[202] Berlin, 12. Okt. 1869.
»Heute hast Du in mir einen rechten Triumph gefeiert, meine liebe, süße Mama! Heute habe ich die Königin in den ›Hugenotten‹ gesungen, ungeheuer gefallen und somit ein Ziel erreicht, das ich noch in weiter Ferne glaubte. Wieviel ich an Dich dachte, kann ich Dir gar nicht sagen; als ich so gefiel, war mein einziger Gedanke: wie wird meine Mama sich freuen! Das alles habe ich Dir zu danken. Jeder hörte, wie gut ich sang, und alle frugen mich: wo ich gelernt hätte? Alle machten mir Komplimente für Dich, als meine einzige Lehrerin. Ich wollte, Du wärest dabei gewesen; doch nein, Du wärest umgekommen vor Angst, und so ists besser, Du warst nicht dabei.« ....
Mit unterlegtem Kontrakt, der mich auf drei Jahre an Berlin band, hatte ich also gesungen und sollte am 14. Oktober als zweite[202] Rolle die Rosine im Barbier singen. Die Probe hatte ich mitgemacht, wurde aber am Nachmittag telegraphisch nach Leipzig zurückberufen. Mein Engagement war perfekt, und es handelte sich nur noch um die günstige Gelegenheit, es sobald als möglich anzutreten.
Hatte ich auf der Durchreise nach Danzig eine wenig erfreuliche Vorstellung von der Stummen gehört, so sah ich diesmal bei meinem Gastspiel das Ballet »Fantasca«, das mein Erstaunen herausforderte. Von allen Ballets aber, die ich in Berlin gesehen, blieb mir »Flick und Flock« immer das liebste, das auch, wie ich glaube, der Kaiser am meisten liebte. Anders war's, wenn Adele Grantzow tanzte, dann war alles gleichmäßig gut. Diese große Schauspielerin und Tänzerin konnte man gar nicht genug bewundern; sie war klassisch in Gebärde und Ausdruck trotz der damals modernen kurzen Röckchen und schön, man wurde nicht müde, sie anzusehen. Ähnliches hat mir nur die russische Tänzerin Pawlowna wiedergeben können. Die Künstlerlogen waren schon um 4 Uhr besetzt. Wir hatten uns Handarbeiten mitgenommen und warteten geduldig von 4–7, um einen Vorderplatz als Erstgekommene zu gewinnen. Adele Grantzow war es uns wert; von ihrer Weichheit und Grazie ließ es sich lernen wie von keiner andern. Daß diese große Künstlerin durch Unvorsichtigkeit eines Charlatans, der ihr mit einem schmutzigen Messer bei Behandlung eines Ekzem zu nahe kam, so früh schon sterben mußte, ist wohl das Grausamste, was man sich denken kann. Niemand konnte sie ersetzen. Alle waren sie nur Tänzerinnen, keine auch nur annähernd eine Schauspielerin wie sie. Auch die Pawlowna nicht, obwohl diese wieder Eigenschaften besitzt, die rhythmische Vollendung für mich bedeuten.
Das einzig nennenswerte Opernwerk war Franz v. Holsteins melodienreicher »Heideschacht«, in dem Frau Krebs-Michalesi aus Dresden die Altpartie und ich einen flotten Burschen sang. Die Oper gefiel und wurde oft gegeben, da der feine, bescheidene Musiker viele Freunde besaß.
Toni Berl war nun aus Darmstadt zum Besuch gekommen. Ihr nachgesandt sollte das non plus ultra reinster Rassenschönheit von einem Hunde kommen, das ihr Freunde zum Geschenk ausgesucht[203] hatten. Zu unser aller Entsetzen kam eine Riesenkiste, die auf einen Bernhardiner schließen ließ. Heraus kroch aber ein kleiner weiß und schwarz gefleckter Dorfköter mit reizendem Ringelschwänzchen! Zum Glück für ihn waren wir alle Tiernarren und verwöhnten ihn, was er uns durch Liebe und Anhänglichkeit lohnte. Als Tonis Urlaub zu Ende ging, zerbrachen wir uns den Kopf ihn bequem zurückzuschaffen, da man Hunde im Kupee damals nicht duldete.
Der Schmuggel in einem geeigneten Körbchen gefiel uns am besten. Täglich wurde der Hund, der sich daran gewöhnen sollte, einige Stunden in sein »Reisekörbchen« geschlossen, worin er nicht muckste. Am Tag der Abreise kochte ihm Angeli noch ein feines »Reiseknöchelchen«, das wir ihm mit in sein Körbchen legten. Und nun geleiteten wir alle zusammen die interessanten Reisenden nach dem Bahnhof. Das Körbchen lag bereits oben im Netz, und niemand im vollgepfropften Kupee II. Klasse hatte eine Ahnung vom blinden Passagier. Da kommt der Schaffner: »Bitte die Billets.« »rrrrruu«. – »Was ist das?« – »Ich weiß es nicht, aber es scheint ein Hund zu sein?« – »uff, uff, wau, wau!« – »Da ist ein Hund drin«, schreit der Cerberus, »wem gehört der?« Und nun muß sich unter stetem Gekläff des Lieblings die Besitzerin melden. Der Schaffner nimmt den Hund, für den er nicht nur ein Billet sondern auch den Hundekasten prätendiert, heraus, wir entreißen ihm das Streitobjekt, die Tür wird zugeschlagen, und das Reiseknöchelchen fährt im Reisekörbchen mit Toni ganz allein nach Darmstadt.
Eines Tages begegnete mir Kollege Nesper, der, wie ich wußte, sein Engagement in Halle bereits angetreten hatte. Erstaunt, ihn hier zu sehen, vertraute er mir an, daß er eben durchzugehen im Begriffe sei, weil Halle so gar keine Amüsements böte. Ich wusch meinem lieben Kollegen ganz gehörig den Kopf, veranlaßte ihn, sofort nach Halle zurückzukehren, trotzdem sein Gepäck bereits auf dem Wiener Bahnhof lag, und schwieg gegen jedermann. Wir sollten uns bald wiedersehen, denn eines Tages fuhr fast unser ganzes Personal nach Halle zu einer Wohltätigkeitsvorstellung, von der ich nur noch soviel in meinem Gedächtnis rettete, daß ich mit Friedr. Mitterwurzer zusammen die Briefszene der Metella aus[204] dem Pariser Leben spielte resp. sang und daß die damals sehr liebe und schöne Hermine Delia mit mir in einer Stube Siesta hielt und wir beide unsere Sonnenschirme im Bette aufgespannt hatten, weil uns die Sonne aufs Gehirn schien. Daß es lustig war, das weiß ich ganz bestimmt.
Riezlchen war anfangs 1870 zu mir nach Leipzig gekommen, nachdem sie tüchtig wieder mit Mama studiert und ihre Stimme in Ordnung gebracht hatte. Aber die Nerven hatten gelitten, was sich, wenn es einen Tag weniger gut ging als den andern, in schrecklichem Kleinmut ausdrückte. Sie wollte wieder auftreten, und wir animierten sie ernstlich dazu. Die Hauptsache war nun, daß wir wieder beisammen, Freud und Leid teilen konnten.
Merkwürdig, daß jetzt fast alle Söhne des Kurfürsten in Leipzig lebten. Mit allen ersten Künstlern befreundet, trafen wir sie oft bei festlichen Gelegenheiten oder waren bei ihnen mit unsern Kollegen eingeladen. Auch darüber schrieb ich an meine Mutter.
Leipzig, 29. März 1870.
Mein liebes, liebes Mamachen!
»... Du wirst Dich freuen zu hören, daß wir gestern ein entzückendes Souper beim Prinzen Heinrich von Hanau mitgemacht haben. Sein Bruder Karl, der ein sehr ruhiger, ernster Mann scheint, hat mir, trotzdem er gar nicht hübsch ist, den besten Eindruck gemacht. Straßmann mit Frau, Riezl und ich und fast alle unsre Kollegen trafen wir dort. Prinz Heinrich war der liebenswürdigste Wirt, den man sich denken kann, und so heiter, wie ich nie geglaubt habe, daß er sein könne. Er scheint ein großer Verschwender. Beim Souper brachte Prinz Friedrich – der nun wieder mit der Schauspielerin, Frl. von Alten, längst verheiratet ist – Dein Wohl aus, liebes Mamachen, was ich Dir mit vielen ehrfurchtsvollen Grüßen bestellen soll. Wir haben uns dann – ich bitte Dich, falle nicht um – bis 3/45 früh unterhalten. – – –«
Vier Wochen später schrieb ich an Mama über ein weniger glücklich verlaufenes Souper:
»... Als wir vorgestern zum Souper bei Prinz Karl von Hanau sind, wo Angeli Berl auch geladen, Riezl aber, die sich[205] nicht wohl fühlte, zu Hause geblieben war, wurde ich herausgebeten und finde Riezl weinend, ich solle gleich nach Hause kommen. Sie erzählt mir schnell, wie Vater Berl ganz heiter von Hause fortgegangen sei, um seine Frau aus dem Theater zu holen, sich plötzlich unwohl gefühlt, in eine Droschke gesetzt und seine Wohnung angegeben habe. Als der Kutscher den Schlag aufmachte, konnte Vater Berl nur noch lallen. Der Kutscher meinte einen Betrunkenen vor sich zu haben, fuhr mit ihm zur Polizei, wo er nach wenigen Minuten starb. Riezl und ich brachten Angeli, die gar nicht an des Vaters Unwohlsein glauben mochte, heim, fanden aber nicht einmal seine Leiche vor, die von der Polizei bereits ins Hospital geschafft worden war. – Wie entsetzlich für die arme Familie, die wir zu trösten auf das beste bemüht sind.« – – –
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