Aus meinem Leben.
(Nr. 10. G.K.1)
Die Verhaftung und Untersuchung.

Es war ein herrlicher Sonntagmorgen im August des Jahres 1899, als ich noch im Bette liegend durch ein Klopfen an der Türe geweckt wurde. Verwundert über den frühen Besuch – es hatte kaum [189] 1/26 Uhr geschlagen – rief ich »herein«. Die unversperrte Türe öffnete sich und herein traten zwei Herren, die sich zu meinem nicht geringen Schrecken als zwei Polizeiwachtmeister entpuppten. In der höflichsten Weise stellten sich die Herren namentlich vor und fragten ebenso höflich nach meinen Personalien. Nachdem auch ich ihnen meinen Namen genannt hatte, forderten sie mich auf, das Bett zu verlassen und mich anzukleiden. Während der eine Herr mich sehr scharf bei jeder Bewegung beobachtete, ja mich sogar auf den Abort begleitete, durchsuchte der andere aufmerksam meine Kleider, Schränke, Kommoden, Koffer und das Bett, steckte die vorhandenen Wertsachen und Briefe zu sich und verharrte dann ebenfalls in wartender Stellung. Unterdessen hatte ich mich vollständig angekleidet und gewaschen. Ich wurde nun noch gefragt, ob alles in Ordnung sei, veranlaßt, meine Sachen sorgfältig zusammenzupacken und meine Hausfrau zu verständigen, daß ich auf längere Zeit verreise. Ich tat dies alles, trank noch meinen Kaffee und stellte mich den Herren zur Verfügung. Sie kündigten mir jetzt formgemäß meine Verhaftung an, baten mich, in meinem eigenen Interesse von einem etwaigen Fluchtversuch abzusehen, und verließen mit mir das Haus. Von ihren Handfesseln machten sie keinen Gebrauch, wie überhaupt die ganze Verhaftung den Charakter eines privaten Spaziergangs trug. Unterwegs bat ich meine Begleiter, mir einige Brote und Wurst kaufen zu lassen, und wurde mir auch diese Bitte in der bereitwilligsten Weise gewährt. So kamen wir endlich auf der Polizeihauptwache an. Dortselbst mußte ich alles, was ich bei mir trug, abgeben; noch einmal wurden meine Personalien aufgenommen und ich dann in den Polizeiarrest gesperrt. Bei meinem Eintritt dortselbst erhoben sich zwei Gestalten von der Holzpritsche und fragten mich nach dem Grunde meines Hierseins. Ich hatte jedoch keine Lust zu einer Unterhaltung, sondern sah mich neugierig in dem Raume um. Vier kahle Wände, ein einziges sehr stark vergittertes Fenster, umschlossen mich. In der einen Ecke befand sich der Abort, während eine Holzpritsche die eine Längsseite des Arrestlokals einnahm. Der einzige Zierrat des mit einer schrecklichen Atmosphäre angefüllten Raumes war ein Wasserkrug.

Eine drückende Angst befiel mich, die ganze Schwere des begangenen Verbrechens trat vor meine Seele und zauberte mir die schrecklichsten Bilder vor. Ein schauerlicher Abgrund gähnte mir entgegen, zitternd und bebend zog ich mich in die eine Ecke zurück. Mein Gehirn arbeitete mit rasender Geschwindigkeit, meine Pulse flogen, mein Blut kochte, dazu noch der Hohn und der Spott meiner [190] Zellengenossen, ich geriet in eine fürchterliche Wut. Tobend sprang ich die Zelle auf und ab, mich und andere verwünschend, lächerliche Anklagen und Drohungen ausstoßend, so daß selbst der Schutzmann, welcher das Mittagessen brachte, mir einige Trostworte sagen zu müssen glaubte. Meinerseits blieb das Mittagessen unberührt, dafür ließen es sich die andern gut schmecken. Nach und nach ward ich ruhiger; ich überdachte meine Lage. Jetzt trat in meiner Seelenstimmung das Gegenteil ein. Der kolossalen Aufregung folgte eine unheimliche Ruhe. Hatte ich Stunden vorher die ganze Welt angeklagt, so war ich jetzt die personifizierte Wurstigkeit. Heute, da ich dies niederschreibe, erschrecke ich noch vor dem Gleichmut, der mich damals beherrschte. Hätte ich damals beten können, wie viele schwere Stunden wären mir erspart geblieben! – Wie quälte ich mich ab mit Selbstvorwürfen, aber nicht mit solchen über das begangene Verbrechen, sondern mit solchen, daß ich nicht vorsichtig genug war. Bevor es nun Abend wurde, hatten wir schon die Zahl 8 erreicht. Einer war bei einem Taschendiebstahl überrascht, die andern alle beim Betteln verhaftet worden. Wir bekamen nun große schwere Säcke zugeteilt, die halb mit Kleie angefüllt waren. Diese mußten wir breit treten, damit die Kleie sich überall verteilte, dann erst konnten wir sie als Unterlage benützen. Zwei Decken vervollständigten das Bett. In später Nacht kamen noch etliche Personen, so daß bis zum Montag früh 12 Mann in dem Loche waren. Es war eine schreckliche Nacht, die ich durchlebte. Inmitten von Menschen, da einer den andern an Rohheit und Gemeinheit überbot, die sich über mich, weil ich so namenlos unglücklich war, auch noch lustig machten und mich als die Zielscheibe ihres Spottes betrachteten, allein mit meinen schauerlichen Gedanken und geplagt vom Ungeziefer, erwartete ich den Morgen. Endlich kam dieser und mit ihm die Zeit meiner Fortschaffung. Die Säcke wurden zusammengelegt, die Decken darauf und alles an seinen Platz zurückbefördert. Dann wuschen wir uns alle aus dem Kruge in den Abort und, da keine Handtücher vorhanden waren, trockneten wir uns mit unseren Taschentüchern. Das Frühstück, Wassersuppe, wurde gebracht, und um 9 Uhr führte man mich vor den Kommissär. Dieser protokollierte kurz meinen Fall; dann wurde ich wieder in den Arrest zurückgeschickt. Alle wurden der Reihe nach verhört, bis schließlich um 11 Uhr die Vorführung zum Untersuchungsrichter befohlen wurde. Ich gab auf alle mir vorgelegten Fragen wahrheitsgetreue Antworten, wie ich überhaupt aller mir zur Last gelegten Verbrechen geständig war.

[191] Der Untersuchungsrichter ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft an; ich wurde in die Frohnfeste, das Untersuchungsgefängnis abgeliefert. Wiederum mußte ich dortselbst meine Personalien genau angeben; die Körpergröße ward gemessen, mein Äußeres genau beschrieben, besondere Kennzeichen sorgfältig notiert und nachdem ich selbst noch einer genauen Visitation unterzogen war, meine Leibwäsche untersucht. Zu meinem größten Erstaunen fand der kontrollierende Aufseher in meinem Hemde Läuse, das sichtbare Ergebnis eines im Polizeiarrest verlebten Tages. Es wurde mir nun gesagt, daß meine Leibwäsche und meine Kleider ausgeschwefelt werden müßten, was so gründlich geschah, daß das weiße Hemd für alle Zeiten rot, die Kleider aber halb zu Charpie wurden. Mich führte man in die Waschküche, woselbst ich in einer Wanne baden mußte; dann gab man mir ein Hemd, eine weiße Montur und ein Handtuch, Strümpfe und Taschentuch blieben meinem Eigentum vorbehalten; und führte mich in eine Zelle. Vier Untersuchungsgefangene begrüßten mich mit den vertrauenerweckenden Worten: »Was hast denn Du gefressen?« Die brüderliche Anrede machte mich einen Augenblick stutzig, doch ließ man mir nicht lange Zeit zum Nachdenken, sondern klärte mich auf, daß ich jetzt zu den Insassen der Zelle halten müsse und mich ja nicht von dem Untersuchungsrichter übertölpeln lassen solle. »Die bringen einen Dreck heraus, wenn Du nichts sagst; leugnen ist das beste Mittel« so rieten mir meine neuen Bekannten. Ich sagte ihnen nun auch, daß ich bereits alles eingestanden und ihre Ratschläge nicht mehr befolgen könne; aber da kam ich schön an. Das halbe Brehm's Tierleben warf man mir an den Kopf und wahrlich, ich bereute im Stillen, daß ich die Wahrheit dem Untersuchungsrichter gegenüber gesprochen hatte. Ich kam mir so recht klein vor gegenüber der Weisheit meiner Mitgefangenen, ich war verblendet genug, in der Lüge ein Mittel zu sehen, womit ich eine Bestrafung verhindern könnte, und machte mir nun Vorwürfe, mein »Glück« verdummt zu haben. Allerdings machte ich große Augen, als die vier Propheten samt ihrer Weisheit und ihrem Leugnen alle mit hohen Zuchthausstrafen belegt wurden; es waren falsche Propheten.

Bei Tage beschäftigten wir uns mit Nachtlichterstecken, welche Arbeit durch die Erzählungen aus dem Leben der Einzelnen gewürzt wurde.

Welche schauerlichen Schilderungen bekam ich da zu hören!

Die ganze Unterhaltung drehte sich speziell um verbrecherische Handlungen. Jeder wußte am besten, wie man am leichtesten durch [192] Betrug oder Diebstahl zu Geld kommt; als ich aber fragte, wo sie ihr Geld haben, oder ob sie ein solches besitzen, da mußte ich wahrnehmen, daß keiner mehr eine Mark aufzuweisen hatte. Alles war, wie sie erzählten, mit den Dirnen verjubelt worden. Da war einer wegen schweren Einbruchs da, der bei einem Bauern seines Heimatdorfes eingebrochen hatte. Dessen Erzählung erregte jedesmal Heiterkeit. Er hatte sich nachts in das Schlafzimmer des Bauern eingeschlichen und diesem die Hosen unter dem Kopfkissen vorgezogen; dann nahm er die Schlüssel aus denselben, sperrte in einem andern Zimmer den Schrank auf und entwendete 480 Mark. Zur Vorsorge aber hatte er um das ganze Bett des Bauern und der Bäuerin Schuhnägel aufgestellt, so daß bei einem allenfallsigen Erwachen ein Nachspringen unmöglich wäre. Der Bauer wurde auch wirklich wach und sprang aus dem Bett, mit den Füßen in die Nägel; der Schmerz ließ den Mann zusammensinken, und so setzte er sich auch noch in die spitzen Schuhnägel. Sechs Jahre Zuchthaus waren der Lohn für diese Tat.

Ein anderer hatte seine eigene Tochter genotzüchtigt. Anfangs zwar schämte er sich seines Verbrechens und sagte immer, er sei wegen Wechselfälschung hier. Als aber die Sache ruchbar und durch die Hausknechte bekannt wurde, da konnte er stundenlang von seiner Schandtat erzählen ...


Hier folgt ein intimer Bericht, den wir wegen seiner allzugroßen Eindeutigkeit und pornographischen Substanzialität in diesem Buche glauben ausschalten zu müssen. Er ist abgedruckt im »Archiv für Kriminal Anthropologie und Kriminalistik« Band XXI. S. 3 f. Scheitlin sagt einmal: es ist alles Tier im Menschen, aber es ist nicht aller Mensch im Tier. Von der Richtigkeit des Vordersatzes dieses Diktums gibt die menschliche Scheusäligkeit, von der die unterdrückte Stelle berichtet, einen schlagenden Beweis; die Richtigkeit des Nachsatzes aber möchte man mit einem nicht im Sinne des Spruches liegenden ›Gott sei Dank!‹ bekräftigen. Denn nur ein menschlicher Verstand, der sich völlig von einer höheren Bestimmung entfernt und in das Perverse verkehrt hat, kann in einen solchen Zynismus, in eine solche abgrundlose Gemeinheit verfallen, die den Menschen weit unter das Tier stellt; dieses, das seinen natürlichen Instinkten folgt, erhebt sich zwar nicht zur Höhe edler Menschen, aber es sinkt auch nicht zur Tiefe der den Ebenbildern Gottes erreichbaren sogenannten Bestialität, die vielmehr eine Unterbestialität ist.

Dasselbe gilt auch, mutatis mutandis, von einem 19jährigen Burschen, von dem der Berichterstatter zu erzählen weiß. Hier ist es das Laster der Selbstbefleckung, das mit gleichem Zynismus betrieben wird und sich nicht einmal auf die Schändung des eigenen Leibes beschränkt, sondern sogar gleiches an anderen versucht. Auch am Erzähler; aber »eine gehörige Ohrfeige meinerseits brachte den Mann zur Einsicht, daß er an der falschen Adresse sich befinde. Sämtliche Mitgefangenen erwachten, und als ich ihnen den Vorgang mitteilte, nahmen alle Partei für – den Burschen, während ich von nun an verachtet wurde«. Wer noch irgend einen Kommentar zum Segen der Gemeinschaftshaft bedarf, der beachte diese Stelle. Denn sie berichtet durchaus nichts Anormales, außer der Reihe der täglichen Beobachtungen Fallendes. Wo Schlechtes und Gutes, dieses aber eben falls schon nicht mehr ganz rein und der Pflege, Freiheit und Stütze beraubt, zusammenkommt, da siegt allemal das ganz Schlechte.

[193] Endlich folgt noch ein Abschnitt, in dem auch das weibliche Element zu seinem Rechte kommt. »Eine weitere Abwechslung in der Eintönigkeit der Untersuchungshaft waren die Liebesbriefe. Täglich wurde durch die Hausknechte mit den Dirnen und weiblichen Untersuchungsgefangenen korrespondiert. Und in welcher Weise ...« Daß der Mann tief fallen, das Weib ihn aber immer noch um eine Stufe nach abwärts überbieten kann, ist eine gemeine Redensart. Hier ist der vollen Entfaltung weiblicher Niedrigkeit zwar ein Riegel vorgeschoben, da die Geschlechter glücklicherweise räumlich getrennt sind. Aber was innerhalb dieser Schranken an schmutzigem Geist sich offenbaren kann, das verleugnet sich nicht. Und dann: »Sage nur nichts, ich lasse Dich auch nicht fallen«, schließt eine gewisse Babette ihren keuschen Liebesbrief. Wir dürfen die höchsten Erwartungen für den Moment hegen, wo diese beiden edlen Seelen sich wieder zusammenfinden.

Trotz alledem heißt es aber auch hier gerecht sein und sich vor zwei Fehlern hüten. Der eine Fehler ist der, daß man die Gemeinheit, die völlige sittliche Minderwertigkeit einzelner verbrecherischer Individuen dem ganzen Verbrechertum zur erdrückenden Last aufbürdet. Wir hoffen, daß der aufmerksame Leser aus den Lebensbeschreibungen und Selbstbekenntnissen, die hier gesammelt sind, ein freieres und richtigeres Bild sich zu eigen machen wird. Immer wieder drängt sich, auch bei dem scheinbar gänzlich verwahrlosten gewerbsmäßigen Verbrecher, die Sehnsucht nach einer höheren und idealeren Lebenshaltung hervor. Und wenn er trotzdem immer und immer wieder in das alte, ihn selbst nicht befriedigende Lasterleben zurücksinkt, so müssen wir auch darin billig denken und offen zugeben, daß wir nicht wenig schuld an diesem moralischen Untergang so vieler Mitmenschen sind. Statt ihnen zu helfen, stoßen wir sie durch die gesellschaftliche Ächtung, die wir über sie verhängen, absichtlich zurück und machen ihnen die Verwirklichung der guten Vorsätze, die sie gefaßt haben, oft unmöglich, immer aber äußerst schwer, obgleich wir doch wissen, daß wir es mit schwachen Menschen zu tun haben. Wir handeln töricht wie die Bauern von Schilda, welche die schwachen Pferde vor die schwersten Lastwagen spannten, um ›ihre Kräfte auszubilden‹. Die Pferde brachen zusammen, und wir lachen die Schildaer aus; wenn aber die Verbrecher zusammenbrechen, so lachen wir nicht über uns selbst, sondern verurteilen sie pharisäisch in Bausch und Bogen als Leute, mit denen eben ›absolut nichts anzufangen ist‹.

Der andere Fehler ist, daß wir geneigt sind, derartige sittliche Entartung als ein Spezifikum des Verbrechertums anzusehen. Hieran trägt nicht wenig die Lombrososche Schule Schuld, die mit Eifer alle unflätigen Ergüsse der Verbrecher zusammensuchte, um ihr Dogma vom erblichen und angeborenen Verbrechertum zu stützen. Jeder aber, der in der Gesellschaft lebend, nicht von blindem Klassengeist erfüllt ist und das, was er beim gewöhnlichen Manne verdammt, bei denen, die auf höherer und höchster Rangstufe stehen, entschuldigt, weiß recht gut, daß in mancher sog. ›feinen Gesellschaft‹ die Unsittlichkeit ebensowohl zu Hause und sogar im Raffinement ihrer Lüsternheit der ›gemeinen Plebs‹ vielfach überlegen ist.

Wir lassen nun den Schluß des Berichtes von G.K. wörtlich folgen.


In dieser schauerlichen Umgebung und unter solch schrecklichen Einflüssen verbrachte ich vier Wochen. Mir war es in dieser Zeit fast unmöglich, meine eigene Lage zu überdenken. Nur in stillen, durchwachten Nächten kam es mir zum Bewußtsein, wie tief ich gesunken, und gar oft zitterte ich vor der Zukunft. Endlich kam der Tag der Verhandlung. Ich ward verurteilt zu 18 Monaten Zuchthaus. Zwei meiner Mitgefangenen, welche ebenfalls an dem Tage verhandelt wurden, verkauften schnell noch die guten Kleidungsstücke und nahmen schlechtere Kleidung und einige Pfennige dafür, um auf dem Transport Bier trinken zu können. Wenige Tage nach der [194] Verhandlung wurden wir nach Bamberg geschubt. Schrecklich war es, durch die belebten Straßen meiner Vaterstadt mit gefesselten Händen geführt zu werden. Wir kamen in Bamberg an und mußten wieder gefesselt und zu Fuß die ganze Stadt durchqueren. Zwei Tage später kam die letzte Reise, die Fahrt im Schubwagen nach Ebrach. Zwei für zwei zusammengeschlossen fuhren wir acht Mann stark dahin. Unaufhörlich kreiste die Schnupftabaksdose, als ob das Seelenheil davon abhinge. Unter Lachen und albernen Scherzen kamen wir dem Ziele, unserem neuen Aufenthaltsort, näher. Noch einmal wurde Halt gemacht in Burgebrach, wir kamen in das Amtsgerichtsgefängnis dortselbst und durften uns nun Bier, Wurst und Brot kaufen. Als dies verzehrt war, begann ein sonderbares Treiben. Einige Gefangene kneteten Schnupftabak in einer Schweinsblase und machten eine lange, daumendicke Wurst; andere fabrizierten eine solche aus Kautabak und umwickelten sie mit Staniol. Dann zogen sich zwei Gefangene aus, und nun wurde geschoben und gedrückt, bis die zwei Schnupftabak- und Kautabakrollen in den Aftern der beiden verschwunden waren. Nachdem noch gegenseitiges Stillschweigen gelobt war, ging die Fahrt weiter. Die zwei Gefangenen, die den Tabak im Mastdarm hatten, erduldeten Höllenqualen, und gerne hätte der eine sich entleert, wenn der enge Raum im Wagen und die Fesseln es gestattet hätten. Doch auch diese Fahrt nahm ein Ende; wir fuhren in Ebrach ein; der Wagen hielt; wir stiegen klopfenden Herzens aus.

Ein letzter Blick in die goldene Freiheit, ein letzter Gedanke an die Heimat vor dem Zuchthause, das Tor öffnet sich, vorbei ist die eigene Meinung, vorbei das »ich«, die Nummer tritt an alle Stellen. –[195]

1

4. S.J. von A., ehelich geboren 1874 prot., lediger Kaufmann. Nicht tätowiert. Vorstrafen seit 1892: einmal Haft und 7mal Gefängnis (in mehreren Anstalten) wegen Betrugs, Diebstahls, Erpressungsversuche, Beleidigung. Zuletzt wegen Zuhälterei 3 Jahre 9 Monate Gefängnis und Arbeitshaus. Buchmacher bei Rennen. Bewegte Vergangenhelt, Spieler und Zuhälter. Als Schreiber wiederholt beschäftigt in der Gefangenenbibliothek. Nierenleidend. Gute Führung. Wollte wieder in die Höhe kommen. Gute Volksschulbildung und ein paar Jahre bessere Bürgerschule.

Kriminalschutzmann.

Quelle:
Jaeger, Johannes: Hinter Kerkermauern. Berlin 1906, S. 12-13,189-196.
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