Vormittagssitzung.

[334] [Der Zeuge Eberstein im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Ja, Dr. Pelckmann.

RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sie hatten am Samstag gesagt, der beschuldigte Zeuge Rascher wäre zum Schluß im Konzentrationslager gewesen. Waren Sie eigentlich mit dieser Erledigung der Angelegenheit einverstanden?


VON EBERSTEIN: Nein, ich war der Auffassung, daß diese verbrecherischen Taten ihre gerichtliche Ahndung finden müssen.


RA. PELCKMANN: Wenn Sie diese Erledigung ohne formelles gerichtliches Verfahren nicht gebilligt haben, was konnten Sie noch dagegen tun, welche Konsequenzen hätten Sie ziehen können?


VON EBERSTEIN: Ich darf wiederholen, daß ich ununterbrochen reklamiert habe sowohl bei der Kommandostelle Himmler als auch durch Rückfragen beim Obersten SS- und Polizeigericht. Ich darf hin weisen auf die bindenden Bestimmungen der Kriegsstrafverfahrensordnung, nach der allein Himmler zuständig war. Es wäre mir nur mehr eine Beschwerde über Himmler bei Hitler übriggeblieben. Dies war bei den bestehenden Verhältnissen praktisch eine Unmöglichkeit. Weder eine mündliche noch eine schriftliche Beschwerde oder Berichterstattung meinerseits hätte Hitler je erreicht.

Dazu darf ich erklären, daß beispielsweise ich in meiner hohen sowohl staatlichen als auch parteipolitischen Stellung in neun Jahren meiner Amtstätigkeit in München nur ein einziges Mal zirka zehn Minuten zu Hitler gelassen wurde, weil er damals von mir einen Bericht über Absperrungsmaßnahmen gelegentlich einer großen Veranstaltung haben wollte; das war das einzigste Mal. Es wäre mir nur noch übriggeblieben, den Abschied zu nehmen. Dies wäre zweifelsohne auf Grund der bestehenden Bestimmungen nicht genehmigt worden. Die letzte Möglichkeit, die blieb, war, entweder einen schimpflichen Selbstmord zu begehen oder Gehorsamsverweigerung als Soldat – denn ich war General der Waffen-SS und durch meinen Fahneneid gebunden –, um dann vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden und schon damals in ein Konzentrationslager zu kommen.


RA. PELCKMANN: Sie sagten soeben, Herr Zeuge, Sie waren General der Waffen-SS gewesen. Bisher haben Sie dem Hohen Gericht nur gesagt, daß Sie Mitglied der Allgemeinen SS waren. Wann und aus welchem Grunde sind Sie General der Waffen-SS [334] geworden, obwohl Sie doch bis dahin mit der Waffen-SS überhaupt nichts zu tun hatten?


VON EBERSTEIN: Im Herbst 1944 wurde Himmler Oberbefehlshaber des Ersatzheeres. Mit der Übernahme dieser Dienstgeschäfte kam auch das Kriegsgefangenenwesen unter seine Befehlsgewalt. Himmler übertrug nunmehr an die Höheren SS- und Polizeiführer im Herbst 1944 die Verantwortung für die größere Sicherung der Kriegsgefangenenlager gegen Massenfluchten und Befreiungsversuche von außen. Zu diesem Zwecke wurden die Höheren SS- und Polizeiführer zu Höheren Kommandeuren der Kriegsgefangenen in den Wehrkreisen ernannt. Da nach den internationalen Bestimmungen über das Kriegsgefangenenwesen nicht Polizeikräfte zur Verwaltung eingesetzt werden dürfen, hat man die Höheren SS- und Polizeiführer in die Waffen-SS übernommen und zu Generalen der Waffen-SS ernannt.


VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre dem Gerichtshof angenehm, wenn der Zeuge etwas schneller sprechen würde.


RA. PELCKMANN: [zum Zeugen gewandt] Die Anklagebehörde wertet die Tatsache, daß Himmler im September 1944 als Oberbefehlshaber des Ersatzheeres auch Chef des Kriegsgefangenenwesens geworden ist dahin, das Kriegsgefangenenwesen sei nun eine Aufgabe der SS geworden. Ist das richtig?


VON EBERSTEIN: Das trifft nicht zu. Außer dem Höheren Kommandeur der Kriegsgefangenen, also der Person als solcher, hatte kein anderer SS-Angehöriger mit den Kriegsgefangenen etwas zu tun.


RA. PELCKMANN: Die Anklagebehörde behauptet weiter, daß durch die Übertragung dieser Kriegsgefangenenaufgaben an Himmler beziehungsweise an die Höheren Kommandeure der Kriegsgefangenen im Herbst 1944 die unmenschliche Behandlung und die Vernichtung alliierter Kriegsgefangener durch die SS systematisch gefördert wurde. Ist das richtig?


VON EBERSTEIN: Nein, denn es blieben für den inneren Dienst in den Lagern und die innere Verwaltung weiterhin zuständig die Lagerkommandanten der Wehrmacht. Die Aufgabe, die uns gestellt war, war eine Sicherungsaufgabe, die erst am Lagerrand begann. Im übrigen habe ich bei den Besuchen, die ich in den einzelnen Lagern gemacht habe, während des halben Jahres meiner Zuständigkeit, immer die Vertrauensmänner der Kriegsgefangenen persönlich gefragt, ob sie irgendwelche Klagen hätten. Es ist nicht eine einzige Klage dieser Art an mich gekommen von diesen Vertrauensleuten.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie als Höherer Kommandeur der Kriegsgefangenen ab Herbst 1944 irgend etwas mit dem Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen zu tun?


[335] VON EBERSTEIN: Nein. Der Arbeitseinsatz wurde geregelt von einem Arbeitseinsatzstab der Wehrmacht im Zusammenwirken mit den Landesarbeitsämtern beziehungsweise den Bedarfsträgern, die Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz benötigten. Der Höhere Kommandeur der Kriegsgefangenen war nicht damit befaßt.


RA. PELCKMANN: Hat sich ab Herbst 1944 etwas an Ihrer Zuständigkeit für die Konzentrationslager oder an Ihrer Unzuständigkeit für die Konzentrationslager geändert, wie Sie es am Samstag geschildert haben?


VON EBERSTEIN: Im Herbst 1944 wurde ebenso wie bei den Kriegsgefangenenlagern auch bei den Konzentrationslagern dem Höheren SS- und Polizeiführer die Verantwortung für die Sicherung der Lager nach außen übertragen aus den vorhin bereits erwähnten gleichen Gründen, im Hinblick auf die Aufrechterhaltung der Staatssicherheit.


RA. PELCKMANN: Ist also für die Einlieferung der Häftlinge weiterhin zuständig geblieben das Reichssicherheitshauptamt und für die Verwaltung der Lager die Amtsgruppe D des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Für Einweisung und Entlassung das Amt IV des Reichssicherheitshauptamtes und für die interne Lagerverwaltung die Inspektion der Konzentrationslager, die Amtsgruppe D des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes.


RA. PELCKMANN: Können Sie aus der letzten Phase des Krieges ein Beispiel dafür geben, wie schwer es für Sie infolge Ihrer beschränkten Zuständigkeit war, den Tod von Tausenden von KZ-Häftlingen zu verhindern?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Anfang März 1945 hat der Gauleiter und Reichsverteidigungskommissar Giesler in München mich zu sich befohlen und an mich das ungeheuerliche Ansinnen gestellt, ich möge auf den Kommandanten von Dachau dahingehend Einfluß nehmen, daß beim Herannahen der amerikanischen Truppen die Häftlinge – es handelte sich damals um 25000 Menschen – zu erschießen seien.

Ich habe diese Forderung entsetzt zurückgewiesen, vor allen Dingen zurückgewiesen mit dem Hinweis darauf, daß ich ja dem Kommandanten gar keine Befehle erteilen könne, worauf Giesler zu mir sagte, er würde dann als Reichsverteidigungskommissar dafür sorgen, daß das Lager von eigenen Luftstreitkräften zusammengeschossen würde. Ich habe ihm entgegengehalten, daß ich es für ausgeschlossen halte, daß irgendein deutscher Fliegerkommandant sich dafür bereitfinden würde, worauf Giesler sagte, er würde dann Sorge tragen, daß den Gefangenen etwas in die Suppe getan würde, also die Androhung einer Vergiftung. Es erschien mir Gefahr [336] im Verzuge, und ich habe aus eigenem Entschluß eine Anfrage gerichtet an die Inspektion der KZ-Lager, fernschriftlich, und um beschleunigte Herbeiführung einer Entscheidung Himmlers gebeten, was mit den Häftlingen im Falle des Herannahens der amerikanischen Truppen geschehen solle. Es kam kurz darauf der Bescheid, daß die Lager geschlossen an den Gegner zu übergeben seien. Das habe ich Giesler gezeigt, worauf er sehr derb war, weil ich seinen Plan durchkreuzt hatte und mich auf einen anderen Standpunkt stellte. Ich hatte noch einen weiteren Zusammenstoß bezüglich der Verteidigung Münchens, die völlig aussichtslos war. Acht Tage vor meiner Entlassung wurde der Wehrmachtsbefehlshaber hinausgeworfen, und am 20. April bin ich auch entlassen worden, das heißt meiner sämtlichen Ämter enthoben, und war damit ohne Kommandogewalt.


VORSITZENDER: Der Mann, von dem Sie sprechen, war der Gauleiter von welchem Gebiet, von welchem Gau?


VON EBERSTEIN: Von München-Oberbayern. Zugleich war der Gauleiter bayerischer Ministerpräsident und bayerischer Innenminister und Reichsverteidigungskommissar.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sie haben eben schon die verschiedenen Eigenschaften des Gauleiters Giesler geschildert. Hatte er nach der damaligen Struktur der inneren Verwaltung formell das Recht zu den Handlungen, die er beabsichtigte?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Der Reichsverteidigungskommissar konnte in allen Fragen der Landesverteidigung seinen Willen durchsetzen auf Grund der bestehenden reichsgesetzlichen Verordnungen für die Reichsverteidigungskommissare. Außerdem war der Mann, wie ich schon sagte, bayerischer Ministerpräsident und hatte auch als solcher die landesherrlichen Hoheitsrechte in seiner Person vereinigt.


RA. PELCKMANN: Da in einigen Plädoyers meiner Herren Mitverteidiger der Hauptangeklagten angedeutet worden ist, daß im Laufe des Krieges die SS – unter diesem Schlagwort ist es gesagt worden – die Regierung in Deutschland gestellt habe, wollen Sie bitte entwickeln, in wessen Händen nach Ihrer Meinung, nach Ihrer damaligen Erfahrung, in einer so hohen Position die Staatsgewalt von 1933 bis 1945 gelegen hat?


VON EBERSTEIN: Jedenfalls nicht in den Händen der SS. Im Kriege waren wesentliche Funktionen der Reichsgewalt in den Händen der Reichsverteidigungskommissare, die ja in alle Dinge sich einschalten konnten mit Ausnahme der Reichssonderverwaltung. Ich darf hinweisen auf die reichsgesetzliche Verordnung vom, ich glaube, 16. November 1942. Im übrigen wurden durch die Einflußnahme des Martin Bormann ja die Dinge im Inneren des Reiches [337] über die Gauleiter und Reichsverteidigungskommissare ziemlich einheitlich gesteuert. Die SS jedenfalls war zu keiner Zeit ein bestimmender Faktor. Die Allgemeine SS bestand ja, wie ich schon am Samstag ausgesagt habe, bereits gar nicht mehr im Lande. Und die Truppenteile der Waffen-SS standen am Feind.


RA. PELCKMANN: Noch eine Einzelfrage, Herr Zeuge: Wann und auf welche Weise haben Sie etwas davon erfahren, daß Angehörige der jüdischen Bevölkerung in Ihrem Bezirk nach dem Osten deportiert wurden?


VON EBERSTEIN: Ich glaube, im Jahre 1941 erfuhr ich durch einen Zufall, nämlich aus dem Bericht der Kriminalpolizei in München – aus dem Morgenbericht –, daß in einer Nacht, in der vorhergehenden Nacht, eine ganze Anzahl von Selbstmorden in München passiert waren. Mir fiel das auf als etwas ganz Ungewöhnliches. Ich habe daraufhin mir Klarheit zu schaffen versucht, indem ich den Leiter der Kriminalpolizei befragte, wieso es zu diesen – ich glaube, es waren sechs oder acht – Selbstmorden in einer Nacht gekommen sei. Er verwies mich an die Geheime Staatspolizei. Über den Leiter der Staatspolizei erfuhr ich, daß für den Tag der Abtransport von, ich glaube, einigen hundert jüdischer Einwohner aus München oder der Umgebung – ich weiß nicht, ob sie alle aus München waren – vorgesehen sei. Auf meine Frage, wohin dieser Transport ginge, wurde mir mitgeteilt, daß es eine Umsiedlung zum Zwecke des Arbeitseinsatzes im Osten sei, und zwar wurde mir glaubhaft geschildert, daß diese Züge bereits mit der Reichsbahndirektion festgelegt seien, daß die Auswahl der betreffenden Personen infolge einer Weisung des Reichssicherheitshauptamtes an die Geheime Staatspolizei im Einvernehmen mit der Israelitischen Kultusgemeinde vorher durchgesprochen worden sei. Die betreffenden Personen waren im Besitze von Geldbeträgen, von Lebensmittelkarten, von einem gewissen Umfang von Gepäck. Es waren bei den Zügen Waggons mit Schanzgeräten, also Spaten und Hacken und dergleichen. Das war das, was ich damals feststellen konnte.

RA. PELCKMANN: Wie kommt es, daß Sie auf diese Art und Weise von diesen Dingen erfahren haben? Hätten Sie nicht in irgendeiner Ihrer amtlichen Eigenschaften vorher davon unterrichtet werden müssen?


VON EBERSTEIN: Ich hätte benachrichtigt werden können, aber ich kann hier nur schildern, wie es tatsächlich gewesen ist.


RA. PELCKMANN: Bestand also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, eine Pflicht dieser Geheimen Staatspolizeistellen, Sie zu benachrichtigen, nicht?


[338] VON EBERSTEIN: Für die Geheime Staatspolizei zweifelsohne nicht; wohl für den Inspekteur der Sicherheitspolizei.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Sie haben versucht, in Beantwortung meiner Fragen darzulegen, daß Sie als Führer der Allgemeinen SS keine Verbrechen, wie sie die Anklagebehörde behauptet – ich habe einige Beispiele aufgezählt –, begangen haben, und daß auch die Mitglieder der Allgemeinen SS solche Verbrechen nicht begangen haben, so daß man also nach Ihrer Meinung nicht sagen könnte, die Allgemeine SS sei verbrecherisch gewesen.

Ich muß Ihnen aber nun vorhalten, daß in einer ausgedehnten Beweisaufnahme bewiesen wurde, daß verbrecherische Taten geliefert worden sind. Ich erinnere Sie an die Tausende von Toten in den Konzentrationslagern, an Tausende von Einsatzgruppen und Einsatzkommandos erschossener Juden im Osten, und ich erinnere Sie an die Massenvergasungen in Auschwitz.

Ich frage zunächst Sie, was haben Sie von diesen Dingen bis 1945 gewußt?


VON EBERSTEIN: Ich habe nichts gewußt. Ich war während des ganzen Krieges ununterbrochen in München, ohne Einsatz in den besetzten Gebieten. Von den grauenhaften Massenmorden und den Vergasungen habe ich in der Gefangenschaft gehört. Heute weiß ich, daß es einem Unberufenen und Nichteingeweihten unmöglich war, in die Geheimsphäre dieser Vernichtungslager einzudringen. Hinweise waren wohl hie und da vorhanden. In meiner amtlichen Eigenschaft habe ich ausländische Zeitungen, die beschlagnahmt waren, hie und da gelesen; aber da standen auch Dinge drin, die nach meiner Ansicht und nach unseren Erfahrungen nicht zutrafen. Infolgedessen hielt ich die Berichte über solche Greueltaten für einen Ausfluß der gegnerischen Propaganda. Feindsender habe ich nicht gehört, denn es war ja – wie dem Hohen Gericht bekannt ist – jedem Deutschen verboten, und da wir ja berufen waren, die Leute, die dieses Gesetz übertraten, zu bestrafen, so glaubte ich, das selber auch nicht tun zu dürfen. Was die Männer der Allgemeinen SS, also die große Masse der Leute anbetrifft, so waren sie nach meiner festen Überzeugung weder beteiligt an diesen grauenhaften Dingen, noch haben sie davon gewußt. Ich bin der festen Überzeugung, daß auf Grund des guten Vertrauensverhältnisses, das zwischen meinen Männern und mir bestand, diese sicherlich Fragen an mich gerichtet hätten; denn sie kamen ja, wenn sie von den Fronten auf Urlaub kamen, und besuchten mich. Sie hätten mich gefragt: Obergruppenführer, wissen Sie etwas von diesen Sachen, oder stimmt denn das? Nicht einmal hat mich einer dieser Männer in dieser Beziehung gefragt.


[339] RA. PELCKMANN: Wollen Sie auf Grund Ihrer Kenntnis der Organisation und der Tatsachen, die Sie nun nach dem Beginn des Prozesses gehört und nach dem Zusammenbruch erfahren haben, behaupten, daß die Masse der Mitglieder der Allgemeinen SS, für die Sie Zeuge sind, an diesen Verbrechen nicht beteiligt ist?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Ich habe auf Wunsch des Gerichts die Zeugenzahl hier auf ein Mindestmaß beschränkt, auf fünf Zeugen. Ich habe nur solche Zeugen hergerufen, die durch ihre hohe Stellung in der Organisation dem Gericht eine umfangreiche Auskunft über organisatorische, also Grundfragen geben können; aber ich muß Sie trotz Ihres hohen Ranges danach fragen, was eben die Masse dieser vielen unbekannten Tausenden von Mitgliedern der SS nach Ihrer Überzeugung gewußt hat, vorbehaltlich der Affidavits, Urkunden und sonstigen Beweise, die ich noch vorbringen werde.


VON EBERSTEIN: Wenn schon ich nichts trotz meiner Stellung und meines Überblickes in der Heimat – soweit es möglich war – wußte, so kann ich nur wiederholen, woher sollten die Männer das wissen, die an den Fronten standen, oder die paar Leute im Heimatgebiet. Das Grauenhafte, was dann nach der Katastrophe des Zusammenbruchs und der Kapitulation zum Vorschein kam in den Konzentrationslagern, kann ich mir persönlich nur erklären auf Grund der ganzen Umstände der letzen Monate in Deutschland, die völlige Kopflosigkeit, daß man Hunderttausende von Menschen in Bewegung gesetzt hatte, daß Tausende von Häftlingen aus den Randgebieten des Reiches zusammengedrückt wurden in den, wenigen Lagern, die noch vorhanden waren. Bei uns in Süddeutschland, in Dachau, war ein ununterbrochener Zustrom schon in den ganzen Wintermonaten. Es war eine Typhusepidemie entstanden, die erhebliche Todesopfer gefordert hat. Ich erfuhr das auch nur zufällig, und zwar deswegen, weil der Gauleiter und Reichsverteidigungskom missar Kräfte anforderte für Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen, und durch ein Telephonat mit dem Lagerkommandanten erfuhr ich, daß sie nicht gestellt werden könnten, weil Typhus sei. Dann später hörte ich in einer Unterredung, daß diese Epidemie erhebliche Opfer gefordert hatte. Es kam hinzu, daß die Eisenbahnverbindungen in den letzten Wochen unterbrochen waren, der Nachschub war völlig unterbunden. Hunger machte sich bereits sehr bemerkbar.

Der Kommandant hat mir auch gesagt auf meinen Vorhalt, es müsse doch möglich sein, die Epidemie zum Stehen zu bringen, daß keine Medikamente mehr vorhanden seien, da die Fabriken, die pharmazeutischen Fabriken, auch kaputt wären. So erkläre ich mir [340] die furchtbaren Bilder, die dann... die wir ja nun alle kennen, die auch uns hier gezeigt worden sind.

Jedenfalls hat die Masse der Leute der SS und auch andere Angehörige des deutschen Volkes gar nichts davon wissen können, weil ja keiner in die Lager hineinschauen konnte, und die SS, die Allgemeine SS, für die ich hier spreche, und auch die Waffen-SS hätte das ja gar nicht verhindern können.


RA. PELCKMANN: Zu dem Punkt, den der Zeuge erwähnt hat, die Geheimsphäre in den Konzentrationslagern und die Schwierigkeit, in diese Geheimsphäre einzudringen, verweise ich besonders auf den Inhalt der Affidavits Nummer 64 bis 67 und 69. Das sind Affidavits der SS-Richter, die sich mit diesen Dingen beschäftigt haben.

Ich habe keine Fragen mehr, Herr Präsident. Danke sehr.


MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Sie haben am Samstag abgestritten, daß die SS das Herz des Nationalsozialismus gewesen sei. Würden Sie mit mir übereinstimmen, daß sie die Faust gewesen ist?


VON EBERSTEIN: Ich bitte um Entschuldigung, ich habe es im Moment nicht genau verstanden.


MAJOR ELWYN JONES: Ich werde die Frage noch einmal wiederholen: Sie haben am Samstag abgestritten, daß die SS das Herz des Nationalsozialismus gewesen sei. Stimmen Sie mit mir überein, daß sie seine Faust war?


VON EBERSTEIN: Ich habe das Wort vor SS nicht verstanden, Herr Ankläger. Daß...


MAJOR ELWYN JONES: Es überrascht mich, daß Sie die Frage nicht verstehen können. Ich werde es nochmals versuchen und sie wiederholen.

Sie haben am Samstag abgestritten, daß die SS das Herz des Nationalsozialismus gewesen sei. Stimmen Sie mit mir überein, daß sie die Faust gewesen ist? Das: Die Faust.


[Er zeigt seine Faust.]


VON EBERSTEIN: Ich nehme an, daß der Herr Ankläger damit zum Ausdruck bringen will, daß wir mit dieser Faust einen Angriff geführt haben oder dergleichen. Ich kann nur darauf hinweisen, daß wir als Schutzstaffel den Schutz der führenden Persönlichkeiten hatten.

MAJOR ELWYN JONES: Was ich mit dem Wort »Faust« gemeint habe ist, daß die SS dem Nazismus die brutale Kraft verlieh. Stimmt das nicht?


VON EBERSTEIN: Ich kann nur auf das verweisen, was ich geschildert habe, daß wir vor 1933 eine ganz kleine Gruppe von Männern waren, die bis zum Jahre 1933 zirka 25000 bis 30000 [341] umfaßt hat in ganz Deutschland auf damals ungefähr 65 Millionen im Jahr 1933, und daß das in keinem Verhältnis stand zur Größe der Partei als solche; und nach 1933...


MAJOR ELWYN JONES: Sie antworten nicht auf meine Frage. Sie gehen da auf Einzelheiten ein, die für meine Frage nicht erheblich sind. Ich behaupte, daß die Ermordungen, die die SS am 30. Juni 1934 vorgenommen hat, ein typisches Beispiel für die Verwendung der SS als Faust des Nazismus gewesen ist.


VON EBERSTEIN: Die Ereignisse vom 30. Juni 1934 waren nach meiner und meiner Kameraden fester Überzeugung ausgelöst durch einen Staatsnotstand, und die Befehle, die gegeben wurden, sind befolgt worden auf Grund der Anordnungen des Staatsoberhauptes.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben am Samstag doch abgestritten, daß die SS irgendwelchen Anteil an den Erschießungen des 30. Juni 1934 gehabt hätte. Wollen Sie diese Aussage hier ernstlich vor dem Gerichtshof abgeben?


VON EBERSTEIN: Ich kann dazu nur sagen, daß in meinem Gebiet die Allgemeine SS in den Kasernen der Wehrmacht und Polizei war und nicht auf der Straße und auch nicht geschossen hat. Die Erschießungen...


MAJOR ELWYN JONES: Sie erklären also, daß es Wehrmacht und Polizei gewesen wären, die die Morde begangen hätten, daß es die Soldaten des Generals Keitel und der anderen gewesen wären, die die Erschießungen vorgenommen haben, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Ich habe weder diese beiden Namen genannt noch behauptet, daß die Wehrmacht die Erschießungen vorgenommen hat. Ich habe lediglich auf die Frage des Verteidigers geantwortet, warum ich glaubte, daß die Sache eine Staatsnotwendigkeit sei, was mich beeindruckt hat, daß ich unter anderem die Weisung bekam, mit dem Wehrkreisbefehlshaber mich in Verbindung zu setzen. Das heißt aber nicht etwa, daß die Wehrmacht Exekutionskommandos oder dergleichen stellen solle, sondern lediglich, um die Möglichkeit zu haben, mit der Genehmigung des Wehrkreisbefehlshabers Kasernenunterkünfte zu bekommen.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben das Lager Dachau häufig besucht, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Und Sie haben dort nichts gesehen außer guten Duschen, gutem Essen, befriedigenden sanitären Einrichtungen; es war ein Erholungsheim. Das war doch am Samstag Ihre Aussage über Dachau, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Ich darf feststellen, daß ich das Wort »Erholungsheim« nicht gebraucht habe. Ich habe einen Eindruck davon, [342] ich bin immerhin seit 1904 Soldat gewesen, wie es in einer Truppenunterkunft und in einem Lager aussehen muß, und ich kann nur wiederholen, daß peinlichste Sauberkeit geherrscht hat, daß die sanitären Einrichtungen, die ich gesehen habe, tadellos in Ordnung waren, daß die Häftlinge in Friedenszeiten einen ausgesprochen guten Ernährungszustand aufwiesen und deren Verpflegung, wie ich im Krieg gesehen habe, durchschnittlich dem annähernd war wie bei jedem Deutschen draußen auch. Ich kann das ja nur unter Eid sagen, was ich selbst mit eigenen Augen gesehen habe.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie jemals danach verlangt, die Strafzeiten zu sehen, die völlig dunklen Zellen, wo Leute drei Monate lang bei Wasser und Brot gehalten wurden?


VON EBERSTEIN: Ich kann mich erinnern, daß eine solche Führung durch das Lager auch durch ein Zellengefängnis gemacht wurde. Es war das zum Unterschied von den Baracken ein Steinbau...


MAJOR ELWYN JONES: Wenn Sie meine Fragen beantworten, werden wir schneller vorwärts kommen.


VON EBERSTEIN: Ja.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie jemals diese völlig dunklen Zellen gesehen?


VON EBERSTEIN: Ja, ich muß dazu feststellen, daß man an einer Gefangenenzelle von außen nicht sehen kann, ob sie dunkel ist. Die Zellen lassen sich natürlich verdunkeln wie bei jedem Gefängnis. Ich habe keine gesehen. Es ist mir aber als Polizeipräsident bekannt, daß man für widerspenstige Gefangene Zellen hat, die keine Fenster haben; aber ich habe solche nicht gesehen. Ich gebe ohne weiteres zu, daß solche Zellen dagewesen sein können.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie jemals verlangt, die Lagerbestimmungen für die Bestrafung von denjenigen Gefangenen zu sehen, die im Lager Vergehen begangen hatten?


VON EBERSTEIN: Nein, das habe ich nicht verlangt. Der Lagerkommandant hat bei den Führungen einen erschöpfenden Vortrag aus seinem Arbeitsgebiet gehalten. Ich war ja nicht befugt, vor diesen Gästen in seinen Apparat einzugreifen, von dem ich nichts verstand.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte, daß Sie sich anschauen, wie die Bestimmungen bereits am 20. Mai 1933 ausgesehen haben.

Es ist das Dokument, D-922, Euer Lordschaft, es wird Beweisstück GB-548.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es sind die Bestimmungen für das Lager Dachau, das sozusagen vor Ihrer Türe lag. In Paragraph 3 finden Sie die Strafen, die über die Gefangenen verhängt werden können.

[343] »Der Arrest ist gelinder, mittlerer oder strenger. Der Höchstbetrag der beiden ersteren Arten ist 8 Wochen, der des strengeren Arrestes ist 3 Monate. Der Vollzug der Arreststrafe erfolgt in der Regel in der Einzelhaft. Bei mittlerem Arrest erhält der Bestrafte eine harte Lagerstätte und als Nahrung nur Wasser und Brot. Der strenge Arrest wird in der gleichen Weise, wie in der mittleren, jedoch in vollkommen dunkler Kammer vollzogen.«

Wenn Sie sich Paragraph 8 der Bestimmungen ansehen, so werden Sie feststellen können, daß der Lagerkommandant von Dachau und sein Stab Gewalt über Leben und Tod hatten.

Und Paragraph 18 schreibt das Verfahren für diejenigen Fälle von Ungehorsam vor, bei welchen die Todesstrafe durch ein Lagergericht verhängt wird, das aus dem Lagerkommandanten, einem oder zwei vom Kommandanten dazu ernannten Offizieren und einem SS-Mann von der Wachmannschaft zusammengesetzt ist.

»Die Anklagebehörde wird ebenfalls von einem von dem Lagerkommandeur zu bestimmenden, der Lagerkommandantur angehörenden SS-Mann ausgeübt. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden des Lagergerichts. Vorsitzender ist der jeweilige Kommandeur des Lagers.«

Wußten Sie, Zeuge, daß den SS-Leuten, die diese SS-Lager leiteten, auf diese Art Gewalt über Leben und Tod gegeben wurde?

VON EBERSTEIN: Dieses Dokument hat weder einen Kopf noch eine Unterschrift. Ich bitte, das hier bemerken zu dürfen. Im übrigen habe ich die Bestimmungen nicht gesehen, Herr Ankläger.

MAJOR ELWYN JONES: Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie meine Frage beantworten würden. Wußten Sie, daß die SS-Männer, die diese Konzentrationslager leiteten, schon im Jahre 1933 Gewalt über Leben und Tod hatten?


VON EBERSTEIN: Das weiß ich nicht. Das kann ich mir auch nicht vorstellen; denn ich nehme schon an, daß Exekutionen von einer höheren Stelle angeordnet wurden. Ich habe aber darüber kein Sachverständigenurteil....


MAJOR ELWYN JONES: Sie waren aber während vieler Jahre Höherer SS- und Polizeiführer. Sie waren doch der Mann Himmlers, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Ich habe in meiner Aussage zu wiederholten Malen angeführt, daß die Höheren SS-und Polizeiführer, die Oberabschnittsführer der Allgemeinen SS und die Polizeipräsidenten auf die inneren Einrichtungen der Lager keinerlei Einfluß hatten, auch nicht die Vorgesetzten der Lagerkommandanten waren.


MAJOR ELWYN JONES: Ob Sie Einfluß gehabt haben oder nicht, waren Sie doch ein Vertrauter Himmlers, sein persönlicher [344] Vertreter. Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie die Einzelheiten der Mordorganisation Himmlers nicht kannten?


VON EBERSTEIN: Ich kann auf die mir vorgehaltene Strafbestimmung, aus der hier eine Gerichtsbarkeit hervorgeht, nur sagen, das sie mir nicht bekannt ist und daß auch Himmler nicht ein einziges Mal mit mir gesprochen hat über diese Dinge oder mir jemals eine Vorschrift über das Konzentrationslagerwesen in die Hand gekommen ist.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie jemals von Oswald Pohl gehört?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Er war der Leiter des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS, nicht wahr, des WVHA?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß seine Organisation mit Hilfe von SS-Leuten sich des Mordes bediente, um Plünderungen von ungeheurem Ausmaß zugunsten der Waffen-SS und anderer SS-Orga nisationen durchzuführen?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Ich habe das gehört in den Berichten über diesen Prozeß im Camp, wo ich gewesen bin. Vorher habe ich nie gehört, daß man Goldzähne und derartiges sammelte.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß man mit Toten ein Riesengeschäft machte, welches den Schatzkammern der Reichsbank Millionen von Mark einbrachte? Viele Dienststellen des Dritten Reiches waren ja daran beteiligt.


VON EBERSTEIN: Nein, Herr Ankläger, das wußte ich nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte Ihnen Oswald Pohls eidesstattliche Erklärung über diese Angelegenheit, die Dr. Klempner gegeben worden ist, vorlesen. Es ist Dokument 4045-PS, das GB-549 wird. Dann können Sie vielleicht Ihr Gedächtnis auffrischen. Die eidesstattliche Versicherung lautet:

»1. Mein Name ist Oswald Pohl, ich bin am 30. Juni 1892 in Duisburg, Deutschland, geboren. Seit 1. Februar 1934 war ich Chef des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der Schutzstaffel (WVHA). Ich hatte dieses Amt ständig bis zur Übergabe Deutschlands inne.

2. Aus meiner Tätigkeit als Leiter des WVHA sind mir zwei große Geschäftsvorgänge zwischen meinem Amt und dem Reichswirtschaftsministerium und der Reichsbank des Herrn Walter Funk in genauer Erinnerung. Der eine Vorgang betrifft die Textilien von in Konzentrationslagern getöteten Personen. Im Zusammenhang damit versuchte Himmler, durch den Reichswirtschaftsminister Walter Funk ein [345] höheres Kontingent bei der Zuteilung von Uniformstoffen für die SS zu erhalten. Der andere Geschäftsvorgang betrifft die Geschäftsverbindung meines Amtes mit dem Reichsbankpräsidenten Walter Funk und der Reichsbank wegen der Juwelen, Ringe, Goldzähne, Devisen und anderer Wertsachen aus dem Besitz von Personen, besonders Juden, die in Konzentrationslagern getötet worden waren.

3. Die Verbindung meines Amtes mit der Reichsbank wegen der Textilien von Personen, die in Konzentrationslagern getötet wurden, wurde im Jahre 1941 oder 1942 eingeleitet. Zu dieser Zeit erhielt ich von dem Reichsführer-SS und der deutschen Polizei, Heinrich Himmler, der mein Vorgesetzter war, den Befehl, mich mit dem Reichswirtschaftsminister Walter Funk in Verbindung zu setzen, um eine höhere Zuteilung von Textilien für SS-Uniformen zu erreichen. Himmler instruierte mich dahin, daß wir von Funk eine bevorzugte Behandlung verlangen sollten. Das Wirtschaftsministerium bekam aus den Konzentrationslagern viele Textilien gelie fert. Diese Textilien waren in dem Vernichtungslager Auschwitz und anderen Vernichtungslagern gesammelt worden und dann an die zuständigen Stellen für gebrauchte Textilien abgeliefert worden.

4. Auf Grund dieses von meinem Vorgesetzten Himmler erhaltenen Befehls besuchte ich den Reichswirtschaftsminister Funk in seinen Amtsräumen. Ich wartete nur kurz in seinem Vorzimmer und traf ihn dann alleine in seinem Arbeitszimmer. Ich teilte Funk meinen Auftrag mit, daß ich um mehr Textilien für Uniformen der Waffen-SS bitten sollte, da wir von den Judenaktionen so viele alte Textilien hätten abliefern können. Ich sagte ihm, daß wir diese Textilien für die Waffen-SS benötigten. Die Unterredung dauerte ca. 10 Minuten. Es kam offen zum Ausdruck, daß wir vielleicht Vorzugsbehandlung wegen der Ablieferung der alten Kleider der toten Juden verdienen könnten. Es war ein freundliches Gespräch zwischen Funk und mir, und er sagte mir, daß er diese Angelegenheit befürwortend mit den zuständigen Herren regeln würde. Wie sich im einzelnen die späteren Verhandlungen zwischen den Untergebenen von Funk und meinen Untergebenen gestaltet haben, weiß ich nicht.

5. Der zweite Geschäftsvorgang zwischen Walter Funk und der SS betrifft die Ablieferung von Wertgegenständen von toten Juden an die Reichsbank. Es war im Jahre 1941 oder 1942, als größere Mengen von Wertsachen, wie Juwelen, Goldringe, Goldfüllungen, Augengläser, goldene Uhren und anderes sich in den Vernichtungslagern angesammelt hatten. Diese [346] Wertsachen kamen, in Kisten verpackt, in Berlin im WVHA an. Himmler hatte befohlen, daß diese Dinge von uns an die Reichsbank abgeliefert werden sollten. Ich erinnere mich, daß Himmler mir erklärte, daß hierüber mit der Reichsbank, und zwar mit Herrn Funk, verhandelt worden sei. Im Verfolg der Absprache, die mein Chef hatte, verhandelte ich mit dem Reichsbankdirektor Emil Puhl über den Modus der Ablieferung. In diesem Gespräch wurde kein Zweifel gelassen, daß es sich bei den einzuliefernden Gegenständen um die Schmuck- und Wertsachen von Insassen von Konzentrationslagern handelte, besonders Juden, die in den Vernichtungslagern getötet worden waren. Es handelte sich um Ringe, Uhren, Augengläser, Goldbarren, Eheringe, Broschen, Nadeln, Brillengestelle, Devisen und andere Wertsachen. Weitere Besprechungen über die Lieferung dieser Sachen fanden zwischen meinen Untergebenen und Puhl und anderen Herren der Reichsbank statt. Es war eine Riesenmenge von Wertsachen, die in Frage kam, da die Lieferung ständig, über Monate und Jahre hinaus, vor sich ging.

Einen Teil dieser Wertsachen der in den Ver nichtungslagern getöteten Menschen habe ich selbst gesehen, als Reichsbankpräsident Funk und Vizepräsident Puhl uns zu einer Besichtigung der Reichsbankgewölbe und zu einem anschließenden Mittagessen einlud. Ich weiß nicht genau, ob dies 1941 oder 1942 war, aber ich erinnere mich, daß ich Funk damals schon persönlich durch das Textilgeschäft kannte, das ich oben beschrieben habe. Vizepräsident Puhl und mehrere Herren meines Stabes gingen zu den Gewölben der Reichsbank. Puhl führte uns damals persönlich durch und zeigte uns Goldbarren und andere wertvolle Sachen der Reichsbank. Ich erinnere mich genau, daß verschiedene Koffer geöffnet wurden, die Sachen aus Konzentrationslagern enthielten. Bei dieser Gelegenheit wies Puhl oder sein Begleiter Waldhecker in Gegenwart von mir und den Herren meines Stabes darauf hin, daß ein Teil dieser Wertsachen von unserem Amt eingeliefert worden sei.

Nachdem wir in den Gewölben der Reichsbank die verschiedenen Wertsachen besichtigt hatten, gingen wir hinauf in ein Zimmer, um mit dem Reichsbankpräsidenten Funk zu Mittag zu essen; es war für die Zeit nach der Besichtigung arrangiert. Es nahmen außer Funk und Puhl die Herren meines Stabes teil; wir waren ungefähr 10 bis 12 Personen. Ich saß nächst zu Funk, und wir unterhielten uns unter anderem über die Wertsachen, die ich in seinen Gewölben gese hen hatte. Bei dieser Gelegenheit kam es klar zum Ausdruck, [347] daß ein Teil der Wertsachen, die wir besichtigt hatten, von Konzentrationslagern stammte.«

Ist Ihnen der Inhalt dieser eidesstattlichen Erklärung neu?

VON EBERSTEIN: Jawohl, absolut Neuigkeit.

MAJOR ELWYN JONES: Sie hatten überhaupt keine Kenntnis des Ganzen?


VON EBERSTEIN: Nein.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß die SS für die große Menschenjagd nach der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa eingesetzt war?


VON EBERSTEIN: Ich habe hier in diesen Prozeßberichten gesehen, daß ein gewisser Eichmann, ein SS-Angehöriger, diese Aufgabe gehabt hat. Ich habe Herrn Eichmann nie gesehen, nie mit ihm zu tun gehabt. Ich kenne die Materie aus der Berichterstattung dieses Prozesses.


MAJOR ELWYN JONES: Wußten Sie, daß es – abgesehen von Mord – eines der Ziele dieser Menschenjagd gewesen ist, Beuteware für die SS sowie ähnliche Nazi-Organisationen heranzuschaffen?


VON EBERSTEIN: Nein, das wußte ich nicht. Ich darf darauf hinweisen, daß ich ständig im Lande war und mit diesen Sachen in keiner Weise befaßt worden bin.


MAJOR ELWYN JONES: Kannten Sie Ihren Kollegen, den Höheren SS- und Polizeiführer Globocznik?


VON EBERSTEIN: Jawohl, ich habe Globocznik auf einer Führertagung einmal kennengelernt, einmal mit ihm gesprochen.


MAJOR ELWYN JONES: Er war Höherer SS- und Polizeiführer wie Sie selbst, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Nein, so viel ich weiß, nicht. Er war damals Oberführer oder Brigadeführer; als solcher konnte er gar nicht Höherer SS- und Polizeiführer sein. In Deutschland war er es bestimmt nicht, das weiß ich.


MAJOR ELWYN JONES: Vielleicht reden wir aneinander vorbei. Ich spreche vom Jahre 1943. In diesem Jahr war Globocznik Höherer SS- und Polizeiführer in der Operationszone Adriatisches Küstenland. Stimmt das?


VON EBERSTEIN: Das kann sein, das weiß ich nicht. Es ist möglich, aber nicht im Reichsgebiet.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben über Ihre Stellung als Höherer SS- und Polizeiführer ausgesagt, daß Sie keine Befehlsgewalt über die SS gehabt hätten und keine Autorität über die [348] Polizei. Das scheint eine Zusammenfassung Ihrer Tätigkeit als Höherer SS- und Polizeiführer gewesen zu sein, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Ich darf dabei bemerken, daß ich ausdrücklich betonte, nicht nur vor diesem Hohen Gericht, sondern auch vor der Kommission, vor der ich gestanden war, daß über die Befugnisse der Höheren SS- und Polizeiführer außerhalb des Deutschen Reiches ich keine Aussagen machen kann, weil deren Aufgaben andere waren,...


MAJOR ELWYN JONES: Das genügt. Ich kann Ihnen in diesem Falle behilflich sein. Schauen Sie sich einen Bericht Ihres Kollegen Globocznik über die Aktion »Reinhardt« gegen die jüdische Bevölkerung in Polen an.

Das ist Dokument 4024-PS und wird GB-550. Es ist ein sehr langer Bericht. Aber, Euer Lordschaft, er verdient die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs.

Sie sehen, Zeuge, daß es ein Bericht von Globocznik an Himmler vom 5. Januar 1943 ist. Das Schreiben beginnt folgendermaßen:

»Reichsführer! Ich erlaube mir, in der Beilage die Meldung über die wirtschaftliche Abwicklung der Aktion Reinhardt vorzulegen.«

Im nächsten Absatz:

»Denn ein ordentlicher Abschluß und meine Ent lastung ist deswegen notwendig, als ich diese Tätigkeit im Rahmen der SS ausgeführt« – ich möchte diese Worte besonders betonen ›im Rahmen der SS‹ – »habe und sie daher vor den zuständigen Reichsstellen einen klaren Abschluß finden muß.«

Im nächsten Absatz heißt es:

»Die ganze Abrechnung enthält 2 Teile:

1.) Wirtschaftlicher Teil der Aktion Reinhardt, mit der Unterteilung

a) Abrechnung und Ablieferung erfaßter Werte, und

b) Abrechnung der aus der Arbeit erzielten Werte.

2.) Die Siedlerwirtschaftsgemeinschaft, deren wirtschaftliche Gebarung ebenfalls auf meiner Arbeit beruhte, die nunmehr in zivile Hände übergeht.«

Zeuge! Erinnern Sie sich, daß diese sogenannte Umsiedlung eine der Funktionen der SS war?


[Keine Antwort.]


MAJOR ELWYN JONES: Dann heißt es auf Seite 2 des deutschen Textes dieses Berichts:

»Bei der gesamten Abrechnung Reinhardt kommt noch das eine dazu, daß deren Belege baldigst vernichtet werden müssen.«

[349] Das nächste Dokument ist Seite 3 des deutschen Textes und auf Seite 2 des englischen...

VORSITZENDER: Wo steht, daß diese Belege vernichtet werden sollen?

MAJOR ELWYN JONES: Absatz 3, Euer Lordschaft. Globocznik hat es mit 2.) bezeichnet – »die Siedlerwirtschaftsgemeinschaft«; in dem darauffolgenden Satz.


[Zum Zeugen gewandt:]


Auf Seite 2 des englischen Textes folgt dann ein Bericht über den wirtschaftlichen Teil der Aktion Reinhardt. Dieser Bericht existiert nur in vier Exemplaren. Er war »zusammengefaßt in SS-Wirtschafts-und Verwaltungshauptamt-Sonderaufgaben«.

Er lautet:

»Die gesamte Aktion Reinhardt zerfällt in 4 Gebiete:

A) Die Aussiedlung selbst,

B) die Verwertung der Arbeitskraft,

C) die Sachverwertung,

D) die Einbringung verborgener Werte und Immobilien.

A. Die Aussiedlung.

Sie ist erledigt und abgeschlossen.

Die Voraussetzung hierbei war, durch eine methodisch richtige Behandlung mit den schwachen zur Verfügung stehenden Kräften die Menschen zu erfassen und möglichst wenig wirtschaftlichen Schaden an der Kriegsproduktion anzurichten.

Im großen und ganzen ist dies gelungen. Ein größerer Schaden ist nur in Warschau entstanden, wo aus Verkennung der Sachlage der Abschluß methodisch falsch durchgeführt wurde.«

Dann gehe ich auf Abschnitt B über:

»Verwertung der Arbeitskraft.

Die gesamten Arbeitskräfte wurden in geschlossenen Lagern erfaßt, in die kriegswichtige Fertigungen verlegt wurden.

Hierzu mußten nun folgende Voraussetzungen geschaffen werden:

1.) Erstellung aller Wohnlager.

2.) Erstellung von Fertigungsräumen mit allen betrieblichen Voraussetzungen, wie Maschinenbeschaffung, Energieversorgung usw.

[350] 3.) Versorgungsgrundlagen...

4.)... Sanitäre und hygienische Voraussetzungen.

5.) Sicherheitsmaßnahmen« – auf die ich Ihre besondere Aufmerksamkeit lenken möchte –

»a) durch entsprechende Sicherungsgrundlagen,

b) durch eine sichernde Organisation innerhalb des Lagers.

c) durch entsprechende Bewachung.

Hierzu wurden die SS-Wachmannschaften aufgebaut, die, von Deutschen geführt, zum überwiegenden Teil ihren Dienst einwandfrei versehen haben.

Durch Vermischung dieser Wachmannschaften mit reichsdeutschen Bewachungsmannschaften aus den KZ's sollte die Verläßlichkeit erhöht werden.

d) Durch die Übernahme der Lager in die KZ-Führung des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes wurde die Voraussetzung zu einer einwandfreien Sicherheitslage geschaffen.

6.) Die richtige Führung und methodische Behandlung wurde durch ausgiebige Schulung des deutschen Führungspersonals ermöglicht. Es zeigte sich, daß die Leistungsfähigkeit der Juden in den Lagern im steten Steigen begriffen war.«

Und dann wird die Errichtung einer Betriebsführung, die den Namen »Osti« hatte, beschrieben, sowie die Gründung der Deutschen Ausrüstungswerke:

»Im ganzen waren 18 Betriebe aufgebaut; weitere hätten noch hinzukommen sollen. Ungefähr 52000 Arbeitskräfte standen zur Verfügung.

Diese Arbeitsbasis ermöglichte, sowohl von der Rüstungsinspektion als auch vom Reichsministerium Speer rascheste Fertigungen zu übernehmen, um so Ersatz für ausgebombte Betriebe zu stellen. Die Nachfrage von diesen Stellen war sehr groß.

›Osti‹ und Deutsche Ausrüstungswerke waren von mir selbst geführte Betriebe, während andere Betriebe, wie Flugzeugwerk Heinkel, nur von mir betreut wurden.«

Und nun Abschnitt C, Seite 5 des deutschen Textes:

»Sachverwertung.

Die Sachverwertung, die durch Reinhardt I durchgeführt wurde, ist in Beilage 2 ersichtlich und abgeschlossen.

[351] D. Einbringung verborgener Werte.

Die Einbringung verborgener Werte und Verwertung fester Werte zerfällt in:

1.) In arischen Besitz übergegangene Einrichtungen, wie Maschinen, Rohstoffe usw. durch die ›Osti‹.

6,3 Millionen Reichsmark ist das bisherige Ergebnis, 7 bis 8 Millionen sind noch einzubringen.«

In Punkt 2 heißt es:

»Erfassung jüdischer Forderungen im In- und Ausland, indem den Lagerinsassen auferlegt wurde, diese Forderungen an die ›Osti‹ abzutreten, die dann die Eintreibung vornahm.

Der erste Versuch brachte einen Betrag von 11000000 Zloty zur Abtretung, der mindestens zur Hälfte einbringbar erschien. Da aber auch ins Ausland verschobene Gelder festgestellt werden konnten, so hätte diese Aktion dem Reiche wertvolle Devisen einbringen können.

3.) Immobilien wurden der Liegenschaftsverwaltung des Generalgouvernements zur Auswertung übertragen...

Die getroffenen Maßnahmen waren folgende:

1.) Am 13. 8. 1943 wurde von SS-Obergruppen führer Pohl das SS-Ausbildungslager Trawniki übergeben.

2.) Am 7. 9.1943 wurde in einer Besprechung bei SS-Obergruppenführer Pohl die Übernahme von 10 SS-Arbeitslagern im Distrikt Lublin als Außenstellen des KZ Lublin festgelegt und außerdem die weitere Übergabe weiterer Arbeitslager im Generalgouvernement. Der Führer des KZ Lublin wurde mit entsprechenden Aufträgen versehen. Diese Besprechung ist durch einen Besuch von SS-Obergruppenführer Krüger und SS-Standartenführer Schellin veranlaßt worden.«

Dann Punkt 3:

»3.) Im Anschluß daran wurde mit Schreiben vom 14. 9. 1943 vom Kommandanten des KL Lublin den SS-Arbeitslagern mitgeteilt, daß sie Außenstellen des KZ Lublin geworden seien.«

Dann kommt der Satz:

»Die Vermischung der fremdvölkischen Schutzmannschaften mit reichsdeutschen KZ-Bewachungsmannschaften wurde ebenfalls in die Wege geleitet.«

Ich brauche Sie mit dem übrigen Text dieses Dokuments nicht zu belästigen.

Auf Seite 8 des deutschen Textes werden Sie den »Bericht über die verwaltungsmäßige Abwicklung der Aktion Reinhardt« finden. Im englischen Text genau zwei Seiten weiter als die Stelle, die ich [352] gerade verlesen habe. Der erste Abschnitt handelt von den Guthaben dieser Aktion Reinhardt.

Im dritten Absatz heißt es:

»Die von mir gesammelten Werte wurden laufend gegen Bestätigung dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt übergeben, und dieses leitete die Werte an die Reichsbank, Reichsfinanzministerium, Textilbetriebe usw. weiter.«

Im übernächsten Absatz – aber vielleicht sollte ich doch auch den nächsten verlesen:

»Für Volksdeutsche durfte auf Befehl des Reichsführer-SS zu deren Versorgung Notwendiges entnommen werden, für SS-eigene Zwecke hat der Reichsführer-SS jede Verwendung verboten.«

Sie werden gleich sehen, in welcher Form das stattfand.

»Das Besondere der Abrechnung ist, daß eine gebundene Einnahmevoraussetzung nicht gegeben war, da die Sammlung der Werte auf Befehl erfolgte und nur die Anständigkeit und Sauberkeit, sowie die Überwachung der hier eingesetzten SS-Männer eine restlose Ablieferung gewährleisten konnte.«

Ich hoffe, daß Sie mitlesen, Zeuge, denn es ist nicht uninteressant.

Seite 9 des deutschen Textes zeigt die Werte; zuerst die Reichsmark- und Zloty-Beträge:

»Der weitaus größte Teil wurde dem SS-Wirtschafter im Generalgouvernement zur Verfügung gestellt und die Beträge im Buchausgleich vom SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der Aktion Reinhardt in Reichsmark gutgeschrieben und der Reichsbank übergeben.«

In Punkt 2 heißt es:

»Devisen in Noten oder gemünztem Gold wurden gesammelt, sortiert und ebenfalls über das SS- Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der Reichsbank übergeben.«

Auf Seite 10 Ihres deutschen Textes heißt es:

»Juwelen, Schmuckgegenstände, Uhren und dergleichen wurden nach ihrem Wert sortiert und dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt abgeliefert. Auf dessen Anweisung wurden Uhren aus Nichtedelmetall an die Truppe abgeliefert, Brillen nach Herrichtung Versehrten zur Verfügung gestellt, sowie wertlose Gebrauchsgegenstände hauptsächlich an Wehrmachtsdienststellen zur Deckung von dringendem Bedarf abgegeben.«

In Punkt 4 heißt es:

»Spinnstoffe, Bekleidungsstücke, Wäsche, Bettfedern und Lumpen wurden gesammelt und nach ihrer Qualität sortiert. Die sortierten Gegenstände mußten nach verborgenen Werten [353] durchsucht und schließlich desinfiziert werden. Über 1900 Waggons sind dann auf Weisung des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes den vom Reichswirtschaftsministerium angegebenen Stellen zur Verfügung gestellt worden. Aus diesen Beständen wurden nicht nur fremdvölkische Arbeiter bekleidet, sondern ein großer Teil zur Wiederverspinnung verwendet... Die besten Bekleidungsstücke wurden abgesondert und zur Versorgung der Volksdeutschen auf Befehl des Reichsführer-SS verwendet. Schuhe wurden ebenfalls nach Brauchbarkeit sortiert und dann entweder an Volksdeutsche abgegeben, in die KZ zur Häftlingsversorgung oder aber zertrennt und auf Holzschuhe für die Häftlingsbekleidung neu verarbeitet.«

Punkt 5:

»Einzelwerte besonderer Art, wie Briefmarken, Münzen und dergleichen wurden sortiert und dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt abgeliefert.«

Punkt 8, auf Seite 11 Ihres deutschen Textes:

»Wertvolle Einrichtungsgegenstände und Hausrat wurden instandgesetzt und hauptsächlich den Volksdeutschen Siedlern zur Verwendung übergeben. Aber auch deutschen Dienststellen und Wehrmachtsstellen wurden Einrichtungsgegenstände gegen Scheinwechsel leihweise überlassen.

Minderwertige Ware wurde entweder vernichtet oder an die Bevölkerung zur Prämierung bei guten Ernteleistungen usw. verwendet.«

Der letzte Absatz:

»Der Gesamtwert der angefallenen Gegenstände ist laut beiliegender Aufstellung ungefähr 180000000 Reichsmark. Hierbei sind jedoch Mindestwerte angenommen, so daß der Gesamtwert wahrscheinlich das Doppelte beträgt, abgesehen des Wertes der vereinnahmten Gegenstände, in denen Mangellage herrscht, wie Textilien, wovon allein über 1900 Waggons der deutschen Industrie zugeführt wurden.«

Dann werden auf Seite 12 die Werte in ihren Einzelheiten besprochen:

»Abgelieferte Werte aus der Aktion Reinhardt.

Werte aus der Aktion ›Reinhardt‹ wurden zwecks Weiterleitung an die Reichsbank beziehungsweise an das Reichswirtschaftsministerium, beim SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt, Berlin, abgeliefert, und zwar

a) Reichsmark-Beträge im Gesamtwerte von

RM 53.013.133.51

[354] b) Devisen in Banknoten aus allen Hauptländern der Erde (wobei besonders eine halbe Million Dollar bemerkenswert ist) im Gesamtwerte von

RM 1.452.904.65

c) Devisen in gemünztem Gold im Gesamtwerte von

RM 843.802.75

d) Edelmetalle... im Gesamtwerte von

RM 5.353.943.–

e) Sonstige Werte wie Schmuckgegenstände, Uhren, Brillen usw. (wobei besonders die Zahl der Uhren mit cca. 16000 gebrauchsfähigen und etwa 51000 reparaturbedürftigen bemerkenswert ist, die der Truppe zur Verfügung gestellt wurden)

RM 26.089.800-

f) Rund 1000 Waggons Spinnstoffe im Gesamtwerte von

RM 13.294.400.–

Zusammen

RM 100.047.983.91

An Spinnstoffen lagern noch rund 1000 Waggons, an anderen Werten cca. 50 % der obenangeführten Werte – die noch der Zählung und Bewertung unterliegen – hier. Hervorzuheben ist hierbei, daß die eingesetzten Werte auf Grund der amtlich festgesetzten Kurse bezw. Preise ermittelt wurden, die jedoch als Verkehrswerte bedeutend höher liegen, beispielsweise bei Verkauf von Edelsteinen oder Edelmetallen ins Ausland, da die Flucht in feste Werte dort größer ist als bei uns. Außerdem bringen uns die Auslandsverkäufe Devisen. Wenn hier diese Preise als Wertunterlage genommen wurden, so geschah dies aus dem Grunde, um ein Bild über die abgelieferten Werts geben zu können; im allgemeinen ist diese Berechnung nicht so maßgebend. Der Wert der Vereinnahmung liegt hauptsächlich darin, daß dadurch so große Mengen andringend notwendigen Rohstoffen gewonnen werden konnten und daß auf Grund der erfaßten Werte eine Deviseneinnahme herbeigeführt werden kann, wodurch abermals Rohstoffe durch Reichsstellen eingekauft werden können.«

Dann kommt eine »Wertmäßige Aufstellung der bis zum 3. Februar 1943 zur Ablieferung gelangten Judensachen«. Das ist eine Art Zwischenbericht. Kassenbestände: 53 Millionen. Devisen in Noten etwa 14 Millionen Reichsmark.

Dann auf Seite 15 des Berichts: Devisen in gemünztem Gold verschiedener Länder der Welt ungefähr 843.000 Reichsmark, Edelmetalle etwa 5 Millionen.

[355] Dann möchte ich, daß Sie sich Seite 16 dieses Berichts ansehen, Zeuge:

»Sonstige Werte: 5 Drehbleistifte, gold; 578 Herrenarmbanduhren, 13455 Herrentaschenuhren« – und verschiedene Damenschmucksachen, dann der Posten – »22324 Brillen« – und dann das übernächste – »11675 Ringe.«

Dann all die kleinen Wertsachen von diesen Leuten, wie Halsketten, Perlmutterbroschen, Goldbroschen, ein Perlmutteropernglas; jedes einzelne bis zur letzten Reichsmark protokolliert.

Und dann auf der nächsten Seite, 17, sind noch kleine private Besitztümer aufgezählt im Gesamtwert von 26 Millionen Reichsmark.

RA. PELCKMANN: Herr Präsident! Ich bitte um die Erlaubnis, diese Verlesung einen Augenblick unterbrechen zu dürfen. Ich widerspreche der Verwertung dieser Dokumente bei der Vernehmung dieses Zeugen. Der Zeuge soll auf seine Glaubwürdigkeit geprüft werden durch die Anklagebehörde. Die Vorlage dieses Dokuments dient diesem Zwecke nicht. Der Zeuge hat schon in seiner Aussage erklärt, er wäre nicht zuständig gewesen für die Konzentrationslagerverwaltung. Es ist ihm trotzdem ein Dokument vorgelegt worden, das die Strafordnung in Konzentrationslagern betrifft. Er hat auch hier erklärt, er kenne es nicht. In demselben System weiter fortfahrend, versucht die Anklagebehörde, ein Dokument vorzulegen,...

VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist sich voll bewußt, daß dies ein neues Dokument ist, und er wird alles, was der Zeuge sagt, berücksichtigen.


RA. PELCKMANN: Entschuldigen Sie, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Ich sagte, der Gerichtshof ist sich voll bewußt, daß dies ein neues Dokument ist, und bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen wird der Gerichtshof alles in Betracht ziehen, was der Zeuge sagt, und auch berücksichtigen, wieweit ein möglicher Zusammenhang mit dem Dokument offenkundig wird. Ihr Einwand wird deshalb abgewiesen. Wir vertagen uns jetzt.


[Pause von 10 Minuten.]


MAJOR ELWYN JONES: Beim Verlesen einer Anzahl von Auszügen wird ersichtlich, daß der Gesamtbesitz der jüdischen Polen 26 Millionen betrug. Für Spinnstoffe wurden 462 Waggons Lumpen verwendet; für Bettfedern 251 Waggons, 317 Waggons für Bekleidung und Wäsche. Und dann wird eine Gesamtsumme von über hundert Millionen Reichsmark angegeben. Um Seite 18 und 19 brauchen Sie sich nicht zu kümmern.

[356] Auf Seite 20 des deutschen Textes – auf Seite 16a des englischen Textes, Euer Lordschaft – finden wir einen Bericht über Überführung von Sklavenarbeitern aus einem dieser Lager, die für die deutsche Rüstungsindustrie eingerichtet worden waren.

Dort sind Einzelheiten über die geleistete Arbeit bei der Herstellung verschiedener Artikel aufgezählt:

»41 arische Führungskräfte führten 5445 jüdische Arbeitskräfte, die in den ersten 10 Monaten des Jahres 1943 1115000 Tagewerke durchführten mit einem Bank- und Kassenbestand von 31000000 Zloty.«

Die nächste Seite, Seite 21 des deutschen Textes, handelt von den Aufträgen an die Sklavenlager:

»Die Aufträge waren mit 83 % Wehrmachtsleistungen, mit 17 % am zivilen Sektor gelegen.«

Auf Seite 23 des deutschen Textes und Seite 19 des englischen Textes finden wir den vorläufigen Abschlußbericht der Kasse der Aktion »Reinhardt« Lublin per 15. Dezember 1943:

»Dem Großdeutschen Reich wurden im Zuge der Aktion ›Reinhardt‹ Lublin in der Zeit vom 1. April 1942 bis einschließlich 15. Dezember 1943 nachstehende Geld- und Sachwerte zugeführt.«

Der Gerichtshof wird aus diesen Zahlen ersehen, daß in der Zwischenzeit noch zusätzliche Beute gemacht wurde:

»Barbestände

RM 17.470.796.66

An Reichsbank Berlin RM-Noten und Hartgeld

RM 3.979.523.50

Reichsbank Berlin Zloty-Noten und Hartgeld

RM 5.000.461.00

SS-Wirtschafter, Krakau

RM 50.416.181.37

Darlehen für SS-Wirtschaftsbetriebe

RM 8.218.878.35«

Auf der nächsten Seite finden wir eine Aufstellung über die Devisen, die erbeutet wurden: Hartgeld und Banknoten. Dann folgt wieder eine Aufstellung von erbeutetem polnischem und jüdischem Privateigentum. Es sind dies Ringe, goldene Damenarmbanduhren, Herrentaschenuhren, Damenuhren mit Brillanten, Damenuhren aus Platin, 29391 Brillen, Rasierapparate, Taschenmesser, Wecker, Sonnenbrillen, silberne Zigarettendosen, Fieberthermometer. Alles ist bis ins einzelne aufgeführt, und der Gesamtwert beträgt 43662000 Reichsmark.

Dann sehen Sie, daß sich die Belegschaft der Industrie um neun Millionen Arbeiter erhöhte. Es gab 1901 Waggons mit Bekleidung, Wäsche, Bettfedern, Lumpen im Durchschnittswert von 26 Millionen Reichsmark.

[357] Der Gesamtbetrag der gesamten Beute belief sich Ende Dezember 1943 auf 178745000 Reichsmark.

Dann sehen wir auf Seite 28 des deutschen und Seite 23 des englischen Textes einen Bericht vom persönlichen Stab des Reichsführer-SS über die nationale Umsiedlung, wobei Bauernhöfe und einige Dörfer geräumt wurden, um Platz für die Deutschen zu machen.

Punkt 3:

»... sollen allen Polen, auch jenen, die dem Arbeitsprozeß im Reich zugeführt werden, Scheine ausgestellt werden, worin bestätigt wird, was sie an Besitz zurückgelassen haben. Es wird Ihnen mitgeteilt, daß sie einstens hierfür eine entsprechende Entschädigung in Form von Waren oder Bargeld erhalten.«

Seite 29 des deutschen Textes, Seite 24 des englischen, Punkt 6:

»Durch die Mitteilungen der bis heute ins Reich Verschickten, daß es ihnen dort gut ergeht und durch die Erkenntnis der Bevölkerung, daß bisher niemand wie die Juden behandelt worden ist, wurde dieser Gruppierung bereits ihr abschreckender Nimbus genommen.«

Nun möchte ich mich Seite 31 im deutschen und Seite 26 im englischen Text zuwenden: »Maßnahmen für die weitere Umsiedlung.« Der Kopf des Dokuments lautet: Persönlicher Stab, Reichsführer-SS.

»Da von den verschiedensten Stellen gegen die Umsiedlung mit der Begründung Stellung genommen wird, daß eine zu große Beunruhigung der Fremdvölkischen eintritt und dadurch die Produktion gestört wird, sind folgende Maßnahmen getroffen:

1. Die Umsiedlung wird durch Mundpropaganda als abgestoppt propagiert.

2. Vor dem Termin, zu dem gesiedelt werden soll, wird von keiner Stelle etwas verlautet. Planungen gehen geheim vor sich.

3. Wird der Zeitpunkt der Ansiedlung nach der Frühjahrsbestellung gelegt, damit die Fremdvölkischen noch den Anbau vornehmen und die Neusiedler bereits in den Genuß der Ernte kommen. Dies hat den Vorteil, daß unter vorgenannten Voraussetzungen die Fremdvölkischen in allen Gebieten ihre Felder bestellen, die deutschen Ansiedler jedoch nicht in Gefahr kommen, in Anbetracht der Kürze der Zeit eventuell in ihren Frühjahrsarbeiten gehemmt zu sein.

4. Soll die Umsiedlung der Polen so vorgenommen werden, daß die guten Elemente in von der Sicherheitspolizei geräumten [358] Gebieten möglichst freiwillig angesetzt werden und die Umsiedlung unter dem Titel ›Herstellung der Sicherheit in den Bandengebieten‹ läuft. Die schlechten Elemente werden nach und nach abgezogen, sofern sie nicht als Hilfsarbeiter Verwendung finden.

5. Die Bekanntgabe des Zeitpunktes der Ansiedlung erfolgt erst am Tage der Umsiedlung.

6. Alle Dörfer werden im vorhinein mit Landwacht in allen aus Siedlern gebildeten Organisationsteilen besetzt, die, vorher eingeschult, eigene SS-Kräfte ersparen sollen.«

Auf der nächsten Seite finden wir dann eine Denkschrift von Globocznik, in der ausgeführt wird, wie die Umsiedlung in ihren Einzelheiten vor sich gehen soll. Ich komme zum nächsten Dokument, Seite 34 des deutschen und Seite 29 des englischen Textes. Dieser Bericht enthält gleichzeitig Globoczniks Schlußschreiben über die »Reinhardt-Aktion«. Es ist vom 4. November 1943 datiert, als, wie der Gerichtshof sehen kann, Globocznik Höherer SS- und Polizeiführer in der Operationszone Adriatisches Küstenland war.

Es ist an Himmler adressiert:

»Reichsführer!

Ich habe mit 19. 10. 1943 die Aktion Reinhardt, die ich im Generalgouvernement geführt habe, abgeschlossen und alle Lager aufgelöst.«

Im drittletzten Absatz finden wir:

»Bei einem Besuch haben mir Reichsführer in Aussicht gestellt, daß für die besonderen Leistungen dieser harten Aufgabe einige EK's nach Abschluß der Arbeiten verliehen werden könnten. Ich bitte, Reichsführer, um Mitteilung, ob ich hierfür Vorschläge unterbreiten darf.

Ich darf mir erlauben, darauf hinzuweisen, daß für den Warschauer Einsatz, der einen verhältnismäßig kleinen Teil der Gesamtarbeit ausgemacht hat, an die Kräfte des dortigen SS- und Polizeiführers ebenfalls eine solche Verleihung bewilligt wurde.«

Im Schlußdokument finden wir ein Schreiben Himmlers an Globocznik, das lautet:

»Ich spreche Ihnen für Ihre großen und einmaligen Verdienste, die Sie sich bei der Durchführung der Aktion Reinhardt für das ganze deutsche Volk erworben haben, meinen Dank und meine Anerkennung aus.«

Zeuge! Erklären Sie immer noch, daß Sie nicht wußten, welche Rolle die SS bei der Sammlung von Beute, bei der Umsiedlung und Vertreibung der Menschen aus ihren Heimen und bei der Versklavung von Polen und Juden gespielt hat?

[359] VON EBERSTEIN: Nein, ich hatte von diesen Dingen keine Ahnung.

MAJOR ELWYN JONES: Wann haben Sie zum erstenmal entdeckt, daß Juden und andere Menschen in Konzentrationslagern vernichtet wurden?


VON EBERSTEIN: Ich habe das vorhin schon gesagt: Von diesen Vernichtungsaktionen habe ich erst nach meiner Gefangennahme gehört.


MAJOR ELWYN JONES: Auf Grund Ihrer Beziehungen zu dem Fall Rascher im Frühjahr 1944 muß es Ihnen doch ganz klar geworden sein, daß Vernichtungsaktionen im Gange waren. Ich wiederhole meine Frage: Ist Ihnen nicht durch Ihre Verbindung mit dem Fall Rascher im Frühjahr 1944 ganz klar geworden, daß in den Konzentrationslagern vernichtet und getötet wurde?


VON EBERSTEIN: Ich kann mich nur auf meine Erfahrungen und meine persönlichen Erlebnisse beziehen, die mir zum erstenmal durch den Fall Rascher den Beweis erbracht haben, daß so etwas passiert ist. Ich darf nochmals wiederholen, daß es uns im Reichsgebiet, im Inlandsdeutschland unmöglich war, von derartigen Dingen, wie sie hier aus dem Dokument hervorgehen, etwas zu erfahren.


MAJOR ELWYN JONES: Sie haben Rascher wegen Betrugs verhaftet, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Rascher war, wie ich am Samstag schon ausgeführt habe, im Verdacht, erstens...


MAJOR ELWYN JONES: Einen Augenblick. Wollen Sie meine Frage direkt beantworten? Haben Sie Rascher wegen Betrugs verhaftet?


VON EBERSTEIN: Ich kann nur wiederholen, er war bereits in Haft, und wir haben ihn, nachdem wir von diesen Verbrechen Kenntnis erhielten, weiter in Haft behalten bis zum Schluß. Es war ein Zufall, daß er durch das andere Vergehen, dessen er beschuldigt wurde, oder zweier Vergehen, in unserer Hand war. Er wurde nun selbstverständlich erst recht festgehalten.


MAJOR ELWYN JONES: Sie wußten, daß Rascher Versuche an Menschen vorgenommen hat, und daß er sie im Verlauf dieser Versuche getötet hat, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Das habe ich in den Gesprächen mit dem Lagerkommandanten und dem Arzt erst erfahren.


MAJOR ELWYN JONES: War Rascher wegen Mordes angeklagt?


VON EBERSTEIN: Das habe ich auch am Samstag schon ausgeführt. Er ist bedauerlicherweise von Himmler nicht angeklagt [360] worden. Anklagen konnte ihn nur Himmler, weil er der zuständige Gerichtsherr war bei dem Gericht.


MAJOR ELWYN JONES: Obwohl Sie im Frühjahr 1944 schon wußten, daß Himmlers Organisation nicht nur verbrecherisch, sondern auch eine Mordorganisation war, dienten Sie ihr noch ein weiteres Jahr?

VON EBERSTEIN: Ich habe die zwingenden Gründe hier vorgetragen. Eine Möglichkeit, mich dem Befehl eines Vorgesetzten zu entziehen, bestand nicht.


MAJOR ELWYN JONES: Erinnern Sie sich, vor der Kommission bei Ihrer Aussage über diese Rascher-Angelegenheit erklärt zu haben – es steht im Protokoll vom 6. Juli 1946 –, Sie hätten, als Sie entdeckten, daß Rascher für die Experimente an lebenden Menschen verantwortlich war, für die Einstellung dieser Verbrechen gesorgt. Haben Sie das nicht gesagt?


VON EBERSTEIN: Jawohl. Dadurch nämlich, daß wir ihn gar nicht aus der Haft entlassen haben, was ja sonst wahrscheinlich erfolgt wäre. Denn der andere Fall war ja inzwischen geklärt. Eine Verdunkelungsgefahr bestand nicht mehr. Infolgedessen hätte der Mann entlassen werden müssen. Wir haben ihn aber festgehalten, weil die Kenntnis von diesen neuen Verbrechen hinzukam.


MAJOR ELWYN JONES: Haben Sie irgendwelche Maßnahmen getroffen, damit Rascher nicht von einem anderen SS-Mörder abgelöst wurde?


VON EBERSTEIN: Ich verstehe nicht, wie diese Frage gemeint ist.


MAJOR ELWYN JONES: Ich werde es deutlich erklären. Raschers Experimente an menschlichen Lebewesen wurden doch in Dachau nach seiner Verhaftung wegen Betrugs fortgesetzt, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Nein. Der Arzt, der der Vertreter war, den ich auch gesprochen habe, und der mir durch den Lagerkommandanten vorgeführt wurde, hat keine weiteren derartigen Versuche gemacht. Er war ja auch derjenige, der das anzeigte, was Rascher tat, und der mir erklärte, daß er sich weigere, weiterzuarbeiten.


MAJOR ELWYN JONES: Wollen Sie dem Gerichtshof erklären, daß die Experimente und biologischen Forschungen an lebenden Menschen in Dachau nach der Entlassung Raschers aufhörten?


VON EBERSTEIN: Jawohl, davon bin ich fest überzeugt.


MAJOR ELWYN JONES: Ich möchte Sie auf das Tagebuch 1944 der Ahnenerbe-Forschungsorganisation verweisen, das von Sievers, dem Reichsgeschäftsführer dieser Organisation, geführt wurde. Es [361] ist 3546-PS und wird GB-551. Ich habe einige Auszüge der erheblichen Stellen dieses Dokuments hier, um sie dem Gerichtshof vorzulegen. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf diese Auszüge lenken, die Sie, wenn Sie wollen, mit dem Original vergleichen können. Daraus werden Sie ersehen, daß der Name Haschers im Januar erscheint, daß Besprechungen mit ihm am 28. und 29. Januar stattfanden. Auf der nächsten Seite ist von einer Besprechung im Monat März die Rede; und im April fand wieder eine Konferenz auf der Station Raschers statt. In welchem Monat haben Sie Rascher verhaften lassen?


VON EBERSTEIN: In welchem Monat?


MAJOR ELWYN JONES: Jawohl, in welchem Monat haben Sie Rascher verhaften lassen?


VON EBERSTEIN: Das kann ich nicht sagen. Die Akten werden das zweifellos ausweisen. Ich habe am Samstag bereits ausgesagt, im Frühjahr 1944. Ich kann das genaue Datum nicht sagen. Ich weiß aber zuverlässig, daß ich Anfang Mai Himmler bereits nach Abschluß der Ermittlungsarbeiten mit den Akten aufgesucht habe und daß damit die Sache aufgehört haben muß, weil ja Rascher in Haft war.


MAJOR ELWYN JONES: Wenn Sie sich den Auszug vom Mai ansehen, werden Sie die Besprechungen des Reichsarztes-SS finden, an denen Hauptsturmführer Dr. Plötner teilnahm. Wußten Sie nicht, daß Dr. Plötner der Nachfolger Raschers in Dachau war?


VON EBERSTEIN: Ich kenne die Namen nicht von den einzelnen Ärzten.


MAJOR ELWYN JONES: In der Eintragung vom 27. Juni und im Auszug über den 31. Mai... Sie werden dort als erstes finden, daß Sievers eine Besprechung mit SS-Hauptsturmführer Dr. Plötner hatte, und zwar zuerst über Professor Schilling. Ich nehme an, daß Sie wissen, wer Professor Schilling ist, nicht wahr? Kennen Sie Professor Schilling?


VON EBERSTEIN: Jawohl.


MAJOR ELWYN JONES: Er wurde kürzlich wegen seiner Experimente in Dachau zum Tode verurteilt, nicht wahr?


VON EBERSTEIN: Das habe ich in der Zeitung gelesen.


MAJOR ELWYN JONES: Im Mai hatte er, wie Sie sehen, eine Besprechung mit Dr. Plötner; am 27. Juni fand eine Besprechung über die Einrichtung einer wissenschaftlichen Forschungsstation im Konzentrationslager statt; am 25. Juli eine Besprechung mit SS-Standartenführer Maurer in Oranienburg über die Verwendung von Häftlingen für wissenschaftliche Aufgaben; noch auf derselben Seite – am 26. Juli – sehen Sie, daß Hauptsturmführer Dr. Fischer [362] eine Schnellreise durch alle Konzentrationslager zur endgültigen Feststellung der Personen vornimmt. Am 21. Oktober finden Sie den Eintrag über die Weiterführung der Untersuchungen durch SS-Sturmbannführer Professor Dr. Hirt, und der letzte Eintrag am 23. Oktober 1944 besagt, daß SS-Standartenführer Dr. Poppendiek die biologischen Untersuchungen durch SS-Hauptsturmführer Dr. Plötner in Dachau übernimmt.

Wollen Sie vor dem Gerichtshof immer noch behaupten, daß alle Versuche an lebenden Menschen in Dachau aufgehört hätten, nachdem Rascher fort war?


VON EBERSTEIN: Ich kann nur feststellen; daß der Name Rascher hier nicht mehr erscheint und daß ich doch unter meinem Eid ausgesagt habe, daß er in unserer Haft blieb. Ich kann nicht wissen, was sonst noch für Dinge passiert sind. Jedenfalls habe ich, als ich davon Kenntnis erhielt, alles getan, um die Angelegenheit einer richterlichen Würdigung zuzuführen. Was sonst noch für Versuche in den Lagern gemacht worden sind, wie sie hier in dieser Berichterstattung angedeutet werden, kann ich nicht wissen.


MAJOR ELWYN JONES: Zeuge! Sie haben doch dem Gerichtshof erklärt, daß diese Experimente nach der Entlassung Raschers nicht mehr fortgesetzt worden wären. Das haben Sie vor der Kommission ausgesagt, nicht wahr, und war es nicht so?


VON EBERSTEIN: Ich kann nur wiederholen, daß ich den Rascher in Haft hatte und damit auch annehmen mußte, daß diese Versuche damit beendet waren.

MAJOR ELWYN JONES: Euer Lordschaft! Ich habe nicht die Absicht, diesen Zeugen weiter über die Dinge zu befragen, die schon vor der Kommission behandelt worden sind. Der Gerichtshof ist ja im Besitz der ganzen Dokumente zu den grundlegenden Fragen, die ich im Kreuzverhör behandelt habe.


VORSITZENDER: Dr. Pelckmann! Möchten Sie ein Rückverhör durchführen?


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Der Anklagevertreter hat Ihnen die Strafbestimmungen, die für das Konzentrationslager Dachau galten, in einer Urkunde vorgelegt. Ich muß Sie grundsätzlich noch einmal fragen: Hatten Sie mit der Verwaltung des Konzentrationslagers Dachau oder mit der Einlieferung und der Entlassung von Häftlingen dieses Konzentrationslagers etwas zu tun?


VON EBERSTEIN: Ich kann nur wiederholen, daß weder ich noch andere Höhere SS- und Polizeiführer mit der Einlieferung, also das heißt der Einweisung und der Entlassung aus den Konzentrationslagern etwas zu tun hatten. Dies war zu jener Zeit bis zum Schluß in der Zuständigkeit des Amtes IV des RSHA, der Geheimen Staatspolizei.


[363] RA. PELCKMANN: Ist Ihnen aufgefallen, Herr Zeuge, daß auf der Abschrift mindestens dieses Dokuments D-922 ein Datum für diese Bestimmungen und für die Gültigkeit dieser Strafordnung überhaupt nicht zu sehen ist?


VON EBERSTEIN: Ich darf fragen, dieser Photokopie?


RA. PELCKMANN: Ja, das erste Dokument, das Sie bekommen haben, D-922.


VON EBERSTEIN: Ja, recht. Ich erlaubte mir zu bemerken, daß es weder einen Kopf noch eine Unterschrift noch ein Datum trägt.


RA. PELCKMANN: Aus meinem Exemplar sehe ich nur, daß ein Brief von einem Herrn Wintersberger vom 29. Mai 1933 beigefügt war. Ich frage Sie, Herr Zeuge, waren Sie am 29. Mai 1933 in München?


VON EBERSTEIN: Nein, zu dieser Zeit war ich in Weimar in Thüringen.


RA. PELCKMANN: Sie sind von dem Herrn Anklagevertreter als Vertrauensmann der SS angesprochen worden und als persönlicher Vertreter Himmlers. Wollen Sie dazu Stellung nehmen oder sagen, ob Sie persönlicher Vertreter Himmlers waren?


VON EBERSTEIN: Ich glaube, daß das eine mißverständliche Auffassung meiner Aussage vom Samstag sein muß. Ich darf noch einmal wiederholen: Nach dem Erlaß des Reichsministers des Innern vom Jahre 1938 waren wir Höhere SS- und Polizeiführer die repräsentativen Vertreter des Reichsführer-SS und Chefs der Deutschen Polizei. In ihrem Werturteil und bezüglich ihrer Befehlsgewalt ist zu sagen, daß nach dem Wortlaut dieses Erlasses die sachlichen Vorgesetzten der Polizei die Chefs der Hauptämter Ordnungspolizei und Sicherheitspolizei im Reichsministerium des Innern waren. Die Höheren SS- und Polizeiführer hatten nach dem Wortlaut des Erlasses lediglich das Recht, nicht die Pflicht, Inspektionen vorzunehmen, und sie durften Anregungen geben.


RA. PELCKMANN: Konnten sich die Inspektionen auf die Konzentrationslager erstrecken?


VON EBERSTEIN: Nein. Die Konzentrationslager waren einzig und allein unterstellt der Amtsgruppe D des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes. Sie waren ein geschlossener eigener Dienstbetrieb mit eigenen Dienstwegen. Die Lager zu betreten war nur möglich mit Genehmigung dieser Dienststelle.


RA. PELCKMANN: Zu der Urkunde 4045-PS, Affidavit Pohl. Haben Sie sich jemals mit Pohl über KZ-Probleme unterhalten?


VON EBERSTEIN: Nicht ein einziges Mal, denn ich habe Pohl nur einmal in seiner Dienststelle aufgesucht in Berlin-Lichterfelde; [364] da drehte sich das Gespräch lediglich um den Erwerb eines Grundstücks in München für eine SS-Dienststelle, die mir unterstand, eine Dienststelle der Allgemeinen SS, und es sollte dieses Haus da gekauft werden. Ich glaube, das ist im Jahre 1940 gewesen. Ich habe sonst weder mit dem Mann über KZ-Sachen gesprochen noch über andere Dinge. Ich war im übrigen auch nicht befreundet mit ihm und hatte keinerlei Berührungspunkte sonst.


RA. PELCKMANN: Sie haben die Berichte des Herrn Globocznik gesehen, Dokument 4024-PS. Sie haben gesagt, daß Ihnen dieser Bericht völlig unbekannt ist. Haben Sie aber ähnliche Befehle – auch nur annähernd ähnliche – jemals an die Ihnen untergeordneten Dienststellen gegeben, oder haben Sie entsprechende Befehle von den Ihnen übergeordneten Dienststellen erhalten?


VON EBERSTEIN: Ich habe niemals von meinen vorgesetzten Dienststellen Befehle bekommen zu derartigen Handlungen und habe auch niemals in meiner ganzen dienstlichen Tätigkeit einen solchen Befehl selber erhalten. Mir ist von diesen eigentümlichen Geschäften nichts bekannt, sondern ich wiederhole, daß wir, das heißt, daß meine Kameraden und ich mit Entsetzen in den Lagern, in denen wir nun verwahrt werden, von diesen Dingen Kenntnis bekommen haben.

RA. PELCKMANN: Haben Sie soeben, wo Sie von Ihren Dienststellungen sprachen, gesprochen sowohl in Ihrer Eigenschaft als Führer der Allgemeinen SS als auch als Polizeipräsident und Höherer SS- und Polizeiführer?


VON EBERSTEIN: Jawohl, unter Einschluß aller meiner Ämter, die ich je in meinem Leben bekleidet habe.


RA. PELCKMANN: Wenn Sie die Dokumente des Herrn Globocznik durchgesehen haben, können Sie uns vielleicht auf Grund Ihrer allgemeinen Kenntnis sagen, ob Globocznik Führer der Allgemeinen SS gewesen ist oder ob er in dieser Eigenschaft diese Dinge hier ausgeführt hat?


VON EBERSTEIN: Globocznik war ein SS-Führer aus Österreich, soweit ich mich erinnern kann. Ich habe ihn, wie gesagt, nur einmal im Leben gesehen und mit ihm gesprochen. Soweit aus diesem Dokument hervorgeht, war er – das Dokument trägt den Kopf: »Höherer SS- und Polizeiführer Küstenland«, das scheint also am Adriatischen Meer zu sein – Höherer SS- und Polizeiführer der besetzten Gebiete.

Ich habe mir erlaubt, schon auszuführen, daß die Tätigkeit der Höheren SS- und Polizeiführer der besetzten Gebiete gänzlich unterschiedlich war von der der Höheren SS- und Polizeiführer im Reich. Soweit ich unterrichtet bin, haben die Höheren SS- und Polizeiführer in den besetzten Gebieten jeweils nach der Lage der [365] dortigen Verhältnisse von Himmler ihre Aufträge bekommen. Dieser Auftrag oder der Bericht über die Ausführung eines Auftrages, wie ihn dieses Dokument darstellt, ist so abwegig und nicht auf dem Gebiet liegend wie die Aufgaben, die wir bekommen haben.

Das sind ja alles Dinge wirtschaftlicher Maßnahmen, mit denen wir in Deutschland in keiner Weise beschäftigt worden sind.


RA. PELCKMANN: Hatten Sie überhaupt in Deutschland als Höherer SS- und Polizeiführer mit wirtschaftlichen Maßnahmen etwas zu tun?


VON EBERSTEIN: Nein, gar nicht.


RA. PELCKMANN: Der Anklagevertreter hat Sie gefragt, ob die Experimente in Dachau fortgesetzt worden sind. Sie haben, wie vor der Kommission auch hier vor dem Gerichtshof erklärt, nach Ihrer Überzeugung nicht. Sie haben es damit begründet, daß Herr Rascher in Haft gewesen sei. Wenn Sie das überreichte Dokument 3546-PS noch einmal vornehmen, so wollen Sie mir bitte sagen, wann nach diesem Dokument der Name Rascher in den Besprechungen mit Sievers nicht mehr auftaucht?


VORSITZENDER: Können wir uns nicht das Dokument selbst ansehen?

Sie verweisen auf ein Dokument, das wir ebensogut lesen können wie er.


RA. PELCKMANN: Ja, ich mache den Zeugen gerade auf den strittigen Moment in diesem Dokument aufmerksam. Ich gehe zur nächsten Frage.


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sind danach gefragt worden, aus welchem Grunde Sie angenommen haben, daß die Experimente in Dachau nicht fortgesetzt wurden. Sie haben gesagt, weil Herr Rascher verhaftet sei.

VON EBERSTEIN: Ich habe bis zu dieser Stunde, wo ich diese Abschrift hier überreicht bekommen habe, nicht gewußt, daß außer Rascher noch dieser Professor Schilling tätig war. Das habe ich erst während meiner Haft aus dem Prozeß in Dachau entnommen. Mir war zu diesem Zeitpunkt lediglich die Forschungsstelle Rascher bekannt, und da ja ein zweiter Mann nach Rascher da war, den Namen weiß ich nicht... es ist möglich, daß dieser hier genannte Dr. Plötner es ist, das ist sehr wohl möglich – den Namen dieses Mannes weiß ich nicht –, daß der hier ganz entsetzt von der Tätigkeit seines Vorgesetzten Rascher berichtete und wie er sagte...

VORSITZENDER: Das ist eine Zeitverschwendung, eine absolute Zeitverschwendung. Der Zeuge hat zuerst erklärt, daß keine weiteren Experimente gemacht worden seien, und als Sie ihm das [366] Dokument vorlegten, sagte er, er vermute es. Welchen Sinn kann es haben, ihn darüber zu verhören?


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! War ein weiterer Grund für Ihre Annahme, daß die Experimente nicht fortgesetzt wurden, das Ergebnis Ihres ersten Protestes bei Himmler? Erinnern Sie sich bitte daran, wie Himmler auf Ihre Vorhaltungen reagierte, und sagen Sie bitte dem Gericht, ob Sie auf diese Reaktion Himmlers annehmen mußten, daß er nun, da er einmal ertappt war, sich sehr hüten würde, die Experimente fortzusetzen.


VON EBERSTEIN: Himmler war nach meinem Vortrag außerordentlich ungehalten und sagte zu mir: Mich gingen diese Sachen gar nichts an. Im übrigen hat Rascher erhebliche Forschungsverdienste, das verstände ich nicht. Ich habe widersprochen und habe gesagt: Ja, das ist doch unmöglich, und Himmler sagte dann, daß er diesen Fall unter Verwendung der Akten dem Obersten SS- und Polizeigericht übergeben würde. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht annehmen, daß Himmler um diese Sachen im einzelnen wußte.


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Zur Zusammenfassung Ihrer Aussagen und auch des soeben Gesagten möchte ich Sie abschließend fragen: Sind Sie heute der Überzeugung, daß die Masse der Mitglieder der Allgemeinen SS durch erfolgte Täuschung und unerhörten Mißbrauch des Begriffs der Treue von der Obersten Führung mißbraucht worden ist?


VON EBERSTEIN: Jawohl, nach der Rücksprache mit meinen Kameraden, von denen ich viele in der Haft gesprochen habe, muß ich feststellen, daß die Masse der Männer bitter enttäuscht ist über das, was sie erlebt haben, was sie nun erfahren haben. Sie können es nicht begreifen, wie Himmler uns mit derartig schmutzigen Sachen in Berührung bringen konnte. Die Männer der SS – ich spreche hier nicht für mich, sondern für alle, die darin waren – haben die Treue gehalten bis zur letzten Stunde um des Vaterlandes willen, die Treue, die man uns nicht gehalten hat. Wir sind der Führung gefolgt im guten Glauben und getragen von einem reinen Idealismus.


VORSITZENDER: Zeuge! Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, die Allgemeine SS habe während der letzten Phase des Krieges zu existieren aufgehört?


VON EBERSTEIN: Euer Lordschaft! Ich wollte nur feststellen, daß von der Allgemeinen SS nichts mehr im Lande war, also praktisch war sie aufgelöst. Das Beispiel zeigt: In meinem Gebiet waren es im Frieden 10000 SS-Männer und im Jahre 1944, als der Volkssturm aufgerufen wurde, das war das erstemal, daß wir überprüfen mußten, wie viele Leute noch da waren, da waren noch 1200 Mann [367] da, die aber keinen Dienst mehr machen konnten, weil sie ja in den Kriegswirtschaftsbetrieben eingesetzt waren; bei der Reichsbann, bei der Reichspost, in der Landwirtschaft und so weiter, also praktisch war sie aufgelöst, auch die Befehlsstellen der Sturmbanne, der Standarten, waren ja alle stillgelegt. Ein anderer Beweis, daß nichts mehr da war, war folgender: Wenn zum Beispiel ein Ehrensturm gestellt werden mußte, also eine Abordnung bei einer Totenfeier, konnte nicht einmal mehr ein solcher Sturm gestellt werden, weil ja die Leute unter der Fahne standen. Praktisch war sie aufgelöst. Wir mußten dann für die Fürsorgearbeiten Frauen zu Hilfe nehmen, unsere fördernden Mitglieder, alte Leute, die gar nicht SS-Angehörige waren.


VORSITZENDER: Behaupten Sie, daß in keinem Konzentrationslager in Deutschland SS-Männer beschäftigt gewesen seien?


VON EBERSTEIN: Nein, das behaupte ich nicht. Es waren bei den Kommandostäben SS-Angehörige seit der Aufstellung. Das waren Leute, die aber nicht mehr von den Dienststellen der Allgemeinen SS Befehle erhielten, die aus unseren Listen gestrichen waren, weil sie nicht mehr bei uns geführt wurden und dort innerhalb der Konzentrationslager seit – sagen wir 1934 – ein Eigenleben führten. Es ist ja wohl sicher festzustellen, wie viele Menschen das insgesamt gewesen sind; im Verhältnis zu der Gesamtzahl der SS eine ganz geringe Zahl. Ich habe keine Übersicht, wieviel das waren, aber ich glaube, nicht zu hoch zu greifen, wenn in Dachau vielleicht 50 bis 60 Mann Kommandanturpersonal waren.


VORSITZENDER: Behaupten Sie also, daß diese 50 bis 60 Mann in Dachau nicht mehr SS-Mitglieder waren?


VON EBERSTEIN: Nein, das behaupte ich nicht. Sie trugen noch unsere Uniformen und gehörten zu den Kommandanturen der Konzentrationslager. Aber mit uns hatten sie praktisch keine Gemeinschaft mehr, weil wir ja mit den Leuten kaum mehr zusammenkamen. Wir trafen sie höchstens einmal.


VORSITZENDER: Waren Sie nicht mehr verantwortlich für diese Leute?


VON EBERSTEIN: Nein, eine Verantwortlichkeit hatte ich nicht.

VORSITZENDER: Nun eine andere Frage: Hatte die Waffen-SS außer durch den Reichsführer-SS Himmler irgendwelche Berührung oder Verbindung mit der Allgemeinen SS?


VON EBERSTEIN: Nur ganz in der ersten Zeit der Entstehung der Verfügungstruppe; das war ja die Organisation, aus der die Waffen-SS hervorging. Leute meldeten sich zur Allgemeinen SS, die dort Soldat sein wollten. Es wird über dieses Thema hier noch ein General der Waffen-SS der Truppe aussagen, der da noch besser [368] unterrichtet ist als ich. Eine Verbindung bestand nur kameradschaftlich; wir haben uns besucht gegenseitig. Eine Befehlsgewalt...


VORSITZENDER: Nach diesem ersten Stadium, sagen Sie, hätte die Waffen-SS keine Verbindung mit der Allgemeinen SS außer durch Himmler gehabt?


VON EBERSTEIN: Nein, Euer Lordschaft, die hatten sie nicht; sie trugen die gleiche Uniform und hatten also auch anschauungsmäßig die politischen Grundsätze. Aber, wie gesagt, ich kann darüber weniger Auskunft geben, da ich nie in der Waffen-SS gedient habe, sondern nur den Charakter eines Generals der Waffen-SS bekam, von dem Zeitpunkt, als das Kriegsgefangenenwesen uns übergeben wurde.


VORSITZENDER: Wissen Sie, ob Männer der Waf fen-SS in Konzentrationslagern verwendet wurden?


VON EBERSTEIN: Das war eine gesonderte Wachtruppe. Im Frieden waren es die Totenkopfverbände. Diese Totenkopfverbände waren auch äußerlich gekennzeichnet; sie trugen auf dem Kragenspiegel an Stelle der Sigrunen, der zwei Blitze, die die Waffen-SS trug, den Totenkopf. Es war ein anderer Truppenteil, wenn ich so sagen darf. Und im Kriege wurden diese wieder abgelöst, weil es ja junge Leute waren, durch Männer...


VORSITZENDER: Beantworten Sie meine Frage, die lautete, ob Mitglieder der Waffen-SS in Konzentrationslagern verwendet wurden?

Sie sprechen vom Totenkopf.


VON EBERSTEIN: Es sind in Kriegszeiten vielleicht verwundete, nicht mehr frontdiensttaugliche Angehörige der Waffen-SS auch in diese Wachverbände mit versetzt worden. Das nehme ich an – die aus dem Lazarett kamen. Wenn man darin eine Verbindung erblicken will, so kann man das wohl sagen.


VORSITZENDER: Gehen wir zu einer anderen Sache über. Wie lange war dieser Gauleiter und Reichskommissar für das Münchener und südbayerische Gebiet im Amt?


VON EBERSTEIN: Der Reichsverteidigungskom missar Giesler- ich nehme an, daß der gemeint ist – war im Amt vom Sommer 1942 bis zum Schluß.


VORSITZENDER: Ich nehme an, daß Sie in engem Kontakt mit ihm standen?


VON EBERSTEIN: Ja, ich mußte ja Befehle, die also den Sektor der Landesverteidigung betrafen, mußte ich von ihm entgegennehmen. Ich war ja in meinem Berufsverhältnis, wenn ich so sagen darf und wie hier schon ausgesagt wurde, Polizeipräsident und ein[369] bayerischer Verwaltungsbeamter, und auch Giesler, der Reichsverteidigungskommissar, war bayerischer Innenminister, und als solcher war er auch mein Vorgesetzter.


VORSITZENDER: Waren Sie irgendeinem höheren Polizeioffizier unterstellt?


VON EBERSTEIN: Ich bitte um Entschuldigung, ich habe den letzten Teil der Frage nicht verstanden durch eine Störung.


VORSITZENDER: Gab es einen Polizeioffizier in München, der über Ihnen stand?


VON EBERSTEIN: Nein.


VORSITZENDER: Welcher Teil der Polizei war Ihnen unterstellt?


VON EBERSTEIN: Als Polizeipräsident bis 1942 – von 1942 an war ich nicht mehr Polizeipräsident, da wurde ich abgelöst durch einen anderen Herrn – hatte ich unter mir das Kommando der Schutzpolizei; das heißt, es war in jeder Großstadt Deutschlands ein Kommandeur der Schutzpolizei, der dem Polizeipräsidenten beigegeben war für die Regelung von verkehrspolizeilichen und anderen Aufgaben auf der Straße. Außerdem war innerhalb des Polizeipräsidiums eine Kriminalpolizeistelle. Mit der politischen Polizei, also mit der Geheimen Staatspolizei oder dem Sicherheitsdienst, hatten die Polizeipräsidenten nichts zu tun. Das waren Dienststellen, die für sich arbeiteten.


VORSITZENDER: Unterstand Ihnen die Gestapo?


VON EBERSTEIN: Nein.


VORSITZENDER: Der SD?


VON EBERSTEIN: Nein.


VORSITZENDER: Nun, welcher Teil der Polizei unterstand Ihnen?


VON EBERSTEIN: Als Polizeipräsident trug man die Verantwortung innerhalb der Stadt München und über alle anderen Polizeisparten.


VORSITZENDER: Die Antwort kommt nicht durch. Bitte sagen Sie nochmals, welche Polizeistellen Ihnen unterstanden.


VON EBERSTEIN: Welche Polizei mir unterstand? Ich sagte schon, nur als Polizeipräsident hatte ich über die Ordnungspolizei und das Kommando der Schutzpolizei – das waren ungefähr 1700 Beamte, die konnte ich einsetzen je nach Bedarf in der Stadt – und ebenfalls hatte ich eine Dienstaufsicht über die Kriminalpolizei. Ich konnte denen Weisungen erteilen als Polizeipräsident; als Höherer SS- und Polizeiführer jedoch nicht. Also, die anderen Kameraden, die nicht Polizeipräsidenten waren, die also nicht höhere [370] Beamte waren, die hatten nur das Recht, Inspektionen vorzunehmen und Anregungen zu geben. Es ist sehr schwer, das zu erklären, aber es ist tatsächlich so.


VORSITZENDER: Das ist alles. Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


RA. PELCKMANN: Ist es angenehm, Herr Präsident, wenn ich den nächsten Zeugen erst nach 13.00 Uhr rufe, um 14.00 Uhr?

VORSITZENDER: Nein, rufen Sie den Zeugen jetzt.


RA. PELCKMANN: Ich rufe den Zeugen Brill.

[Der Zeuge betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wollen Sie bitte Ihren vollen Namen angeben.

ZEUGE ROBERT BRILL: Robert Brill.


VORSITZENDER: Wollen Sie mir folgenden Eid nachsprechen: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzusetzen werde.«


[Der Zeuge spricht die Eidesformel nach.]


RA. PELCKMANN: Herr Zeuge! Welche Tätigkeit haben Sie ausgeübt, die Sie in den Stand setzt, hier über die Angelegenheit der SS auszusagen?

BRILL: Ich war zwölf Jahre lang bei der Waffen-SS, habe 1933 als einfacher Mann meinen Dienst in der Leibstandarte begonnen, bin dort Offizier geworden, bin dann vier Jahre lang, mit Unterbrechung von Fronteinsätzen, im Ergänzungsamt der Waffen-SS gewesen. Zum Schluß des Krieges war ich Ordonnanzoffizier in einer SS-Panzerdivision.


RA. PELCKMANN: Was heißt das: »Ergänzungsamt der Waffen-SS«?

BRILL: Das Ergänzungsamt der Waffen-SS befaßte sich mit der Werbung, der Untersuchung und der Einberufung der Rekruten der Waffen-SS, sowie mit der Wehrüberwachung der Gebietsangehörigen der Waffen-SS. Ich war im Ergänzungsamt Hauptabteilungsleiter und hatte dort die Einberufung und Wehrüberwachung unter mir. Ich habe jedoch auch genügend Einblick in die anderen Abteilungen bekommen, um hierüber Aussagen machen zu können.


RA. PELCKMANN: Ist es richtig, daß Sie besonders die zahlenmäßige Entwicklung innerhalb der Waffen-SS kennen?


BRILL: Jawohl.


RA. PELCKMANN: Und wollen Sie nun dem Gericht möglichst genaue Angaben machen unter besonderer Berücksichtigung der [371] Frage: Freiwillige Meldung zur Waffen-SS oder Einziehung zur Waffen-SS?


BRILL: Die Waffen-SS entstand aus der SS-Verfügungstruppe. Den Stamm der SS-Verfügungstruppe bildeten einige hundert Mann Leibstandarte. Diese waren 1933 aufgestellt worden als Wach- und Repräsentationstruppe der Reichskanzlei. Durch Erweiterung dieser Wach- und Repräsentationsaufgaben ist die Verfügungstruppe in den Jahren 1934 bis 1939 aus Freiwilligen aus den Gesamtschichten der deutschen Bevölkerung ergänzt worden. Bei Kriegsbeginn hatte die Verfügungstruppe zirka 18000 Mann. Der Dienst in der Verfügungstruppe war Wehrdienst.

Daneben bestand am 1. September 1939 noch der Totenkopfverband in Stärke von zirka 8000 Mann. Zu diesen beiden Verbänden nun kamen in der Zeit vom Herbst 1939 bis zum Frühjahr 1940 zirka 36000 Mann, die durch Notdienstverordnung als sogenannte Polizeiverstärkung eingezogen worden waren. Diese 36000 Mann, zusammen mit der Verfügungstruppe und den Totenkopfverbänden, bildeten die Waffen-SS.

Eine Verfügung des Oberkommandos der Wehrmacht vom Frühjahr 1940, die dann später in der im Dezember 1940 erlassenen Heeresdienstvorschrift erschien, regelte die Wehrüberwachung, Wehrerfassung und Rekrutierung dieser Waffen-SS. Wir hatten Anfang 1940 100000 Mann Waffen-SS, und zwar waren es 36000 Eingezogene und 64000 Freiwillige.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich nun.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 20, S. 334-373.
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