Anno 1728
§ 142

[353] Nachdem es mit mir bis zur Suspension gekommen war, wollten die Leute aus der Haut fahren: jeder wollte helfen, und raten, und liefen doch ihre Ratschläge meistens wider einander. Ich konnte mich weder der gemeinen, noch der Leute von Condition [Rang] erwehren; jeder wollte vor mich gelassen sein; und mir etwas zu meinem Vorteil hinterbringen. Eine gewisse vornehme Frau wollte so gar bei später Abends-Zeit, da es schon finster war, zu mir, und befand sich so gar schon auf meinem Vorsaal: vorgebende, sie hätte ganz was Nötiges mir zu sagen. Ich schlug es ihr aber ab, und ließ ihr vermelden, wenn sie nicht bei Tage könnte kommen, so wäre es mir unmöglich des Abends sie vor mich zu lassen; denn es möchte nun was Gutes, oder Böses sein, was sie mir zu sagen hätte, so verderbte ich mir doch dadurch die ganze Nacht. Menschen sind in solchem Falle nicht einem Hunde gleich, der, wenn er schon mit dem andern Hunde sich gebissen, und seine Hunds-Seele mit dem heftigsten Affect des Zornes angefüllet, doch den Augenblick hingehen kann, auf ein Ohr sich legen, und einschlafen. Zum wenigsten sind Menschen von schwachen Leibern, und Gemütern darzu nicht geschickt, daß, wenn ihnen des Abends der Kopf mit Sorge und Furcht angefüllet wird, sie die Sorge unter die Knie-Kehle, wie wir zu reden pflegen, binden, und ohne Hindernis hernach einschlafen können; Welches wider diejenigen zu merken, die etwan hier denken und sagen möchten: bist du ein Prediger, und hast andere gelehret, daß sie alle Sorgen sollen auf Gott werfen [1. Petr. 5,7], warum hast du sie denn auch nicht auf Gott werfen können? du mußt gar ein schlechter Held im Christentum sein. Wann irgendwo der Conatismus, den Herr D. Lange in Halle unsern Theologis als einen Irrtum und Fehler vorgeworfen, wenn sie lehren, daß die Gottseligkeit nicht sowohl in einem stetswährenden Actu, sondern in einem Conatu pietatis, und stetem Streben und Bemühen gottselig zu leben bestehe, statt findet, und verteidiget werden kann, so kann solches bei schwachen Leibern, und Gemütern geschehen, die sich der Furcht und Sorge nicht entschlagen, und anders nicht, als durch langes Ringen und Kämpfen zum Vertrauen auf Gott, und zur Werfung der Sorgen auf denselben gelangen können. Gott wird in Wahrheit bei denselben den guten, und ernsten Willen, und den eifrigen Conatum, Streben, und Bemühen vor die Tat annehmen.[354]

Ob ich mir nun wohl bald anfangs vorgenommen, ich wollte entweder gar niemanden, oder doch nicht leicht jemanden vor mich lassen; so ließ ich mich doch einst ohngefähr zu Anfange des Septembris bewegen, eine Frau von mittlerm Stande zu besuchen, die sich nicht wollte abweisen lassen, wenn ich ihr den Besuch abschlug. Ich gieng selber zu ihr ins Haus, wie sie es auch selbst begehrte. Aber, o unglückseliger Gang und Besuch, der mich in schreckliche Verwirrung gesetzt, und meine Plagen bis gegen Michael [29. 9] wohl zehenfach vergrößert. Sie wollte mir als ein Geheimnis entdecken, und etwas sagen, worin ich ihr ganz gewiß glauben könnte; denn sie hätte mit einem aus einer vornehmen Gerichts-Stätte geredet, von dem sie wegen langer Bekanntschaft mit ihm wüßte, daß er sie nicht mit Unwahrheit berichten würde. Derselbe hätte gesaget, ich würde nicht besser tun können, als wenn ich Reißaus gäbe, und außerm Lande mich machte, weil ich meine Sache besser, wenn ich in einem sichern Ort wäre, als wenn ich hier zugegen, würde verteidigen können. Denn meine Sache sähe sehr gefährlich aus; wo ich bleibe, dürfte es mir wohl um den Kopf gehen, (und dieses wußte sie noch mimice mit der Hand an ihrem Halse recht förmlich auszudrucken.) Ich lachte zwar anfangs mehr, als daß ich ihr hätte glauben sollen; denn so weit, dachte ich, wird es wohl nicht kommen. Allein, wie sich alles so wunderlich schicken muß, entweder denselben Tag noch, oder kurz darauf, hinterbringet mir einer, der sich auch, obwohl aus Liebe, und guter Meinung, mir zunötigte, daß er vernommen hätte, man wolle nunmehro eine Criminal-Sache aus meiner Affaire machen, die in einem viel höhern Orte noch sollte anhängig gemacht werden, weil ich unsere Religion sarcastisch gespottet, und also nicht nur wider diese Landes- sondern auch wider die Reichs-Verfassung gehandelt hätte. Dieses brachte mich dazu, daß ich endlich schier dem zu glauben anfieng, was mir diese Frau ins geheim hatte stecken [mitteilen] wollen.

Es kam noch dazu, daß zur selben Zeit mir mehr, als einmal vor die Ohren kam, als ob zu der Zeit, wenn die Inquisition angehen würde, man sich meiner Person versichern, und mich in Verwahrung bringen würde; vor welchem Zufall ich zitterte und bebete, weil ich mein Lebtag in keinem Gefängnis gesessen, und wegen heranbrechenden Herbst, da mein Leib mehr, als sonst, schwächlich und kränklich, ich alles äußerst befürchten mußte. Ich fange also an zu sorgen, und zu überlegen: Was tust du? bleibest du, oder entweichest du? Was dieser Pro- und Contra-Streit[355] mich ausgemergelt, und matt gemacht, kann ich nicht beschreiben, und muß mich bis diese Stunde noch wundern, daß ich bei Leben, und Verstande geblieben, und auch von keiner Krankheit, Durchfall, Hectica, oder andern Zufällen überfallen worden. Und da ich endlich schlüssig wurde, fortzugehen; wohin wenden, und welchen Ort erlesen, und was vor Mittel und Wege sollte ich dazu ergreifen? Wie sollte ich meine Sachen fortbringen? Sollte ich alles stehen und liegen lassen? Wie sollte ich alles so veranstalten, daß man mir es weder in meinem Hause anmerkte, noch auch diejenigen erführen, von denen ich in dem törichten Wahn stunde, daß sie einen flüchtigen Inquisiten arretiren, oder ihm nachsetzen würden, wenn er ohne ihr Vorbewußt davon gienge? Das machte mir öfters das Haupt so wüste, daß ich kaum manchmal mehr fühlte, daß ich noch einen Kopf hätte, oder als wenn Heu, und Heckerling im Kopfe wäre. Ich schob es immer von einer Zeit zur andern auf. Und da es endlich mein ganzer Ernst war, so wurde ich zwei- bis dreimal daran gehindert. Einmal schien es des Morgens, als ob es mein Gesinde merkte; das andere mal hatte ich zu Hause so lange früh getändelt, daß ich die Post versäumet, auf welcher ich, wie ich vorgab, eine kurze Spazierfahrt machen wollte; wie ich auch sonst zu tun gewohnt, und es meinen Leuten nicht unbekannt war, und vielfältigmal zu meiner Gesundheit, in einem Tage bis nach Groß-Kugel, so der halbe Weg nach Halle, und wiederum nach Hause gefahren. Das drittemal war ich schon auf dem Wege zur Post, und hatte in meiner Kammer mein armes Vögelchen verschlossen, das mich viel und lange Jahre mit seinem Singen erquicket. Es jammerte mich, daß das arme Tier endlich vor Hunger sterben sollte, und eilte schnelle wiederum zu Hause, wodurch es aber geschahe, daß ich abermals anlangete, da die Post schon weg war. Nach der Zeit fiel böses Wetter ein, in welchem ich nicht wagen durfte, meinen Leib in Gefahr zu setzen. Ich halte aber, daß dergleichen Ursachen, die mich noch am Echappiren, und am Davongehen gehindert, wohl nur von meinem, so zu reden, unwilligen Willen mögen gekommen sein; denn wenn der Mensch zu einer Sache nicht recht Lust hat, so ist er froh, wenn er nur eine Schein-Ursache erfinden kann, die ihn abhält das zu tun, woran er ohnedem schwer gehet.

Quelle:
Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. München 1973, S. 353-356.
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