[634] S. Othmarus, Abb. (16. Nov., al. 15. Apr., 25. Oct.). Die Biographie des heil. Abtes Othmar (auch Otmar, Audemarus und Automarus genannt) von St. Gallen setzte etwa hundert Jahre nach seinem Tode Abt Gozbert aus erhaltenen Bruchstücken zusammen. Walafrid Strabo hat sie überarbeitet und der Schulvorsteher Iso (gest. im J. 871) vollendet. Aus gräflichem Geschlechte entsprossen, stand er als Pfarrer der Kirche des hl. Florin zu Ramünsch vor, welches dem Grafen Victor von Chur-Rhätien unterstand. Er war nicht in St. Gallen, sondern an der Domschule zu Chur gebildet und daselbst zum Priester geweiht worden. Ob hier noch der Ambrosianische Ritus in Uebung war, welcher im Mailändischen dermalen noch vorgeschrieben ist, gehört nicht hieher. Er hinderte damals so wenig wie jetzt die Glaubens- und Liebesgemeinschaft mit der römischen Kirche und die gehorsame Unterordnung unter die Nachfolger [634] des hl. Petrus. Von Carl Martell auf Betreiben des Grafen Waldram im J. 720 zum Abte von St. Gallen (custos S. Gallunis) ernannt und vom Bischof Boso bestätigt (vgl. Brusch. chronol. p. 408), vertauschte er seine weltliche Priesterkleidung mit der klösterlichen. Mit kräftiger Hand ordnete er die Verwaltung der Güter, die Disciplin und die Räumlichkeiten nach Art eines ordentlichen Klosters. Alle gottselig gesinnten Leute lud er freimüthig zum Eifer in der Gottseligkeit ein, so daß in wenigen Jahren viele Brüder herbeigezogen waren, unter seiner Leitung dem Dienste eines heil. Lebens sich zu widmen, und Manche derselben ihre Besitzungen dem Kloster schenkten, und dadurch dessen Besitzstand erweiterten. Gleich im Anfange seiner Amtsführung stand das Kloster in solchem Rufe, daß die neugegründete Abtei Tegernsee sich von St. Gallen die ersten Mönche erbat. Auf seiner Reise nach Italien im J. 747 besuchte Carlmann das Kloster und empfahl es der Obhut seines Bruders Pipin. Der hl. Othmar selbst überbrachte den Empfehlungsbrief und erhielt bei dieser Gelegenheit den Auftrag, statt der harten Regel des heil. Columban die viel mildere des hl. Benedict einzuführen, und erhielt zum Zeichen seiner Hochachtung und Gewogenheit von Pipin eine Glocke zum Geschenke. Die Regel des hl. Benedict wurde also nicht, wie Heber in seinen »christlichen Glaubenshelden«, S. 259 träumt, deßhalb eingeführt, weil sie den Abt zum Statthalter Christi machte und die Bibel beseitigte. Eine ähnliche wahnsinnige Anklage desselben Gelehrten werden wir am Schlusse des Artikels bringen. Bleiben wir jetzt bei der Schilderung Walafrid's. Der heil. Othmar war ein sehr enthaltsamer Mann. Seinen Leib züchtigte er durch öfteres Fasten und mit diesem Schilde gegen die Versuchungen bewaffnet, liebte er die Nachtwachen und hielt die Zerstreuungen des Geistes durch anhaltendes Gebet zurück. Die Selbstverdemüthigung und die freiwillige Armuth übte er in so hohem Grade, daß er auf alle Weise dem irdischen Ruhme auswich. Für die Armen war er nicht bloß sehr besorgt, sondern übernahm auch deren Verpflegung am liebsten selbst, ohne dieselbe an Andere zu überlassen. Von dem Armenhause abgesondert, errichtete er ein eigenes Hospiz für die Aussätzigen, welchem er seine persönliche Sorge so sehr zuwendete, daß er oft in den Nachtstunden das Kloster verließ, um die Siechen mit bewunderungswürdiger, gottseliger Hingebung zu pflegen. Er wusch ihnen Kopf und Füße, trocknete eigenhändig deren Eiter ab und reichte ihnen die nöthige Nahrung. Ob unter seiner Leitung das Glossarium über die heil. Schrift mit eingeschriebener deutscher Uebersetzung begonnen wurde, läßt sich allerdings nicht beweisen, aber sicherlich hat er nicht geringen Antheil an dem großen Aufschwung, welchen das Stift St. Gallen schon um diese Zeit auch in wissenschaftlicher Hinsicht gewonnen hat. Der Bischof Sidonius von Constanz wünschte um jene Zeit, daß von seinen drei Neffen der eine sein Nachfolger auf dem bischöflichen Stuhle, von den beiden Andern aber der Eine Abt von Reichenau, der Andere Abt von St. Gallen würde. Als daher die fränkischen Beamten Warinus, Graf im Thurgau und Linzgau, und Ruodhard, Graf im Argengau die Besitzungen von St. Gallen bedrängten, fanden sie in dem Bischofe einen Gehilfen. Umsonst hatte König Pipin die Sache zu Gunsten des hl. Othmar entschieden. Es erfolgten neue Bedrängungen, und als der heil. Abt abermals in der Absicht, Schutz und Hilfe zu erlangen, eine Reise an den Hof machen wollte, nahmen sie ihn gefangen. Ein gedungener Ankläger mußte ihn des Ehebruchs beschuldigen. Er habe eine, seitdem verstorbene Frau gekannt, sagte der Ankläger, die ihm das versichert habe. Der heil. Othmar berief sich vergeblich auf das Zeugniß des Allwissenden, daß er unschuldig sei an dem Verbrechen, welches man ihm vorwerfe; er wurde verurtheilt und in die Burg Bodmann am Bodensee eingesperrt. Sogar durch Entziehung der Nahrung wurde er gepeinigt, so daß nur ein treuer Klosterbruder, Perathgoz, durch heimlich zugeführte Speise ihn am Leben erhielt. Endlich durfte der Gefangene auf Verwendung des Gutsbesitzers Gozbert von Eschenz auf die Rheininsel Werd gebracht werden, wo er unter unablässigen geistlichen Uebungen am 16 Nov. 759 sein Leben beschloß. Schon im folgenden Jahre starb auch der Bischof an Dysenterie (Gewissensbissen?), nachdem er einige Zeit auch die Einkünfte von St. Gallen unter dem Namen Abt sich zugeeignet hatte. Hier wurde er auch begraben. Nach erkannter Unschuld (der treulose Mönch Lambert, welcher den falschen Zeugen [635] gemacht hatte, wurde an allen Gliedern gelähmt, kehrte in sich, und entdeckte die gegen den hl. Abt geschmiedete Verleumdung) führten die Mönche von St. Gallen nach zehn Jahren (770) die noch unversehrte Leiche in sein Kloster, dem er 40 Jahre als Abt vorgestanden war, über den Bodensee zurück. Seine Grabstätte in der St. Peters-Capelle wurde durch Wunder verherrlicht. Nach 104 Jahren zählte man ihn den Heiligen bei. Seine authentischen Reliquien werden jetzt noch in der Domkirche von St. Gallen aufbewahrt und verehrt. Ueber seinem Grabe zu Werd (Wörd, Wärdt) befindet sich eine Capelle, deren Altar die folgende (lateinische) Inschrift trägt: »Lobet den Herrn im heil. Othmar, dessen heil. Ueberreste hier einst begraben, zehn Jahre nach seinem Tode aber in das Kloster St. Gallen übertragen wurden im J. 770.« Eben diese Inschrift zeigt die Grundlosigkeit und fanatische Feindseligkeit Heber's (l. c. S. 264): »Seinem Knochen-Petrefact wurde göttliche Ehre erwiesen.« Später entstand an diesem Orte eine Wallfahrt, welche besonders von Müttern, deren Kind er an »Hunger-Ettiken« (sic) litten, viel besucht wurde. Der Pfarrer von Eschenz hält zuweilen hier an Werktagen Gottesdienst, wobei sich immer noch viele Andächtige und Hilfesuchende einfinden. (Vgl. Kuhn, Thurgovia Sacra I. Lieferung, S. 111 und 112.) Merkwürdig ist die Notiz einer alten Chronik (Pertz, mon. scr. IV. 530), nach welcher er dem hl. Wolfgang von Regensburg in einer Erscheinung die bischöfliche Würde ankündigte. Die Boll. notiren diesen hl. Abt am 15. April (II. 371), an welchem Tage zu St. Gallen das Uebertragungsfest gefeiert wird (Burg. II. 150), und seine Translation zum 25. Oct. (XI. 391.) Abbildungen zeigen uns einen Abt im Benedictiner-Gewande, und neben ihm ein Weinfaß, weil es nach der Legende stets gefüllt blieb, so viel er auch daraus nahm. Auch die benachbarten Bisthümer, z.B. Augsburg, Basel etc. begehen sein Andenken.