XI.

[216] »Aber diesmal muß ich Rossini sehen,« sagte ich zu Heine – »bitte, führen Sie mich zu ihm.« »Nichts ist leichter,« erwiderte mein Virgil; »er hat sich eine Art Boulevard des Italiens auserkoren, wo man fast immer sicher ist, ihn zu finden, und stets in Gesellschaft – das letztere wird Ihnen hoffentlich nicht unangenehm[216] sein?« »Ich wüßte nicht, daß ich ihm ein Geheimniß anzuvertrauen hätte – ihn einmal plaudern zu hören,« entgegnete ich, »danach habe ich großes Verlangen.« »Wir werden gleich da sein,« sagte Heine; »ich werde mich aber sofort verabschieden.« »Rossini ist ein Musiker, der Ihnen vor allen behagen müßte!« rief ich aus. »Er ist der amüsanteste, der mir vorgekommen, das ist keine Frage,« sagte Heine, – »ich bin aber anderweitig beschäftigt – und schließlich – es wird zu viel über Musik gesprochen werden.«

Mit heiterem, doch etwas ernstem Ausdruck sah ich den Maëstro vor mir stehen. Ihn umgaben sein einstmaliger Famulus Caraffa, Lablache, der berühmte Vertheidiger des Legitimitätsprincips Berryer und M. Jacques Offenbach. Nach mannigfachen Begrüßungen sagte der Maëstro: »Sie machen noch immer Musik, caro Fernando, schon zweimal so lange Zeit, als ich es gethan.« »Dafür bin ich auch zweimal so berühmt geworden, Maëstro,« lachte ich. »Natürlich,« entgegnete dieser, »wenn man ernste, gelehrte Musik macht! Meine Specialitäten waren das Pizzicato und die Cavatine, auf die verstand ich mich besser als Sie und Ihre Freunde – aber was hatte ich davon? Die Orchestergeiger schliefen darüber ein und die Sängerinnen arbeiteten sie um, verbessernd und verschönernd – ich durfte froh sein, wenn mein armer Name wenigstens auf dem Theaterzettel genannt wurde.« »Sie sehen,« sagte Berryer, »er ist unverbesserlich und hat stets die alte lose Zunge. Das verhindert nicht, daß es dort unten keinen Menschen gegeben hat, durch welchen ich mehr Freude genossen, als durch ihn.« »Das waren aber keine legitimen Freuden,« schaltete Rossini ein. – »Es gibt nichts Legitimeres als eine reine Freude,« sagte der berühmte Parlamentarier, »und es ist jammerschade, daß es meinen einstigen Collegen in der Politik so schwer wird, dergleichen zu Stande zu bringen. Was sie schaffen, ist weder brillant noch erheiternd.« »Auch nicht erheiternd?« sagte ich, – »ich verstehe freilich nichts davon. Was meinen Sie dazu, Lablache, der Sie stets mit gekrönten Häuptern auf dem intimsten Fuße standen?« »Ich verschwieg und verschweige, was mir mitgetheilt wurde,« entgegnete dieser mit seinem bezaubernden Lächeln. »Als ich einstmals vierzehn Tage mit dem großen Herzog[217] von Bridschwidsch tête à tête zugebracht, war mir überhaupt die Sprache abhanden gekommen.« »Doch gewiß nicht die Stimme,« sagte Berryer, »die war unverwüstlich.« »Sagen Sie mir, Hiller,« hub Rossini wieder an, »was hat das zu bedeuten mit allen euren Schulen? Ich habe da einen jungen Collegen, der es noch immer nicht lassen kann, in Zeitungen und Blätter aller Art die Nase zu stecken – der erzählt mir, es gäbe jetzt fast so viele Schulen als Componisten. Eine neu-deutsche, eine vlämische, eine skandinavische, eine russische, eine englische, eine belgische und alle Tage kämen noch neue dazu. In jedem Kaffeehaus werde eine neue Schule beschlossen und ein Organ dafür gegründet – und in jeder Taverne würden auch wieder einige abgeschafft. Erzählen Sie mir davon. Haben Sie nicht auch eine Schule gebildet, Meister Offenbach?« wendete er sich plötzlich an diesen. »Das will ich meinen, Maëstro,« antwortete dieser; »sie hat vor vielen andern den großen Vorzug, daß man heidenmäßig viel Geld verdient in dieser Schule.« »Für den Erfolg scheint dies jetzt der einzige Maßstab zu sein,« entgegnete der Maëstro; »wir Frühern hatten auch hier und da Erfolge, alle Welt bereicherte sich dabei, nur nicht die Componisten. Sie haben mir aber noch nicht geantwortet, Signor Fernando, auf meine Fragen.« »Es würde schwer gewesen sein, lieber Maëstro,« sagte ich lachend; »aber auch jetzt würde es mir schwer werden. Kann man denn Schulen gründen ad libitum?« »Mir ist es allerdings nie eingefallen,« entgegnete Rossini. »Als ich Erfolg gehabt und der und jener mir meine Pizzicati und Cavatinen nachmachte, da hörte ich freilich von der Rossini'schen Schule sprechen – das war mir unendlich langweilig. Ich schrieb, wie ich konnte, wie mir's einfiel, so gut oder so schlecht ich's gelernt hatte. Als Haydn seine herrlichen Quartette schrieb, hat er schwerlich daran gedacht, eine Schule zu gründen – und doch sind Alle bei ihm in die Schule gegangen – Alle, Alle – dieser gute liebe alte Haydn! – Von Keinem habe ich so viel gelernt, als von ihm – höchstens noch von einem gewissen Mozart. Der hatte aber zu viel Genie, davon kann man nicht profitiren! A propos, gibt es denn keine spanische Schule? ich sollte doch[218] denken – meine Frau war eine Spanierin – und die nahm mich in die Lehre, das können Sie mir glauben. Was denken Sie davon, Caraffa, Sie machen ja den Mund nicht auf?« »Die Lust dazu ist mir vergangen, seitdem wir nicht mehr bei Ihnen speisen!« erwiderte der einstige Cavaliere etwas verdrießlich; »es ist ja sehr schön hier, aber Ihre Maccaroni kann ich nicht verschmerzen.« »Auch der meinen dürften Sie gedenken,« sagte Lablache. »Es ist erstaunlich,« nahm Berryer das Wort, »welche Freude diese Italiener noch immer daran haben, sich selbst zu ironisiren. Während meine Landsleute in jeder Romanze ein unsterbliches Werk geschaffen zu haben glauben, spielte unser genialer Meister hier mit seinen herrlichsten Inspirationen Federball. Allerdings trat er damit von jeher allem im Voraus entgegen, was man etwa gegen ihn einzuwenden hatte. Wäre er nicht ein so wunderbarer Musiker geworden, er hätte einen Staatsminister abgeben können.« »Danke für die Ehre,« sagte der Maëstro; »für dergleichen würde ich im besten Falle zu faul gewesen sein. Uebrigens habe ich mehr Minister kommen und gehen sehen, als ich Opern componirt habe – und so viel ich jetzt aus der Ferne beobachte, werden die Ministerien immer häufiger und die Opern immer seltener; welche aber weniger werth, wage ich nicht zu beurtheilen. Langweiliger scheinen mir jedenfalls die Opern zu sein.« »Das denken Sie nicht, Maëstro,« sagte ich; »erstens, Sie wissen gar nicht, was Langeweile bedeutet, denn das Langweiligste wurde für Sie stets zur Kurzweil.« »Und für die, die mit ihm waren,« schaltete Berryer ein. »Dann aber,« sagte ich, – »dann aber?« wiederholte Rossini, – »es wird mir«, fuhr ich fort, »nicht leicht, das auszudrücken, was mir im Sinne liegt; Sie waren dem Erfolg gegenüber sehr tolerant, meine ich!« »Was gibt es denn auch Größeres als den succès?« rief Offenbach aus. »Die Zustimmung der Besten,« sagte Berryer. »Wo stecken diese?« frug Lablache. »Das ist allerdings schwer zu sagen,« nahm Rossini das Wort. »Wer hielte sich nicht für gescheit, für urtheilsfähig? Und wem kann man das Recht absprechen, so zu sein, wie er ist? Wenn ich mir in Paris auf meinem Lieblingsboulevard das Gedränge, das Gewoge ruhig ansah, sagte[219] ich mir oft: das ist das Bild der Welt! Jeder rennt, fährt, reitet darauf los mit einem andern Wunsch, einer andern Passion im Herzen – Jeder geht von einem andern Punct aus, um an einen andern zu gelangen – und Jeder ist anders vorbereitet für das, was er erreichen möchte. Nun soll unsere Kunst, im Theater vollends, alle diese Leute oder doch ein buntes Gemisch derselben veranlassen, ihr Geld auszugeben, um eingepfropft zwischen heißen Wänden stundenlang zuzuhören, was ihnen par ordre de moufti geboten wird, und sich schließlich freuen, daß sie in ihre Börse gegriffen! Wer das zu Wege bringt, der hat seine Sache gut gemacht; die Bedenken einzelner wiegen da nicht schwer. Ob ich, ob du, ob er damit einverstanden, was liegt daran? Der Eine zählt sein Publicum nach Millionen, der Andere nach Tausenden; die Werke dieses Componisten verschwinden schnell, die des andern halten sich länger, alle verschwinden, wenn ihre Zeit sich vollendet hat. Von dem Beifall der Kenner mag ich vollends nichts wissen, die wollen nur sich zur Geltung bringen. Bleibt die Zustimmung der Musiker, die doch eigentlich am meisten werth sein müßte. Wüßten die nur selbst besser, was sie wollen! Und wenn sie's wissen, dann ist man am schlimmsten dran, denn es ist selten etwas Gutes!« »Aber carissimo Maëstro!« rief ich aus, »man sollte wahrlich denken, Sie hätten auf Ihrer einstigen Laufbahn die entsetzlichsten Erfahrungen gemacht, und doch waren Sie sicherlich einer der angebetetsten Männer des ganzen Jahrhunderts.« »Wer Erfolg hat, dem wird gehuldigt,« entgegnete Rossini; »mit wie viel Aufrichtigkeit, das ist eine andere Frage. Wie Viele machten mir den Hof, die mich haßten – wie Viele schmeichelten mir, die mich im nächsten Café schlecht machten. Da war ich denn oft genug der Meinung des Cavaliere Caraffa und fand ein Gericht Maccaroni mehr werth, als gedruckte und ungedruckte Lobpreisung. Man kann die Welt nicht verachten, denn man gehört ihr an; das sicherste Mittel wär's jedoch, um vergnügt zu leben und von dort vergnügt wegzuziehen.« Eine Pause entstand; da nahm Berryer das Wort und sagte: »Wie oft haben wir vordem dieses Capitel verhandelt, theurer Meister, so recht einig wurden wir freilich nie. Aber was[220] ich damals ausgesprochen, das halte ich aufrecht, ich denke wohl für alle Zukunft. Nichts kann uns retten in dem Getriebe, als treu zu bleiben unsern Ueberzeugungen, mögen unsere Bestrebungen glücken oder mißlingen. Im Grunde gibt es nur ein Publicum für uns, das sind wir selbst. Man nennt das auch unser Gewissen, das Wort reicht aber nicht aus für das, was ich sagen will – ein gutes Gewissen mag beruhigen, aber es vermag nicht zu beglücken. Wer hätte sich auch nicht Vieles vorzuwerfen? Das thut es nicht. Lieben und achten muß man, was den Inhalt unseres Lebens bildet – treu muß man ihm bleiben. Das mag euch Künstlern zuweilen schwer werden – strebt danach – laßt euch nicht irren – durch nichts, durch nichts!« – Ich sah Niemanden mehr.

Quelle:
Hiller, Ferdinand: Erinnerungsblätter. Köln 1884, S. 216-221.
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