[442] Hymnen. Schon das apostolische Zeitalter besass neben den Psalmen höchst wahrscheinlich eigene christliche Gesänge, die aber bloss rhythmisch oder bloss in feierlicher Prosa abgefasst und meistenteils biblischen Inhalts waren, wie der Gesang Gloria in excelsis Deo. Erst vom vierten Jahrhundert an erhielten sowohl die morgenländische Kirche in griechischer und die abendländische Kirche in lateinischer Sprache eigentliche Hymnen in metrischstrophischer Konstruktion, welche in engster Beziehung zur Musik dieser Periode standen. Zwar hat die kirchliche Tradition schon früh für die ältesten derselben bestimmte Verfasser genannt; doch ist ein sicherer Beweis der Autorschaft meist nicht beizubringen. Nach der gewöhnlichen Annahme war Hilarius, Bischof zu Poitiers, gestorben 368, der erste, der die Reihe dieser lateinischen Hymnologen eröffnete; ihm wird vor allem der Hymnus Lucis largitor splendide zugeschrieben; als den gefeiertsten Hymnendichter nennt jedoch die Tradition den heiligen Ambrosius, 374 bis 397 Bischof von Mailand, von dem der Name ambrosianische Hymnen sogar als Gattungsname dieser Art geistlicher Poesie verwendet wurde. Diesem Kirchenlehrer wurde auch der sogenannte ambrosianische Lobgesang Te Deum laudamus zugeschrieben, ihm allein oder ihm und dem heiligen Augustin gemeinsam; sowohl seine freie rhythmische Form als sein Inhalt deuten aber auf höheres Alter; im kirchlichen Gebrauche des Abendlandes stand der Lobgesang schon im Beginn des 6. Jahrhunderts, anfangs wahrscheinlich als Morgengesang bestimmt; im 8. und 9. Jahrhundert findet man ihn in Deutschland schon bei Krönungsfeierlichkeiten und Kirchenversammlungen gesungen; man vermutet als Quelle ein altgriechisches Muster. Neben Ambrosius werden als Dichter des 4. bis 6. Jahrhunderts besonders noch Augustin, Prudentius und Fortunatus genannt; in das 7. Jahrhundert fällt Gregor der Grosse, dessen Bemühungen um die Kirchenmusik jedoch weit bedeutender als seine dichterischen Arbeiten gewertet werden. Eine neue Periode des Hymnus schliesst sich an die durch die Karolinger neu beginnende Pflege der Wissenschaften; dahin gehört als Vorläufer Beda der Ehrwürdige, dann Paulus Diakonus und Alkuin, Rabanus Maurus, die St. Galler Notker der Stammler, Tutilo und Ratpert, Walafrid Strabo aus der Reichenau, der Bischof Theodulf von Orleans; doch steht auch hier die Autorschaft selten fest; wird doch sogar Karl dem Grossen der Hymnus Veni creator spiritus zugeschrieben, als dessen Verfasser auch Rabanus Maurus genannt wird. Das Interesse dieser Zeit an hymnologischen Dichtungen erhellt auch aus der althochdeutschen, dem 9. Jahrhundert angehörigen Übersetzung ambrosianischer Hymnen. Die Hymnologie nimmt dann Anteil an der besonders durch die Cisterzienser und Cluniazenser bewerkstelligten Reform des kirchlichen und religiösen Lebens im Sinne einer subjektiveren, weltfeindlichen, in sich abgeschlossenen, religiösen Weltanschauung, aus welcher später die Scholastik herauswächst; die hierher gehörigen Namen sind Odo von Clügny, Petrus Damiani, Fulbert von Chartres, Bernhard von Clairveaux, Adam von St. Viktor, Thomas von Aquino, Bonaventura, Thomas von Celano; von dem Franziskaner [442] Jacobus de Benediktus soll das Stabat mater herrühren. Vom 14. Jahrhundert an sind nur noch wenige bedeutende Hymnen gedichtet worden. Die besten Sammlungen der Hymnen sind von Mone, Daniel und Ph. Wackernagel; von G.A. Königsfeld hat man zwei kleinere Sammlungen lateinischer Hymnen mit beigesetzter deutscher Übersetzung, Bonn 1847 und 1865. Vgl. Ebert, Geschichte der christlichlateinischen Litteratur des Mittelalters.