[2100] PROSERPĬNA, æ, Gr. Περσεφόνη, ης, (⇒ Tab. IX. & ⇒ X.)
1 §. Namen. Den Namen Proserpina soll diese Göttinn von proserpo haben, weil das gesäete Getraide an das Licht hervor krieche. Arnob. ap. Voss. Etymol. in Serpo, p. 541. Dieß hat sein: Absehen darauf, daß sie der Ceres Tochter seyn soll. Andere sehen damit auf den Mond und sagen, sie heisse so, weil sie kriechend bald zur rechten, bald zur linken Seite weit beweget werde; Varro de LL. l. IV. oder auch, weil sie niedriger laufe und krieche. Scaliger ap. Becmann. in Diana. Allein, am besten wird der lateinische Namen wohl von dem Griechischen hergeleitet, so, daß aus Περσεφόνη Proserpina gemacht worden ist. Cic. de N.D. l. II. c. 26. p. 1183. & Voss. l. c. Sonst heißt sie auch im Lateinischen vielfältig Persephone, und hiernächst hin und wieder Libera, Hecate, u.s.f. welche Namen an ihren Orten nachzusehen sind. Zuweilen hieß sie auch wohl die unterirdische Juno. Stat. Epiced. Glauc. 147.
2 §. Aeltern. Ihr Vater war Jupiter, ihre Mutter aber Ceres, Jupiters Schwester. Hesiod. Theog. v. 915. & Hygin. Fab. 146. Jedoch machen andere auch die Styx zu ihrer Mutter. Apollod. l. I. c. 3. §. 1. Nach der phönicischen Theogonie war sie des Kronus Tochter, die unverheurathet starb. Sanchon. ap. Euseb. Pr. Ev. l. I. c. 10. p. 36.
3 §. Wesen und Schicksal. Als sie erwachsen, und vor andern Göttinnen [2100] eine besondere Schönheit besaß, so gaben sich so wohl andere, als insonderheit Mars und Apollo, zu Freyern um sie an. Weil aber Ceres meynete, es möchten ihr dieselbe deren einer auch wider ihren Willen entführen, so verbarg sie solche heimlich in Sicilien. Claudian. de R. P. l. I. v. 130. Sie lebete daselbst mit ihrer Amme, Kalligenia, in einer Höhle, vor welcher ein Paar Drachen Wache halten mußten. Allein, Jupiter nahm die Gestalt eines solchen Drachen an, und zeugete den Zagreus oder Bacchus mit ihr. Nonni Dionys. l. VI. v. 157. Weil er nun den Pluto doch auch gern mit einer Gemahlinn versorget wissen wollte, Claudian. l. c. v. 215. zumal derselbe ganz toll nach einer Frau that: Id. ib. v. 32. so eröffnete er seine Gedanken dießfalls der Venus, welche darauf die Minerva und Diana zu sich nahm, und mit ihnen nach Sicilien gieng. Id. ib. v. 227. Hier vermochten sie die Proserpina, indem Ceres nicht zu Hause war, daß sie mit ihnen in ihrer schönsten Pracht ausspazierete. Es schlugen sich noch die Nymphen dazu, und sie machten also eine höchst angenehme Gesellschaft zusammen aus. Zephyrus fand sich auf der Minerva Ermahnen auch dabey ein: allein, indem eine von den Göttinnen und Nymphen dahin, die andere dorthin gieng, auf der Venus Ermahnen, Bluhmen zu pflücken, so erhub sich plötzlich ein Erdbeben, welches Thürme und Mauern einstürzete, wobey denn Pluto endlich mit seinem Wagen hervor brach, und die Proserpina hinweg führete. Es nahmen sich zwar Pallas und Diana ihrer an: allein, Jupiter gab durch einen Donnerschlag zu verstehen, daß er Plutons Unternehmen billigte. Sie ließen ihn also die Proserpina hinweg nehmen, welche denn die bittersten Klagen über ihr Unglück ausstieß. Pluto suchete sie dagegen möglichst zu trösten; und alles in der Hölle wurde erfreuet, als er sie dahin brachte. Id. ib. l. II. per integr. Man sieht es auf verschiedenen Munzen, wie er mit ihr davon fährt. Auf einer syedrensischen des Trebonianus [2101] Gallus aber steht vor dem Wagen noch eine Person, die mit der Hand etwas anzudeuten scheint. Frœl. tent. p. 348. Sieh Pluto. Nach einigen fanden sich auch die Sirenen bey der Proserpina, als dieser Raub vorgieng, und halfen sie hernach allenthalben mit suchen. Da sie dieselbe aber nicht finden konnten, so erbathen sie sich endlich von den Göttern Flügel, um desto geschwinder allenthalben fort kommen zu können. Sie bekamen solche, und wurden also halbe Jungfern und halbe Vögel. Ovid. Met. V. 552. Desgleichen widersetzete sich dem Pluto die Nymphe, Cyane; welche darüber zu einem Brunnen wurde. Id. ib. v. 412. Ceres suchte darauf ihre verlorne Tochter allenthalben, wozu sie die Fackeln an dem brennenden Aetna anzündete. Id. ib. v. 442. Allein, es war alle ihr Bemühen vergebens, bis ihr endlich die Nymphe Arethusa den ganzen Verlauf erzählete. Id. l. c. v. 487. So gleich machte sie sich an den Jupiter, und verlangete ihre Tochter wieder. Er versprach ihr solche, wenn sie nur noch nichts in der Hölle gegessen hätte. Weil sie aber ungefähr einen Granatapfel abgebrochen und einige Kerne davon genossen hatte, welches Askalaphus verrieth, und dafür von der Proserpina in einen Uhu verwandelt wurde: Id. ib. v. 534. & Serv. ad Virg. Georg. I. v. 39. so mußte sie bleiben, wo sie war. Damit indessen doch Ceres einigermaßen getröstet würde, so machte Jupiter, daß Proserpina des Jahres sechs Monate bey ihrem Gemahle, und sechs Monate wiederum bey ihrer Mutter bleiben sollte, womit denn Ceres endlich zufrieden war. Ovid. l. c. v. 564. Inmittelst blieb Proserpina die eigentliche Gemahlinn des Pluto und Königinn der Hölle und aller unterirdischen Dinge. Id. ib. v. 507. Sie warf aber dabey ihre Augen auch auf den Adonis, dessen Besitz ihr denn Jupiter zum Theile zusprach. Apollod. l. III. c. 13. §. 5. Sieh Adonis. Sie hatte aber weder mit diesem, noch einigen andern, oder dem Pluto selbst, einige Nachkommen. Gleichwohl war sie so eifersüchtig, daß [2102] sie die Menthe, eine Nymphe, in einen Krausemünzenstock verwandelte. Ovid. Met. X. v. 728. & ad eum Farnab. l. c. Man glaubete von ihr, daß sie den Sterbenden zur Einweihung in das Reich der Todten das Haar abschnitte, weil sie sonst nicht ersterben könnten. Virg. Aen. IV. 698. Cf. Barnes. ad Eurip. Alcest. 77.
4 §. Beynamen. Nach diesen heißt sie unter andern:
Core,Despœna,Domina,
Libera,Pherephatte,Primigenia,
5 §. Bildung. Sie wird als eine ansehnliche Frauensperson vorgestellet, die neben dem Pluto auf der linken Hand sitzt, ein schwärzliches und fürchterliches Gesicht hat. Albric. de Imag. Deor. c. 10. Jedoch soll sie vor ihrem Raube wirklich schön gewesen seyn. Claudian. ap. Voss. Theol. gentil. l. IX. c. 30. In dieser Gestalt zeiget sie sich noch auf einem geschnittenen Steine, wo sie an dem Fuße des Berges Aetna sitzt und Bluhmen pflücket, dabey aber ein Gartenmesser in der Hand hat. Lipperts Dactyl. I Taus. 106 N. Ihren Kopf sieht man auf verschiedenen sicilianischen, sonderlich cyzicenischen Münzen, mit Aehren und Mohnblättern bekränzet. Buonarotti Osserv. sop. alc. Medagl. p. 73.
6 §. Verehrung. Man erwies ihr solche insonderheit in Sicilien durch ein Fest von zehen Tagen. Alex. ab Alex. l. VI. c. 19. & ad eum Tiraquell. l. c. Dieses wurde vornehmlich zu Cyzicum gefeyret. Plutarch. in Lucul. p. 497. Dergleichen geschah zu Megalopolis, in Arkadien, wo sie und ihre Mutter die großen Göttinnen hießen und einen sehr großen Tempel hatten. Neben demselben stund noch ein besonderes Heiligthum für sie allein; und ihre steinerne Bildsäule war acht Fuß hoch, und deren Fußgestelle ganz mit Bändern umwunden. In diesen Tempel durften die Mannspersonen nur einmal des Jahres, die Frauenspersonen aber zu allen Zeiten gehen. Pausan. Arcad. c. 31. p. 507. Desgleichen verehrete man sie [2103] an andern Orten Griechenlandes mehr. Nat. Com. l. III. c. 16. So hatte sie auch mit der Ceres ihren Tempel zu Rom in der XI Region. Dionys. Hal. & Tacit. ap. Nardin. l. VII. c. 3. Es pflegten ihr besonders schwarze und unfruchtbare Kühe geopfert zu werden. Virgil. ap. Voss. l. c. Plutar. l. c. Außerdem waren ihr noch die Fledermäuse, die Granatäpfelbäume, der Winter u.s.f. gewiedmet. Voss. l. c. Ihr wurden, wie ihrer Mutter die großen, also die kleinen Geheimnisse gefeyert. Schol. Aristoph. ad Plut. v. 846.
7 §. Eigentliche Historie. Sie wird für eine wirkliche Prinzessinn der Ceres, einer Königinn in Sicilien, gehalten, welche Pluto, König in Spanien, entführet und zur Gemahlinn genommen. Banier Entret. VIII. ou P. I. p. 230. Dess. Erl. der Götterl. IV B. 79 S. Andere machen sie zu einer Gemahlinn des Aidoneus, Königs in Epirus; Theodont. & Cleric. ap. eumd. ll. cc. und die dritten geben sie für des Erechtheus Tochter an, welche er selbst geopfert, woher denn gedichtet worden, als ob sie Pluto entführet. Stobæus ap. Abelium H. M. l. II. c. 1. §. 16. Noch andere halten sie für einerley mit der Maja, Bona dea, Fauna, Ops, Fatua, und Medea, Macrob. Sat. l. I. c. 12. wie auch Hekate, welche denn besonders nachzusehen stehen.
8 §. Anderweitige Deutung. Nach einigen ist sie nichts, als der Mond; Serv. ad Virgil. Georg. I. v. 39. nach andern aber der Samen des Getraides; Cicer. de N.D. l. II. c. 26. p. 1183. b. welches sechs Monate in, und sechs Monate über der Erde sich befindet; und nach den dritten die untere Halbkugel der Erde. Nat. Com. l. III. c. 16. Sie kann dabey den jungen Schönen zum Troste dienen, die, um des schnöden Geldes willen, mit einem schwarzen und häßlichen Pluto, wider ihren Willen, zu Bette gehen müssen. Omeis Myth. in Proserpina, p. 222.
Buchempfehlung
Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.
358 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro