Freidank

[227] Freidank heisst oder nennt sich der Verfasser der Bescheidenheit, eines mittelhochdeutschen Spruchgedichtes aus der Blütezeit der höfischen Litteratur. Über die Person des Verfassers herrscht Dunkel; Wilhelm Grimm machte den Versuch, die Identität Freidanks mit Walther von der Vogelweide zu beweisen; doch ist seine Ansicht nicht durchgedrungen. Dagegen ist bis jetzt nicht sicher, ob der Name Freidank der überlieferte Familienname des Dichters oder ein angenommener Name ist. Für das erstere spricht eine Notiz in dem Buche des Nürnberger Arztes Hartmann Schedel, Opus de antiquitatibus, worin der Verfasser erzählt, er sei auf einer Kunstreise um 1466 in Treviso gewesen und habe daselbst das wohlerhaltene Grabmal Freidanks gesehen, mit der Inschrift:


Hye leit Freydanck,

gar on all sein danck,

der alweg sprach und nie sanck.


Doch ist die Identität auch dieses Freydanck mit dem Dichter der Bescheidenheit nicht nachgewiesen. Sicher ist, dass Freidank ein fahrender Dichter aus Schwaben war, der zwischen 1216 und 1240 dichtete und unter anderem Kaiser Friedrich II. auf seinem Kreuzzug begleitete. Das Spruchgedicht trägt den Namen Bescheidenheit, d.h. Lebensweisheit:


Ich bin genant Bescheidenheit,

diu aller tugende krône treit.

mich hât berihtet Frîdanc,

ein teil von sinnen die sint kranc.


Zwar im ganzen auf dem Boden mittelalterlicher und ritterlicher Weltanschauung stehend, ist er doch, soweit reiche Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, ein scharfes Auge für das Ganze es gestatten, ein freier Denker, der überall von der zufälligen, konventionellen Form des Denkens, Glaubens, Handelns, des gesellschaftlichen Lebens und Treibens der Zeit den tieferen Grund bleibender Wahrheit zu erkennen trachtet und sich vornehmlich deshalb als geistiger Genosse Walthers von der Vogelweide kundgiebt. In wenig zusammenhängenden Einzelsprüchen und Reimpaaren, die sich nur zuweilen häufen, bespricht er alle möglichen Verhältnisse von den Dingen dieser und jener Welt; von Gott und Natur, Himmel und Erde, Staat und Kirche. Spätere Handschriften haben die Sammlung in kleinere Abschnitte geteilt, welche folgende Überschriften tragen: von gote, von der messe, der sêle, den menschen, den juden, den ketzern, wuocher, hochvart, werlde, sünden, rîchen und armen, triuwe und untriuwe, dieben, spile, dieneste, rechte und unrechte, edele und tugende, alter, blinden, konege, gewinne und guote, sorgen, arzâten und siechen, nîde, lobe, scheltenne, gesellen, zorne, himelrîche und helle, pfaffen, künegen und fürsten, wîsen und tôren, milten und kargen, êre, trunkenheit, friunden, minne und wîben, erkantnisse, hunger, wâne, guot und übele, unkünde, tieren, schatz und pfenning, Rôme, Akers, zungen, liegen und triegen, endekrist, Gotes gebote, tôde, jungester tac, gebet. Es ist ein seltener, wahrhaft erquickender Reichtum an Sprüchen der Weisheit, den besten Spruchgedichten alter und neuer[227] Litteraturen würdig an die Seite zu stellen. Über die Quellen der Dichtung und über die Art ihrer Benutzung gehen die Erklärer auch auseinander; während die einen die Bescheidenheit als ein planvoll gearbeitetes Gedicht rühmen, sehen andere in ihm bloss eine Kompilation von Bibelsprüchen, Distichen Catos, Fabeln des Äsop, Stellen aus den Etymologien des Isidor, antiken Schriftstellern, Seneca, Ovid, Horaz, Virgil, Cicero, Plautus; auch zeitgenössische Dichter, wie Heinrich von Mölk, den Welschen Gast, Winsbeke und Walther soll er reichlich ausgeschrieben haben; Freidank habe nur eine Blütenlese des Besten geben wollen, was ihm von Maximen und Reflexionen aus alter und neuer Zeit bekannt war und in das er den eigenen Vorrat einwob. In jedem Fall aber bliebe dem Dichter die Form, durch die er diesen Vorrat erst dem Volke und seiner Zeit nahe brachte, und der freie Gedanke, die freie Lebensauffassung, die den geistigen Kern des Ganzen bildet; er entkleidet gleichsam die einseitige Denkweise der geistlichen und der höfischen Dichter ihres besonderen Gewandes und bildet aus ihr eine Lebensweisheit des Volkes; daher denn auch das Buch den Untergang der höfischen Bildung um Jahrhunderte überdauert hat. Das Gedicht hat sehr zahlreiche Handschriften veranlasst, ist ins Niederdeutsche, ins Niederländische, ins Lateinische übertragen worden. Sebastian Brant hat es 1508 in erneuerter Form zum Drucke gebracht; der Name Freidank wurde als besonders ehrenvoll auf ähnliche Dichter nach ihm übertragen. Noch Rollenhagen hat im Froschmäuseler den Freidank benutzt. Erst im 17. Jahrhundert verschwindet seine Spur. Ausgaben von Wilhelm Grimm und von Bezzenberger.

Quelle:
Götzinger, E.: Reallexicon der Deutschen Altertümer. Leipzig 1885., S. 227-228.
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