[9] Endlich, da ich etwa elf Jahre alt sein mochte, sollte es zu meiner unsäglichen Freude Ernst mit meiner künftigen Bestimmung werden. Meines Vaters Bruder nahm mich auf sein Schiff, die Susanna, als Kajütenwächter, und so ging meine erste Ausflucht nach Amsterdam. Hier sah ich nun eine Menge großer Schiffe auf dem Y vor Anker liegen, die nach Ost- und Westindien gehen sollten. Täglich ward auf ihnen mit Trommeln, Pauken und Trompeten musiziert oder mit Kanonen geschossen. Das machte mir allmählich das Herz groß! Ich dachte: Wer doch auch auf so einem Schiffe fahren könnte! – und das ging mir um so viel mehr im Kopfe herum, als es damals unter all unsern Schiffsleuten, wie ich oft gehört hatte, für einen Glaubensartikel galt: daß, wer nicht von Holland aus auf dergleichen Schiffen gefahren wäre, auch für keinen rechtschaffenen Seemann gelten könnte. Gerade das aber machte ja mein ganzes Sinnen und Denken aus! – Im Vorbeigehn will ich aber noch hinzufügen, daß jener Glaube auf einem ganz guten Grunde beruhte. Man findet wirklich bei keiner Nation eine größere Ordnung auf den Schiffen als bei den Holländern auf solchen bedeutenden Fahrten in fremde Weltteile.
Wovon mir das Herz voll war, ging mir auch alle Augenblicke der Mund über. Ich gestand meinem Oheim, wie gern ich am Bord eines solchen ansehnlichen Ostindienfahrers sein und die Reise mitmachen möchte. Er gab mir immer die einzige Antwort, die darauf paßte, daß ich nicht klug im Kopfe sein müßte. Endlich aber ward dieser Hang in mir zu mächtig, als daß ich ihm länger widerstehen konnte. In einer Nacht, zwei Tage vor unserer Abreise, schlüpfte ich heimlich in unsere angehängte Jolle – ganz wie ich ging und stand und ohne das geringste von meinen Kleidungsstücken mit mir zu nehmen. Man sollte nämlich nicht glauben, daß ich desertiert, sondern daß ich ertrunken sei, und wollte so verhindern, daß mir nicht weiter auf den andern Schiffen nachgespürt würde. Unter diesen aber hatte ich mir eins aufs Korn gefaßt, von welchem mir bekannt geworden war, daß es am andern nächsten Morgen nach Ostindien unter Segel gehen sollte. Das letztere zwar war richtig, aber über seine Bestimmung[9] befand ich mich im Irrtum; denn es war zum Sklavenhandel auf der Küste von Guinea bestimmt.
Still und vorsichtig kam ich mit meiner Jolle an der Seite dieses Schiffes an, ohne von irgend jemand auf demselben bemerkt zu werden. Ebenso ungesehen stieg ich an Bord, indem ich mein kleines Fahrzeug mit dem Fuße zurückstieß und es treibend seinem Schicksal überließ. Bald aber sammelte sich das ganze Schiffsvolk (es waren deren vierundachtzig Köpfe, wie ich nachmals erfuhr) verwundert um mich her. Jeder wollte wissen, woher ich käme, wer ich wäre, was ich wollte. Statt aller Antwort – und was hätte ich auch sagen können? – fing ich an erbärmlich zu weinen.
Der Kapitän war diese Nacht nicht an Bord. Man brachte mich also zu den Steuerleuten, welche das Verhör ins Kreuz und in die Quere mit mir erneuerten. Auch hier hatte ich nichts als Tränen und Schluchzen. »Aha, Bursche!« legte sich endlich einer aufs Raten – »ich merke schon! Du bist von einem Schiffe weggelaufen und denkst, daß wir dich mitnehmen sollen!« – Das war ganz meines Herzens Meinung. Ich stammelte also ein Ja darauf hervor, konnte mich aber diesmal nicht entschließen, noch weiter herauszubeichten. Inzwischen hatte man einiges Mitleid mit mir, gab mir ein Glas Wein samt einem Butterbrot und Käse und wies mir eine Schlafstelle an mit dem Bedeuten, daß morgen früh der Kapitän an Bord kommen werde, der mich vielleicht wohl mitnehmen möchte. – Da lag ich nun die ganze Nacht schlaflos und überdachte, was ich sagen und verschweigen wollte.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch fand sich der Lotse ein; der Anker ward aufgewunden, und man machte sich segelfertig, wobei ich treuherzig und nach Kräften mit Hand anlegte. Unter diesen Beschäftigungen kam endlich auch der Kapitän heran. Ich ward ihm vorgestellt, und auch seine erste und natürlichste Frage war, was ich auf seinem Schiffe wollte. – Ich fühlte mich nun schon ein wenig gefaßter und gab ihm über mein Wie und Woher so ziemlich ehrlichen Bescheid, nur setzte ich hinzu (und diese Lüge hat mir nachmals oft bitter leid getan, denn mein Oheim war gegen mich die Gütigkeit selbst, als ob ich sein eignes Kind wäre), dieser habe mich auf der Reise oftmals unschuldig geschlagen, wie das denn auch nur noch gestern geschehen sei. Ich könne dies nicht länger ertragen, und so sei ich heimlich weggegangen und bäte flehentlich, der Kapitän möchte die Güte haben, mich anzunehmen. Ich wollte gern gut tun.
Nun ich einmal so weit gegangen war, durfte ich auch die richtige Antwort auf die weitere Frage nach meines Oheims Namen und Schiffe nicht schuldig bleiben. »Gut!« sagte der Kapitän, »ich werde mit dem Manne darüber sprechen.« – Das klang nun gar nicht auf mein Ohr! Ich hub von neuem an zu weinen, schrie, ich würde über Bord springen und mich ersäufen, und trieb es so arg und kläglich (mir war aber auch gar nicht wohl ums Herz!), daß nach[10] und nach das Mitleid bei meinem Richter zu überwiegen schien. Er ging mit seinen Steuerleuten in die Kajüte, um die Sache ernstlicher zu überlegen; ich aber lag indes, von Furcht und Hoffnung hin- und hergeworfen, wie auf der Folter; denn die Schande, vielleicht zu meinem Oheim zurückgebracht zu werden, schien mir unerträglich.
Endlich rief man mich in die Kajüte. »Ich habe mir's überlegt«, hub hier der Kapitän an, »und du magst bleiben. Du sollst Steuermannsjunge sein und monatlich sechs Gulden Gage haben; auch will ich für deine Kleidungsstücke sorgen. Doch höre, sobald wir mit dem Schiffe in den Texel kommen, schreibst du selbst an deines Vaters Bruder und erklärst ihm den ganzen Zusammenhang. Den Brief will ich selbst lesen und auch für seine sichere Bestellung sorgen.« – Man denke, wie freudig ich einschlug, und was für ein Stein mir vom Herzen fiel!
Jetzt gingen wir auch unter Segel. Allein ich will es auch nur gestehen, daß, sowie ich meines Oheims Schiff so aus der Ferne darauf ansah, mir's innerlich leid tat, es bis zu diesem törichten Schritte getrieben zu haben. Trotz diesem Herzweh erwog ich, daß er nicht mehr zurückgetan werden konnte, wofern ich nicht vor Beschämung vergehen sollte. Ich machte mich also stark, und als wir im Texel ankamen, schrieb ich meinen Abschiedsbrief, den der Kapitän las und billigte und mein Steuermann an die Postschule besorgen sollte.
Wie die Folge ergeben hat, ist jedoch dieser Brief mit oder ohne Schuld des Bestellers nicht an meinen Oheim gelangt, entweder daß dieser zu früh von Amsterdam abgegangen oder daß das Blatt unterwegs verlorengegangen. Mein Tod schien also unzweifelhaft; denn man glaubte (wie ich in der Folge erfuhr), ich sei in der Nacht aus der Jolle gefallen, die man am nächsten Morgen zwischen andern Schiffen umhertreibend gefunden hatte.
Nachdem wir im Texel unsere Ladung, Wasser, Proviant und alles Zubehör, welches der Sklavenhandel erfordert, an Bord genommen hatten, gingen wir in See. Mein Kapitän hieß Gruben und das Schiff Afrika. Alle waren mir gut und geneigt; ich selbst war vergnügt und spürte weiter kein Heimweh. Wir hatten zwei Neger von der Küste von Guinea als Matrosen an Bord. Diese gab mir mein Steuermann zu Lehrern in der dort gewöhnlichen Landessprache, und ich darf wohl sagen, daß sie an mir einen gelehrigen Schüler fanden. Denn meine Luft, verbunden mit der Leichtigkeit, womit man in meinem damaligen Alter[11] fremde Sprachtöne sich einprägt, brachten mich binnen kurzem zu der Fertigkeit, daß ich nachher an der Küste meinem Steuermanne zum Dolmetscher dienen konnte. Und das war es eben, was er gewollt hatte.
Unsere Fahrt war glücklich, aber ohne besonders merkwürdige Vorfälle. In der sechsten Woche erblickten wir St. Antonio, eine von den Inseln des Grünen Vorgebirges (Capo verde), und drei Wochen später hatten wir unser Reiseziel erreicht und gingen an der Pfefferküste bei Kap Mesurado unter sechs Grad nördlicher Breite vor Anker, um uns mit frischem Wasser und Brennholz zu versorgen. Zugleich war dies die erste Station, von wo aus unser Handel betrieben werden sollte.
Späterhin gingen wir oberhalb Windes weiter östlich nach Kap Palmas, und hier erst begann der Verkehr lebendiger zu werden. Die Schaluppe wurde mit Handelsartikeln beladen, mit Lebensmitteln für zwölf Mann Besatzung auf sechs Wochen versehen und mit sechs kleinen Drehbassen, die ein Pfund Eisen schossen, ausgerüstet. Mein Steuermann befehligte im Boot, ich aber, sein kleiner Dolmetscher, blieb auch nicht dahinten und ward ihm im Handel vielfach nützlich. Wir machten in diesem Fahrzeuge drei Reisen längs der Küste, entfernten uns bis zu fünfzig Meilen vom Schiffe und waren gewöhnlich drei Wochen abwesend. Nach und nach kauften wir hierbei vierundzwanzig Sklaven, Männer und Frauen (auch eine Mutter mit einem einjährigen Kinde war dabei!), eine Anzahl Elefantenzähne und etwas Goldstaub zusammen. Bei dem letzten Abstecher ward auch der europäische Briefsack auf dem holländischen Hauptkastell St. George de la Mina von uns abgegeben.
Unser Schiff fanden wir bei unserer Heimkehr etwas weiter ostwärts nach der Reede von Laque la How oder Kap Lagos vorgerückt. Acht unserer Gefährten waren in der Zwischenzeit auf demselben infolge des ungesunden Klimas gestorben. Dagegen hatte der Kapitän anderthalbhundert Schwarze beiderlei Geschlechts eingekauft und einen guten Handel mit Elfenbein und Goldstaub gemacht. Für alle diese Artikel gilt Kap Lagos als eine Hauptstation, weil landeinwärts ein großer See von vielen Meilen lang und breit vorhanden ist, auf welchem die Sklaven von den Menschenhändlern (Kaffizieren) aus dem Innern in Kanus herbeigeführt werden.
Gerade in dieser Gegend war auch Kapitän Gruben bei den hier ansässigen, reichen Sklavenhändlern von alters her wohlbekannt und gern gelitten. Dennoch war ihm schon auf einer vorigen Reise hierher ein Plan fehlgeschlagen, den er entworfen hatte, sich zum Vorteil der holländischen Regierung an diesem wohlgelegenen Platze unvermerkt fester einzunisten. Er hatte es mit den reichen Negern verabredet, ein abgebundenes, hölzernes Haus nach europäischer Bauart mitzubringen und dort aufzurichten, worin zehn bis zwanzig Weiße wohnen könnten, und welches durch einige daneben aufgepflanzte Kanonen geschützt werden[12] sollte. Als es aber fertig dastand, kamen diese Anstalten den guten Leutchen doch ein wenig bedenklich vor. Sie bezahlten lieber dem Kapitän sein Häuschen, das so ziemlich einer kleinen Festung glich, reichlich mit Goldstaub, und so sahen es auch noch meine Augen, indem es von einem reichen Kaffizier bewohnt wurde.
Nachdem wir von hier noch eine Bootreise gleich den vorigen und mit ebenso gutem Erfolg gemacht hatten, gingen wir nach vier bis fünf Wochen mit dem Schiffe weiter nach Axim, dem ersten holländischen Kastell an dieser Küste, wo denn auch fortan der Schaluppenhandel ein Ende hatte. Ferner steuerten wir, Cabo tres Puntas vorbei, nach Accada, Boutron, Saconda, Chama, St. Georg de la Mina und Moure. Überall wurden Einkäufe gemacht, so daß wir endlich unsere volle Ladung, bestehend in vierhundertzwanzig Negern jedes Geschlechts und Alters, beisammen hatten. Alle diese Umstände sind mir noch jetzt in meinem hohen Alter so genau und lebendig im Gedächtnisse, als wenn ich sie erst vor ein paar Jahren erlebt hätte.
Nunmehr ging die Reise von der afrikanischen Küste nach Surinam quer über den Atlantischen Ozean hinüber, wo unsere Schwarzen verkauft werden sollten. Während neun bis zehn Wochen, die wir in See waren, sahen wir weder Land noch Strand, erreichten aber unsern Bestimmungsort glücklich, vertauschten unsere unglückliche Fracht gegen eine Ladung von Kaffee und Zucker und traten sodann den Rückweg nach Holland an. Wir brauchten dazu wiederum acht bis neun Wochen, bis wir endlich wohlbehalten im Angesicht von Amsterdam den Anker fallen ließen. Es war im Juni 1751, und die ganze Reise hin und zurück hatte einundzwanzig Monate gedauert. Elf Leute von unserer Mannschaft waren während dieser Zeit verstorben.
In Amsterdam ließ ich es mein erstes sein, nach Kolberg an meine Eltern zu schreiben und ihnen Bericht von meiner abenteuerlichen Reise zu erstatten. Denke man sich ihr freudiges Erstaunen beim Empfange dieser Zeitung! Ich war tot und war wieder lebendig geworden! Ich war verloren und war wiedergefunden! Ihre Empfindungen drückten sich in den Briefen aus, die ich unverzüglich von dort her erhielt. Segen und Fluch wurden mir darin vorgestellt. Ich Unglückskind wäre ja noch nicht einmal eingesegnet! Augenblicklich sollt ich mich aufmachen und nach Hause kommen!
Es traf sich erwünscht, daß ich mich in Amsterdam mit einem Landsmanne, dem Schiffer Christian Damitz, zusammenfand. Auf seinem Schiffe ging ich nach Kolberg zurück. Von meinem Empfange daheim aber tue ich wohl am besten zu schweigen.
In meiner Vaterstadt blieb ich nun und hielt mich wieder zum Schulunterricht, bis ich mein vierzehntes Jahr erreicht und die Konfirmation hinter mir hatte. Dann aber war auch länger mit mir kein Halten; ich wollte und mußte zur See wie der Fisch ins Wasser, und mein Vater übergab mich (zu Ostern 1752) an Schiffer Mich. Damitz, der soeben von Kolberg nach Memel und von[13] da nach Liverpool abgehen wollte, und in den er ein besonderes Vertrauen setzte. Beide Fahrten waren glücklich. Wir gingen weiternach Dünkirchen, wo wir eine Ladung Tabak einnahmen; dann über Norwegen nach Danzig – und so kam ich kurz nach Neujahr zu Lande um neunzehn Taler Löhnung reicher nach Kolberg zurück. Ich glaubte wunder, was ich in diesen neun Monaten verdient hätte! Und noch vor wenig Jahren brachten es unsere Matrosen wohl auf fünfzehn und mehr Taler monatlich. So ändern sich die Zeiten!
In den beiden nächstfolgenden Jahren (1753 und 54) schwärmte ich auf mehr als einem kolbergschen Schiffe und unter verschiedenen Kapitänen auf der Ost- und Nordsee umher und war bald in Dänemark und Schweden, bald in England und Schottland, in Holland und Frankreich zu finden. Auf all diesen Reisen entsinne ich mich aber keines Dinges, das hier wieder erwähnt zu werden verdiente: denn Sturm und gut Wetter und was dem weiter angehört und auf solchen Reisen unausbleiblich vorfällt, sind bei einem Seemann etwas Alltägliches, und es ist meine Art nicht, davon viel Aufhebens zu machen.
Eben darum aber mochte dies einförmige Leben meinem feurigen Sinn länger nicht anstehen. Der alte Hang zum Abenteuern erwachte, so daß ich in Amsterdam, wo ich mit Kapitän Joach. Blank, einem alten lieben kolbergschen Landsmann und Verwandten, zusammentraf, der Versuchung zu einem weitern Ausflug länger nicht widerstehen konnte, sondern mich ohne weitere Erlaubnis von Hause flugs und freudig auf sein Schiff Christina, das nach Surinam bestimmt war, als Konstabler verdung. Als indes auf der Hinfahrt unser Steuermann das Unglück hatte, über Bord zu fallen und zu ertrinken, kam ich für diese Reise zu der Ehre, den Untersteuermann vorzustellen.
Daß ich mich hier auf eine ausführliche Beschreibung der Kolonie Surinam einlasse, wird wohl nicht von mir erwartet werden. Man weiß, daß sie ihren Namen von dem Flusse Surinam führt, an welchem auch dritthalb Meilen aufwärts die Hauptstadt Paramaribo gelegen ist. An seiner Mündung ist er wohl zwei Meilen breit und bleibt gegen sechzig Meilen landeinwärts auch bei der niedrigsten Ebbe für kleinere Fahrzeuge noch schiffbar. Nur wenig geringer ist der mit ihm verbundene Fluß Comandewnne, welcher bis gegen fünfzig Meilen aufwärts befahren wird. Mit beiden steht noch eine Menge toter Arme oder Kreeks in Verbindung, und an allen Ufern hinauf drängen sich die Zucker- und Kaffeeplantagen, während alles übrige Land eine fast undurchdringliche Waldung ausmacht. Eben dadurch aber wird diese Kolonie eine der ungesundesten in der Welt, und wenn eine Schiffsequipage von vierzig Mann binnen den vier Monaten, welche man hier gewöhnlich verweilt, nur acht bis zehn Tote zählt, so wird dies für ein außerordentliches Glück gehalten.
Diese große Sterblichkeit hat aber zum Teil auch wohl ihren Grund in den anstrengenden Arbeiten, wozu die Schiffsmannschaften nach hiesigem Gebrauch[14] angehalten werden; denn sie müssen ebensowohl den Transport der mitgebrachten Ladung an europäischen Gütern nach den einzelnen Plantagen als die Rückfracht aus denselben an Kolonialwaren besorgen. Man bedient sich dazu einer Art von Fahrzeugen, Punten genannt, die wie Prahme gebaut sind und ein zugespitztes, mit Schilf bedecktes Wetterdach tragen, so daß sie das Ansehen eines auf dem Wasser schwimmenden deutschen Bauernhauses gewähren. Zwei solcher Punten werden jedem Schiffe zugegeben, und mir als Untersteuermann kam es zu, mit Hilfe von vier Matrosen die Fahrten auf den Strömen damit zu verrichten, wozu denn oft vierzehn Tage und noch längere Zeit erfordert wurden.
Bei unserer Ankunft gab es auf dem Schiffe ein kleines Abenteuer, das unsern Schiffer eine Zeitlang in nicht geringe Sorge setzte, endlich aber doch einen ziemlich lustigen Ausgang gewann. Unter der Ladung nämlich, die wir in Amsterdam eingenommen hatten, befand sich auch eine Kiste von etwa drei Fuß ins Gevierte, worüber der Kapitän zwar das richtige Konossement in Händen hatte, ohne gleichwohl beim Löschen vor Paramaribo die Kiste selbst an Bord wieder auffinden zu können. Sie war an einen dortigen Juden adressiert, dessen wiederholte Nachfrage trotz allem Suchen unbefriedigt bleiben mußte. Diese Verlegenheit schlau benutzend, brachte endlich der Hebräer nicht nur seine Klage bei dem holländischen Fiskal (Kolonierichter) an, sondern reichte zugleich ein langes Verzeichnis ein von goldenen und silbernen Taschenuhren, Geschmeiden und andern Kostbarkeiten zu einem Belauf von beinahe viertausend Gulden an Werte, die in der Kiste enthalten gewesen. Der Prozeß ging seinen Gang, und der Jude brachte seine Beweise so bündig vor, daß das endlich erfolgte rechtskräftige Erkenntnis meinen Kapitän zur völligen Schadloshaltung binnen vierzehn Tagen verurteilte, dem es übrigens überlassen blieb, sich wiederum an seine Leute zu halten.
Ganz unerwartet aber fand sich nunmehr die verwünschte Kiste im hintern, untersten Schiffsraume wieder auf, wo sie durch irgendein Versehen hoch mit Brennholz überstauet gewesen war. Glücklicherweise hatte das Siegel derselben, das auch auf dem Konossement abgedruckt war, keinen Schaden gelitten. Aber zugleich kam es uns wunderlich vor, daß die Kiste beim Heben und Schütteln derselben sich gar nicht so anließ, als ob Sachen von der angegebenen Art darin enthalten sein könnten. Dieser Verdacht ward dem Fiskal unter der Hand gesteckt. Er kam selbst an Bord, überzeugte sich von der Richtigkeit des Konossements und der Unversehrtheit des Siegels, und da der Jude ein armer Teufel war, dem sich mit einer Geldstrafe nichts anhaben ließ, so sollte er, wie es in aller Welt Brauch ist, für den versuchten Betrug mit seiner Haut bezahlen.
Zuvörderst ward ihm gemeldet, daß sein Eigentum wieder zum Vorschein gekommen sei und von ihm alsogleich an Bord in Empfang genommen werden[15] könne. Sein Erschrecken über diese Nachricht war drollig genug, aber dem Frieden nicht trauend, verlangte er, man möchte ihm die Kiste in Gottes Namen nur an Land und in sein Haus schaffen, bis auf seine beharrliche Weigerung der Fiskal ihn durch zwei Neger mit Gewalt und gebunden an Bord holen ließ. Hier mußt' er in dessen Beisein die Kiste als die seinige und als vollkommen unverletzt anerkennen, dann aber auch öffnen, und nun kam ein gar bunter Inhalt zum Vorschein! Der ganze Trödel bestand aus Redoutenanzügen und fratzenhaften Gesichtslarven; der unglückliche Eigentümer aber ward auf des Richters Geheiß über seine Kiste hingestreckt und von ein paar Matrosen mit ihren Tauendchen so unbarmherzig zugedeckt, daß ihm wahrscheinlich alle ähnliche Spekulationen für eine lange Zeit vergangen sein werden.
Eher hätte man Surinam damals eine deutsche als eine holländische Kolonie nennen können; denn auf den Plantagen wie in Paramaribo traf man unter hundert Weißen immer vielleicht neunundneunzig an, die hier aus allen Gegenden von Deutschland zusammengeflossen waren. Unter ihnen hatte ich während dieser Reise Gelegenheit, auch zwei Gebrüder, des Namens Kniffel, kennenzulernen, die aus Belgard in Pommern gebürtig und also meine nächsten Landsleute waren. Sie hatten in früherer Zeit als gemeine holländische Soldaten sich hierher verirrt, aber Glück, Fleiß und Rechtlichkeit hatten sie seither zu Millionären gemacht, welche hier eines wohlverdienten Ansehens genossen. Am Comandewyne besaßen sie zwei Kaffeeplantagen. Die eine hieß Friedrichsburg, und eine andere dicht daneben, welche von ihnen selbst angelegt worden, hatten sie ihrer Vaterstadt zu Ehren Belgard genannt. Zu Paramaribo war eine Reihe von Häusern, die eine Straße von vierhundert Schritten in der Länge bildeten, ihr Eigentum und führte nach ihnen den Namen Knisselsloge. Ebendaselbst hatten sie eine lutherische Kirche aufgeführt und zur Erhaltung derselben für ewige Zeiten die Einkünfte der Plantage Belgard gewidmet.
Diese Gebrüder standen schon seit längerer Zeit mit meinem Kapitän Blank, als einem Kolberger und Landsmann, in besonders freundschaftlichem Verkehr. Er versorgte sie und ihre Plantagen ausschließlich mit allem, was sie aus Europa bedurften, und hinwiederum führte er alle ihre dortigen Erzeugnisse nach Holland zurück. So geschah es auch bei der gegenwärtigen Reise; da ich denn oft von ihm mit Aufträgen an sie geschickt und ihnen auf diese Weise bekannt und lieb wurde. Schon die vielfältigen Beweise von Güte, die ich von ihnen beiderseits erfuhr, würden mich veranlaßt haben, ihrer hier zu gedenken, wenn nicht auch der Verfolg meiner Lebensgeschichte mir wiederholte Gelegenheit gäbe, auf ihren Namen zurückzukommen.
Unsere Heimfahrt nach Amsterdam, die sechs Wochen währte, war glücklich, aber ohne weitere Merkwürdigkeit. Wir waren vierzehn Monate abwesend gewesen, und unser Schiff bedurfte einer völlig neuen Verzimmerung, die sich bis[16] in den November 1755 zu verzögern drohte. Dies dauerte mir zu lange und gab die Veranlassung, daß ich in einen andern Dienst, unter Kapitän Wendorp, überging. Sein Schiff war nach Curacao bestimmt; auf der Rückreise ergänzten wir bei St. Eustaz unsere Ladung und nach neun Monaten, die ich hier kurz übergehe, warfen wir wiederum vor Amsterdam wohlbehalten die Anker.
Hier warteten Briefe auf mich von meinen Eltern von so drohendem Inhalt und angefüllt mit so gerechten Vorwürfen, daß ich's wohl nicht länger verschieben durfte, mich zum zweitenmal als der verlorne Sohn reuig nach Hause auf den Weg zu machen. Doch fand ich gleich im voraus einigen Trost in dem Vorschlage, daß meines Vaters Bruder bestimmt sei, des Herrn Beckers Schiff, genannt die Hoffnung, mit einer Ladung Holz von Rügenwalde nach Lissabon zu führen, und mit dem sollte ich fahren. Dies war im Jahre 17564.
So ging ich denn als Passagier nach Danzig und traf es da eben recht, daß zwölf junge und schmucke seefahrende Leute ausgesucht werden sollten, um die sogenannte Herrenborse aufs stattlichste zu bemannen. Es war nämlich zu der Zeit der König August 5 von Polen in der Stadt anwesend, und auf der Reede lag eine zahlreiche Flotte von russischen Kriegsschiffen vor Anker, der er einen Besuch abzustatten gedachte. Zu dieser Luftfahrt die Weichsel hinunter sollte nun jene Staatsjacht dienen. Zufällig kriegte man mich mit an, um die Mannschaft vollzählig zu machen und sowohl das Außerordentliche bei der Sache als auch der Dukaten, der dabei für jeden Mann abfallen sollte, machten mir Luft, diesen Ehrendienst zu verrxhten.
Das dauerte aber nur so lange, bis wir zum Schifferältesten Karsten kamen, wo wir zu der Feierlichkeit mit einer Art von Uniform aufgeputzt werden sollten, die mit blanken Schilden und vielen roten, grünen und blauen Bändern verbrämt war. So ausstaffiert, hielt man mir zuletzt einen Spiegel vor: – aber wie erschrak ich, als ich sah, was für einen Narren man aus mir gemacht hatte! Das war jedoch das wenigste! Allein das Herz im Leibe wollte mir zerspringen, wenn ich dabei bedachte, daß ich einen andern als meines eigenen Königs Namenszug im Schilde an meiner Stirne tragen sollte. Die Tränen traten mir in die Augen. Mir war's, als mutete man mir zu, meinen großen Friedrich zu verleugnen. Gerne hätte ich mir alles wieder vom Leibe gerissen und hätte den Handel wieder aufgesagt, wenn es möglich gewesen wäre. Doch ich war einmal unter den Wölfen und mußte mit ihnen heulen! Indes gelobte ich mir's, diesen Makel dadurch wieder gutzumachen, daß ich den verheißenen Dukaten dem ersten preußischen Soldaten zuwürfe, der mir begegnen würde. Ein alter Husar wurde dies Glückskind, und der mag sich wohl nicht schlecht verwundert haben, daß ein achtzehnjähriges Bürschchen wie ich mit Golde um sich warf![17]
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Eine Lebensbeschreibung, von ihm selbst aufgezeichnet
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