Brechweinstein

[154] Brechweinstein, Spiesglanzweinstein (tartarus emeticus, tart. antimoniatus, tart. stibiatus), ist eigentlich ein weinsteinsaures Spiesglanzsalz von etwa 3/11 Metallgehalte.

Ich würde eine eigne Abhandlung schreiben müssen, wenn ich alle bekannte Abweichungen bei der Bereitungsart dieses berühmten, im Jahre 1930 zuerst bekannt gewordenen Heilmittels durchgehen wollte. Fast jeder Arzt, der etwas von Chemie wußte, wählte sich eine andre Art, dieses metallische Salz zu bereiten, und fast jeder hielt die seinige für die beste, mit Verwerfung aller übrigen. Spiesglanzsafran, Spiesglanzleber, Spiesglanzglas, Spiesglanzkönig, Algarottpulver, grauer Spiesglanzkalk – wurden der Reihe nach, jedes von seinem Vertheidiger vorzugsweise vor den übrigen als das beste Ingredienz dazu gerühmt. Man nahm bald dieses, bald jenes Verhältniß an Weinstein, und an Wasser, kochte in sehr verschiedenartigen Geschirren von 24 Stunden lang bis zu einigen Minuten, und ließ die filtrirte Lauge entweder krystallisiren, oder trocken eindicken.

Was die verschiednen Spiesglanzpräparate betrift, die der und jener zur Bereitung des Brechweinsteins nahm, so ist dieser Unterschied so sehr groß eben nicht.

Ich habe nächst Caille und Bindheim gefunden, daß alle in Säuren leicht auflösliche Spiesglanzbereitungen gleich gut zur Verfertigung des Brechweinsteins sind, und eine gleich kräftige Arznei liefern, wenn man recht damit umgeht.

Die bemerkbaren Verschiedenheiten bei jedem derselben betreffen nur Nebenumstände, etwas weißeres oder graueres, etwas mehr oder weniger Metallsalz.

Die bedeutendste und bedenklichste Verschiedenheit lag in der Bereitungsart selbst, indem diejenigen, welche auf die Krystallisation des Brechweinsteins drangen, von der Menge derer überstimmt wurden, welche die gekochte Spiesglanzauflösung in gereinigtem Weinsteine bis zur Trockenheit abzudünsten, und so aufzubewahren befahlen. Nebenbei kam auch viel darauf an, ob das Kochen in Gefäsen (z.B. eisernen) vorgenommen ward, welche den schon enstandenen Brechweinstein wieder zersetzen konnten,[154] oder nicht, und der erstere Fall war desto nachtheiliger, wenn man mit dem Kochen viele Stunden anhielt.

Der Apotheker muß die Hauptbereitungen kennen, um sie nach Verlangen verfertigen zu können.

Nach der Bergmannischen, Macquerschen und Lassonischen Art entsteht ein Produkt, dem sie den Namen tartarus antimoniatus oder stibium tartarisatum beilegen. Man nimmt nach ersterer auf fünf Unzen Weinsteinrahm zwei und eine viertel Unze Al garottpulver, und läßt dieß Gemisch mit vier Pfund destillirtem oder reinem Regenwasser in einem Glase eine halbe Stunde lang gelind kochen, da dann ein wenig schwärzlichtes Pulver zurück bleibt. Die filtrirte Auflösung läßt man bis zum Häutchen abrauchen, und setzt sie zum Anschießen in eine sehr gelinde Wärme hin.

Die Krystallen sind farbelos, und ziehen weder Feuchtigkeit aus der Luft an, noch zerfallen sie merklich. Sie betragen am Gewichte soviel ungefähr als der dazu genommene Weinstein.

(Ich setze hinzu, daß man sehr wohl thut, wenn man entweder destillirtes oder doch reines Regen- oder Flußwasser anwendet; ferner, daß man das Sieden nicht in einem kupfernen oder eisernen oder mit Bleiglätte glasurten Geschirre (weil sich in allen diesen der Brechweinstein währendem Kochen wieder zersetzt), sondern entweder in Glas oder in einer nicht so leicht springenden steinzeugnen beschlagenen Schale vornehme; daß man die Lauge vor dem Filtriren etwas verkühlen lasse (etwa bis 120° Fahr.), damit sich der noch freie Weinstein darin niederschlage, welcher sich sonst ins Filtrum hängt und das Durchfließen verhindert, oder wenn er noch heiß mit durchläuft, das Produkt vermehrt, und sich unter den Brechweinstein mischt, folglich ihn unkräftiger macht; und endlich daß man die durchgeseihete Lauge bis zu 85 Unzenmaß Flüssigkeit abdampfe, und diese Lauge in einer Digestionswärme mehrere Tage über stehen lasse, um desto größere Krystallen zu bekommen).

Die Bergmannsiche Bereitung hat merkliche Vorzüge, und verdient allgemeine Aufnahme. Die Vorzüge bestehn darin, daß man gleich bei der ersten Krystallisation (ohne Wiederauflösen und nochmaliges Anschießen) weiße Krystallen bekömmt, welche desto größer sind, je gelindere und anhaltendere Wärme man zum Anschießen gebraucht hat, und daß die Lauge in Gefäsen, die keine Zersetzung des Produkts zulassen, und nicht etwa 12 oder 24 Stunden, wie sonst wohl, sondern nur eine halbe Stunde gekocht, und dabei das Hineinfallen des Staubes, der Asche und anderer Unreinigkeiten vermieden wird.

Der höhere Preis des Algarottpulvers gegen die übrigen Spiesglanzpräparate, kann, vorzüglich wenn man die leichte Scheelische Verfertigungsart desselben, ( Algarottpulver) zu Hülfe nimmt, bei einem Salze, welches in so kleiner Menge verschrieben wird, nicht als Einwurf gelten. Und wollte man auch diesen Punkt erleichtert haben, so dürfte man nur statt desselben recht sehr fein gepülvertes Spiesglanzglas nehmen, und übrigens auf angezeigte Art verfahren,[155] um seinen Zweck vollkommen zu erreichen.

Der größte Vorzug dieser Bergmannischen Verfertigungsart aber besteht unstreitig in der Krystallisirung des Produkts. Nur ein angeschossenes Salz von immer gleicher Gestalt kann stets einerlei Verhältnisse der Bestandtheile, folglich einerlei Kräfte besitzen, welches nie bei einer zum Magma oder bis zur Trockenheit eingedickten Lauge der Fall seyn kann.

Wenn ich mit Bergmann auf die Krystallisirung dringe, so haben wir den ersten Bekanntmacher des Brechweinsteins, Adrian von Mynsicht, den Lemery, Macquer, Caille, Lassone, die meisten Apothekerbücher, und ich möchte sagen, die ganze Natur der Sache, auf unsrer Seite, denn nur ein wohl krystallisirtes Salz kann immer gleiche Bestandtheilsverhältnisse haben, und muß unendlich weit jeder eingedickten Masse dieser Art vorzuziehen seyn.

Dieß bei größern Quantitäten bis zu drei Linien Größe anschießende Salz hat eine sich durchaus gleich bleibende Gestalt. Jede Krystalle besteht aus zwei, mit ihrer gleichseitig viereckigen Basis zusammenstoßenden Keilen (von 20 oder 40 Grad Zudachung), wovon die Schneide des einen senkrecht steht, während die Schneide des entgegen gesetzten Keils wagerecht liegt. Seine Form ist also die einfachste unter allen bekannten Salzformen, und besteht so zu sagen nur aus vier Flächen, deren jede ein Parallelogram ist, dessen eine Seite von einem angesetzten Triangel zugespitzt wird.

An der Luft verliert die Oberfläche etwas von ihrer Durchsichtigkeit und erhält eine Porzellainweiße.

Es schmeckt nur wenig metallischekelhaft, löset sich bei 65° Fahr. in achtzehn Theilen Wasser auf, leidet von Neutralsalzen und luftvollen Laugensalzen keine Veränderung, wird aber von der Vitriol- und Salpetersäure zu einem weißen nur durch Salzsäure auflösbaren, von adstringirenden Gewächsen und kaustischem Salmiakgeiste zu einem in Essig auflösbaren weißen Kalk, und von der Schwefelleberluft oder der Hahnemannischen Weinprobe zum Mineralkermes niedergeschlagen.

Nur die des größten Theils ihres Schwefels und ihres Brennbaren beraubten Spiesglanzpräparate lösen sich in der Säure des gereinigten Weinsteins fertig und leicht zum Brechweinstein auf, das Algarottpulver, das Spiesglanzglas, der bis zur graulichten Weiße gebrannte rohe Spiesglanz, der Spiesglanzsafran – der seines Brennbaren gänzlich beraubte Spiesglanzkalk aber, der schweißtreibende Spiesglanz löset sich eben so wenig als der mit Brennbarem oder Schwefel gesättigte Spiesglanzkalk, der rohe Spiesglanz und der Spiesglanzkönig in dieser Säure auf.

Die zweite Bereitungsart, welche Ruf erhalten hat, ist die Saunder-Höpfnerische, nach welcher[156] man auf Einen Theil sehr fein geriebenes Spiesglanzglas zwei Theile gepülverten gereinigten Weinstein nimmt, und so viel Wasser in das irdene Geschirr dazu gießt, daß auf jede Unze Weinstein ein Pfund desselben kömmt. Will man z.B. ein Pfund Brechweinstein bereiten, so muß nach dieser Methode mit dem Kochen wenigstens zwölf Stunden angehalten, und der Abgang des verdünstenden Wassers von Zeit zu Zeit ersetzt werden. Dann filtrirt man die Lauge (welche immer tartarisirten Weinstein enthält), und dampft sie zur staubigen Trockenheit ab, wobei man auf jede Unze Weinstein drei Quentchen Zuwachs erhält.

Man wird finden, daß dieser Brechweinstein, welcher in verschlossenen Gefäsen aufbewahrt werden muß, doch bei jeder Oefnung des Gefäses etwas Feuchtigkeit aus der Luft, anzieht, folglich schwerer und in einem bestimmten Gewichte von ungleicher Wirksamkeit wird. Auch die irdenen glasurten Gefäse zersetzen durch das lange Kochen einen ansehnlichen Theil des schon entstandenen Brechweinsteins wieder dergestalt, daß Höpfner in solchen Gefäsen auf die Unze Weinsteinrahm nur 2 Skrupel Zuwachs an Spiesglanztheilen erhielt, Gmelin aber, der in Glas arbeitete, 3 Quentchen. Welche Verschiedenheit! Wie kann man zu behaupten fortfahren, nur der durch Eindicken bereitete Brechweinstein habe immer gleichen Metallgehalt? Ueberdieß kann keine leicht feuchtende Lauge bis zu einer stets gleichen Trockenheit eingedickt werden.

Die Güte und Kräftigkeit des Saunder-Höpfnerischen Brechweinsteins wird aus diesen Gründen immer abweichend seyn, wenn es sich ein geübter Arbeiter nicht sorgfältig angelegen seyn läßt, ihn immer auf gleiche Art zu verfertigen und vor der Feuchtigkeit der Luft behutsam zu verwahren, weil sich in demselben stets ein mehr oder weniger großer Theil Spiesglanzkalk durch tartarisirten Weinstein augelöst befindet.

Allen diesen Unbequemlichkeiten wird der Apotheker ausweichen, welcher seinen Brechweinstein aus Spiesglanzglas (oder Algarottpulver) nach oben angegebner Bergmannischen Weise durch halbstündiges Kochen in gläsernen oder steinzeugnen Gefäsen, Filtriren, Abrauchen und Anschießen zu deutlichen Krystallen oben bestimmter Form verfertigt; es müßte ihm dann eine spezielle Vorschrift andrer Art das Gegentheil gebieten.

Der durch Eindicken bereitete Brechweinstein thut gewöhnlich (wiewohl nicht beständig) in zwei Granen eben so viel als drei Gran krystallisirter. Ersterer wirkt daher heftiger.

Die Leichtigkeit, mit welcher der Brechweinstein in dieser (auf einmal genommenen aufgelösten) Gabe Ausleerungen von oben bewirkt, die purgirende Wirkung einer gleichen Gabe, wenn sie langsam (z.B. binnen 6 Stunden) und stark verdünnt genommen wird, und die nicht seltne Ausleerung durch Harn und Schweiß, wenn man 1/10 Gran oder noch weniger auf einmal giebt, macht denselben zu einem sehr geschätzten Heilmittel. Wenn ein[157] nachdenkender Arzt bei unterdrückter Reizbarkeit der ersten Wege zuweilen für nöthig findet, fünf, zehn, funfzehn, ja wohl zwanzig Gran Brechweinstein auf die Gabe vorzuschreiben, so kann ihm dieß kein Apotheker ohne ein weit größeres Verbrechen an seinem guten Rufe zu begehen, im Publikum zum Verbrechen machen. Ersterer kann oft da der Retter des Lebens werden, wo Alltagsärzte mit ihren nichtswürdigen Mitteln den Termin verschlummern – occidit qui non servat!

Man darf den Brechweinstein weder mit adstringirenden Pflanzentheilen, mit China, Rhabarber u.s.w. noch mit absorbirenden Pulvern, sie mögen nun Kalk- oder Bittersalzerde heißen, in Mischung bringen, ohne daß er dadurch zersetzt und unkräftig werde. Selbst die meisten Metalle zersetzen ihn, so wie ätzender Salmiakgeist, Vitriolsäure, Salpetersäure und Brunnenwasser, welches (wie alle sogenannten harten Wasser) eine in Luftsäure aufgelöste Kalkerde enthält.

Wird daher eine wässerige Brechweinsteinauflösung vorgeschrieben, so muß durchaus destillirtes Wasser dazu genommen werden.

Den von Bergmann angegebnen tartarisirten Brechweinstein (tart. tartarisatus antimoniatus, stibium tartarotartarisatum) zu bereiten, nimmt man auf zehn Unzen tartarisirten Weinstein drei Unzen Algarottpulver, und geht wie beim gewöhnlichen Brechweinstein damit zu Werke. Man erhält an Krystallen das halbe Gewicht des dazu genommenen tartarisirten Weinsteins.

Diese Bereitung ist eben so wenig offizinell, als die Verbindung der Spiesglanzkalke mit wesentlicher Weinsteinsäure (antimonium tartarisatum). Es entstehen dem gewöhnlichen Brechweinstein ähnliche Krystallen. Etwa Ein Theil Algarottpulver wird von vier Theilen krystallinischer Weinsteinsäure aufgelößt.


Brechweinsteinkrystall.
Brechweinsteinkrystall.

Brechweinsteinkrystall.


Quelle:
Samuel Hahnemann: Apothekerlexikon. 1. Abt., 1. Teil, Leipzig 1793, S. 154-158.
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