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[43] »Nach dem Feldzug«, so erzählt der alte Herr gerne uns jungen Dächsen, »hatten wir im Regiment überhaupt nur einen Zivilmantel. Wenn einer von uns im Winter bummeln wollte, schickte er zu dem glücklichen Besitzer und lieh sich ihn aus. Oft genug kam dann aber die Antwort: Leider ist er schon verborgt, Freund X hat ihn.« Wie eine Mär aus grauer Vorzeit klingt dies Geschichtchen zu uns herüber. Die Tage des »Räuberzivils« der Offiziere sind lange entschwunden, die Tage, in denen sich der Leutnant aus einer Jagdjoppe und einer abgetragenen Zivilhose seinen Bummelanzug zusammenstellte.
Der Offizier in Zivil ist heute ein Typ. Unverkennbar und nur schwer nachzuahmen, wenn auch genug junge Leute versuchen, ihn zu kopieren. Zwei Dinge verraten ihn: ad 1, die Haltung, die bei aller Nonchalance doch straff und militärisch bleibt; ad 2, der Strich quer über die Stirn, eingedrückt von Helm und Mützenrand als scharfe Scheidungslinie zwischen dem sonnen- und wettergebräunten Gesicht und dem stets beschatteten Kopf. Der Offizier – oder besser der Leutnant in Zivil ist so ein Typ geworden, aber kein Typ der Uneleganz wie einst – nein, eher das Gegenteil. Er ist gewohnt, sich in Uniform besonders korrekt und sorgfältig zu kleiden, und die Gewohnheit überträgt er auch auf »das Gewand des schlichten Bürgers«, wie er selbst gerne scherzend seine Zivilgarderobe nennt. Der moderne Offizier, der in einer leidlichen Assiette sitzt, hat heute ein wohlgeordnetes Lager an Zivilkleidung. Sein Schrank birgt Frack und Smoking (oder mindestens eins von beiden), birgt den unentbehrlichen Cut away und die für Sommer und Winter erforderlichen Sakkoanzüge. Dazu kommen die Mäntel, ein Tennisdreß, ein Jagdanzug und manches andere, dessen er nach seiner Lebensführung und seinen Gewohnheiten bedarf. Kurz: der Offizier hat neben seiner Uniform noch eine völlige Zivilausrüstung,[44] die meist ebenso reichlich bemessen ist, wie die eines wirklichen »Zivilisten« von Lebensart und Geschmack.
Doppelte Ausrüstung – doppelte Kosten: das ist natürlich sehr wahr. Aber trotzdem ist das »In Zivil-Gehen« für viele Offiziere eine Ersparnis, die die Kosten reichlich wieder einbringt. Die Uniform erfordert stets einen Rahmen, und dieser ist meistens recht teuer; sie paßt in die Logen unserer ersten Theater, in die Vestibüle und Hallen der großen Hotels, in die eleganten Räume der vornehmen Restaurants; sie paßt aber nicht in das Parkett eines Varietés, in das Kinotheater, in ein verräuchertes Bräu. Bei Gerson oder Herrmann Hoffmann wird sich niemand wundern, wenn ein Offizier in Uniform eine Bestellung aufgibt – im Warenhaus dagegen wird man sich erstaunt nach ihm umwenden, als[45] ob eine fremde Erscheinung vorübergegangen wäre.
Auch im Gedränge und Geschiebe der Hauptverkehrsadern der Weltstadt mutet der Offizier in Uniform uns eigentümlich an, wir haben unwillkürlich das Gefühl: »Nanu, wie kommt der denn hierher?«
Damit sind die Grenzen gegeben, in der jeder Offizier, wenn er es irgendwie einrichten kann, die Uniform mit dem Zivil vertauscht. Er will nicht auffallen, will unter der Masse verschwinden; das kann er aber in seiner Uniform nicht. Für Bräu, Kino, Besorgungen und für die Straße würde ja nun der Jackettanzug genügen, aber der Leutnant ist jung. Er will sich die tausend Vergnügungen nicht entgehen lassen, die ihm das Leben bietet. Er will auch gerne seinen Drink in einer Bar nehmen, er will die Revüen des Metropoltheaters sehen, seinen Walzer oder One-Step im Palais de Danse tanzen und den Morgen im Lindenkasino herandämmern sehen. Kann er das in Uniform? – unmöglich; soll er es sich versagen? – warum?, kann er es im Sakko? – aber ich bitte Sie! So muß denn der Offizier, wenn er die Vergnügen, die sich allen jungen Leuten seiner Sphäre bieten, mitmachen will, zu seinem Schneider wandern und sich Frack oder Rauchjacke bestellen, um nicht wiederum aufzufallen oder aus dem Rahmen zu fallen. Er braucht das Gesellschaftskleid des Bürgers ja sowieso auch noch zu anderen Zeiten. In seiner Garnison ist dem Offizier untersagt, Zivilkleidung zu tragen. In kleinen Städten, wo einer den anderen genau kennt, im gesellschaftlichen Leben und auf den Rennbahnen wird dieser Grundsatz auch fest aufrecht erhalten; in allen Großstädten aber drücken Vorgesetzte und Kameraden ein Auge zu, wenn sie den Offizier in Zivil sehen. Erlaubt ist ihm dagegen das Ziviltragen, wenn er auf Urlaub ist. Er kann nicht den ganzen doppelten Apparat an Kleidung mit auf die Reise schleppen: Helm, Mütze, Säbel, Überrock, Waffenrock, Mantel, Stiefel neben den Zivilanzügen. So läßt er den Soldaten zu Haus. Aber er packt den Frack ein, dessen er bedarf, wenn er in Wiesbaden oder in Heringsdorf in elegantem Kreise soupieren, wenn er nach der Treibjagd beim Herrendiner richtig angezogen sein will.
So wird das Zivil für den Offizier zu einer unumgänglichen Notwendigkeit, und er hat gelernt, auch diesem Gewande eine persönliche Note zu geben: Die Straffheit und Korrektheit, die der preußischen Armee sonst zu eigen ist.
Hans von Goecke.
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