XXVIII.

[237] Nach Oesterreich mußte ich jetzt; Linz war mein Reiseziel. Nach einigen Tagen Aufenthalt in Stuttgart reiste ich dorthin.

Der Direktor Laska von Linz war vor Jahresfrist mit seinem Baßbuffo Schön zu einem Jagdausfluge nach Stuttgart gekommen. Hübsche Entfernung für eine Jagdpartie. Ich lag im Fenster, und Schön stellte von der Straße aus mich dem Direktor Laska vor, den ich in seinen schäbigen Jagdkleidern eher für einen Dorfbüttel oder Feldwächter als für einen Theaterdirektor hielt. Ich lächelte und fragte spaßhaft: »Wo hat denn der Herr seinen Musenstall?«

»In Linz!« schrie Laska herauf.

»Da komme ich nächstes Frühjahr durch, wenn ich nach Budapest reise,« antwortete ich.

»Dann spielen Sie dreimal bei mir,« schrie Laska unter dem Gerassel der vorbeifahrenden Wagen herauf.

»Was zahlen Sie?«

»Halbe Einnahme nach Abzug von 100 Gulden Tageskosten!« brüllte Laska, um den Lärm der vorbeifahrenden Lastwagen zu übertönen.

»Schön,« schrie ich zurück.

»Ja, ›Schön‹ spielt den Jochen Nüßler, aber Sie, kommen Sie?« kreischte Laska.

»Abgemacht!« schrie ich mit dem letzten Aufwand meiner Kräfte, denn es kam der Stuttgarter Karrenbauer mit seinem Höllenlärm verursachenden Kehrichtwagen die Straße herauf. – – Unser Kontrakt war geschlossen, einfach, kurz und bündig! Solche Kontrakte sind die besten.

Aus den drei Vorstellungen wurden gegen zwanzig. Oesterreich hat ungemein viel Sinn für Reuter, es ist mein liebstes Land. Auch in Linz habe ich mir eine Heimstätte geschaffen, wo ich immer gern gesehen sein werde und wiederkommen darf. Ich trat sechsmal vor ausverkauften Häusern auf und schloß mit Laska einen neuen Vertrag – natürlich wieder bloß mündlich – ab, wonach ich mit seinem Personal nach meinem beendigten Gastspiel in Budapest die Städte Regensburg, Salzburg, Innsbruck u.s.w. bereisen sollte. Davon später. Erst folge mir der Leser, wenn er mein Buch bis hieher ausgehalten, auch noch nach Budapest.

Herrliche, schöne, unvergeßliche Magyarenstadt, nach dir habe ich Heimweh. – Was ist aus dir geworden, seit mehr als zwanzig Jahren, wo ich dich nicht gesehen!? Ich sitze hier im schönen Wiesbaden, wo ich diese Blätter beendige, und bade dreißig Grad – aber die Glut, die mich verzehrt, wenn ich dein und deiner lieben Menschen gedenke, hat noch höhere Temperatur.

Budapest ist unstreitig eine der modernsten und schönsten Städte der Welt; seit den letzten Jahrzehnten im steten Wachsen und Emporblühen begriffen, kann sie sich den andern Metropolen würdig zur Seite stellen. Die Lage Budapests ist eine selten schöne; überall von Gebirgen umkränzt, erhält die Stadt ihren Hauptreiz durch den Donaustrom. Der Ungar ist aber auch nicht wenig stolz auf seine Hauptstadt und scheut weder Mühe noch Kosten, um dieselbe stets noch zu verschönern.

Budapests eleganteste Straße ist die Andrassystraße mit ihren Prachtbauten, ihren reizenden Villen. Sie führt zu dem Stadtwäldchen (város–liget), dem Prater der Budapester. Nirgends kann man das eigenartige Leben dieser Großstadt sich besser entfalten sehen, als hier. Die hohe Aristokratie, die Finanzwelt, der Bürgerstand, alles ist vertreten, um zu sehen und gesehen zu werden. Ueberall ertönen da die lockenden Weisen[240] der Zigeuner, ohne deren Musik kein Vergnügen für den Ungarn existiert. Wie viel wirkliche Talente gibt es aber auch oft unter ihnen und wie hinreißend spielen sie!

Will man Pest's schönste Sehenswürdigkeit, seine Frauen und Mädchen bewundern, so muß man mittags zwischen 12–1 Uhr in die Waitznergasse gehen, eine nicht sehr große Straße im Mittelpunkte der Stadt. Hier gibt sich die schöne Welt Budapests rendez-vous; es ist große Damenpromenade, selbstverständlich sind die Herren nicht ausgeschlossen, denn mit wem sollte man sonst kokettieren?! Welch eine Blumenlese herrlicher Frauengestalten in geschmackvollen, eleganten Toiletten erblickt man dort! Wie viele schöne Augen senden schmachtende oder glühende Blicke, und manches arme Männerherz ist schwer verwundet aus dieser kleinen Gasse heimgekehrt.

Eine der angenehmsten Promenaden Budapests ist der schön angelegte Ouai, der sogenannte Corso, an der Donau. Zu seinen Füßen rauscht die schöne, blaue Donau (hier meistens gelb), vis-à-vis erhebt sich die stolze Ofner Königsburg, nicht weit davon der Blocksberg mit der Citadelle. Ueber die Donau streckt sich die Kettenbrücke, ein Kunstwerk unseres Jahrhunderts, einzig in seiner Art. Das alles beleuchtet durch Hunderte von Lampen, deren Reflexe die Wellen der Donau zurückstrahlen. Es ist ein Bild wie aus »Tausend und eine Nacht,« so märchenhaft schön!!

Auch Kunst und Wissenschaft haben eine Heimstätte in Budapest gefunden und werden gepflegt und gehegt. Da ist vor allem das Nationalmuseum, welches viele historische Schätze aufzuweisen hat, die Akademie der Wissenschaft, in deren Gebäude sich auch die Esterhazy-Galerie befindet, das Künstlerhaus, auch eine Maler-und Bildhauer-Akademie besitzt Pest. Das neu erbaute Opernhaus ist eine Zierde der Andrassystraße, dort werden dem Publikum seltene Kunstgenüsse geboten. Dann das National-Theater mit seinen bewährten Kräften; das Volks-Theater, in welchem nur die heitere Muse regiert. Das deutsche[241] Theater wird wenig frequentiert, was wohl auch an den Theaterverhältnissen liegen mag. Kommt aber ein illustrer Gast, so kann er versichert sein, daß die Budapester ihn mit Jubel begrüßen.

Was den sogenannten Deutschenhaß anbelangt, so existiert derselbe nach meiner Erfahrung nur in der Meinung der Presse. Das deutsche Element ist in Ungarn viel zu stark vorhanden, um es je verdrängen zu können.

Der Hauptvorzug des Ungarn ist seine Gastfreundschaft. Mit welch' liebenswürdiger Zuvorkommenheit wird der fremde Gast empfangen, wie sucht man ihm den Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, wie bald fühlt er sich heimisch, um mit schwerem Herzen von den liebenswürdigen Ungarn aus dem schönen Budapest zu scheiden.

Die nächste Umgebung Budapests bietet Gelegenheit zu reizenden Ausflügen. Da ist Gödöllö, das königliche Lustschloß; dann der Schwaben berg, zum Ofener Gebirge gehörend, mit seiner prachtvollen Villenkolonie. Vom Schwabenberg aus genießt man die herrlichste Rundschau. Nicht minder interessant ist ein Besuch der Margarethen-Insel, inmitten der Donau gelegen. Dieselbe ist Eigentum des Erzherzog Joseph, welcher sie zu einem kleinen Paradies hat umwandeln lassen. Auf dieser Insel befinden sich ausgezeichnete Schwefelthermen. – –

In Budapest war ich, glaube ich, der neunundzwanzigste Gast der Saison. Alle Koryphäen der Kunst waren vor mir dagewesen, ich sollte die Saison schließen.

Ungarisch und plattdeutsch, eine schöne Zusammenstellung! Der Ungar mag schon das Deutsche nicht, d.h. die deutsche Sprache – nun gar erst plattdeutsch. Jedermann fast spricht in Pest deutsch – aber einen deutschen Namen an den Straßenecken, an öffentlichen Gebäuden oder Anstalten sucht man vergebens. Aversion gegen das Deutschtum hat der Ungar nicht, wie ich schon sagte; in den ungarischen Kreisen, wo ich verkehrt, habe ich das wenigstens nicht wahrgenommen[242] – allein die Ungarn fühlen sich als Nation und denken, wer zu uns kommt und mit uns Geschäfte machen will, soll ungarisch können.

Daß das deutsche Theater in Budapest nicht floriert, ist ganz begreiflich. Die Ungarn haben weit bessere Theater, sowohl die Gebäude, wie die künstlerischen Leistungen übertreffen das deutsche Theater. Die ungarische Nationaloper ist vortrefflich, es wird darin ungarisch, italienisch und französisch durcheinander gesungen – nur nicht deutsch. Frau Schroeder-Hanfstängl von Frankfurt gastierte mit mir zu gleicher Zeit dort im April, sie sang französisch, oder italienisch. Die Ungarn haben ein vortreffliches Schauspiel, eine vorzügliche Operette – die Blaha ist vielleicht die beste Operettensängerin der Welt; trotzdem hat die Operette des Karltheaters zu Wien, die vor mir in Budapest Vorstellungen gab, brillante Geschäfte dort gemacht.

Fritz Reuter war den Ungarn bis dahin eine terra incognita, meine ersten Vorstellungen waren schwach besucht und erst zum Schluß des Gastspiels erzielte ich volle Häuser; der letzte Abend war der besuchteste. Mit dem Vorurteile, man verstehe mich nicht, blieben die Leute zu Haus; ich sprach meine Reuter'schen Rollen nur noch mit einem Anflug von Dialekt, und die wenigen Theaterbesucher mußten die Ungläubigen erst auffordern, ins Theater zu gehen. Sie kamen und fanden herzliches Gefallen an dem, was ihnen bisher so fern lag; ich hätte »Onkel Bräsig« schließlich noch ein dutzendmal vor vollem Hause spielen können, sie wären gekommen – aber die Saison war zu Ende und mit dem ersten Mai wurde das Theater geschlossen.

Quelle:
Junkermann, August: Memoiren eines Hofschauspielers. Stuttgart [1888]., S. 237-243.
Lizenz:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon