VI.

[193] Es erging mir seltsam bei diesen räthselhaften Ausflügen, ich schwankte in meinen Wünschen hin und her; zu den nähern Freunden zog es mich mit ganzem Herzen, auf der andern Seite lag mir unendlich[193] viel daran, gewisse Männer, zu welchen ich in freundlichen, wenn auch vorübergehenden Beziehungen gestanden, wiederzusehen. Unter den letztern stand Lenau in erster Reihe. Ich nahm Heine's Dienste in Anspruch, um zu ihm zu gelangen, – etwas verdutzt sah dieser mich an, als ich meinen Wunsch aussprach, doch erfüllte er mir ihn auf das eiligste und entfernte sich dann ebenso eilig. »Ihr Anblick ruft mir schöne Tage zurück,« sprach Lenau mit ernstem Ausdruck, »das schöne Frankfurt, Ihr musicalisches Haus, die Bekanntschaft Mendelssohn's – ich glaube, daß ich damals zum letzten Mal die geliebte Geige in die Hand genommen!« Er schwieg sinnend, und ich – durfte mir nicht erlauben, jene Erinnerungen zu vervollständigen. Nach einigen Augenblicken sagte ich: »Was Ihr Anblick in vielen edlen Menschen anregen würde, läßt sich nicht in wenige Worte zusammenzwängen – eine solche Fülle von Bildern, Empfindungen, Gedanken« – »sie waren«, unterbrach mich der Dichter, »theuer erkauft. Ihr Musiker habt es gut,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »ihr habt Euer Instrument, ihr habt Capellen und Schüler, Concert- und Theateraufführungen und braucht mehr Zeit, eure Empfindungen in Partitur zu setzen, als sie zu erfinden – Ihr könnt Musiker sein, immer und überall und ausschließlich Musiker!« »Und Sie, Lenau«, erwiderte ich, »waren Sie nicht immer und überall ausschließlich Dichter? Sie waren's, wenn Sie sprachen und wenn Sie schwiegen, wenn Sie schauten und wenn Sie horchten – und vollends, wenn Sie Violine spielten!« »Das ist's eben,« sagte er, »aber Proben hielt ich keine ab, Schüler versammelte ich nicht um mich, auch dirigirte ich keine Concerte.« »Ganz hübsche Dinge, ohne die man aber wohl bestehen mag,« konnte ich mich nicht enthalten einzuschalten. »Wir verstehen uns nicht,« rief Lenau ernst, »wir verstehen uns selbst so selten, wie sollten uns Andere verstehen?« setzte er leise hinzu, »oder wollen Sie nicht eingehen auf meine Bekenntnisse? Es ist herrlich, Alles zum Gedicht zu machen, wenn die Poesie auch wieder zur That wird. Gleichviel, ob man Symphonieen dirigirt oder in einen heiligen Krieg zieht, ob man leitend oder gehorchend daran mitarbeitet, das Erdenfeld der Menschheit zu bestellen; aber unsere Kraft soll sich nicht[194] nur nach innen, sie soll sich auch nach außen wenden.« »Wirklich und wahrhaftig, ich verstehe Sie nicht, theuerster Mann,« rief ich aus. »Wer pflügte und säete segensreicher als ein großer Dichter?« »Ob die Ernte so reich ist, wie Sie zu glauben scheinen,« erwiderte Lenau, »das will ich auf sich beruhen lassen – ich sprach, allzu egoistisch für den Verwandelten, von dem, was mir auf Erden ward. Mein Leben dort liegt mir noch so nahe! Was ich schuf, befreite mich nicht; ich war der Sclave meiner Gedanken. Wie König Richard hätte ich ausrufen mögen: eine That, eine That, ein Königreich für eine That – oder vielmehr, sie wäre mir zum Königreich geworden. Sie fassen das nicht, Sie haben einen Tactstock und ein Orchester.« »Auf die Winke Ihres Tactstockes, lieber Lenau,« erwiderte ich, »setzten sich Tausende von Herzen in Bewegung und spielten Ihre Melodieen – und wiederholten sie sich, bis sie dieselben auswendig wußten – und sie liebten Sie, ohne Sie zu sehen, und gehorchten Ihnen, ohne Sie zu hören!« »Ich weiß,« sagte der Dichter, »daß mir viel Liebe zu Theil wurde, und ich war dankbar dafür und werde es bleiben, und es ist ja so schlimm nicht, nur Dichter gewesen zu sein. Dichter! Dichter! wenn nur das Dichten nicht so verdichtete, wenn nur nicht Alles zu einem Stoffe, zu einem Stück Kohle würde, die eine Flamme zu speisen, die uns dann ausbrennt. Mein guter Hiller, allzusehr führt mich Ihre Gegenwart zurück in Zeiten, die vergangen sind, in Zustände, die überwunden sein müßten. Ueberwunden sind sie, noch kann ich sie nicht verwinden!« Sprach's, erblaßte und ich fand mich allein. Doch nach wenigen Augenblicken erschien Heine wieder und sagte: »Eine edle Erscheinung, dieser Lenau, aber ich kann mich noch nicht recht mit ihm befreunden. Kommen Sie, daß ich Sie geleite. Sie fänden den Weg nicht – und es könnte Ihnen unangenehm werden.« Schweigend folgte ich ihm. Ob ich es seiner Leitung verdankte, ob dem Zufall, ich begegnete, nachdem mir Heine Adieu gesagt, einer kleinen Gruppe, in welcher ich neben Chopin die reizende Gestalt Bellini's erkannte, dem Rubini sich anschloß: »Zum zweiten Mal«, sagte Chopin, »begrüße ich dich – hast du Mendelssohn noch nicht wieder gesehen? Du magst ihm[195] doch Mancherlei zu sagen haben!« »Was hätte ich hier zu sagen?« erwiderte ich, »darf ich doch kaum fragen und warte jetzt mit Ungeduld darauf, von Bellini ein freundliches Wort zu empfangen.« »Sie haben mir ein herzliches Erinnerungsblatt gewidmet, cher Maëstro,« nahm dieser das Wort, »di cuore veramente – um so mehr, als Sie seit so langen Jahren das schöne Paris aufgegeben haben und ausschließlich in Ihrem Deutschland leben. Ihre deutschen Collegen mochten mich aber nie!« »Sie übertreiben, lieber Bellini,« erwiderte ich, »ich kannte deren vortreffliche, die wohl zu würdigen wußten, was Sie leisteten.« »Sarà, sarà, ma pochi,« rief er aus, »nicht wahr, Chopinino, wir sprechen zuweilen davon, sie sind geschickt, gelehrt, aber engherzig.« »Nicht doch,« sagte dieser, liebenswürdig vermittelnd, wie ich ihn früher oft gefunden, »sie sind zu weitherzig, ich meine, sie stecken sich so weite, unbegrenzte Ziele, daß sie die Blumen übersehen, die auf dem Wege blühen« – »und doch nicht an jene Ziele gelangen, per Bacco«, unterbrach ihn Bellini. »Es gibt doch nur einen Beethoven, einen divino Beethoven.« »Was würde aus uns poveri cantanti geworden sein, wenn wir Sie nicht gehabt hätten, caro amico?« unterbrach ihn Rubini – »Ihr divino Beethoven, keine Note von ihm hätte ich singen können.« »Tanto peggio, um so schlimmer,« rief Bellini aus. »Aber il divinissimo Mozart,« fuhr Rubini fort, »den verstand ich, und welchen Erfolg erlangte ich in seinem Don Giovanni!« »Aber nicht in Ihrem Vaterlande«, entschlüpfte es mir. »La nostra cara patria!« rief Bellini mit einem Seufzer. »Italien lebte durch Jahrhunderte in seinen Gesängen – und es liebte sie, tanto, tanto, allzusehr vielleicht – waren sie doch das Beste, was ihm die Gegenwart bot – alles Andere entstammte ältern Zeiten. Und für wie Vieles mußten seine Gesänge es nicht entschädigen! Per tutto, tutto! In ihnen fühlte es seinen Herzschlag, sein Blut durchströmte sie, seine Nerven erzitterten in ihnen. Adesso è divenuto un grand paëse, und größer noch wird es werden – auch nimmt es jetzt alles auf, was es früher verschmäht haben würde – cerca a capire – capisce forse – ma produce poco, pochissimo – wie wenig entsteht jetzt[196] dort, was die Welt entzückt. Verdi war der letzte. Er blieb es bisher – er wird es noch lange bleiben.« »Italien hatte eine so wunderbar musicalische Blütenzeit,« sagte Chopin, »es muß sich ausruhen!« »Riposano!« rief Rubini. »Ja, wenn sie ausruhten,« sagte Bellini, »aber nein, sie strengen sich an, sie mühen sich ab. Sie versuchen, es Euren Harmonikern nachzuthun, aber wie? Il gran Maëstro, unser Rossini, er hat die Euren studirt, auch ich habe versucht, in sie einzudringen – wir nährten uns von Euren Früchten, wir genossen sie, wir haben sie verdaut. Aber jetzt glauben sie sich zu verbessern, sich zu vergrößern, wenn sie ungeschickte, greuliche Accorde, armonie orribili, einschachteln in ihre canti. ›Oh, che canti!‹« »Es gibt aber doch talentvolle Leute unter ihnen,« wendete ich ein, »ich selbst kenne manche, wenn man auch nicht viel von ihnen spricht.« »Sarà, sarà,« sagte Bellini, »tanto meglio. Amo il mio paëse, mein Vaterland ist mir theuer und bleibt mir theuer, wenn wir hier – basta, basta.« »Carissimo Bellini,« sagte ich, »wie erquickt es mich, Ihre schöne Seele noch so liebenswürdig zu finden, wie sie mir stets erschien. Und du, theurer Chopin, was hätte ich nicht alles dir zu sagen, wenn ich es wagte! Deine schwerste Lebenszeit begann erst, nachdem ich dir ein Lebewohl gewinkt, dem kein Wiedersehensgruß folgen sollte! Und deine Freunde und Freundinnen wußten so viel zu sagen von allem, was du erduldet!« »Sie nahmen Partei für mich, wie es unten zu sein pflegt, wie es wohl sein muß in jenem Leben, das so eng begrenzt – wo der Blick so schwach, daß oft genug Haß und Liebe kaum erkannt, unterschieden werden – wo man zuweilen haßt, weil man liebt, und liebt, trotzdem man glaubt, gehaßt zu sein – spiel' meine letzten Stücke und du wirst Manches errathen. Oder lies sie lieber, dann brauchst du nicht an den Fingersatz zu denken,« fügte er lächelnd hinzu. »Es ist mir wohl nicht erlaubt, Aufträge von hier mitzunehmen,« sagte ich, »sonst würde ich« – »ich wüßte Niemand, an den ich welche zu geben hätte,« unterbrach mich Chopin, »bedenke, was die Zeit alles verweht hat – mehr, als du begreifen magst!« »Sie hat genug gelassen für den Augenblick«, sagte ich, »und für die Ewigkeit.« – –[197]

»Du siehst ja sehr ernst aus, Papa,« sagte meine Tochter bei mir eintretend. »Das geht vorüber,« erwiderte ich, sie umarmend.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 193-198.
Lizenz:

Buchempfehlung

Arnim, Bettina von

Märchen

Märchen

Die Ausgabe enthält drei frühe Märchen, die die Autorin 1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit« schrieb. Aus der Publikation wurde gut 100 Jahre lang nichts, aber aus Elisabeth Brentano wurde 1811 Bettina von Arnim. »Der Königssohn« »Hans ohne Bart« »Die blinde Königstochter« Das vierte Märchen schrieb von Arnim 1844-1848, Jahre nach dem Tode ihres Mannes 1831, gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Gisela. »Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns«

116 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon