[601] 1S. Odilia (Othilia), V. Abbat. (13. al. 14. Dec.). Das Bisthum Straßburg verehrt nach der seligsten Jungfrau Maria die hl. Abtissin Odilia als erste Schutzpatronin. Ihr frommes Leben ist oft beschrieben worden. Schon ein gleichzeitig lebender Mönch von Lüders bei Colmar hatte dasselbe beschrieben; Mabillon liefert ein anderes Leben aus dem Alterthum; aus dem Mittelalter besitzen wir eine Legende in Versen. Unter den Neuern berichten über die hl. Odilia: Canisius, Raderus, Grandidier, Schöpflin, Butler (Räß und Weiß), und die Legendenschreiber überhaupt. Die neueste und beste Bearbeitung von Th. de Bussiere ist von Steck in deutscher Sprache herausgegeben und von uns hier benützt worden. (Zweite vermehrte Ausg. Aschaffenburg, 1847.) Auch die von Strobel besorgte neue Ausgabe der Schrift: I. A. Silbermann, Beschreibung von Hohenburg, Straßburg 1835, gibt willkommene Aufschlüsse. Dagegen steht Heber: Die vorkarolingischen christlichen Glaubenshelden am Rhein, Frankfurt 1858, auf bornirt protestantischem (pietistischem) Boden und ist beinahe unbrauchbar. Die Heilige war eine Tochter des alemannischen Herzogs Ethico I. (sonst auch Adalrich, Atticus, Ethicus, Hetticus und Edelreich genannt), dessen Zeit (W. W. K.-L. VII. 701) unter König Childerich II. angegeben wird. Er war, wie bei Butler durch eine Stammtafel veranschaulicht ist, Ahnherr der erlauchtesten Häuser Europa's. Der König belehnte ihn mit dem Herzogthum Elsaß. Als Geburtsort wird Oberehenheim, eine fünf Stunden südlich von Straßburg gelegene ehemalige freie Reichsstadt, am Fuße des Berges Altitona (Hohenburg), wo der Herzog residirte, bezeichnet. Auf der Höhe des Berges, wo sich noch zahlreiche Ruinen aus der Römerzeit befanden, erbaute er zwei Capellen, zu welchen er ein Beneficium stiftete, und restaurirte das alte Schloß. Ihre Mutter hieß Berswinda (Berwindis, Berehsinda) und war eine Schwestertochter des hl. Leodegar, Bischofs und Martyrers von Autun, (gest. im I. 685). Ihr Gemahl hatte, obgleich Christ und der Kirche sehr ergeben, eine sehr heftige, ungebändigte Gemüthsart, welcher sein sonst klarer Verstand nicht selten unterlag. Als er erfuhr, daß ihm ein blindes Töchterlein geboren sei, im I. 657 oder 661, gerieth er in solchen Zorn, daß er nach Aussage einiger Schriftsteller das Kind zu tödten befahl. Wenigstens sollte es an einen Ort gebracht werden, wo es beständig verborgen bliebe (ubi nunquam manifestaretur). Diese Aeußerung zeigt uns den eigentlichen Grund der Erbitterung des Herzens; er hielt ein blindes Kind mit der Ehre und dem Glanze seines Hauses für unvereinbar. Daher ließ er in der Stadt Oberehenheim unter dem Schalle einer Trompete ausrufen, die Herzogin habe eine sehr schwere Geburt gehabt und ihr Kind sei todt [601] zur Welt gekommen. Die Mutter fand eine fromme Amme, welche die Kleine zu Scherweiler wie ihr eigenes Kind pflegte. Dann übergab sie das Kind, ohne Zweifel, damit das Geheimniß nicht vor der Zeit offenbar würde, nachdem es ein Jahr alt und ziemlich kräftig geworden war, einer Verwandten im Kloster Palme (Beaume) in der Franche-Comts. Daß sie erst dort getauft wurde, ist kaum anzunehmen. Butler hat wahrscheinlich gemacht, daß die heilige Handlung von dem Abte Eberhard, welcher dem neugegründeten Kloster Eberheim-Münster (Norientum) vorstand, vollzogen wurde. Andere lassen durch ein Wunder den heil. Bischof Erhard von Regensburg nach Beaume berufen werden, wahrscheinlich weil sie von dem gleichnamigen Abte zu Eberheim-Münster nichts wußten, und in Begleitung seines Bruders, des hl. Hildulf von Trier, welcher damals in Moyen-Moutier Aufenthalt genommen hatte, die hl. Taufhandlung verrichten. Alle Nachrichten stimmen darin überein, daß sie mit der Taufgnade zugleich das Augenlicht erhielt. Der hl. Mann salbte nämlich im Vertrauen auf die göttliche Allmacht die Augen des Kindes mit dem heil. Oele, worauf es ihn mit klarstem Blicke ansah. »So mögest du mich, meine Tochter,« sprach dieser, »dereinst im ewigen Leben ansehen.« Eben so ist sicher, daß die heil. Edilia zu Beaume in Kenntnissen und Tugenden ausgebildet wurde, und zur Jungfrau heranwuchs. Als sie um diese Zeit ihr Bruder Hugo wider Wissen und Willen des Vaters in's Schloß bringen ließ, büßte er diese brüderliche Liebe mit dem Leben. Ueber diese neue Unthat erschreckt, ließ sich aber der Vater setzt bewegen, das Kind als seine Tochter anzuerkennen. Zugleich suchte er durch fromme Stiftungen, Bußwerke und Wallfahrten seine Unthat zu sühnen. Eine Nonne aus England erhielt den Auftrag, gegen den täglichen Lohn einer Magd für die Tochter zu sorgen. Diese war mit ihrer allerdings noch sehr dürftigen Lage ganz zufrieden. Nach einigen Schriftstellern wollten die Eltern sie verehelichen. Die Leidensschule, in welche die göttliche Vorsehung sie bisher geführt hatte, hatte aber die Welt und ihre Freuden mit einem so dichten Schleier überzogen, daß sie dieselbe gar nicht zu kennen schien, jedenfalls aber der Beachtung nicht werth hielt. Dafür hatte sie die Süßigkeit der Nachfolge Jesu in den Trübsalen gekostet und die Ausübung der Barmherzigkeit sich zum Lebensziele erkoren. Die Legende erzählt, daß der Vater neuerdings habe Gewalt brauchen wollen, um den Eigensinn der Tochter zu beugen, diese aber sei als Bettlerin heimlich aus der Burg gegangen, um ungestört jenseits des Rheins an irgend einem Orte, wo die göttliche Vorsehung sie hinführen würde, aus Liebe zu ihrem Erlöser ein büßendes und einsames Leben zu führen. Der Vater sei mit vielen Reisigen ihr schleunig gefolgt, und habe ihre Spur richtig gefunden. Aber sie sei in eine Felsenritze getreten, welche sich beim Herannahen der Späher freiwillig schloß, und erst als keine Gefahr mehr bestand, sich wieder öffnete. Das Wunder soll sich bei Mußbach im Breisgau zugetragen haben. Diese Flucht wird in's J. 679 gesetzt. Andere nennen mit Uebergehung dieser Episode die folgende Begebenheit, in welcher alle übereinstimmen, als nächsten Anlaß zur Stiftung des Klosters Hohenburg. Ein Geschirr mit Mehl unter dem Mantel tragend, um für die Armen Speisen zu bereiten, begegnete eines Tages die Heilige dem Vater. Darüber wurde er so gerührt, daß er ihr um das J. 680 das Schloß Hohenburg mit allen seinen Einkünften und Gütern zum Geschenke machte, um es in ein Jungfrauenkloster umzuwandeln. Nicht unerwähnt dürfen wir lassen die Liebe und Dankbarkeit, welche die hl. Odilia gegen ihre Amme bewahrte. Nicht bloß bewirkte sie, daß im Kloster Palme für sie eine Wohnung eingerichtet wurde, sondern pflegte sie auch als Tochter in ihrer letzten Krankheit, und bestattete sie nach ihrem Hinscheiden mit eigener Hand.1 Die hl. Odilia wurde erste Abtissin von Hohenburg und bewährte sich als weise und fromme Führerin ihrer Untergebenen. Ueberhaupt wird dieses Stift für das erste Frauenkloster im Elsaß gehalten. Es erhielt in spätern Zeiten den Namen Odilienberg. Handarbeit und Psalmengesang, besonders aber Pflege der Armen und fromme Liebeswerke [602] gegen die Leidenden, war die tägliche Arbeit der Klosterfrauen. Für ihren Unterhalt war durch den Herzog hinreichend Fürsorge getroffen. Anfänglich ohne bestimmte Regel, sollen sie später sich der Regel des hl. Benedictus, nach Andern jener des hl. Augustinus unterworfen haben. Daß ein altes Bildniß auf einem Gedenksteine, welcher die Schenkungs-Ceremonie darstellt, die Heilige mit einem langen Mantel, einem Schleier, und mit zwei langen Haarflechten, die über die Schultern herabfallen, erscheinen läßt, darf nicht befremden, und eben so wenig, wie geschehen, zu Gunsten der freieren Augustiner-Regel urgirt werden; vor ihrem Eintritt in's Kloster konnte sie sa wohl lange Haarflechten tragen. Die Zahl der Nonnen erreichte die Höhe von 130 eingekleideten Jungfrauen; unter ihnen befanden sich (angeblich) drei Töchter ihres Bruders Adalard; eine davon, Eugenia, wurde zweite Abtissin. (S. u. den Stammbaum.) Als sich herausstellte, daß der Dienst der Armen und Pilger ducch die Höhe des Berges, auf welchem das Kloster stand, beeinträchtiget werde, erbaute sie mit Einwilligung des Conventes am Fuße des Berges ein zweites Kloster, Nieder- Münster (anfänglich Niederhohenburg) genannt, mit welchem sie ein Spital für die Pilger verband. Drei Linden, welche sie eigenhändig im Namen der drei göttlichen Personen pflanzte, erhielten ihr Andenken als Stifterin bis in die spätesten Zeiten. Um lene Zeit waren nämlich fromme Pilgerfahrten nach Rom und andere hl. Orte aus den entferntesten Gegenden, namentlich aus England und Irland sehr in Uebung. Die beiden von dem Herzoge erbauten Capellen wurden bald zu klein, um die Andächtigen, welche von allen Seiten herbeiströmten, zu fassen. Unsere Heilige bat daher ihren Vater, er möge diesem Bedürfnisse durch eine größere Kirche abhelfen. Sie wurde um's I. 690 vollendet; zwei pyramidalförmige, viereckige Thürme erhoben sich zu beiden Seiten des großen Portals. Die Vorsteherin wollte, daß sie der heil. Jungfrau geweiht würde; außerdem stellte sie auch eine besondere Seiten-Capelle – das Oratorium der Mutter Gottes genannt – unter ihren Schutz. Es läßt sich mehr ahnen, als beschreiben, wie mächtig das Beispiel der hl. Odilia und ihrer Untergebenen auf die Umwohnenden wirkte. Selbst auf den Vater, sagt man, habe die fromme Tochter von jetzt an einen so weisen Einfluß geübt, daß er von ihr in geistlichen und weltlichen Dingen Rathschläge annahm und befolgte. So ist es zu erklären, daß einige ältere Urkunden seine Frömmigkeit und Andacht mit besondern Ruhmeserhebungen darstellen. Was er anfänglich nicht gewesen war, wurde er durch die in Gestalt seiner von ihm früher so sehr mißhandelten, unschuldigen Tochter auf ihn einwirkende göttliche Gnade. Er starb mit Gott und den Menschen versöhnt am 20. Febr. 690 eines gottseligen Todes. Seine Gattin folgte ihm nach wenigen Tagen eben so fromm und bußfertig in die Ewigkeit nach. Ihre Tochter versäumte nicht, durch Beten und Fasten ihnen das Fegfeuer zu erleichtern und abzukürzen.2 Die hl. Odilia war sehr unterrichtet. Die hl. Schrift und die Lebensbeschreibung der Heiligen war ihre liebste Lesung. In ihrem Stifte war und blieb das Studium der lateinischen Sprache eine Hauptbeschäftigung der Nonnen. Ohne Zweifel hatte ihre Erziehung im Kloster Palme hierzu die erste Anregung gegeben. Die hl. Abtissin führte beialler äußern Thätigkeit und innern Geistessammlung ein strenges Leben. Sie aß, Festtage ausgenommen, nur Gerstenbrod und Gemüse, ihr Bett war eine Bärenhaut, ihr Kopfkissen ein Stein; sie trank gewöhnlich nur Wasser; viele Stunden der Nacht widmete sie dem Gebete. Mit dem Opfer der Lippen und des Herzens verband sie bis in die spätesten Jahre die Opfer der Barmherzigkeit. Sie besuchte und tröstete die Kranken, Schwachen und Elenden; keiner blieb ohne Almosen. Unter den Heiligen Gottes verehrte sie zumeist den hl. Johannes den Täufer, weil sie in der Taufe das Gesicht erlangt hatte. Ihm zu Ehren erbaute sie ein besonderes Kirchlein, und neben demselben eine Zelle. Als die Heilige unschlüssig war, wo sie dieses Heiligthum erbauen sollte, und deßhalb voll Unruhe mitten in der Nacht das Kloster verließ, sah sie auf einmal sich von strahlendem Lichte umflossen, in dessen Mitte die leuchtende Gestalt des Vorläufers unsers Herrn erschien, welcher ihr Ort und Größe der neuen Capelle bezeichnete. Nur [603] die Nichte der hl. Abtisin, ihre Nachfolgerin Eugenia, war Zeugin der Erscheinung gewesen, aber die hl. Odilia verbot ihr, von dem wunderbaren Ereignisse zu reden, bevor sie ihre irdische Pilgerfahrt vollendet hätte. Am andern Tage schon wurde der Bau begonnen. Während der Bauführung ereignete es sich, daß ein sehr großer, mit Bausteinen beladener Wagen sammt den vier Ochsen, die ihn zogen, unbeschädigt aus einer Höhe von mehr als siebenzig Fuß hinabfiel, und das Gespann, obwohl es ohne Führer war, wieder den Weg zum Kloster hinausfuhr. Der Bau der kleinen Johanneskirche wurde im Herbste des I. 696 beendigt; sie hieß im Munde des Volkes das »Johannesbeihaus« oder auch schlechthin die »Wunder-Capelle.« Später gab man ihr auch die Namen Sacrarium und Capelle der heil. Odilia, erstern wegen des Reliquienkästchens, welches ihr der heil. Erhard bei der heil. Taufe gegeben haben soll, und das sie dort niederlegte, letztern wegen ihres Grabes. Unter dem Chorbogen findet sich die Inschrift: Anno Christi DCLXXVI. S. Odilia V. hoc coenobium fundavit; d.h.: Im Jahre Christi 676 hat die hl. Jungfrau Odilia dieses Kloster gestiftet. Auf der Nordseite steht der steinerne Sarkophag, welcher den Sarg umschließt, in welchem die Gebeine der Heiligen ruhten, der aber in der ersten französischen Revolution im J. 1793 stark beschädigt wurde. Im Jahre 1799 ließ daher der damalige Eigenthümer des Klosters was noch davon übrig war, wegbrechen, und durch einen neuen Sarkophag ersetzen, auf den folgende Inschrift gesetzt wurde: S. O. L. R. Beatae Odiliae V. ossa anno 1793 motu civili violata anno 1799 heic iterum condita in fidem publicam scripto formata; d.h.: »Oeffentlich bekundet diese Inschrift, daß die Gebeine der hl. Jungfrau Sdilia im Jahre 1793 während der bürgerlichen Unruhen verletzt, im J. 1799 aber wieder an diesen Ort niedergelegt worden sind.« Ueber dem Grab befand sich eine andere steinerne Tafel, worauf die Taufe der Heiligen abgebildet und durch eine Inschrift erklärt war. An den Wänden sind Gemälde mit den merkwürdigsten Scenen aus ihrer Lebensgeschichte. Hier vollbrachte sie, nur mit ihrem himmlischen Bräutigam verkehrend, die letzten Tage ihres Lebens. Als sie ihr Ende fühlte, gab sie den Zehrigen in jenem Kirchlein die letzten mütterlichen Ermahnungen. »Bleibet allzeit,« sprach sie, »dem Herrn Jesus Christus getreu, und unterwerfet euern Willen ganz und gar dem Willen des Allmächtigen; von dieser Unterwerfung wird euer Heil abhängen. Hütet euch vor dem Hochmuthe und der Selbstsucht, daß ihr nie den eigenen Willen den Gesetzen der ewigen Weisheit vorziehet. Erinnert euch, daß die Zeit kurz und die Gnade immer bereit ist, die demüthigen Herzen bei ihren Prüfungen zu unterstützen. Habet Glauben, betet zur Stunde der Versuchung und ihr werdet den Feind des Menschengeschlechtes besiegen; die glückselige Ewigkeit steht der Beharrlichkeit offen. Seid in wahrhafter Einigung der Herzen mit einander vereiniget, meine Töchter; lebet immer in der Einfalt, Aufrichtigkeit und Demuth, und arbeitet ohne Unterlaß an eurer Vervollkommnung und an der Einigung eurer Seelen mit Gott. Vergesset nie, daß auch ihr einst in die Lage kommen werdet, in welcher ihr mich gegenwärtig erblicket, und daß ihr von allen euren Gedanken und Handlungen, auch den geringsten, werdet Rechenschaft geben müssen.« Dann befahl sie, daß die Schwestern für sie um ein seliges Hinscheiden beten sollten, und gerieth bald darauf in eine Verzückung. Als sie aus derselben wieder zu sich kam, ließ sie den Kelch herbeibringen, in welchem sich der hl. Leib und das Blut Christi befand, (in quo dominicum corpus et sanguis habebatur) und nahm mit eigenen Händen (propriis manibus) die letzte Wegzehrung. Diesen Kelch bewahrte das Kloster zum Andenken ihrer Stifterin als großes Heiligthum auf. Sie starb nach gewöhnlicher Annahme am 13. Dec. d.J. 720, »berühmt durch Heiligkeit, leuchtend in Wundern.« Eines Tags hat sie einen Aussätzigen durch Berührung geheilt. Ein anderes Mal entsprang auf ihr Gebet plötzlich eine Quelle aus dem harten Felsen, wovon sie einen Durstigen laben konnte. Noch heutzutage ist diese Quelle unter dem Namen Odilienbrunnen bekannt. Ebenso vermehrte sie einst zu Gunsten der Armen an der Klosterpforte den noch vorhandenen geringen Weinvorrath. Die wunderbaren Gebetserhörungen dauerten auch an ihrem Grab noch fort. Sie wurde bald zur Schutzpatronin des Elsasses erkoren. Die Kirche gab dieser Verehrung ihre Zustimmung, vorzüglich in Ansehung der vielen Wunder, die an ihrer Ruhestätte so zu sagen [604] täglich (propter quotidiana miracula) geschahen. Namentlich waren es Augenkranke, überhaupt Kopfleidende, welche zu der Fürbitte dieser hl. Abtissin ihre Zuflucht nahmen, und sich vertrauensvoll im Odilienbrunnen die kranken Augen wuschen. Außer dem Grabmal der Heiligen steht die Zähren-Capelle im ehemaligen Klostergarten, wo sie, nach der Volkssage, auf einem Steine knieend, für die Seele ihres Vaters gebetet hatte, bei Hohen und Niedern in großer Verehrung.3 Bis in die neueste Zeit kamen zahlreiche Wallfahrer, um bei ihren noch vorhandenen Reliquien zu beten. Längere Zeit wurde ihr Festtag auch vom Volk begangen. Von ihr selbst sind noch einige schriftliche Ermahnungen und ihr Testament vorhanden. In letzterm wird angeordnet, daß jede Stiftung (Odilienberg und Niedermünster) ihre eigene Vorsteherin habe, und das Vermögen unter beide Stiftungen getheilt werde. Vom Odilienberge aus genießt man einen weiten Ausblick in's Rheinthal, in's Elsaß und in's ganze badische Land. Hier stehen noch die Ueberbleibsel des frühern Stiftes. Auf Abbildungen sieht man die Heilige als Abtissin, gewöhnlich mit weißem Habit (nach der Regel des heil. Augustin), zwei Augen auf einem aufgeschlagenen Buche tragend, je eines auf jedem Blatte. Schließlich bemerken wir, daß ihr Bruder Adalbert in Straßburg die St. Stephanskirche erbaut und ein Frauenstift daselbst gegründet hat, dessen erste Abtissin seine Tochter Attalia wurde.4 Die Kirchen und Klöster, welche der Heiligen geweiht sind, stehen meistens auf Anhöhen. Auch im Bisthum Augsburg besteht in der Pfarrei Altdorf eine Wallfahrt ihres Namens, welche im Sulzbacher Kalender (Jahrg. 1858) sehr eingängig beschrieben ist. Das im Propr. Aug. zu Ehren dieser hl. Abtissin enthaltene Kirchengebet lautet: »O Gott, du Erleuchter aller Völker, der du im tugendsamen Leben deiner sel. Jungfrau Odilia wunderbare Werke bewiesen hast, wir bitten deine unermeßliche Milde, daß du uns ebenso, wie du die Finsterniß ihrer angeborenen Blindheit verscheucht hast, auf ihre Bitten und Verdienste das Augenlicht in der Zeit und die Glorie in der Ewigkeit verleihen wollest.« Aehnlich lautet das Gebet zu Ehren der Heiligen im Propr. Friburg. u. a. Ihr Name ist auch in's Mart. Rom. aufgenommen. Im J. 1354 kam Kaiser Carl IV. nach Hohenburg, um den Leichnam der Heiligen zu sehen. Man schenkte ihm den vordern Theil des rechten Armbeins der Heiligen, den er im Dom zu Prag beisetzen ließ. Im J. 1663 ließen sich auf der Hohenburg die Prämonstratenser nieder, nachdem das Kloster und die Kirche im Schwedenkriege zerstört worden war. Sie erbauten eine neue große Kirche, welche im Jahre 1692 vollendet und am 20. Oct. d.J. 1696 eingeweiht wurde. Sie ist niedlich und dauerhaft gebaut; in die Seitenwände ziehen sich noch die Reste der vorigen Kirchenmauer hinein, die an ihrer sehr sorgfältigen Architektur zu erkennen sind. Das Kloster Niedermünster ist seit dem Brande des J. 1572 eine Ruine; die letzte Abtissin ist im J. 1534 gestorben. Die französische Revolution entweihte natürlich auch das Heiligthum auf dem Odilienberge; fast Alles, was die Frömmigkeit nähren oder erwecken konnte, war aus den alten Ringmauern verschwunden, aber das noch vorhandene Grab der hl. Odilia allein genügt, zahlreiche Gläubige von allen umliegenden Gegenden herbeizuziehen. Am 7. Juli 1841 wurde die letzte feierliche Erhebung unter dem Zuströmen einer ungeheuren Volksmenge gehalten.
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