[967] 1S. Lutgardis, V. (16. Juni). Von dieser auserwählten Jungfrau und Dienerin Gottes [ihr Name bedeutet so viel als Volksgarten sagt das Mart. Cist., sie habe bei Lebzeiten durch das Lob aller Tugenden geblüht, nach dem Tode aber durch Wunderzeichen geglänzt. Sie wurde im J. 1182 zu Tongern geboren. Ihr Vater bestimmte sie für den Ehestand, während die Mutter ihrerseits sie ungestüm ins Kloster drängte. Sie verrieth hiezu keine Neigung. Als sie, zwölf Jahre alt, in das Catharinenkloster bei St. Trond zur Erziehung kam, hatte sie in dieser Hinsicht schwere Prüfungen zu bestehen. Man ließ ihr übrigens volle Freiheit des Umgangs und der Berufswahl. Als sie noch unentschlossen schwankte und nicht wußte, was sie thun sollte, sah sie eines Tags den göttlichen Heiland, der ihr seine Seitenwunde zeigte und zu ihr sprach: »Hier betrachte, was und warum du lieben sollst, hier wirst du die reinsten Wonnen finden.« Von jetzt an empfand sie große Sehnsucht, nur Ihn zum Bräutigam zu haben und fing an, allen eitlen Dingen zu entsagen. Sie gewöhnte sich, beständig in Seiner Gegenwart zu bleiben, und nur mit Ihm vertrauten, liebenden Umgang zu pflegen, um aller sinnlichen Liebe los zu werden. Sie redete mit Ihm, als ob Er persönlich bei ihr stünde. Mußte sie einer Arbeit wegen das Gebet unterbrechen, so pflegte sie zu sagen: »Nun warte meiner hier, Herr Jesus, wenn ich mein Geschäft gethan, will ich flugs wieder kommen.« Einige Zeit verweilte sie nach Umlauf ihrer ersten Jugend bei ihrer Schwester, ging aber bald – und jetzt aus eigenem Antriebe – wieder ins Kloster zurück. Als sie gleich Anfangs großen Eifer zeigte, meinten die Klosterfrauen, daß sie bald in demselben nachlassen würde. Sie selbst war nicht ohne Furcht wegen der menschlichen Schwäche und Unbeständigkeit, aber eine Erscheinung der hl. Jungfrau tröstete sie und versicherte sie ihres beständigen Schutzes. Einer ähnlichen Erscheinung hatte sie sich von der hl. Catharina, unter deren Schutz das Haus stand, zu erfreuen. Der hl. Johann Evangelist erschien ihr einmal in Gestalt eines leuchtenden Adlers, der mit dem Schnabel ihren Mund öffnete, und ihre Seele mit überirdischer Weisheit erfüllte. Ein anderes Mal goß sich, während sie betete, die Gnade so über sie aus, daß von ihren Fingern eine Flüssigkeit, dem Oele ähnlich, herausfloß. Später traten einmal, als sie die Blutvergießungen Jesu in seinem Leiden betrachtete, selbst aus ihren Haaren Blutstropfen hervor, die jedoch nach Vollendung der Betrachtung wieder spurlos verschwanden. Je mehr sie aber sich dem innerlichen, mit Gott verbundenen Leben in heiliger Beschaulichkeit hingab, desto größer wurde ihre Andacht, so daß nur ihr Körper noch auf Erden weilte, während ihre Seele in Gott vertieft war. Sie wurde öfter im Gebete verzückt und die Klosterfrauen sahen einmal über ihrem Haupte einen Lichtstrahl, klarer als Sonnenschein. Dabei übte sie die Liede für die Armen und Kranken in der Art, daß sie die Leiden, welche jene empfanden, in ihrem eigenen Herzen verspürte. Die Fürbitte für Leidende jeder Art, namentlich für Sünder, übte sie mit wunderbarem Erfolge. Thatsachen dieser Art finden sich in der Legende von Stolz (II. Juni, S. 112 ff.) zahlreich zusammengestellt. Damit ihre Gebete, namentlich die gemeinschaftlichen Chorgebete, vom Geiste größerer Andacht durchdrungen würden, erbat und erhielt sie vom Heilande die Gnade des innern Verständnisses des Psalteriums. Aber sie strebte noch weiter. Hienieden schon wollte sie vollkommen Eins seyn mit Jesus, weßhald sie zu Ihm flehte: »Ich will Dein Herz haben.« Darauf bekam sie zur Antwort: »Ich will dein Herz auch haben.« Da betete sie wieder: »Es sei also, Herr, daß Du Deines Herzens Liebe zu meinem Herzen senkest, es Dir gleich förmig machest, und ich mein Herz in Dir haben und besitzen könne, damit es allezeit sicher und frei sei.« Von jenem Tage an waren alle schweren sinnlichen Anfechtungen von ihr genommen. Die Erscheinungen des leidenden Erlösers wiederholten sich; es wurde ihr gegönnt, an der Wunde seiner Seite zu ruhen und sie zu küssen. Nach zwölfjährigem Aufenthalt im St. Catharinenkloster trat sie endlich um das [967] J. 1206 in das etwa vier Meilen von Brüssel entlegene Kloster Avieres, auch Aywieres (Aquiria) genannt, das dem Orden der Cistercienser zugehörte. Obwohl hier französisch gesprochen wurde, was sie nicht verstand und auch in ihrem ganzen Leben nicht erlernte, wählte sie dieses Kloster und nicht jenes von Herkenrode, in welches ihre eigene Wahl sie geführt hätte, um, auch hierin sich abtödtend, dem Rathe des Beichtvaters und ihrer frommen Freundin Christina4 zu entsprechen. Als der Bischof ihr wie den übrigen Candidatinnen den jungfräulichen Kranz auf das Haupt setzte, sah einer der umstehenden Priester es mit einer goldenen Krone geschmückt. Von da an ist Lutgardis ihrem himmlischen Bräutigam noch vollkommener angehangen. Ihre Tugenden werden von einem Augenzeugen also geschildert: »Ist die Demuth ein Weg Christi, so ist sie nie hoffärtigen Sinnes gewesen; ist auch die Armuth ein Weg Christi, so ist Lutgardis der Armuth so beflissen gewesen, daß sie an die tägliche Nahrung nicht einmal denken mochte; ist Barmherzigkeit und Freundlichkeit ein Weg Christi, so muß ich bekennen, daß ich in diesem Leben Niemanden gesehen habe, der barmherziger als sie gewesen; ist Kreuz und Abtödtung ein Weg Christi, so hat Lutgardis sich mit Fasten und Bußwerken auf eine Weise gepeinigt, daß sie von keinem Menschen, Mann oder Weib, übertroffen wurde.« In der Gottesliebe wurde sie so stark, daß sie sagte: »Lieber wollte ich in der Hölle seyn mit Gott, als mit den Engeln ohne Gott im Himmel.« Zur Bekehrung der Sünder legte sie sich dreimal in ihrem Leben, auf eine Erscheinung der Mutter Gottes hin, ein siebenjähriges Fasten auf, während dessen sie nichts als Brod und Bier genoß und wunderbarer Weise, wenn man sie zwingen wollte, andere Nahrung zu nehmen, solche nicht hinunterbringen konnte. Eine Stärkung war es ihr, wenn sie zusehen durfte, wie die andern Klosterfrauen besseres Essen bekamen und sich desselben freuten. Dabei war sie nicht ohne Sorge; sie glaubte immer noch zu wenig festzustehen in der Liebe des Herrn, fürchtete ihr Heil zu verlieren und betete öfter mit Innigkeit, dessen versichert zu werden. Beim Chorgebete befleißigte sie sich, nur auf die Worte zu achten, welche sie las und war bemüht, jeden andern Gedanken, auch solche, die an und für sich gut waren, zu unterdrücken. Die ganze Zeit, in welcher sie lebte, sammt denen, die an ihrer Spitze standen, spiegelte sich in ihrer frommen Seele wieder. Als Papst Innocenz III. nach der Beendigung des Concils auf dem Lateran im J. 1216 gestorben war, sah sie ihn in den Peinen des Fegfeuers und kam ihm zu Hilfe. Sie war aber wohl auf der Hut, die wirklichen Visionen von den falschen Vorspiegelungen des bösen Feindes, sowohl für ihre eigene Person, als für Andere zu unterscheiden. Als besonders gutes Werk übte und empfahl sie das Gebet und den geistlichen Beistand für die Sterbenden und für die armen Seelen im Reinigungsorte. Weil jedes Ding seine Zeit hat, wie sie aus der hl. Schrift gelernt hatte, war sie darauf bedacht, ungeachtet der Bußwerke, welchen sie sich unterzog, doch ihre Gesundheit nicht zu schwächen, damit sie noch mehr Arbeit zum Heile der Seelen auf sich nehmen könnte. In der Betrachtung der Leiden, welche die heiligen Martyrer erduldet hatten, empfand und übte sie eine Zeit lang die Sehnsucht nach dem Martyrium so sehr, daß ihr eine Ader sprang, was ihr großen Blutverlust zuzog, worauf der Herr ihr zu verstehen gab, daß der innigliche Wille, für Ihn zu sterben und das in dieser Meinung vergossene Blut, sie den Martyrern ähnlich gemacht habe. Ganz in demselben Sinne hörte sie einst, wie der Herr sie darüber tröstete, daß sie den Armen nicht, wie sie wünschte, helfen konnte: »Gold und Silber hast du nicht, aber gib was du hast und bete für sie, so hast du mein Gesetz gehalten.« Die letzten eilf Jahre ihres Lebens war sie des Augenlichts beraubt und vielfach mit Krankheiten heimgesucht. Es war dieß die Vollendung ihrer Reinigung. Vor ihrem Tode ermahnte sie der Herr noch zu drei Stücken: sie solle für die empfangenen Wohlthaten Gott danken, den Vater der Barmherzigkeit für das Heil der Sünder bitten, und an allen Sorgen für menschliche Dinge vorbei, in die Ruhe der Heiligen einzugehen sich beeilen. Sie starb, wie sie vorausgesagt, am 16. Juni 1246, nachdem sie vorher die heiligen Sacramente empfangen hatte, im 63. Jahre ihres Alters. Man begrub sie an die rechte Wand des Chores, an demselben Orte, wo sie am öftesten gebetet hatte. Wie im Leben, so leuchtete sie auch nach dem Tode durch mannigfache Wunderzeichen. Ihr Name steht auch im Mart. Rom., [968] obwohl sie nie förmlich canonisirt worden ist. Für die künstlerische Darstellung finden sich Motive genug in ihrer Lebensbeschreibung. Man findet sie auch, wie sie ein Crucifix in die Arme schließt, wie ihr Christus in seiner Herrlichkeit erscheint, oder wie Er sie mit losgemachtem Arme vom Kreuze herab segnet. (III. 231–262).
Heiligenlexikon-1858: Lutgardis, S. (2) · Lutgardis, B. (3)
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