[493] Kinderspiele. Von Gegenständen, mit denen sich die Kinder schon im Mittelalter belustigen, ist zwar die Klapper in alten Dichtungen nicht nachgewiesen, dagegen hat man sie in Heidengräbern gefunden. Beliebt waren Hund und Katze als Spielzeug von Alten und Jungen, sodann Vögel, die man früh in Käfigen hielt: wîp undevederspiel, die werdent lîhte zam, singt der Kürenberger; namentlich werden zahme Stare und Sittiche (Papageien) erwähnt. Neben lebenden Tieren gab es dergleichen in Thon, Holz und Metall nachgeahmte Geschöpfe; Vögel von Thon, inwendig hohl und mit Klappersteinen gefüllt, sind oft in Gräbern aufgefunden worden. Die Puppe heisst mhd. wie jetzt noch tocke und ist z.B. Wolfram von Eschenbach ganz geläufig. Auch Puppenhäuser kommen vor, siehe den Anzeiger z. Kunde d.d. Vorzeit, 1870, 229 bis 238; 312320. Ebendaselbst 1881, 349351 ein Inventar der Spielsachen für die Kinder des Kurfürsten August von Sachsen, 1572. Knaben ritten auf der Gerte oder dem Steckenpferd, ûfem stabe, die gerten rîten. So unterhielt sich die Jugend gern mit Reiftreiben und Reifschlagen; auch hölzerne Waffen erwähnt schon Notker, wenn er die Stelle des 63. Psalms: Sagittae infantium factae sunt plagae eorum, übersetzt: iro strala wurden chindo strala, diu uzer stengelon iro scoz machont, ihre Pfeile wurden Pfeile der Kinder, die ihre Geschosse aus Stäben verfertigen.
Natürlich nahmen die Kinder doppelten Anteil an der Frühlingslust des Volkes, und zwar sind die ersten Knabenspiele im Lenz das Kreiselschlagen, mhd. den kopf umbe trîben und das Spicken oder Schusserspiel, das Spiel mit trîbkugeln, gelben kugelîn, Schnellkügelchen,[493] Glückern. Freudig wird das erste Veilchen begrüsst und umtanzt, auch der Storch, die Schwalbe, der erste Maikäfer besungen, wobei aller Wahrscheinlichkeit nach die heute gebräuchlichen Kinderlieder schon ihren Dienst thaten. Auch dass sich Knaben aus saftigen Birkenzweigen Schalmeien drehten, wird belegt. Die Jugend nahm sodann Anteil am Ballspiel und am Reihenspringen des Volkes. Als besondere Kinderspiele werden in den Quellen erwähnt: Die goldene und die faule Brücke, Das Totentanzspiel, Der Plumpsack, das Schaf- und Wolfspiel, Das Geierspiel, Das Schelmspiel, Helfen und Geben. Schaukeln heisst mhd. schoc, schocke, ûf dem schocken farn, ûf dem seile rîten. Andere alte Spiele sind: Gerad und Ungerad, Stözlen oder Blättlen, Verkaufen, Kochen, Verstecken, zirlin mirlin gassen tirlin, Steinbergen, Lachen verhalten oder Gramüeseli machen, Blindekuh oder Blindemaus, »Herr König, ich diente gern«, welches jetzt »Schenken und Logieren« heisst, Knöcheln oder Ausdappeln, d.h. aus der inneren Handfläche Steinchen emporwerfen und dieselben mit der äusseren auffangen; auch das Würfelspiel war bei der Jugend beliebt. Verbreitetes Spiel waren das vingerlîn snellen, Platzwechseln, »Schneider leih mir die Scher«. Auch verschiedene Turnspiele werden genannt, das Stelzen, Kegelspiel.
Beispiele von Kinder-Sprechübungen giebt es zahlreiche aus dem Mittelalter, z.B. ein flîg die prewt ein praw von pir; wenn wir wern, wo wir wolten, wer wais, wo wir wern; wenn mancher mann wüsste, was mancher mann wäre etc., ist aus dem 15. Jahrhundert belegt; Fischart hat u.a. Kuhrantumvih, Vislamenten kukleas, Zunglinspitzlin, Fritzenschmitzlin, Meiner Mutter Magd macht mir mein Muss mit meiner Mutter Mehl.
Belegt sind ferner Kindersprüche und Reime, welche den Ruf der Vögel nachahmen, sodann Sprüche an die Schnecke, Grille, den Maikäfer und den Kuckuck. Ein Kettenreim aus dem 14. Jahrhundert beginnt:
Es reit ein hêrre:
eîn schilt war sîn gêre;
ein gêre war sîn schilt,
unde ein hagel sîn wint;
sîn wint war sîn hagel,
ich wil iuch fürbas sagen,
ich wil iuch fürbas singen:
bougen daz sint ringe;
ringe daz sint bougen,
unde ein slâf ein ouge etc.
Das Kindergebet, das Johannes Agrikola (geb. 1492) in seiner Jugend betete, lautet:
Ich wil heint schlafen gehen,
zwölf engel sollen mit mir gehen,
zwen zur haupten,
zwen zur seiten,
zwen zun füssen.
zwen die mich decken,
zwen die mich wecken,
zwen die mich weisen
zuo dem himlischen paradeise.
Amen.
Kinderrätsel sind in lateinischer Sprache aus dem 10. Jahrhundert bekannt; ebenso ist das Märchenerzählen durch frühe Zeugnisse belegt. Nach Zingerle, Das deutsche Kinderspiel im Mittelalter 1868. Vgl. Rochholz, Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, 1857.