[46] Nach der Angabe der Eponymenchronik hat Sargons Sohn Sanherib94 am 12. Ab (August) 705 den Thron bestiegen. Von Maßregeln, zu denen der Tod des Vaters Anlaß gegeben hätte, erfahren wir nichts, wohl aber gab er das Signal zu einer neuen Erhebung in Babylonien. Auch hier hatte Sanherib das Königtum übernommen; aber alsbald kam es zu Aufständen, und binnen kurzem kehrte Mardukbaliddin, von Šutruknachundi unterstützt, aus Elam zurück und gewann aufs neue die Herrschaft über Babel95. [46] Aus den aramäischen und chaldäischen Stämmen und den Beduinen brachte er ein großes Heer zusammen, mit dem er bei Kuta und Kiš Stellung nahm; aber er wurde im J. 703 völlig geschlagen und entfloh in die Marschen im Süden, seine Schätze und sein Harem wurden Beute des Siegers. Über die aufständischen Gebiete ergoß sich von neuem ein schweres Strafgericht, nicht weniger als 208000 Menschen behauptet Sanherib mitsamt ihrem Vieh gefangen fortgeführt zu haben. Das Königtum über Babel selbst wieder zu übernehmen hat er verschmäht; statt dessen hat er wie zum Hohn einen jungen am Hof von Assur aufgewachsenen Babylonier Bel-ibni als König von Sumer und Akkad eingesetzt.
Im nächsten Jahre ist Sanherib in die östlichen Gebirge gezogen, hat versucht, die Kossäer seßhaft zu machen, hat Ellip verwüstet und den Tribut weiterer medischer Häuptlinge, »von denen keiner meiner Vorfahren gehört hatte«, entgegengenommen. Inzwischen aber war im Westen ein großer Aufstand ausgebrochen. Der Anstoß kam auch diesmal wieder von Ägypten. König Sabako war um diese Zeit gestorben, sein Sohn Šabataka (Sebichos bei Manetho) an seine Stelle getreten; aber der eigentliche Leiter des Staats war ein Äthiope, dessen Schwester dem Harem des Königs angehört hatte96, Taharqa97. Aus einer nur ganz lückenhaft [47] erhaltenen Inschrift98 erfahren wir, daß er im Alter von 20 Jahren Napata verließ, um den König – das kann nur Sabako sein – auf seinem Zuge ins Nordland zu begleiten, und daß er seine Mutter, offenbar eine Negerin, erst nach langen Jahren wiedergesehen hat, als er König geworden war. Nun nennt das Königsbuch ihn beim Zuge gegen Sanherib zur Zeit Ḥizqias »König von Kuš«. Das ist er freilich damals, im J. 701, nicht gewesen, sondern hat sich nach den hier durchaus zuverlässigen ägyptischen Daten (vgl. Bd. II 2, 56.) erst im J. 689 zum Pharao gemacht; aber mit Unrecht hat man deshalb diesen Bericht als ungeschichtlich verworfen, vielmehr wird er tatsächlich in dieser ganzen Zeit der Regent und Heerführer gewesen sein, so daß es durchaus begreiflich ist, daß der Verfasser ihm bereits diesen Titel gibt99.
Der neue Aufstand ergab sich zwangsläufig aus der gesamten Weltlage. Daß der Staat am Nil, wenn er überhaupt noch etwas bedeuten wollte, die Herrschaft der Assyrer über Palästina und Phönikien nicht dulden konnte, sagte sich jeder Politiker; der Tod Sargons, zumal wenn er mit einer Niederlage verbunden war, und die Erhebung Mardukbaliddins in Babylonien ließen die Lage günstig erscheinen. So haben Eluläos von Tyros und mehrere Philisterstädte und vor allem der König Ḥizqia von Jerusalem die Tributzahlung an Assyrien eingestellt.
Während das Reich von Samaria durch die Assyrer vernichtet [48] wurde, verdankte Juda seine Erhaltung dem Schutz, den ihm Tiglatpileser gewährt hatte, und fristete seine Existenz während der nächsten Jahrzehnte unter den Königen Achaz und Ḥizqia100 durch regelmäßige Tributzahlung nach Assur; auch die Katastrophe Israels hat Juda ungefährdet überstanden; denn in den Grenzgebieten haben die Assyrer es in derselben Weise wie später die Römer vorgezogen, kleine Vasallenstaaten zu erhalten101. So konnte es scheinen, als ob sich hier der Rest Israels, aus dem nach Hoseas Verkündung Jahwe dereinst sein Volk wieder aufbauen [49] werde, wirklich dauernd erhalten habe, wenn es auch zunächst noch eine Epoche der Heimsuchung und Läuterung unter der assyrischen Herrschaft durchmachen mußte.
Die Gedanken des Amos und Hosea hat hier in Juda, wenige Jahre nach ihrem Auftreten, Jesaja übernommen, der sich im Todesjahr des Königs 'Azarja, um 740 v. Chr., durch eine Vision im Tempel von Jerusalem zum Propheten berufen fühlte. Auch er weiß, daß er dem verstockten Volke, das auf Jahwe nicht hören will, fortdauernd Verheerung und Verbannung verkünden muß102. Aber zugleich hat er dem Gedanken des Hosea dadurch Ausdruck gegeben, daß er, auch darin dem Vorbild Hoseas folgend, seinem Sohn den symbolischen Namen Šear-jašûb »Rest-wird-umkehren«103 gab; darauf hinzuwirken, aus dem bekehrten Rest ein neues Israel aufzubauen, bildet trotz aller Schilderungen der bevorstehenden Zerstörung doch den eigentlichen Inhalt seiner Mahnreden. Als im J. 734 Peqach und Reṣôn gegen Jerusalem zogen, ist er in Begleitung des Knaben dem König Achaz entgegengetreten, um ihn zum Vertrauen auf Jahwes Schutz zu mahnen104. Es ist sehr begreiflich, daß der König das Angebot eines Vorzeichens als Versuchung Jahwes ablehnte und es vorzog, sich um Hilfe[50] an Assyrien zu wenden. Für Jesaja sind alle politischen Erwägungen Abfall von Jahwe; doch mit der Verkündung des kommenden Unheils verbindet er die Verheißung einer glänzenden Zukunft. Allerdings werden die Tage furchtbarster Verheerung durch die Assyrer kommen; aber schon wird aus der Wurzel Isais ein Knabe, 'Immanu-el »Gott mit uns«, geboren, der, erfüllt vom Geiste Jahwes und von richtiger Erkenntnis, die Segnungen der Zeit Davids in gesteigertem Maße wiederbringen und ein ewiges Reich der Gerechtigkeit und des Friedens aufrichten wird; da wird auch die Herrschaft der Assyrer zugrunde gehen, die Jahwe gegenwärtig noch als Zuchtrute für sein sündhaftes Volk verwendet. Diese Schilderung übernimmt das Schema der Prophezeiungen, die in der ägyptischen Literatur bei allen schweren Krisen auftreten und zunächst Fremdherrschaft und Verwüstung, Umsturz aller religiösen, sittlichen und sozialen Zustände verkünden und dann das Auftreten eines göttergeliebten Königs, der siegreich heimkehrt und die göttliche Ordnung des Staates wiederherstellt105. Diese Erzählung hat, wie so manches ägyptische Gut, in Juda Eingang gefunden; Jesaja hat sie aufgenommen und mit den Verkündungen des Amos und Hosea verbunden, die er vollständig und zum Teil geradezu wörtlich übernimmt. Damit hat er ein neues Element in das Zukunftsbild eingefügt, das seinen Vorgängern noch fremd ist106. Die Ausgestaltung ist ganz sein Werk. Der gerechte, vom Gottesgeist geleitete Herrscher wird nicht nur allen Menschen den Frieden bringen und aller Gewalttat ein Ende machen, sondern auch die Tierwelt wird ihren Charakter ändern, Löwen und Wölfe werden friedlich mit Kälbern und Lämmern zusammen weiden, kleine Kinder mit den Giftschlangen spielen.
[51] Diese Schilderung ist weltgeschichtlich von gewaltigster Wirkung geworden; der Glaube an den »Gesalbten Jahwes«, den Messias107, der die weltlichen Reiche stürzen und an ihrer Stelle das Gottesreich und die Weltherrschaft Israels aufrichten wird, beherrscht das gesamte Judentum und ist die Wurzel des Christentums. Dadurch ist Jesaja zu der populärsten Gestalt unter den Propheten geworden108. In Wirklichkeit jedoch ragt er an einen Amos und Hosea nicht heran; er übernimmt ihre Gedanken vielfach sogar wörtlich (so 1, 10ff.), ohne sie eigentlich weiterzubilden. Von Amos, der die Benennung als Prophet ablehnt, unterscheidet er sich dadurch, daß er von Beruf Prophet ist und diese Stellung vier Jahrzehnte lang eingenommen hat109. Daß er gelegentlich Visionen gehabt hat, wird man nicht bezweifeln; aber in der Regel tragen seine Äußerungen einen stark reflektierten und gekünstelten Charakter, dem die Überzeugungskraft fehlt. Es kommt hinzu, daß uns nur sehr wenige Äußerungen zuverlässig überliefert sind; wenn auch er, woran kaum zu zweifeln ist, in derselben Weise wie Amos und Hosea seine Worte zusammengestellt und literarisch überarbeitet hat, so sind uns davon nur Bruchstücke und Auszüge erhalten, die wieder mit zahlreichen Zusätzen aus späterer Zeit durchsetzt sind110.
[52] Beim Angriff der Aramäer und Samaritaner im J. 734 erwartete Jesaja das Eingreifen Jahwes und das Erscheinen des Messias als unmittelbar bevorstehend (7, 16. 8, 4; ebenso 10, 25. 29, 17). Die durch Achaz getroffene Entscheidung, die Herrschaft der Assyrer und den Untergang Samarias hat Jesaja als unabänderlich hingenommen, und er hat im J. 711 die Bestrebungen bekämpft, im Bunde mit Ašdod und den Äthiopen die Fremdherrschaft abzuschütteln; doch die Weltwende, die unmittelbar darauf folgen sollte, blieb aus. Wohl aber wurde das Vertrauen Judas auf seinen Gott und seine Zukunft bedeutsam gesteigert: ihm waren die Erbschaft Israels und seine Traditionen zugefallen, sein Tempel auf dem Ṣion stand unversehrt, während all die weit älteren und durch die Legende verklärten Heiligtümer Israels zerstört waren; so durfte man vertrauen, daß hier der Jahwe der Heerscharen wirklich dauernd seinen Sitz genommen habe und daß seine Verheißungen sich hier wirklich erfüllen würden. Die religiöse Stimmung steigerte und vertiefte sich. Wenn König Achaz, um seine Frömmigkeit zu betätigen, den alten Altar im Tempel durch einen in modernem, aus Damaskus übernommenem Stil ersetzt hatte, so ist sein Sohn Ḥizqia den fortgeschrittenen Anschauungen entgegengekommen und hat aus dem Tempel ein ehernes Schlangenbild (Nechuštan) beseitigt, dem man räucherte, weil es bei Schlangenbissen Heilung gewährte; die alte Zeit hatte es unbedenklich auf Moses zurückgeführt, jetzt aber erschien es als Sitz eines Dämons, den Jahwe neben sich nicht dulden konnte111. [53] Da wird es begreiflich, daß beim Tode Sargons der Gedanke Eingang gewann, jetzt werde Jahwe einer Erhebung gegen Assyrien Erfolg gewähren. Das Königsbuch bewahrt die Nachricht, daß Mardukbaliddin von Babel an Ḥizqia eine Gesandtschaft mit Geschenken schickte; offenbar im J. 703, als er die Herrschaft wiedergewonnen hatte und um Hilfe gegen Sanherib warb112. Daß Ḥizqia die Seele der Erhebung gegen Assyrien war, läßt Sanheribs Bericht deutlich erkennen. Nach dem Königsbuch »schlug er die Philister bis nach Gaza hin«113; Sanherib erzählt, daß die Magnaten von 'Aqqaron ihren König Padî, der zu Assyrien hielt, in Ketten legten und an Ḥizqia auslieferten. Askalon unter König Ṣidqâ, dem auch Joppe und andere Orte gehörten, nahm am Aufstande teil. Noch wichtiger war natürlich, daß das mächtige Tyros unter Eluläos sich erhob. Dazu kam die Verbindung mit Taharqa; so konnte man hoffen, auch die übrigen Kleinstaaten zu gewinnen.
Indessen auch diesmal reichten die Kräfte der Empörer nicht aus. Als Sanherib 701 in Phönikien einrückte, fielen alle Orte des Festlandes, Sidon und Akko voran, von Tyros ab. Ein Angriff auf die Seefestung wurde allerdings von der tyrischen Flotte abgeschlagen; aber vom Festland aus wurde Tyros blockiert, fünf Jahre lang, so berichten die tyrischen Annalen, konnten die Bewohner ihr Trinkwasser nur aus Zisternen holen. König Eluläos war nach Cypern geflüchtet und dort gestorben. Dann scheint ein Friede geschlossen worden zu sein, in dem Tyros unter König Ba'al sich wieder zur Tributzahlung verpflichtete, aber einen Teil seines Gebiets zurückerhielt; in Sidon dagegen wurde Tuba'al (d.i. Itoba'al) als König eingesetzt114.
[54] Die Folge war, daß alle kleineren Dynasten sich beeilten, ihre Tribute zu bringen. Ṣidqâ von Askalon wurde gefangen, seine Städte bezwungen. Als Sanherib dann 'Aqqaron angriff, kam, so erzählt er, das Heer des Äthiopenkönigs nebst den ägyptischen Truppen den Belagerten zu Hilfe, wurde aber bei Elteqe am Fuß des Gebirges Juda in die Flucht geschlagen und darauf auch 'Aqqaron genommen und die Urheber des Aufstandes bestraft. Die Zuverlässigkeit dieser Angaben zu bezweifeln, wie das oft geschehen ist, liegt gar kein Grund vor. Auch das wird völlig richtig sein, daß Sanherib den gefangenen König Padî aus Jerusalem herausholte und wieder in 'Aqqaron einsetzte; Ḥizqia, der sah, in welche Lage er geraten war, wird sehr bereit gewesen sein, ihn freizugeben, wenn er dadurch einen erträglichen Frieden erhalten konnte.
Indessen Sanherib verlangte mehr; er wollte die starke Festung, die das Gebirge beherrschte, in seine Gewalt bringen und dem Reich und Volk Juda ein Ende machen. Hier setzt der jüdische Bericht ein: von Lakîš aus, wo er sein Heerlager aufgeschlagen hatte – ein Relief seines Palastes zeigt ihn, wie er hier, auf dem Thron sitzend, die Vorführung der Beute und der Gefangenen entgegennimmt –, schickte er eine Heeresabteilung nach Jerusalem, um durch Verhandlungen die Übergabe der Stadt zu erreichen. Die Heerführer stellten den Beamten Ḥizqias vor, wie unmöglich der Widerstand, wie töricht das Vertrauen auf Ägypten sei, »diesen geknickten Rohrstab, der dem, der sich auf ihn stützt, durch die Hand fährt«. Die jüdischen Beamten bitten sie, das Gespräch aramäisch – in der Diplomatensprache dieser Zeit – zu führen, damit das Volk sie nicht verstehe; aber der Rabšaqe, der Führer der Gesandtschaft, ruft mit lauter Stimme[55] den Mannschaften zu, die auf der Mauer stehen, sie sollten sich doch nicht durch Ḥizqia und den Wahn, Jahwe werde sie retten, betören lassen; Jerusalem werde ebensowenig durch seinen Jahwe gerettet werden, wie Ḥamât, Arpad, Samaria und all den anderen Städten ihre Lokalgötter, auf die sie trauten, hatten helfen können. Vielmehr entbiete ihnen der König von Assur, sich ihm zu fügen und aus der Stadt herauszukommen; dann würden sie sich mit den Früchten und dem Wasser ihrer Grundstücke ernähren können, »bis daß ich komme und euch in ein Land führe, das dem euren gleicht, mit Getreide und Wein, Öl und Honig, und ihr lebt und nicht sterbet«. Diese Erzählung115 gibt die Auffassung und die Absichten des Assyrerkönigs so zutreffend und anschaulich wieder, daß man kaum begreift, wie ihre Zuverlässigkeit bezweifelt werden konnte.
Das jüdische Heer hat der Verlockung widerstanden und nicht geantwortet, und auch Ḥizqia selbst ist standhaft geblieben; und dieser Entschluß, auszuharren, hat sich gelohnt. Wie der Verlauf im einzelnen gewesen ist, läßt sich nicht feststellen. Sicher ist, daß Jerusalem nicht in die Hände der Assyrer fiel. Sanherib sagt, daß er 46 befestigte Ortschaften des Ḥizqia eingenommen, 200150 Menschen aus ihnen als Gefangene herausgeführt und ihn selbst in Jerusalem wie einen Vogel im Käfig eingesperrt und belagert habe. Aber daß er die Stadt eingenommen habe, kann er nicht erzählen, sondern nur, daß Ḥizqia schließlich Angst bekam, den Widerstand aufgab116 und ihm einen schweren Tribut nebst Kostbarkeiten aller Art sowie seinen Töchtern nach Ninive nachschickte. Ähnlich berichtet eine kurze Notiz im Königsbuch, daß Ḥizqia dem Sanherib in Lakîš seine Unterwerfung anbot und aus Palast und Tempel alles Gold und Silber zusammenscharrte, um [56] den Tribut zu zahlen117. Daneben aber steht die Erzählung, daß, der Verkündung Jesajas entsprechend, der Mal'ak Jahwes bei Nacht im Lager der Assyrer 185000 Mann erschlägt, so daß Sanherib nach Ninive zurückkehren muß. Ferner existiert die Version, daß er infolge einer Nachricht, wie es scheint vom Anrücken Taharqas, den Krieg aufgibt118. Die gleiche Erzählung hat Herodot in Ägypten erhalten: nach dem Äthiopen Sabako wird ein frommer Ptaḥpriester Sethos König Ägyptens, der sich mit dem Kriegerstande verfeindete. Als nun Sanacharibos, »König der Araber und Assyrer«, gegen Ägypten heranzog, weigern sie sich, ins Feld zu ziehen, so daß Sethos sich verzweifelt an das Gottesbild wendet. Aber im Traum verheißt ihm die Gottheit Hilfe; und als er nun mit einem Aufgebot von Handwerkern und Krämern bei Pelusium lagert, überfällt ein Schwarm von Feldmäusen bei Nacht das feindliche Heer und zernagt die Bogen und alles Lederzeug, so daß die Feinde am nächsten Tage unter schweren Verlusten fliehen müssen.
Danach wird der Hergang der gewesen sein, daß Sanherib, als der Versuch, Jerusalem zur Ergebung zu bringen, gescheitert ist, die Belagerung begonnen und zugleich alle Landorte erobert hat. Aber die starke Festung, deren Widerstandskraft weiter dadurch gesteigert war, daß Ḥizqia die Wasser der Quelle Gîchon (der Marienquelle im Tal des Qidron) durch einen großen Felstunnel in die Stadt geleitet hatte119, hat er sowenig bezwingen können wie Tyros. Inzwischen rückte Taharqa aufs neue zum Entsatz heran120; und jetzt ist das assyrische Heer durch eine Epidemie aufgerieben worden, die von der jüdischen wie von der ägyptischen [57] Sage ganz deutlich bezeichnet, wird121. Von einem Erfolg Taharqas kann keine Rede sein; vielmehr sind zwei Jahrzehnte vergangen, ehe er wieder in Asien einzugreifen versuchte. Die Erhebung war völlig gescheitert, die assyrische Herrschaft neu gefestigt. Auf die Eroberung Jerusalems hat Sanherib jedoch verzichtet und daher den Ḥizqia in derselben Weise zu Gnaden angenommen wie Tyros; aber Ḥizqia mußte dauernd einen schweren Tribut zahlen, und von seinem Gebiet wurden große Stücke abgeschnitten und an die Könige von Ašdod, 'Aqqaron und Gaza verteilt.
In der jüdischen Überlieferung ist die Gestalt des Jesaja eng mit diesen Vorgängen verflochten. Indessen der geistige Führer des Widerstandes ist er keineswegs gewesen; vielmehr ist er dem Vertrauen auf ägyptische Hilfe jetzt ebenso nachdrücklich entgegengetreten wie im J. 711 und sieht in dem Bunde, den man gegen das von ihm verkündete Wort Jahwes mit dem Pharao geschlossen hat, nur menschlichen Eigenwillen, der sich gegen Gott empört122. Allerdings hält er an dem Glauben fest, daß in Zukunft, vielleicht schon ganz bald, Jahwe plötzlich eingreifen und der assyrischen Gewaltherrschaft ein Ende machen und daß er dann aus dem bekehrten Rest ein neues Israel erwecken wird; aber nur durch ihn selbst kann das geschehen, nicht durch Menschenschwert (31, 8). So weit ist er nicht gegangen wie sein Zeitgenosse Micha, der offen als Wort Jahwes verkündet hat, daß Jerusalem ein Trümmerhaufe und der Tempelberg Ṣion ein Ackerfeld werden solle123; vielmehr hat er im Grunde wohl immer an dem [58] Vertrauen festgehalten, daß Jerusalem und sein Tempel, in dem er selbst Jahwe auf seinem Thron erblickt hat, als er ihn berief, dauernd bestehen bleiben werden. Aber in den Sprüchen, die aus dieser Zeit stammen, verkündete er seinem Volk nur Unheil und Strafgericht. Trotzdem wird es richtig sein, daß er, wie die Geschichtserzählung berichtet, dem Ḥizqia, als dieser sich in der Not an ihn wandte, ein Rettung verheißendes Orakel gegeben hat. Doch in die Sammlung seiner Reden ist es nicht aufgenommen, und von entscheidender Bedeutung ist nicht seine Persönlichkeit und sein Eingreifen geworden, sondern der durch unerwartete Ereignisse herbeigeführte Abzug der Assyrer.
Auf die Stimmung der Masse freilich hat dieser Ausgang stark gewirkt124; er bewies, daß das Vertrauen auf Jahwe gerechtfertigt war: Jahwe hatte sein Volk in schwerster Bedrängnis erhalten und anders als in Samaria die Vernichtung abgewehrt; er saß also wirklich im Tempel auf dem Ṣion. Den reformatorischen Bestrebungen freilich und der ethischen Umgestaltung von Religion und Leben, die Jesaja gefordert hatte, kam das nicht zugute, wohl aber der populären Auffassung des Kultus. Als um 697 auf Ḥizqia sein Sohn Manasse, ein Knabe von 12 Jahren, folgte, gelangte die Reaktion gegen die Tendenzen der Propheten zu voller Herrschaft. Die alten Kultformen werden festgehalten und gemehrt, das Himmelsheer, an dessen Spitze Jahwe steht, wird jetzt, nach assyrisch-babylonischem Vorbild, in den Sternen gesucht, im Tempel ein mit Rossen beschirrter Sonnenwagen gehalten, auf dem Dach und den Höfen weitere Altäre aufgestellt. Die sakrale Prostitution beider Geschlechter wird eifrig weiter getrieben, und daneben findet die Opferung des Erstgeborenen auf der Brandstätte vor Jerusalem immer weitere Verbreitung. Daß es darüber zu Konflikten kam und daß Manasse »unschuldiges Blut in Strömen vergossen hat«, ist durchaus begreiflich. Im übrigen fehlt uns [59] aus den beiden nächsten Generationen jede Kunde; daß man an Empörung nicht wieder denken konnte und Manasse seinen Tribut regelmäßig geliefert hat, ist selbstverständlich125.
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