Notkerus, B. (1)

[592] 1B. Notkerus (Notgerus), Mon. (6. April al. 19. Mai). Dieser Selige trägt den Beinamen Balbus oder Balbulus, weil er beim Sprechen anzustoßen pflegte. Er war in einem Pfarrdorfe des jetzigen Cantons Zürich, Namens Elg (früher Heiligau) wo das Stammschloß der Eltern Notkers stand, um d.J. 830 geboren. Der Knabe wurde von seinen Eltern um d.J. 842 dem Abte Grimo von St. Gallen übergeben und in die Klosterschule, welcher bis zum J. 860 Iso, der berühmteste Gelehrte seiner Zeit19 vorstand, aufgenommen. Wie an Wissenschaft, so wuchs er mit den Jahren auch an Gottseligkeit. Als Jüngling schon war er mehr einem Engel als einem Menschen ähnlich. Stets traf man ihn betend oder studirend. Ohne besondern Befehl seiner Obern ging er nie aus dem Kloster; vor Frauenspersonen, selbst jenen seiner nächsten Verwandtschaft, erschien er stets mit geschlossenen Augen. Er war streng gegen sich und mild gegen Andere. Doch unterließ er es nicht, seinen Mitschülern muthwillige Scherze zu verweisen. Gerne vollzog er die niedrigsten Dienste. Am liebsten besuchte er die Kranken, um sie zu trösten [592] und ihr Gemüth Gott zuzuwenden. Die Strenge seiner Bußübungen begründete er durch die Lehre, »daß Reinheit und Unschuld nicht bei denen gefunden werde, welche üppig leben.« Darum nennt ihn sein Biograph »ein vollgefülltes Gefäß des heil. Geistes.« Dem seligen Notker verdanken das Kirchenlied und der Choralgesang ihre Reinerhaltung und Ausbildung in Deutschland. Er schrieb nebst einer hierauf bezüglichen Abhandlung (de musica et symphonia) ein Buch Sequenzen (lib. sequentiarum), sein Hauptwerk, herausgegeben von Pez, ferner ein größeres Martyrologium (nebst einigen Gedichten zuerst abgedruckt bei Canisius l.l. ant.) eine Abhandlung über die Schriftauslegung (de expositionibus s. script.) und das Leben der hhl. Aebte Gallus und Fridolin. Kaiser Karl der Dicke erbat sich in Gewissensfällen und in Angelegenheiten des Reiches seinen Rath, aber ohne ihn, wie es scheint, zu befolgen. Zu allen Zeiten und für alle Fürsten gilt sein Ausspruch: »Glücklich wird der König seyn, welcher die Leidenschaften aus dem Garten seines Herzens entfernt, und groß werden seine Verdienste seyn, wenn er in der Kirche Gottes, die zu schirmen er verpflichtet ist, Irrthümer und Laster ausrottet, und unter den Menschen die Tugenden pflegt und fördert.« Wie sehr ihm die Liebe des Nächsten am Herzen lag, beweist der Umstand, daß er für seinen Neffen Wolo, von dem Tage seines Todes an, täglich das Officium betete, als ob dieser noch am Leben wäre. Die Tage seines spätern Alters widmete der Diener Gottes gänzlich dem Gebete und der Vorbereitung auf die Ewigkeit. Nach längerem Kränkeln ergriff ihn ein heftiges Fieber. Da er sein Ende herannahen sah, bat er um die heil. Sacramente, welche er auch in Gegenwart seiner weinenden Brüder empfing. Nachdem er ihnen noch den Segen ertheilt hatte, empfahl er sie und das Kloster der Obhut Gottes und seiner Patrone Gallus und Othmar, und entschlief sanft, wie er gelebt, am 8. April 912. Lange Zeit nach seinem Tode zeigte sich das Herzeleid seiner Mitbrüder durch schmerzliche Thränen, so oft von ihm nur die Rede war. Sein Leib ward in der Münsterkirche, in der Seitenkapelle des hl. Petrus beigesetzt und durch Wunder verherrlichet. Seine Seligsprechung, die schon Papst Innocenz III. gern vollzogen hätte, erfolgte durch Papst Julius II. im J. 1513. Seine Gebeine, wie jene des hl. Othmar, brachten die Mönche zur Zeit des Bildersturmes im Jahr 1529 nach Einsiedeln in Sicherheit. Gegenwärtig ruhen dieselben wieder in der Domkirche von St. Gallen. Der Abt Franz Gaisbergen, († im J. 1529) hat seine jährliche Feier auf den dritten Sonntag nach Ostern verlegt. Einige halten ihn für den unbekannten Verfasser einer Lebensgeschichte Karls des Großen. Sehr gut ist folgende Anekdote: Ein stolzer Priester, welcher mit Neid den großen Ruhm des Seligen wahrnahm, fragte ihn eines Tages, was Gott gegenwärtig im Himmel mache, und erhielt die Antwort: »Er erhöhet die Demüthigen und erniedriget die Stolzen.« Auf Bildnissen sieht man ihn dargestellt, wie er auf den Teufel, welcher ihn in der Gestalt eines Hundes im Gebete beunruhiget, mit einem Stocke losschlägt.


Quelle:
Vollständiges Heiligen-Lexikon, Band 4. Augsburg 1875, S. 592-593.
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