Anno 1701
§ 46

[108] Gleichwie ich nun im Januario Anno 1701 war Magister worden, so habilitirte ich mich kurz vor Jubilate [3. Sonntag n. Ostern] mit einer Disputation aus der Historia literaria, welcher[108] ich noch in ziemlicher Maße ergeben war, de Statu Linguæ Ebreæ: ab Orbe condito ad nostram usque ætatem; worinnen mir das Collegium Historiæ Literariæ [Vorlesung über enzyklopädische Literaturgeschichte], das auf dem Gymnasio bei dem Herrn Profess. Krantz gehöret, unter andern gute Dienste tate. Ich hielt mich bei dieser Disputation dermaßen, daß auch gleich darauf unterschiedene Studiosi bei mir um ein Collegium hebraicum anhielten. Doch ich wollte nicht gerne in der Welt den Namen [Ruf], wie Cardanus, haben, daß ich mehr docens [lehrend], als doctus [gelehrt] wäre, sondern nach Sirachs Vermahnung erst selbst etwas lernen, ehe ich mich andere zu lehren unterfienge [vgl. Sir. 39]. Die Not trieb mich auch noch nicht dazu an, ob ich wohl um der Collegiorum activorum [Abhaltung von Kursen] willen promoviret hatte. Es fand sich ein Kauf-Diener zu mir, der nicht gerne sein Latein, so er gelernet, wieder vergessen wollte. Dieser las die Woche 4 Stunden einen lateinischen Autorem mit mir, und ich durfte vor gute Bezahlung nicht sorgen. Um eben diese Zeit erwählte der Herr M. Gehr, der jetzige Prediger im Zucht-Hause, in Humanioribus [Philologie im weitesten Sinn] und Theologicis mich zu seinem Præceptore, an dem ich hernach jederzeit einen sehr guten Freund gehabt, und noch habe. Er hatte auf eine Zeit dem Studiren schon gute Nacht gegeben, bekam aber von neuem Lust, sich wiederum zum Studiren zu wenden. Ich wurde mit ihm durch einen Studiosum bekannt, mit Namen Holm, der von Drontheim aus Norwegen gebürtig. Derselbe hatte unvergleichliche Studia, und übertraf an Philosophie und Theologie und in Humanioribus uns andere alle, die wir mit ihm bei Bertholden speiseten, und mit ihm öfters disputirten. Er war aber der Arminianischen Religion zugetan; wie er denn auch im Gymnasio Arminiano zu Friedrichstadt [Schleswig] frequentiret [den Unterricht besucht] hatte. Durch diesen Studiosum, der sonst ein sehr mäßiges und frommes Leben führte, gelangte ich zu der Erkenntnis [Kenntnis] der Theologorum Religionis Arminianæ [Theologen der Arminianischen Religion], Episcopii, Grotii, Limburgi, Clerici etc. von denen er unterschiedene Schriften besaß, und mir auch einige von solchen communicirte [auslieh]. Ich lernte freilich viel aus diesen Schriften, und sonderlich aus den Schriften Clerici, und fassete den ganzen Zusammenhang des Systematis Religionis Arminianæ [des Arminianischen Religionssystems], welches jederzeit viel heimliche Liebhaber und Approbatores [Befürworter] gefunden. Da aber die Gelehrten längst erkannt, daß es im[109] Wesen von dem Systemate der römischen Kirche wenig, oder gar nichts unterschieden, und Grotius selbst im Herzen ein guter Papist soll gewesen sein, ja so gar die Königin Christina in Schweden zur Veränderung ihrer Religion, wo nicht beredet, doch zu derselben ein großes beigetragen; so ist es nicht zu verwundern, daß ich nach der Zeit solche Sätze öffentlich schreiben können, welche Grotius, den selbst viel der Unsrigen noch mit Erstaunen nicht genug zu veneriren [schätzen] wissen, vielleicht durchgehends, wenn er solche sollte gesehen, würde gebilliget haben, weil sie guten Teils aus unvorsichtigem Lesen seiner, und anderer Arminianer Schriften, und übereilten Approbation [Zustimmung] derselben hergekommen.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 108-110.
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