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[7] Ich habe das unschätzbare Glück, auf eine heitere, ungetrübte Jugend zurückzublicken und meiner Eltern nie anders als mit der innigsten Liebe und Dankbarkeit zu gedenken. Mein Vater ist in seiner selbstlosen Güte, seinem Freisinn und seinem Gelehrtenfleiß die verehrungswürdigste Gestalt, die in meiner Erinnerung lebt. Er war der Sohn anfangs begüterter Bauern aus Rakonitz in Böhmen. In Prag absolvierte er das Gymnasium und die beiden »philosophischen Jahrgänge« an der Universität. Da scheinen die Hülfsquellen aus der Heimat versiegt zu sein. Um den Eltern keine weiteren Opfer aufzubürden, vielleicht auch dem traditionellen Wunsche ländlicher Mütter zulieb, entschloß er sich, nicht leichten Herzens, Theologie zu studieren und trat als Alumne in das Kreuzherrnkloster ein. Was er da in nächster Nähe beobachtete, konnte einem jungen Manne frommen Gemüts, aber aufgeweckten Geistes unmöglich als das geträumte Ideal des Priesterlebens erscheinen.

Einen Vorgeschmack sollte er bereits als Sängerknabe auf dem »heiligen Berg« erhalten, wo er (als Mitschüler von Franz Hauser, dem späteren Konservatoriums-Direktor in München) den ersten lateinischen Unterricht erhielt. Da sah er eines Tages, wie die Mönche dieser vielbesuchten Wallfahrtskirche aus den wächsernen Händen und Füßen, die von bresthaften Pilgern ex voto am Marienaltar aufgehängt waren, eine vortreffliche Stiefelwichse fabrizierten. Das war der erste, allerdings noch leichte Stoß, den sein kindlicher Glaube erfuhr. Stärkere blieben nicht aus. Nach einem Jahre verließ mein Vater das theologische Studium, das ihn lebenslänglich versorgt hätte, um sich lieber mühevoll selbst fortzubringen und seinem Wissensdrang zu folgen. Er widmete sich dem gründlichsten Studium der Philosophie, namentlich der Ästhetik, deren Lehrkanzel an der Prager Hochschule er eine Zeit lang versah. Aus dem sehr lückenhaften Nachlaß des Universitätsprofessors [7] Joh. Heinr. Dambeck gab er 1822 dessen »Vorlesungen über Ästhetik« zum Besten der Hinterbliebenen in zwei Bänden heraus, ein Lehrbuch, das seinerzeit, d.h. so lange die Kantsche Philosophie noch Pflege fand, sehr geschätzt war. Seinen Lebensunterhalt verdiente er durch Unterrichtgeben, insbesondere in der Musik. Mein Vater war ein vorzüglicher Klavierspieler und guter Sänger. Ob seiner schönen Tenorstimme wurde ihm wiederholt zugeredet, zur Oper zu gehen, – auch C.M. Weber, damals Kapellmeister am Prager Theater, soll unter diesen Ratgebern gewesen sein – aber seine Liebe zu den Wissenschaften und starke Abneigung gegen alles eitle öffentliche Vordrängen hielt ihn davon ab. Er blieb lieber bei seinen Studien und Musikstunden. Unter seinen Schülerinnen befand sich auch die Tochter eines wohlhabenden, von seinem Geschäft zurückgetretenen Kaufmanns, zu welcher der junge Klavierlehrer eine tiefe Neigung faßte. Lotti, damals eines der schönsten Mädchen von Prag, erwiderte diese Neigung; doch durften die beiden Leutchen sich nichts merken lassen. Der vermögenslose Klavierlehrer, der eben erst eine kleine Anstellung als Skriptor an der Universitätsbibliothek erhalten hatte, konnte ja nicht wagen, um die Geliebte anzuhalten. Bedrückt von qualvoller Traurigkeit, saß er eines Abends in dem kleinen Gastzimmer, wo er sein bescheidenes Abendbrot zu verzehren pflegte, als ein Hausierer eintrat. Er bot meinem Vater ein Lotterielos an, das letzte, was noch unverkauft war. Wiederholt abgewiesen, kam der Mann immer und immer wieder und versicherte so eindringlich, dieses letzte Los müsse Glück bringen, daß endlich mein Vater, einer Regung abergläubischen Hoffens nachgebend, das Los kaufte. Am andern Tage kam dieses Los mit dem Haupttreffer von 40000 Gulden heraus. Das war für die damalige Zeit und die bürgerlichen Verhältnisse einer Provinzialstadt eine sehr ansehnliche Summe, mit der sich schon heiraten ließ. Überglücklich eilte mein Vater in das geliebte Haus, brachte seine Werbung an und erhielt Lottens Hand, den wahrhaftigen großen Treffer seines Lebens. Denn nie hat es eine zärtlichere, ungetrübtere Ehe gegeben. Ohne ein blindes Glück wäre mein Vater wahrscheinlich nie an das Ziel seiner Wünsche gekommen, und so danke ich eigentlich meine Existenz einem Lotterielos.

Quelle:
Hanslick, Eduard: Aus meinem Leben. Kassel, Basel 1987, S. 7-8.
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