[418] Hirsch, Cervus elaphus, L. [Riding. Jagdb. Tab. 4. 5.] mit ästigem, durchgängig rundlichem rückwärts gebognem Gehörne, ein bekanntes schönes, sanftes Wild, wovon das Männchen gegen den Anfang des März sein Geweihe abwirft, welches im July wieder gewachsen ist, jährlich mit einem Ende mehr. Ihre Brunstzeit ist im August und September. Das Weibchen trägt acht Monate und wirft selten mehr als ein Hirschkalb. Sie werden nicht leicht über dreißig Jahr alt.
Man hat dem weißen, harten Talge (sevum cervinum), welcher keine Vorzüge vor dem Schöpsentalge hat, besondre erweichende, zertheilende und schmeidigende Kräfte zuschreiben wollen. Die mannigfaltig, zuweilen kreuzförmig gestalteten Verknöcherungen der Flechsen im Herzen und des Anfangs der Aorta (Hirschkreutz, os de corde cervi), haben die Alten als ein herzstärkendes und schweißtreibendes Mittel gleich lächerlicherweise als das Pulver der getrockneten männlichen Ruthe (priap. cervi) in Ruhr, Seitenstich, Hysterie und Impotenz gerühmt. Aus den jungen Keimen der Geweihe (Hirschkolben, typhae cornuum cervi), welche weich, röthlich, und gleichsam wollicht sind, zogen[418] sie ein kraftloses destillirtes Wasser ab.
Gebräuchlicher sind noch die ausgewachsenen Geweihe (Hirschhorn, Cornu cervi), eine zwischen Horn und Knochen inne stehende, sehr feste Substanz, welche theils geraspelt (rasura C.C.), theils als feines Pulver (C.C. praeparatum), theils durch Kochen aufgelöst (→ Gallerte), theils nach vorgängiger Ausziehung der Gallerte durch die Dämpfe des kochenden Wassers, als eine zerreibliche Knochenmaterie (C. C philosophice, s. sine igne praeparatum, → Präpariren, philosophisches), theils in offenem Feuer zur Weiße gebrannt (C.C. ustum) angewendet worden sind, die Pulver als angebliche herzstärkende Mittel.
Wenn diese Geweihe, oder statt deren (räthlicher) die Klauen und Hörner, des weniger übeln Geruchs wegen aber, am besten, die Knochen irgend eines Thieres in Stücken zerschlagen, in eine gußeiserne oder steinzeugne, beschlagne Tubulatretorte gethan, bis zu drei Viertel damit angefüllt, und aus freiem Feuer im Reverberirofen (→ Ofen) bei allmählig erhöheter, endlich bis zum Glühen des Bodens der Retorte verstärkter Hitze trocken so lange destillirt werden, bis die Vorlage nicht mehr warm bleibt, so findet man ein heftig stinkendes Oel (Hirschhornöl, ol. Cornu cerui foetidum), ein angeflogenes, mit solchem Oele vermischtes rohes Hirschhornsalz (sal C.C. crudum), und eine braune, mit diesem Salze geschwängerte, wässerige Flüssigkeit (roher Hirschhorngeist, spir. C.C. crudus). Die bei dieser Destillation nöthige Einrichtung der Vorlage, um der Gewalt der entwickelten Gasarten auf der einen, und der Verminderung der Produkte auf der andern Seite zu entgehen, findet man unter Destillation S. 219.
Das stinkende Hirschhornöl (das hitzigste aller Arzneimittel welches man jetzt fast blos zur Bereuung des Thieröls, w.s., anwendet), wird nebst dem Hirschhorngeiste in ein doppeltes, mit Wasser genetztes Filtrirpapier geschüttet, wodurch blos letzterer gehet, mit Zurücklassung des Oels, welches man nach Durchstechung des Filtrums in ein andres Gefäß fließen lassen kann.
Um Salz und Geist von ihrer braunen Farbe und ihrem stinkenden Geruche möglichst zu befreien, (weil man nur rektifizirtes Hirschhornsalz und nur rektifizirten Hirschhorngeist zur Arznei brauchen kann), so schüttet man den braunen Geist und das schmutzige Salz mit zwei Theilen (gegen das letztere gerechnet) gepülverter Kreide vermischt in einen gläsernen Kolben (→ Destillation S. 213.) und destillirt aus dem Sandbade bei sehr gelindem Feuer, bis das Salz in den Helm aufgetrieben ist, und Wässerigkeit in die Vorlage überzugehen anfängt. Dann beendigt man sogleich die Destillation und verwahrt das auf einem Fliespapiere etwas getrocknete Salz in einer Flasche mit eingeriebnem Stöpsel. Da aber dieß so rektifizirte Salz sich nicht lange hält, ohne wieder braun und stinkend zu werden, so verwendet man es blos zur Bereuung des rektifizirten Hirschhorngeistes[419] (spir. C.C. rectif.), indem man es, gleich frisch aus dem Helme genommen, in fünf Theilen destillirtem Wasser auflöst, und in wohl verstopften Flaschen aufbewahrt.
Angenehmer von Geruch und weißer an Farbe bereitet man das reine Hirschhornsalz (sal. C.C. rectif.), indem man vier Unzen gepülverten Salmiak mit acht Unzen recht trockner gepülverter Potasche und einem Quentchen Hirschhornöle (oder besser Thieröle) vermischt und aus einer gläsernen Retorte im Sandbade das flüchtige Salz in die wohl anlutirte Vorlage treibt.
Beide, das rektifizirte Hirschhornsalz, so wie der rektifizirte Hirschhorngeist, sind, wie man sieht, Ammoniaklaugensalze mit feinem Thieröle geschwängert, ersteres in trockner, letzteres in flüssiger Gestalt, und beide besitzen ermunternde, anthysterische Kräfte.
Um den bernsteinsalzigen Hirschhorngeist (liquor C.C. succinatus) zu bereiten, löset man ächtes Bernsteinsalz in kochendem Wasser bis zur Sättigung auf und wirft so viel gepülvertes rektifizirtes Hirschhornsalz hinzu, als zur Sättigung hinreicht. Sollte die Mischung trübe seyn, so wird sie filtrirt. (Abgedampft schießt sie zu einem [in Weingeist auflöslichem] Neutralsalze in feinen Nadeln an, Hirschhornbernstein salz, sal C.C. succinatum.)
Beide letztere sind ein in kaltem Rheumatism, in Krämpfen und Hysterie sehr vorzügliches Mittel, und befördern die Ausdünstung.
Die Nachäffung des bernsteinsalzigen Hirschhorngeistes aus Hirschhorngeist, Bernsteinöl und Essig oder Weinstein hat das Bürgerrecht in der Praxis noch nicht erlangt, und darf statt jenem ohne offenbaren Betrug nicht dispensirt werden. Die erstere Verfälschung erkennt man an dem aufsteigenden Essigdampfe auf Zutröpfelung des Vitriolöls, die letztere giebt mit Bleizucker einen Niederschlag, welcher auf glühenden Kohlen einen Dampf wie verbrannter Weinstein verbreitet.