Verbrechen gegen den Frieden.

[356] Während der 15 Jahre seiner Befehlsführung baute Raeder die deutsche Kriegsmarine auf und leitete sie; er übernimmt volle Verantwortung bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1943. Er gibt zu, daß die Marine den Versailler Vertrag verletzte, besteht aber darauf, daß es »die Ehrensache eines jeden Mannes« war, dies zu tun, und behauptet, daß die Verletzungen meistenteils unbedeutend waren, und daß Deutschland weniger als die ihm zustehende Stärke baute. Diese Verletzungen, sowie die des englisch-deutschen Flottenabkommens vom Jahre 1935 sind schon an einer anderen Stelle dieses Urteils behandelt worden.

Raeder empfing durch von Blomberg die Weisung, vom 24. Juni 1937, die Sondervorbereitungen für einen Krieg gegen Österreich anordnete. Er war einer der fünf Führer, die bei der Hoßbach-Konferenz vom 5. November 1937 zugegen waren. Er behauptet, daß Hitler durch diese Konferenz das Heer nur zu einer schnelleren Aufrüstung anspornen wollte, besteht darauf, daß er des Glaubens war, daß die österreichische und die tschechoslowakische Frage friedlich gelöst werden würden, wie es auch geschah, und verweist auf das neue Flottenabkommen mit England, das damals gerade unterzeichnet worden war. Es seien ihm keine Befehle für eine Beschleunigung des U-Bootbaues zugegangen, was bedeutete, daß Hitler keinen Krieg plante.

Raeder erhielt Weisungen zum »Fall Grün« und zum »Fall Weiß«, beginnend mit der Weisung vom 3. April 1939; die letztere gab der Marine die Anweisung, das Heer durch das Eingreifen von der See her zu unterstützen. Er war auch einer der wenigen Hauptführer, die bei der Konferenz vom 23. Mai 1939 anwesend waren. Er war ferner bei der Befehlserteilung vom 22. August 1939 auf dem Obersalzberg zugegen.

Der Entwurf der Invasion Norwegens entstand zuerst in Raeders Kopf, und nicht in dem Hitlers. Obwohl Hitler, wie aus seiner Weisung vom Oktober 1939 hervorgeht, wünschte, Skandinavien neutral zu halten, unterzog die Marine die Vorteile der dortigen Flottenstützpunkte schon im Oktober einer Prüfung. Admiral Carls [356] lenke die Aufmerksamkeit Raeders zuerst auf die günstigen Seiten von Stützpunkten in Norwegen. Ein Fragebogen vom 3. Oktober 1939, der Ansichten über die Erwünschtheit solcher Stützpunkte einforderte, machte in der Seekriegsleitung die Runde. Am 10. Oktober besprach Raeder diese Angelegenheit mit Hitler; die Eintragung in seinem Kriegstagebuch für diesen Tag besagt, daß Hitler beabsichtigte, diese Angelegenheit in Erwägung zu ziehen. Einige Monate später sprach Hitler mit Raeder, Quisling, Keitel und Jodl; das Oberkommando der Wehrmacht begann mit seiner Planung, und die Seekriegsleitung arbeitete mit Stabsoffizieren des OKW zusammen.

Raeder erhielt Keitels Weisung für Norwegen am 27. Januar 1940 und die von Hitler unterschriebene darauffolgende Weisung vom 1. März.

Raeder verteidigt seine Handlungen mit der Begründung, daß sie den Zweck verfolgten, den Engländern zuvorzukommen. Es ist unnötig, diese Verteidigung noch einmal zu besprechen, da sie der Gerichtshof bereits im einzelnen behandelt hat und zu der Schlußfolgerung gekommen ist, daß die Invasion Norwegens und Dänemarks eine Angriffskriegshandlung darstellte. In einem Schreiben an die Marine führte Raeder aus: »Die Kampfhandlungen der Marine bei der Besetzung Norwegens werden für alle Zeiten der große Beitrag der Marine zu diesem Kriege bleiben.« Raeder empfing die Weisungen für den Angriff im Westen einschließlich der Mitteilungen über unzählige Verschiebungen dieses Angriffes.

Bei einer Konferenz mit Hitler am 18. März 1941 drängte er auf die Besetzung ganz Griechenlands. Er behauptet, daß dies erst nach der englischen Landung dort geschehen sei und nachdem Hitler den Angriff bereits befohlen hatte. Er weist darauf hin, daß die Marine an Griechenland nicht interessiert war. Er empfing Hitlers Weisung über Jugoslawien.

Raeder versuchte Hitler von einem Angriffsunternehmen gegen die USSR abzubringen. Im September 1940 drängte er Hitler zu einer Angriffspolitik im Mittelmeer als Ersatz für einen Angriff auf Rußland. Am 14. November 1940 drängte er auf einen Krieg gegen England »als unseren Hauptgegner« und die Fortsetzung des Unterseeboot- und Marineflugzeugbaues. Nach Aufzeichnungen der deutschen Seekriegsleitung äußerte er »schwerwiegende Einwendungen gegen den russischen Feldzug vor der Niederlage Englands«. Er behauptet, daß seine Einwendungen auf der Verletzung des Nichtangriffspaktes sowie strategischen Gründen aufgebaut gewesen seien. Nachdem jedoch der Entschluß einmal gefaßt war, gab er 6 Tage vor dem Angriff auf die Sowjetunion seine Einwilligung zu Angriffen auf russische Unterseeboote in der Ostsee innerhalb eines festgesetzten Warnungsgebietes und verteidigt diese Maßnahmen[357] mit der Begründung, daß diese Unterseeboote die deutschen Unternehmungen »ausspionieren« wollten.

Dieses Beweismaterial zeigt klar, daß Raeder an der Planung und Führung eines Angriffskrieges teilnahm.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 356-358.
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