen dieses jüngsten Tages werde Gott den Propheten Eliahu senden, und dieser wird Vater und Sohn wieder versöhnen. Für die Lebensregel verwies der letzte Prophet auf die Lehre Moses, die er auf dem Berge Horeb als Satzungen und Rechte befohlen hat. Damit nahm das Prophetentum Abschied. Die Thora, die durch Esras Eifer vielen zugänglich gemacht wurde und einen Kreis von Lehrern und Pflegern gefunden hatte, machte das prophetische Wort überflüssig. Der Schriftkundige konnte fortan den Gottesmann, die Vorlesung aus dem Gesetze in Volksversammlungen und Bethäusern die prophetische Verkündigung ersetzen. Maleachi bezeichnet selbst wie seine Vorgänger Chaggaï und Zacharia der Jüngere die Abnahme der prophetischen Kraft. Ihre Reden lassen poetischen Schwung, Gliederung und Anwendung treffender Gleichnisse vermissen. Auch an Schauhelle standen sie den alten Propheten nach, sie wiederholten eigentlich nur deren Gedankengang und wendeten ihn auf ihre Gegenwart an. Dennoch fanden ihre Worte mehr Gehör als die jener gewaltigen Propheten, die mit Feuerzungen gesprochen. Die Zeitgenossen der letzten Propheten waren empfänglicher für die Ermahnungen und Belehrungen geworden, weil die älteren ihnen vorgearbeitet hatten.

Hatte Nehemia am persischen Hofe Kunde von der Sehnsucht nach ihm in Jerusalem? Wußte er, daß Maleachi an sein Erscheinen die Hoffnung auf Besserung der zerrütteten Zustände knüpfte? Ehe man sich's in der judäischen Hauptstadt versah, war er da. Er hatte sich abermals vom König Artaxerxes die Erlaubnis ausgebeten, nach seiner geistigen Heimat zurückzukehren (zwischen 430-424)97. Bald [152] nach seinem Eintreffen wirkte er in der Tat wie das Feuer der Schmelzer und wie die Lauge der Wäscher. Er reinigte das Gemeinwesen von den unsauberen Elementen. Sein erstes Geschäft war, den Ammoniter Tobija aus der Halle hinauszuweisen, die ihm sein geistiger Verwandter Eljaschib eingeräumt hatte98, und diesen entsetzte er seines Amtes99. Dann berief er die Volkshäupter und machte ihnen bittere Vorwürfe, daß durch ihre Schuld der Tempel von den Leviten verlassen, weil sie nicht für die Lieferung des Zehnten gesorgt hatten. Ein Aufruf von Nehemia genügte, die Ackerbesitzer geneigt zu machen, das bis dahin Verabsäumte zu leisten, und die Leviten, sich wieder in Jerusalem zum Tempeldienst einzufinden. Die Aufsicht über die angesammelten Zehnten und über die gerechte Verteilung übergab er vier gewissenhaften von seinen Gesinnungsgenossen100. Auch den Kultus scheint er in seine Würde eingesetzt und die leichtsinnigen Diener daraus entfernt zu haben101. Eine wichtige Angelegenheit war für Nehemia, die Auflösung der wieder geknüpften Mischehen zu veranlassen. Dabei stieß er mit dem hohenpriesterlichen Hause zusammen. Manasse, ein Sohn oder Verwandter des Hohenpriesters Jojada, weigerte sich, von seiner samaritanischen Frau, Nikaso, Sanballats Tochter, sich zu trennen, und Nehemia war fest genug, ihn aus dem Lande zu verbannen102. Auch andere Ahroniden und Judäer, welche sich nicht Nehemias Anordnungen fügen mochten, [153] wurden in gleicher Weise in die Verbannung geschickt103. Seine Leute, die er aus Persien mitgebracht hatte, standen Nehemia bei der Vollstreckung dieser haßerregenden Säuberung zur Seite104. Als er in der Hauptstadt die alte Ordnung nach dem Gesetze wiederhergestellt hatte, begab er sich in die Landstädte105, um auch hier die Mißbräuche abstellen zu lassen. In der Gegend, in welcher die Judäer in unmittelbarer Nachbarschaft der fremden Völker, der Aschdoditen, Ammoniter, Moabiter und Samaritaner wohnten, hatten die mit denselben eingegangenen Mischehen zur Folge, daß die aus denselben geborenen Kinder zur Hälfte die Sprache ihrer Mütter redeten und das Judäische vollständig verlernt hatten. Diese Entfremdung der von Judäern erzeugten Kinder vom eigenen Ursprung erregte ganz besonders Nehemias Entrüstung und Eifer. Er zankte mit den Vätern, verwünschte sie, ließ die Widerspenstigen züchtigen und hielt ihnen das Beispiel des Königs Salomo vor, der, obwohl ein weiser König und von Gott geliebt, doch von fremden Weibern zur Sünde verleitet worden. Durch solch tatkräftiges Eingreifen gelang es Nehemia, die Auflösung der Mischehen mit den Nachbarvölkern und die Erhaltung der eigenen Sprache für das heranwachsende Geschlecht durchzusetzen106.

Auch die Sabbatweihe, die bis dahin nur lau und lässig beobachtet worden war, führte Nehemia mit Gewaltsamkeit und Beharrlichkeit ein. Allerdings hatte das Gesetz das Arbeiten an diesem Tage verboten. Aber welche Tätigkeit ist darunter zu verstehen? Das war noch nicht erläutert. Die Judäer auf dem Lande wußten es daher nicht, kelterten am Sabbat den Wein, luden Getreidehaufen, Trauben, Feigen und andere Lasten auf Esel und brachten sie zum Verkauf für den Markttag nach Jerusalem. Sobald Nehemia diese wochentägige Behandlung des Ruhetages bemerkte, rief er die Landleute, die zu Markte gekommen waren, zusammen und setzte ihnen auseinander, daß ihr Tun ein Vergehen sei, und sie fügten sich. Hartnäckiger hatte er gegen einen eingewohnten Brauch in Jeruselem anzukämpfen. Tyrische Händler pflegten aus der See frische Fische und andere Waren am Sabbat zum Verkauf einzuführen und fanden Käufer. Nehemia schalt auch darüber die Beamten aus, daß sie eine solche Entweihung zuließen, und befahl fortan vom Vorabend des Sabbats bis zum Ausgang die Torflügel geschlossen zu halten und die Händler nicht einzulassen. Diese boten aber ihre Waren vor[154] den Toren aus, und die Jerusalemer fanden sich trotzdem am Sabbat zum Kaufe ein, aber Nehemia bedrohte sie, Gewalt gegen sie anzuwenden107, und brachte es durch Strenge dahin, daß fortan die Sabbatruhe mit peinlicher Gewissenhaftigkeit gehalten wurde. Er hat die Gesetzesstrenge, die Esra angebahnt hat, durchgeführt und die Scheidewand zwischen den Judäern und den übrigen Völkern so befestigt, daß ein Durchbrechen derselben fast unmöglich schien. Diejenigen, welche mit der Ausschließung und der Strenge unzufrieden waren, mußten aus der judäischen Gemeinschaft austreten und eine eigene Sekte bilden. Nehemia selbst erlebte vielleicht noch die erste Sektenbildung, und da er selbst dazu beigetragen hatte, und er vielleicht deswegen von mancher Seite Tadel erfuhr, so hielt er es für nötig, sein Verfahren zu rechtfertigen und seine Verdienste um die Hebung des darniedergelegenen Gemeinwesens hervorzuheben. Er verfaßte eine Art Denkschrift, was auch Esra getan hatte, und erzählte bald ausführlich, bald in kurzen Zügen, was er bei seiner ersten und zweiten Rückkehr für die Sicherheit des kleinen Staates und für die Hebung des Gesetzes getan hatte108. Er fügte hin und wieder hinzu: Gott möge ihm das gedenken, was er für das Volk getan und seine Verdienste um das Heiligtum und seine Sicherheit nicht auslöschen. Es war eine Art Rechtfertigungsschrift, die er im Alter verfaßte. Nehemias Name blieb auch in der Erinnerung des dankbaren Volkes. Ihm und Esra, den Schöpfern der Geistesströmung, die fortan im judäischen Kreise eine unwiderstehliche Gewalt erlangte, legte die dankbare Nachwelt alle heilsamen Einrichtungen bei, deren Ursprung ihr unbekannt war.


Fußnoten

1 Nehemia 1, 2 f.


2 Nehemia 5, 8.


3 Das. 2, 2. 5-6.


4 Folgt daraus, daß Nehemia, der in Babylonien oder Persien geboren war, nach Neh. 13, 24 so viel Wert auf die hebr. Sprache legte, und daß er seine Denkschrift in dieser Sprache abfaßte; vergl. weiter unten.


5 Folgt aus Nehemia 13, 15 f., auch 10, 32. Nehemia, der auswärts geboren, mußte erst die Judäer zur Beobachtung der Sabbatfeier zwingen.


6 In Esras und Nehemias Zeit wird auch ein Zadok als רפסה schlechthin bezeichnet (Nehemia 13, 13). Dann werden von Esra selbst zwei »Lehrer« (םיניבמ) aufgeführt, die mit ihm ausgewandert sind (Esra 8, 16b).


7 Kaum braucht es gesagt zu werden, daß Esra keineswegs Sohn Serajas war, wie es (nach Esra 7, 1) den Anschein hat. Hier ist bloß angegeben, daß Esra in direkter Linie durch Seraja, den letzten H. P. der vorexilischen Zeit, von Ahron abstammte. Es fehlen aber mehrere Mittelglieder zwischen Esra und Seraja; vergl. Bertheau z. St. und weiter unten.


8 Esra 7, 10 beschreibt Esras Tätigkeit sehr treffend. קח לארשיב דמללו תושעלו 'ה תרות תא שרדל ובבל ןיכה ארזע טפשמו. Er hat für sich die Lehre Gottes gesucht, sich um sie gekümmert, um sie zu betätigen (תושעל) und zugleich andere belehrt, die Gesetze und Vorschriften zu erfüllen. Die Methode der Auslegung ist angegeben Neh. 8, 8.


9 Die Zahl der Auswanderer Esra 8, 2-14 variiert um mehr als 200 nach Ez. Apocr., namentlich sind die ינב ןידע das. auf 250, im hebr. Text dagegen nur auf 50 angegeben. Es fehlte aber die Zahl der zwei Ahronidischen Familien, da V. 2 nur zwei angegeben sind: לאינד רמתיא ינבמ םשרג סחנפ ינבמ, während nach V. 24 mehr als 12 Ahroniden ausgewandert sein müssen. Bei sämtlichen Zahlen ist angegeben םירכזל oder םירכזה, daß nur Männer gezählt waren. – Die L.-A. םשרג von den סחנפ ינב kann nicht richtig sein, da der Name weiter nicht genannt wird, während der mit ausgewanderte Daniel, als eine besondere Priesterabteilung bildend (Neh. 10, 7 neben ןותנג), aufgeführt wird. Dieser ןיתנג bildete ebenfalls eine Priesterabteilung (Neh. 12, 4. 16). Man muß also an der St. Esra 8, 2 lesen: ןותנג סחנפ ינבמ. – Chattusch von den Söhnen Davids war nach Chr. I, 3, 19 f. das vierte Glied von Serubabel. – שישח לבבורז – היעמש = הינכש – היננח, er stammte von der Familie הינכש ינב (das. V. 22). Folglich ist die L.-A. in Ez. Apoc. (8, 29) Ἀττοὺς ὁ Σεχενίου annähernd richtig, nämlich die Wiedergabe des Textes: הינכש ינבמ שוטח דוד ינבמ. Denn eine israel. Familie הינכש kommt weiter nicht vor, und wenn es auch eine gegeben hätte, durfte sie nicht vor den שוערפ ינב aufgeführt werden, da diese stets die Reihe der israel. Familien eröffnen.


10 Esra 8, 25. Diese Nachricht stammt aus Esras Denkschrift, ist demnach echt historisch.


11 Maleachi 1, 11: ימש לודג ואובמ דעו שמש חרזממ יכ םיוגב und V. 14b םיוגב ארונ ימשו. Maleachi beruft sich auf die verbreitete Verehrung des Gottes Israels, wie auf eine allgemein bekannte Tatsache – und er lebte in Artaxerxes' Zeit (vergl. weiter unten). Der allerdings in seiner allgemeinen Fassung rätselhafte V. םוקמ לכבו הריהט החנמי ,ימשל שגמ רטקמ läßt sich vielleicht durch die L.-A. der LXX. erklären: ϑυσίαμα προμάγεται τῷ ὀνόματι καὶ ϑυσία καϑαρά d.h. zurückübersetzt לכבו ימשל שגמ רטקמ םוקמ [..miktar..]. Der Vers will also nicht aussagen, daß allüberall dem Gotte Israels Weihrauch dargebracht worden, nur die von Sonnenaufgang bis Niedergang zerstreuten Verehrer unter den Völkern widmen ihm einen reinen Kultus. Das ist wohl der Sinn des V., welcher von den Kirchenvätern als Beleg für die Ausbreitung der Kirche unter den Heiden angewendet wurde.


12 Esra 8. 22, 36 aus derselben Quelle. Nur diese Angaben können als historisch angesehen werden. Dagegen ist die sog. Urkunde Artaxerxes' für Esra das. 7, 12-26 ohne Zweifel apokryph. Denn der König spricht darin von dem Gott Israels und von den judäischen Interna wie ein geborener Judäer. Hätte Esra die Machtbefugnis gehabt, die ihm der König nach V. 25 eingeräumt haben soll, so hätte er in Jerusalem ganz anders verfahren können, als er es getan hat. Kurz, auf diese günstige Urkunde ist so wenig zu geben, wie auf die feindselige des Artaxerxes, 4, 19 f., die ohnehin einander widersprechen und aufheben. Vergl. weiter unten.


13 Folgt aus Esra 8, 1 f. םשחיתהו, es bedeutet das genealogische Zurückführen auf reine Abstammung, wie Neh. 7, 5 שחיתהל םעה תא..הצבקאו und Chr. I, 9, 1 לכו ושחיתה לארשי.


14 Esra 8, 15-20. V. 17 muß man mit Ez. Apoc. und Vulgata lesen איפסכב םינותנה ויחאו ודא לא; (Khetib). Es kann unmöglich Nethinim bedeuten. Iddo und seine Verwandten, wenn sie Tempelsklaven gewesen wären, hätten nicht Einfluß auf die Leviten haben können, sie zur Auswanderung zu bewegen. Peschito übersetzt das Wort als Partizip. איפסכב ןירש יד. – Der Ortsname איפסכ ist bisher ebenso wenig ermittelt, wie der Fluß oder Kanal הוהא. Ist איפסכ vielleicht Choaspes? Es ist zwar der Name des Flusses, der bei Susa floß, aber kann nicht auch davon ein Ort Choaspia genannt worden sein?


15 Esra das. 24. Hier ist ausdrücklich von 12 םינהכ und von Scherebja und Chaschabja mit noch 10 Leviten die Rede, also ebenfalls 12 Leviten. Bertheau hat das im Komment. übersehen.


16 Das. 8, 21 f. 31; 7, 8-9.


17 Das. 8, 32.


18 Esra 9, 1 f. Man beachte den Ausdruck ערז וברעתהו תוצראה ימעב שדק. Als Gesetzbeleg für die Übertretung berief sich Esra (das. 9, 12) auf Deuteron. 23, 4-6. Dieses Verbot bezieht sich indes lediglich auf Moabiter und Ammoniter. Esra mußte also dieses Vergehen verallgemeinern; dafür hatte er aber keinen direkten Beleg aus dem Pentateuch. Er mußte also zu einem indirekten Beleg Zuflucht nehmen. V. 9, 11: ץראח 'וגו איה הדנ ץרא התשרל םיאב םתא רשא. Das ist eine Anspielung auf Leviticus 18, 24-25 und auf Exodus 34, 15 f., paßt aber nicht, da hier von kanaanitischen Völkerschaften und Götzendienern die Rede ist, was die Familien, die sich mit Judäern verschwägert hatten, nicht mehr waren. Vergl. o. S. 108, Anm.


19 Esra, das. 9, 3 f. 10, 1-5.

20 Esra 10, 18-19. Es ist kaum denkbar, daß die hohenpriesterlichen Familien und alle übrigen, die in Jerusalem wohnten, mit der Lösung ihrer Ehen mehrere Monate bis nach dem Nisan des folgenden Jahres, bis das Untersuchungskomitee (das. V. 16) eingesetzt war und seine Arbeit vollendet hatte, gewartet haben sollten. Sobald sie den Eid geleistet hatten, haben sie ohne Zweifel ihn auch gleich darauf betätigt. Das Komitee war lediglich für die Judäer der Landbevölkerung eingesetzt. V. 19 איצוהל םדי ונתיו schließt sich an V. 5b, an ועבשיו. Was םימשאו betrifft, so hat Bertheau den Sinn verkannt, wenn er es durch: »und sind schuldig« übersetzt. Es steht vielmehr für םימשאו [weashamim] und ist eine Ellipse zu ובירקה, wie es die beiden griechischen Versionen wiedergegeben haben. Sie brachten Schuldopfer wegen unerlaubter Vermischung nach Leviticus 19, 20 f.


21 Esra 11 [10!], 7 f. Hier ist bloß von den Landstädtern die Rede, nicht von den Jerusalemern. Denn es wäre doch Unsinn, daß sich die Jerusalemer in Jerusalem einfinden sollten. Das Wort םלשורי muß gestrichen werden. Zum Beweis, daß diese Partie nur von den Landstädten handelt, dient V. 14 רשא לכו םינמזמ םיתעל אבי... ונירעב. Das Geschäft des ausgewählten Komitees (V. 14, 16) war, רבדה שוירדל (oder שורדל), sich um die Angelegenheit zu kümmern, sich ausschließlich damit zu befassen und zwar die Übertreter zu einer Tagsatzung nach Jerusalem zu laden (םינמזמ םיתעל) und sie zur Auflösung der Mischehen zu zwingen. Dunkel ist V. 15. Man weiß nicht, ob darin eine Opposition gegen den Beschluß liegt. Ebenso dunkel ist V. 17. Beide sind wohl lückenhaft erhalten.


22 Esra das. folgt auch aus Nehemia 9, 2. Vergl. o. S. 122 Anmerk. 1.


23 Esra 10, 44: םישנ םהמ שיו תוירכנ םישנ ואשנ הלא לכ םינב ומישיו ist außerordentlich dunkel, und ist bisher noch nicht befriedigend erklärt worden. Ez. Apoc. (9, 36) übersetzt den letzten Teil καὶ ἀπελύϑƞσαν αὐτὰς σὺν τέκνοις, d.h. םינב םע םושרגיו und zwar םישנ in םושרגיו emendiert. Darin läge, daß sämtlich daselbst Aufgeführte die Ehescheidung vorgenommen haben. Indessen ist durch die zweite griech. Version und durch die Peschito der Eingang םהמ שיו gesichert, und das kann nur bedeuten »ein Teil von ihnen«. Daß nicht alle die Mischehen aufgelöst haben, geht daraus hervor, daß die חרא ינב nicht aufgeführt sind, die nach Neh. 6, 18 mit Tobija verschwägert blieben.


24 Aus Nehem. 6, 10 f. 14 folgt, daß nicht bloß Laien, sondern auch Propheten, also gewiß auch Schriftkundige es mit Sanballat gegen Esra und Nehemia hielten.


25 Daß Ruth keinen historischen, sondern einen didaktischen Hintergrund hat, wird von den Ausl. meistens zugegeben. Sie differieren lediglich bezüglich der Lehrpointe. Diese hat Umbreit richtig erfaßt (Stud. u. Krit., Jahrgang 1834, S. 308 f.); Geiger hat diese Ansicht aufgenommen und weitergeführt (Urschrift S. 52). Diese Pointe ist augenfällig gegen die Ausschließung der Moabiter aus der Gemeinschaft gerichtet, und paßt durchaus für diese Zeitlage. Ohnehin zeugen die Aramaismen in Ruth für die nachexilische Abfassungszeit.


26 Das Buch Esra ist offenbar zuletzt defekt; es erzählt aus Esras Zeit nur die Vorgänge des ersten Jahres oder der wenigen Monate seit Esras Ankunft in Jerusalem.


27 Neh. 3, 34; es muß gelesen werden: ליח ויחא ינפל ןורמש statt ליחו. Das Wort bedeutet in dieser Literatur »Heer«.


28 Das. 1, 3; 2, 3. 17.


29 Neh. 7, 4; 11, 1.


30 Das. folgt aus 12, 44. 47. Auch aus 10, 36 f., daß diese Abgaben vor dieser Zeit nicht geliefert wurden. Vergl. das. 12, 27-29.


31 Das. 6, 18. Folgt aus dem Ausdruck העובש ילעב, der darauf hinweist, daß dabei ein Eid geleistet wurde, wie auch Bertheau z. St. richtig bemerkt. Nur muß man diesen Eid nicht als Garantie gegen die Auflösung der Mischehen auffassen, sondern einfach als Bündnis mit den Nachbarn, einen modus vivendi einzuhalten.


32 Bertheau bemerkt mit Recht zu Neh. 1, 4, daß aus dem Eingange der Nehemianischen Denkschrift hervorgeht, daß Chanani und die Männer mit ihm einen Unglücksschlag meldeten, von dem die Gemeinde in Juda erst jüngst betroffen und dessen Umfang dem Nehemia bis dahin unbekannt geblieben war. Da diese Folgerung feststeht, so müssen zwei Schlüsse daraus gezogen werden: 1. daß die sog. Urkunde von Artaxerxes zur Vereitelung der Befestigung Jerusalems (Esra 4, 17 f.) unecht sein muß. Denn wenn die Mauern in Artaxerxes' Zeit – vor Nehemias Rückkehr – nicht errichtet werden durften, so konnten sie nicht zerstört worden sein. Es ist also falsch, diese Urkunde als authentisch anzusehen. 2. Daß die Zerstörung der Mauern, worauf sich ein großer Teil der Nehemianischen Denkschrift bezieht, von Sanballat, Tobija und den Samaritanern ausgegangen sein muß. Wer sollte sie sonst angerichtet haben, wenn nicht diese Feinde? Und als Grund zu dieser leidenschaftlichen Feindschaft muß die Entlassung der Frauen angesehen werden.

33 Folgt aus allen Angaben seiner Denkschrift, auch aus Neh. 1, 11 ךמש תא האריל םיצפחה, worunter er sich besonders zählt; auch das. V. 7.


34 Neh. 1, 4 f.


35 Das. 2, 1 f. verglichen mit das. 1, 1.


36 Das. 2, 2.


37 Neh. 2, 5 f.


38 Das. 4, 10. 17; 5, 10.


39 Das. 2, 8. Der סדרפה רמש ףסא לא kann nur Aufseher über die Waldungen des Libanon gewesen sein, die Eigentum des Königs waren. Nur vom Libanon konnte Bauholz bezogen werden, sonst gab es keins in Judäa. Nehemia hatte also die Erlaubnis erhalten, vom Libanon Holz nach Jerusalem befördern zu dürfen.


40 Das. 2, 9-10. Beide VV. erklären einander: Sanballat hat Nehemias Absichten erraten, weil dieser den Pechas der Länder, welche er auf seiner Reise berührt hat, die königlichen Briefe vorgezeigt hatte.


41 Neh. 5, 17-18. Der letzte V. und besonders der Ausdruck: הברהל ןיי לכב sind dunkel. Daß nur je am zehnten Tage Wein auf die Tafel gekommen sein sollte, ist nicht begreiflich, da Wein keine Seltenheit war. Eher können sich die 10 Tage auf die םירפצ »Vögel« oder »Hühner« beziehen ,םימיה תרשע ןיב יל ושענ םירפצו הברהל ןיי (םוי) לכב.


42 Das. 2, 17-18. Hier fehlt ein V., welcher angegeben haben müßte, daß Nehemia eine Versammlung zusammenberusen habe. Josephus teilt (Alterth. XI, 5, 7) Nehemias Anrede an die berufene Versammlung mit, die er bei dieser Gelegenheit gehalten. Josephus hat sie wohl aus Ezr. Apocr. geschöpft.


43 Folgt aus das. 3, 4 verglichen mit 6, 18.


44 Die Art der Ausbesserung der Mauern ist ausführlich gegeben Neh. 3, 1 bis 32. Der Bericht ist aber lückenhaft, nicht bloß wie Bertheau vermutet, hinter V. 7, wo das Ephraimtor erwähnt sein sollte, sondern auch an noch anderen Stellen. Gleich V. 1 zeigt eine Lücke. Hier heißt es: Eliaschib der Hp. und seine Verwandten haben das Schaftor verfertigt: ומושדק המה האמה לדגמ (דע) דעו ויתתלד ודימעיו. Nun, statt והושדק, woraus die Ausll. einen Unsinn gefolgert haben, als ob jedes Mauerstück geweiht worden wäre, muß man lesen והורק, wie V. 3 u. 6. Aber gleich darauf V. 1b heißt es לאננח לדגמ דע (והורק) והושדק. Hier fehlt also der Name des Tores und derer, welche es verfertigt und eingesetzt haben, denn das Verbum הרק bezieht sich nur auf die Torflügel, nicht auf die Mauer. – V. 26 fehlt bei Erwähnung der Nethinim, welchen Teil sie gebaut haben, nämlich רעש דגנ דע לפעה וקיזחה המה םימה. V. 20 ist הרחה eine Dittographie für קיזהה, da in dem älteren Schriftcharakter ז und ר ähnlich waren. Die Emendation הרהה, der auch Bertheau das Wort redet, ist abgeschmackt. – Bei genauer Betrachtung des Berichtes merkt man, daß auf die Anfertigung der Tore ein größeres Gewicht gelegt wird, als auf die der Mauern (V. 1, 3, 6, 13, 14, 15). Das kommt daher, weil es nicht leicht war, festes Holz dafür zu beschaffen; die Berge Judas liefern solches Holz keineswegs. Das ist Bertheau entgangen. Neh. 2, 8 ist deutlich genug angegeben, daß Nehemia eine Weisung an einen persischen Beamten mitgebracht hat, ihm Holz für die Tore der Stadt und andere Baulichkeiten zu liefern. Auch hier ist derselbe Ausdruck gebraucht: ירעש תא תורקל. Darunter kann nur Holz vom Libanon verstanden sein (vergl. o. S. 130). Um dieses auf dem Meereswege nach Jerusalem zu schaffen, dazu bedurfte es viel Zeit. Die Vorbereitungen zur Befestigung der Mauern und besonders der Tore haben also viel Zeit in Anspruch genommen.


45 Neh. 2, 20.


46 Neh. 2, 19 f., 3, 33 f. V. 33 ist zum Teil sehr dunkel. Bertheaus Erklärung von והבזיה םהל ובזעיה ist gezwungen. Nach LXX ist zu lesen: םויכ ולכיה [hajachlu kajom] statt םויב ולכיה.

47 Das. 3, 38: 4, 6-8. V. 6b ונילע ובושת רשא ist weder durch Emendation ובוש statt ובושת, noch durch Bertheaus Erklärung, als Anrede der Samaritaner an die unter ihnen wohnenden Judäer, verständlich. Man muß ובשח [chashvu] lesen statt ובושת (so auch Herzfeld, Geschichte d. Volkes Israel II, S. 47). Man muß auch noch dazu ergänzen אבל [lavo], also: תומוקמה לכמ ונילע אבל ובשח רשא. V. 7 ist םיחחצב sehr dunkel und dadurch der ganze erste Halbvers.


48 Neh. 4, 9-17. Die Beschleunigung und die angestrengten Nachtwachen begannen erst in der zweiten Hälfte der Arbeit infolge der von allen Seiten verkündeten Absicht eines Überfalles. V. 10b muß mit dem Anfang von V. 11 verbunden werden: תיב לכ ירחא םירשהו (םירחהו) המיחב םינובה הדוהי. Dadurch erhalten der Rest von V. 11 und V. 12 die erforderliche Symmetrie םירוסא... םינובהו... םישמע לבסב םיאשנהו. Über V. 17 s. weiter unten.


49 Das. 6, 10f. bis 14. Vor V. 9 muß die Lücke eines Verses angenommen werden, welche von dem Propheten Noadjah gesprochen worden sein muß. Sonst ist V. 9 ganz unverständlich bei aller künstlichen Exegese, die Bertheau darauf verwendet hat. Statt התעו ידי תא קזח muß man lesen התאו wie öfter. Dann ist es aber eine Anrede an einen Befreundeten. Da nun V. 14 von איבנה הידעונ spricht, ohne daß er vorher genannt worden wäre, muß von ihm schon früher die Rede gewesen sein, und zwar bei V. 9. – V. 13 muß das erstemal ינעמל gelesen werden, statt ןעמל.


50 Neh. 6, 1 f. Merkwürdig ist die Übersetzung der syr. Version von V. 7: דוהיב ארזע ךלמא אוהד ןירמאו. Wenn dieser Übersetzung ein echter Text zugrunde läge, so würde sich daraus ergeben, daß Esra während dieser Zeit nicht bloß gelebt hat, sondern auch tätig gewesen ist. V. 16 םהיניעב דאמ ולפיו, der Bertheau und allen Ausl. so viel Schwierigkeit gemacht, ist einfach zu lesen: םהיניעב דאמ ואלפיו, es schien den Feinden etwas Außerordentliches; dann paßt das Folgende sehr gut.


51 Neh. 5, 1 f. V. 2 muß man lesen םיברע ונחנא statt des unverständlichen םיבר ונחנא, ganz so wie V. 3. V. 8b muß man lesen םתא םאו statt םגו. Dann ist die Dunkelheit der Konstruktion gehoben, V. 11 תאשמ [mashʼat] statt תאמ.


52 Das. 5, 10, 14-16.


53 Das. 7, 1 kann ודקפיו nur bedeuten, »es wurden vermißt« sonst, wenn es »ernennen« bedeuten sollte, hätte die Präposition לע und die Funktion, die ihnen ubertragen worden, stehen müssen. Aus 12, 27-29 geht hervor, daß viele Leviten aller Klassen außerhalb Jerusalems gewohnt hatten.

54 Neh. 11, 2. V. 1 םלשוריב םעה ירש ובשיו will auch dasselbe sagen, daß sich םעה ירש in Jerusalem niedergelassen haben. Diese werden von V. 4 an namentlich aufgezählt. Es ist eine Liste derer, die sich freiwillig dazu erboten hatten. Vergl. Note 15.


55 Vergl. o. S. 12.


56 Chronik I, 8, 33 f. 9, 29 f. Es sind 13 Generationen von Saul bis Ulam aufgezählt, diese geben ungefähr 400 Jahre, Ulam war demnach ungefähr ein Zeitgenosse des Exils, und seine Enkel (das. 8, 40) können noch zur Zeit Nehemias gelebt haben. Vergl. Bertheau Comment. zur Chronik z. St. und Note 15.


57 Jes. 4, 2; Zephania 3, 12 f.


58 Neh. 7, 5 geht dem Verzeichnis der Familien voran שחיתהל... םירחה תא הצבקאו יבל לא םיהלא ןתיו. Nehemia betrachtete also den Gedanken, sich das genealogische Verzeichnis vorlegen zu lassen oder die Abstammung der Familien zu untersuchen – was in שחיתהל liegt – als eine höhere Eingebung. Was sollte damit bezweckt werden? Keineswegs um die Zahl der Bevölkerung zu kennen, sondern um die Reinheit der Familien zu prüfen. Höher hinauf als bis zur Zeit der Rückkehr konnte er nicht gehen. Daß eine Prüfung der Abstammung vorgenommen werden sollte, geht entschieden aus V. 61-64 hervor. Drei ahronidische Familien, welche ihre Abstammung nicht nachweisen konnten, wurden vom Priestertum ausgeschlossen. Von wem? Nun V. 64 sagt es ja deutlich: von אתשרתה, und das ist kein anderer als Nehemia, nach 8, 9; 10, 2. Zum Überfluß hat Ezr. Apocr. zu diesem V. Νεεμίας (καὶ) Ἀτϑαρίας (5, 40). Auch das. V. 70 רצואל ןתנ אתשרתה ist nur Nehemia darunter zu verstehen, die zweite griech. Version hat auch richtig dafür Νεεμία; man macht sich umsonst Schwierigkeiten, wenn man annimmt, daß auch Serubabel den Titel ha-Tirschata geführt habe. Das Verzeichnis der Zurückkehrenden hatte seine ursprüngliche Stelle in Nehemias Denkschrift, und erst von hier aus hat es der Chronist dem Buche Esra einverleibt, und zwar mit allen Zusätzen, welche aus Nehemias Zeit stammen, Nehemia hat also das Verzeichnis geprüft, die Würdigen aufgenommen und die Unwürdigen oder Zweifelhaften zurückgewiesen.


59 Neh. 3, 4. 21 ץוקה ןב היריא ןב תומרמ. Esra 8, 33 ןהכה הירוא ןב תומרמ ידי לע..ףסכה לקשנו ist derselbe Meremot und zwar von dem ahronidischen Geschlechte ץוקה Chronik I, 24, 16.


60 Neh. 8, 1 f.


61 Das. V. 10 םכזעמ איה 'ה תודח יכ ist durchaus unverständlich, man muß dafür lesen 'ה תרות יכ, das gibt der ganzen Anrede die rechte Abrundung.

62 Aus Nehemia 8, 14 folgt nicht, daß bloß der Abschnitt von den Hütten vorgelesen worden sei, sondern es wird nur hervorgehoben, daß das Volk das Gesetz vor dem Hüttenbau eifrig ausführte. Es konnte sich bei Erfüllung dieses Gesetzes tätig zeigen; der darauf bezügliche Abschnitt kann nur Leviticus 23, 39 fg. gewesen sein; denn in den Gesetzen über die Feste in den übrigen Büchern kommt vom Bau von Hütten gar nichts vor. Ist nun dieser Abschnitt damals vorgelesen worden, so wurde selbstverständlich die Partie vom Versöhnungstage ebenfalls verlesen, und das Volk hat den Tag unzweifelhaft begangen. Erwähnt wird es nicht, weil dabei keine Gelegenheit war, tätig anzugreifen. Der Sühnetag war nicht ein Trauertag, daß an demselben hätte das vorgenommen werden können, was am 24. desselben Monats, zwei Tage nach Schluß des Festes, vorgenommen wurde. Dadurch ist das Gerede erledigt, welches die oberflächliche Kritik dabei angebracht hat.


63 Das. 8, 16f.


64 Neh. 9, 1-3. Dazu gehört auch das. 13, 1-2. Diese Verse beziehen sich offenbar auf den Vorgang am 24. Tischri, und werden nur daselbst angeführt, um Nehemias Vorgehen gegen Tobija, gegen die Mischehen und gegen den Sohn des Hohenpriesters Jojada zu rechtfertigen, daß es dem Gesetze und dem Volksbe schlusse gemäß geschehen sei. In V. 9, 2: ערז ולדביו רכנ ינב לכמ לארשי und V. 13, 3: לארשימ ברע לכ ולידביו liegt auch, daß sie die Verbindungen mit den Fremden aufgegeben haben. V. 9, 5-37 soll das Sündenbekenntnis sein, von dem V. 2 die Rede ist. Allein V. 36-37 weisen auf eine spätere Zeit hin, auf eine Zeit der Bedrückung, können also nicht aus der günstigen Zeit unter Nehemia stammen. Sie gehören dem Chronisten an.


65 Neh. 10, 1 f. Die Konstruktion im Eingange ist sehr schwerfällig, namentlich das תאז לכבו. Bertheaus Erklärung: »Bei all diesem, was wir am 24. des 7. Mon. vorgenommen hatten, also nach all diesem,« ist gezwungen. Wenn man תאז לעו liest, ist die Konstruktion verständlicher. – םותח und םימותח bedeutet die versiegelte Rolle, wie Bertheau richtig erklärt hat. – V. 29 und 30a ist als Paranthese anzusehen םעה ראשו םהירידא םהיחא לע םיקיזחמ..לדבנה לכו םיניתנה..., d.h. diejenigen, welche nicht unterschrieben haben, also die ganze Versammlung minus der 83 Namen, auch die Nethinim und die Proselyten, hielten sich an ihre Brüder, lehnten sich an sie an (vielleicht לע gleich םע). Das folgende העובשבו הלאב םיאבו bezieht sich auf den Eingang, daß die Unterzeichneten durch einen Eid und Fluch bekräftigt haben: םיבתכו הנמא םיתרכ ונהנא םיהלא תרותב תכלל... הלאב םיאבו... םותחה (לע) לעו. Dieser Bericht schließt sich an 9, 1-3. Das Volk hatte am 24. Tischri die Sünde der Mischehen bereut und sich von den Fremden getrennt, und darauf am selben Tage haben die Häupter ein Bündnis geschlossen. Daher steht der Punkt der Mischehen in dem Vertrag an der Spitze. Die Zahl der Namen der Unterzeichneten beträgt im Verzeichnis 83. Die talmudischen Berichte haben 85 gezählt, dazu noch 35 Propheten zugerechnet und diese aus 120 Gliedern bestehende Versammlung als die ecclesia magna, הלודגה תסנכ ישנא, angesehen. Hauptst. dafür jerus. Megilla I. p. 70d םינקז הפ םיאיבנ המכו םישלש (םהמעו .l ) םהמו, ferner Midrasch zu Ruth c. 3, p. 45. Diese Bemerkung wurde zuerst von N. Krochmal gemacht (Kerem Chemed V. p, 68). Alles, was im Talmud von der ecclesia magna mitgeteilt wird, bezieht sich auf diese unter Nehemia zusammenberufene Versammlung. Auf diese wurden sämtliche Anordnungen zurückgeführt, welche aus alter Zeit stammen. – Wer der Zedekija war, welcher unmittelbar auf Nehemia im Verzeichnis folgt, ist zweifelhaft, schwerlich Nehemias Sekretär. Esras Name kann entschieden nicht gefehlt haben. Vergl. weiter unten.


66 Nehemia 8, 12.


67 Das. 12, 43.


68 Vergl. Note 12.


69 Nehemia 12, 43 f.


70 Josephus Altertümer XI. 5, 8. Da sich diese Angabe nicht in Nehemia findet, so muß sie Josephus aus Ezr. Apocr. entlehnt haben.


71 Bekanntlich herrscht ein Widerspruch bezüglich der Dauer der Arbeit an den Mauern zwischen dem Texte in Nehemia und Josephus. Dort ist angegeben (6, 15), daß das Werk in 52 Tagen vollendet wurde, und hier wird die ganze Zeit von Nehemias Ankunft bis zur Einweihung auf 2 Jahre und 4 Monate ausgedehnt (Altert. XI. 5, 8): καὶ ταύτƞν ὑπέμινε τὴν ταλαιπωρίαν ἐπ᾽ ἔτƞ δύο καὶ μῆνας τέσσαρας. Josephus hat dieses Datum wohl aus Ezr. Apocr. entlehnt, d.h. aus derselben Quelle. Diesen Widerspruch haben die Ausleger nicht bewältigen können und haben hier oder da Emendationen vorgeschlagen. Die Lösung ist aber einfach. In Nehemia ist nicht die ganze Dauer auf 52 Tage angegeben, sondern nur von der Zeit an berechnet, als das Werk nach der vorgefallenen Störung wieder aufgenommen worden war. Erst seit diesem Vorfall wurde rasch und eifrig gearbeitet (4, 10): אוהה םויה ןמ יהיו. Die syrische Version hat hier noch einen passenden Zusatz: להו אוה אמוי ןמ, d.h. םויה ןמ האלהו אוהה. Von diesem Tage an bis zur Vollendung vergingen 52 Tage; im ganzen aber kann das Werk mehr als zwei Jahre gedauert haben, da das Herbeischaffen der Zedernbohlen vom Libanon viel Zeit erforderte (o. S. 133). Auch aus andern Angaben in Nehemia geht hervor, daß die Dauer von Nehemias Ankunft bis zur Vollendung mehr als 52 Tage betragen haben muß. In Kap. 5 wird erzählt, daß während der Befestigung Klagen der verarmten Klasse gegen die Reichen wegen Schuldendruckes vorgebracht wurden. Kann dieses alles innerhalb 52 Tagen, in kaum 2 Monaten vorgefallen sein? Dann ist das. 4, 17 angegeben, daß vor dem Tage der befürchteten Überrumpelung bis zu Ende der Arbeit Nehemia und seine Leute nicht aus den Kleidern gekommen sind. Hier ist ein dunkler Halbvers: םימה וחלש שיא. Die syr. Version hat aber die richtige L.-A. erhalten: אטמד שנא אתמויד אחרי היל, d.h. ins Hebräische zurückübertragen: שדחל שיא יל עיגה רשא םימיה. Aus der Dittographie des ש vom Worte שיא, in Verbindung mit שדחל ist יחלש geworden, und םימיה ist in םימה korrumpiert. Der Sinn ist also: einen Monat um den andern hat Nehemias Mannschaft nicht die Kleider gewechselt. Es müssen also mindestens 2 Monate auf die letzte Arbeit berechnet werden, also mehr als 52 Tage. – Übrigens scheint die Einweihung nicht im Monate Elul stattgefunden zu haben, sondern später. Das Werk war im Elul lediglich vollendet.


72 Nehemia 3, 9 wird genannt םלשורי ךלפ יצח רש, und ein anderer mit demselben Titel (V. 12); dann יצח רש הליעק ךלפ (V. 17) und ein anderer ebenso (V. 18), ebenso (V. 16): רוצ-תיב ךלפ יצח רש. Wenn es nun heißt (V. 15): הפצמה ךלפ רש und dann wieder von einem andern (V. 19): הפצמה רש, so muß man in der ersten Stelle ergänzen ךלפ [יצח] רש und in der zweiten [ךלפ יצח] רש. Diese Einteilung der Bezirke kommt weder in der vorexilischen noch sonst in der nachexilischen Literatur vor. So kann man nur annehmen, daß Nehemia diese Einteilung organisiert und die Beamten eingesetzt hat.


73 Die Burg Akra im Norden des Tempels, welche später von Herodes Antonia genannt wurde, hat höchstwahrscheinlich Nehemia zuerst angelegt, Neh. 2, 8; 7, 2 הריבה רש היננח. So faßt es auch Bertheau auf, Komment. zur ersten Stelle. Diese Burg bestand schon zur Zeit des Antiochus Magnus (Josephus Altert. XII. 3, 3): καὶ τοὺς ὑπὸ Σκόπᾳ καταλειφϑέντας ἐν τῇ ἄκρᾳ τῶν Ἱεροσολύμων φρουρούς ... συνεμάχƞσαν. Daraus geht auch hervor, daß diese Akra zur Aufnahme von Truppen und Waffen diente. Wenn es I. Makkab.-Buch (1, 33) heißt, Antiochus Epiphanes habe die Davidstadt (d.h. den Tempelberg) gemacht: εἰς ἄκραν, so will es nur sagen, daß er die längst bestandene Burg befestigt habe, »mit einer langen und festen Mauer und festen Türmen«. Zur Zeit des Chronisten bestand diese Burg schon, und weil sie mit dem Tempel verbunden war, nennt er auch diesen הריב (Chron. I, 29, 1. 19). Auch im Talmud wird die הריב als Teil des Tempels genannt. Sie wird wahrscheinlich im Hohenliede דוד לדגמ genannt, d.h. דוד ריע לדגמ.


74 Neh. 11, 11 wird als םיהלא תיב דיגנ aufgeführt die genealogische Reihe von Esras Vorfahren, ganz so wie Esra 7, 1. Daraus folgt, daß der Name ארזע an der Spitze der Reihe fehlt. Der fehlende Name ist aber an der Parallelstelle Chronik I, 9, 11 erhalten הירזע; nur fehlt hier wieder הירש. Es ist nicht zweifelhaft, daß הירזע und ארזע identisch sind, wie Nehemia 10, 3 הירזע, 12, 1 ארזע.


75 Neh. 10, 38-40; 12, 44; 13, 5, wo statt םיולה תוצמ gelesen werden muß תנמ und V. 12, 44 statt ידשל םירעה zu lesen םירעה ידשמ.


76 Mit Recht behauptet Herzfeld (Geschichte des Volkes Israel I, S. 339), daß die Angabe der Chronik, David habe schon die Ahroniden in 24 Abteilungen gebracht, aus ihrer Tendenz herzuleiten ist, jüngere Institutionen alt zu machen. Eine naive Relation im Talmud, Megillah p. 27a; Erachin 12b, jerus. Taanit IV. p. 68a gibt richtig an, daß aus den 4 ahronidischen Familien, welche aus dem Exile zurückgekehrt sind, in der späteren Zeit 24 Abteilungen geworden sind. Von diesen 24 Klassen kommen Nehemia 12, 2-7, 12-21 nur 22 vor. Offenbar fehlen zwei Namen. Von diesen 22 kommen bereits 16 unter Nehemia vor, welche den Vertrag unterzeichnet haben (10, 3-9). Denn םוחר in dem einen Verzeichnis entspricht םירח in dem andern, ebenso אודע dem הידבע. Das Verzeichnis unter Nehemia enthält zwar nur 21 Namen, allein entschieden fehlen darin zwei wichtige Namen, nämlich היעדי, die hohenpriesterliche Familie, und ביריוי; außerdem noch ןיכי; denn gerade von dieser ist angegeben, daß sie sich in Jerusalem angesiedelt habe (Neh. 11, 10; Chronik I, 9, 10), vergl. Note. 15.


77 Josephus Altert. XI, 5, 8; alles aus seiner Quelle Ezr. Apocr.


78 Neh. 7, 70 ist aufgezählt, wieviel אתשרתה zum Schatze gespendet hat, darunter ist nur Nehemia zu verstehen (vergl. o. S. 137, Anm. 5). Mag die Summe von dem Chronisten übertrieben worden sein, so hatte er jedenfalls eine Quelle vor sich, daß Nehemia für die Bedürfnisse gespendet hat. Dieser Bericht ist in die Parallele Esra übergegangen. In diesem Text stand ursprünglich תובאה ישאר תצקמו oder תובאה ישארמו.


79 Neh. 7, 65 םירואל ןהכ דומע דע drückt einen Tadel gegen den regierenden Hohenpriester aus.


80 Maleachi 1, 8. Vergl. über das Zeitalter dieses Propheten weiter unten.


81 Nehemia 13, 28; Josephus Altert. XI, 7, 2; vergl. weiter unten.


82 Neh. das. 13, 23f.


83 Neh. 13, 4. 7. Dieser ןהכה בישילא kann unmöglich identisch sein mit dem Hohenpriester Eljaschib, weil dieser immer das Epitheton führt, לודגה ןהכה das. 13, 28; 3, 1. 20, außer da, wo dieser mit einem andern gleichen Namens nicht verwechselt werden kann, wie das. 12, 10. 22-23. Es ist auch undenkbar, daß der Hohepriester Aufseher über die Speicher gewesen sein sollte. תכשלב ןותנ ist gleich תכשל לע ןותנ.


84 Darauf bezieht sich wohl Maleachis Anklage 2, 8: הרותב םיבר םתלשכה.


85 Maleachi 2, 9.


86 Nehemia 13, 10a; Maleachi 3, 8-10.


87 Nehemia 13, 10b.


88 Maleachi 1, 8. 13-14. Statt לוזג, das keinen Sinn gibt, muß man wohl lesen לאגמ םתאבהו. Nach der Vorschrift Nehemia 10, 33-34 hatten die Priester für die Beiträge die Opfer zu liefern.


89 Maleachi 1, 7. 12.


90 Das. 3, 5. 15. 18-19.


91 Das. 3, 14; 2, 17.

92 Folgt aus Maleachi das. 3, 24.


93 Das. 3, 16.


94 Maleachis Zeitalter ist richtig von Vitringa, observationum sacr. II. p. 331 f., von Nägelsbach, protest. R. Enzyklop. VIII. S. 752, und von Köhler, nachexilische Propheten IV. S. 22 firiert worden, nämlich in der Zwischenzeit zwischen Nehemias erster und zweiter Anwesenheit in Jerusalem oder während dessen Abwesenheit am persischen Hof zwischen 432 und 424. Zu den von diesen geltend gemachten Argumenten von dem Schatzhaus für den Zehnten und von den Mischehen lassen sich noch zwei entscheidendere hinzufügen. Bei der Rüge gegen die Mischehen heißt es (2, 13) ושעת תינש תאזו, was durchaus nur den Sinn haben kann: »Und dieses, die Verbindung mit den Nachbarn, tut ihr zum zweiten Male, d.h. einmal zu Esras Zeit und das zweitemal nach Nehemias Entfernung. Ferner kann unter dem »Herrn und Boten des Bundes« (3, 4) nur Nehemia verstanden sein; es ist der, welcher von den Frommen erwartet wurde. Auf Elia paßt nicht ןודאה. V. 3 רהטמו ףרצמ בשיו, er wird sitzen, richtend und läuternd und zwar die Söhne Levi, d.h. nach 2, 4 f., die Ahroniden, spielt doch deutlich genug auf einen Herrn an, welcher die unwürdigen Priester abgesetzt hat (o. S. 138) und der in Zukunft noch schärfer mit der Läuterung vorgehen werde. Das Eintreffen des Bundesboten und Herrn wird nicht als letztes Ziel dargestellt, sondern als Vorbereitung ינפל ךרד הנפו. Weist diese Partie auf Nehemia, so kann sie nur während seiner Abwesenheit gesprochen sein. Dazu kommt noch die Parallele 2, 8 יולה תירב םתחש und Nehemia 13, 29: הנוהכה תירב ילאג. V. 3, 1 ולכיה לא אובי םאתפו bedeutet: er wird in seinen Palast kommen, nicht in seinen Tempel. Daß Maleachi nicht andere Vergehungen, wie die Sabbatentweihung rügt, beweist nicht gegen diese Annahme, denn offenbar ist das Buch defekt. Es schließt mit einer Dissonanz, mit einer Androhung, was von keinem Propheten geschehen ist, sondern sämtliche sprachen zuletzt tröstend und beruhigend. – Zu V. 2, 11 ללח 'ה שדק הדוהי muß man ergänzen שדק ערז wie Esra 9, 2. In V. 2, 14 הב התדגב liegt nicht deutlich das Verstoßen judäischer Frauen. Denn דגב hat nur die Bedeutung: die Pflicht gegen die Frau nicht erfüllen (Exodus 21, 8). Offenbar ist die Rüge gegen die erneuerten Mischehen zunächst gegen die Ahroniden gerichtet, was aus V. 2, 12b folgt. – V. 2, 15-16 sind durchaus dunkel und bisher noch nicht befriedigend erklärt. Es liegt am Texte.


95 Vergl. Monatsschrift, Jahrg. 1875, S. 1 f.


96 Maleachi 1, 1-5. LXX haben zu V. 2 einen Zusatz: ϑέσϑε δὴ ἐπὶ καρδίας ὑμῶν, d.h. םכבל לע ומיש, eine Redeweise, die Maleachi auch sonst gebraucht 2, 2. V. 4 ונששר ist wohl in ונשרג zu emendieren.


97 Nehemia 13, 6. Wie lange Nehemia abwesend von Jerusalem war, ist daselbst nicht angegeben; bei ץקלו םימי scheint die Zahl der Jahre zu fehlen. Indessen muß wohl die Abwesenheit mehrere Jahre gedauert haben, da während dieser Zeit nicht bloß Mischehen stattgefunden, sondern die aus solchen Ehen geborenen Kinder die Sprache der Mutter erlernt hatten nach 13, 24. Da Artaxerxes im Jahre 424 starb, so kann er nur in dessen letztem 4. oder 5. Jahre zurückgekehrt sein.


98 Nehemia 13, 7-8.


99 Folgt aus V. 13 das.


100 Das. V. 11-13.


101 Folgt aus V. 14 das. und 30b.


102 Das. V. 28 wird mit Recht mit der von Josephus referierten Tatsache von Manasses Verheiratung mit Sanballats Tochter (Altert. XI, 7, 2; 8, 2) in Verbindung gebracht. Auch diese Relation hat Josephus wohl aus Ezr. Apecr. Aber entweder er oder seine Quelle hat aus der Namenähnlichkeit den Hohenpriester עדיוהי mit dessen Enkel עידי verwechselt; daher setzte er diesen Vorgang unter den letzten und beging dadurch den Anachronismus, Sanballat noch unter dem letzten Darius und Alexander leben zu lassen, ein Jahrhundert nach Nehemia. Die von einigen behauptete Ausgleichung durch die Annahme von zwei Sanballat ist ein schlechter Notbehelf. Die Vorgänge, die Josephus von Manasse, Sanballat, der Errichtung des Tempels auf Gerisim erzählt, muß man durchaus unter Jojada und nicht unter Jaddua setzen. Der Ausdruck in Nehemia טלבנסל ןתח... עדיוי ינבמו bezeichnet nicht gerade einen Sohn Jojadas; es kann eben so gut sein Enkel gewesen sein. Josephus bezeichnet Manasse als Bruder Jadduas (das. 8, 2), d.h. als Sohn Jochanans und Enkel Jojadas.


103 Josephus Altert. XI, 8, 2.


104 Nehem. 13, 19.


105 Das. V. 23f.


106 Das. 13, 25f.


107 Neh. 13, 15f.


108 Es wird von allen Forschern zugegeben, daß der größte Teil des Buches Nehemia aus einer Denkschrift stammt, die Nehemia selbst angelegt. Er spricht auch meistens von sich selbst in der ersten Person, und da er seine Verdienste hervorhebt 5, 19; 13, 14. 22b. 31b. und Tadel ausspricht, nicht bloß gegen Sanballat und Genossen 3, 36; 6, 14, sondern auch gegen diejenigen, die es mit ihnen hielten das. und besonders gegen die Schänder des Priestertums 13, 29, so kann diese Schrift recht gut als Rechtfertigungsschrift angesehen werden. Die Relation Makkab. II, 2, 13, daß Nehemia eine Büchersammlung angelegt, woraus dann geschlossen wurde, daß er eine Kanonsammlung angelegt habe, ist durchaus ungeschichtlich. Vergl. Graetz, Kohéle S. 152f.



Quelle:
Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Leipzig [1902], Band 2.2, S. 156.
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