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[69] Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,
Denen das Wesen, wie du bist,
Im stillen ein ewiger Vorwurf ist?
Goethe.[69]
Ich setze die Kenntnis der drei umstehenden Werke von mir bei den Lesern dieser Darstellung vor aus. Ich beabsichtige nicht, hier die Gründung unserer ostafrikanischen Kolonie noch einmal eingehend zu schildern, und ich habe keine Luft, mich selbst auszuschreiben. Es handelt sich hier nur darum, einzelne Erlebnisse oder Betrachtungen aus der Gründungszeit von Deutsch-Ostafrika hinzuzufügen.
Ich möchte vorweg erzählen, daß ich im Sommer 1884 eine Habilitationsarbeit über die Frage: »Inwieweit ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?« in Leipzig einreichte, wo Professor Wundt seine psychophysiologischen Forschungen trieb. Diese Frage bejahte ich damals, verneine sie indes heute schlechtweg. Bevor ich meine Probevorlesung halten konnte, fuhr ich nach Sansibar ab.
Es ist im Verlauf des gegenwärtigen Krieges hier und da der Gedanke aufgetaucht, daß unsere Kolonialpolitik seit 1884 überhaupt verfrüht gewesen sei, daß wir besser getan haben würden, mit der Anlegung von überseeischen Kolonien bis zur Durchführung dieses Entscheidungskampfes zu warten. So hätten wir uns nur unnötige Reibungsflächen auf der Erde geschaffen und einen schwer zu verteidigenden Länderblock aufgehalst. Dieser ganze Gedankengang ist falsch und kurzsichtig. Denn unsere Kolonialpolitik ist nichts als die wirtschaftliche Folge unserer steigenden Bevölkerungsziffer und der anschwellenden Bedürfnisse unseres Volkshaushaltes. Gerade der gegenwärtige Weltkrieg zeigt ganz klar, wie[70] nötig es für das Deutsche Reich ist, sich in der Beschaffung seiner verschiedenartigen Rohartikel unabhängig vom Ausland zu stellen, also z.B. Baumwolle, Gummi, Kaffee, Tee, Kakao, Felle, Faserstoffe usw. selbst hervorzubringen und dazu sich eigene Kolonien zu erwerben.
Es ist ferner unwahr, daß dieser Krieg in erster Linie aus kolonialem Wettbewerb entstanden sei. Gerade umgekehrt, ist die Unbeliebtheit des Deutschen auf der Erde, welche diesem Riesenkampf zugrunde liegt, zum großen Teil aus der Tatsache entstanden, daß wir nicht schon längst genügenden Ellbogenraum hatten und unsere bedürftige Auswanderung demnach fortwährend Fremden aufhalsen mußten. Dies habe ich zum Teil selbst miterlebt.
Die deutschen Proletarier strömten von Jahr zu Jahr ins Ausland und fielen teilweise gleich der ausländischen Armenpflege zur Last. Zum Teil machten sie der fremden Arbeit das, was sie unlauteren Wettbewerb nannte. Der deutsche Arbeiter unterbot sie und drängte sie aus Brot und Stelle. Oder der deutsche Handlungsbeflissene erschien und machte ebenfalls, was die westlichen Völker unlauteren Wettbewerb nannten. Er arbeitete oft ganz für umsonst, lauschte den Fremden ihre Geschäftsgeheimnisse ab und setzte dann neben ihnen ein Konkurrenzhaus auf. Darüber klagte man in Nordamerika, in Großbritannien und in Frankreich. Sicherlich auch in andern Ländern. Es kann keine Frage sein, daß der deutsche Mitbewerber teilweise auch fleißiger und geschulter war als der einheimische, und daß dies den Haß vermehrte. In England erhob sich schon von Anfang dieses Jahrhunderts an diesem zudringlichen Wettbewerb gegenüber der Ruf: »the british office for the british clerk« (das britische Büro für den britischen Kommis), und damit begann recht eigentlich die heutige Deutschenhetze auf der Erde.
Ganz ähnlich war es mit dem deutschen Warenvertrieb. Auch hier war sehr oft kein ehrlicher, sondern ein unlauterer[71] Wettbewerb durch billiges Unterbieten der Preise und, wie sie klagten, durch verschmitzte Kunstgriffe. Also, nicht weil wir uns eigene Kolonien anlegten und ausbauten, entstand ein allgemeiner Haß auf der Erde, sondern weil wir dies nicht taten und fremde Ansiedlungen für unsere kleinlichen Zwecke ausbeuten wollten. Nicht, weil ich und meine Freunde uns nach »unserm Plätzchen an der Sonne« umsahen, sondern weil Leute wie Eugen Richter und Ludwig Bamberger predigten: »seid doch nicht so dumm, euch selbst um Arbeitsfelder für eure Art zu bemühen, wo ihr euch bei andern einnisten könnt«, sind wir schließlich allen Völkern und Rassen ekelhaft geworden, so daß wir uns heute gegen die ganze Welt um Sein oder Nichtsein zu schlagen haben. Das stete Erntenwollen, wo man nicht gesät hat, ist am Ende zu verteufelt verschmitzt, als daß es noch klug genannt werden könnte. Jedenfalls macht es weder den einzelnen, noch ganze Völker beliebt in der Fremde.
In Deutschland, und nur, soweit ich sehe, in Deutschland, hat einige Jahrzehnte ein Kampf getobt, ob ich der Begründer von Deutsch-Ostafrika genannt werden dürfe oder nicht. So weit ging der kleinliche Neid, daß meine Landsleute mir nicht nur die Früchte meiner Arbeit wegnahmen, sondern daß sie auch emsig bemüht waren, zu verkleinern, was ich getan hatte. Freilich hatte auch ich Genossen an meinem Werk gehabt. So hatten Christoph Kolumbus, Fernando Cortez, Lord Clive und Cecil Rhodes Genossen. Aber mir sollte auch das Verdienst abgesprochen werden, zuerst den Gedanken und den Plan der Koloniegründung in Deutschland entwickelt und dann diesen Plan von Anfang bis zu Ende gegen eine Welt von Feinden und wohl mit hundertfältigem Einsetzen meines Lebens an Ort und Stelle durchgefochten zu haben.
Ich will hier kurz die Tatsachen, welche für die Besitzergreifung von Ostafrika entscheidend sind, noch einmal wiederholen.[72]
Im Oktober 1883 war ich von London nach Berlin übergesiedelt und hatte im März 1884 die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation gegründet, deren Vorsitzender ich alsbald wurde. Im Juli gelang es mir, den Ausschuß für den Gedanken zu gewinnen, das geplante Kolonialunternehmen, nach Art der alten britischen »adventurers«, durch Ausgabe von Anteilscheinen zu je fünftausend Mark zu finanzieren. Das hatte Erfolg. In einigen Wochen war die finanzielle Grundlage geschaffen. Dies war wohl das Wichtigste an der ganzen Sache. Am 16. September dieses Jahres beantragte ich im Ausschuß: »an der Ostküste, Sansibar gegenüber, in Usagara, falls dies nicht möglich, an einem anderen Punkt der Ostküste, die Landerwerbung der Gesellschaft für Deutsche Kolonisation vorzunehmen«. Am gleichen Tage wurde ich selbst zum Führer der besitzergreifenden Expedition ernannt. Mein erster Offizier ward mein langjähriger Freund, Dr. Karl Jühlke. Anfang November 1884 traf ich in Sansibar ein und am 10. November setzte ich mit einer kleinen Expedition von dort nach Saadane aufs Festland von Ostafrika über. Am 19. November hißte ich zum erstenmal die deutsche Flagge in Useguha, nachdem ich mit seinem Häuptling einen Abtretungsvertrag abgeschlossen hatte. Den Wortlaut dieses Vertrages, sowie aller andern Abtretungsurkunden auf dieser Expedition hatte ich selbst entworfen, ebenso wie ich auch die Verhandlungen mit allen Häuptlingen stets persönlich geführt habe. Am 14. Dezember beendigte ich die Erwerbung der Küstenlandschaften durch die Besitzergreifung des Berglandes von Ukami. Am 17. Dezember trafen Jühlke und ich krank wieder an der Küste ein, in Bagamoyo, und zwei Tage später gingen wir nach Sansibar hinüber.
Von dort kehrte ich allein auf einem arabischen Schiff über Bombay nach Berlin zurück und erhielt daselbst am 27. Februar 1885 vom Fürsten Bismarck den Kaiserlichen Schutzbrief für meine Erwerbungen, den ersten kolonialen[73] Schutzbrief in der deutschen Geschichte. Dieser lautete folgendermaßen:
»Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen, tun kund und fügen hiermit zu wissen:
Nachdem die derzeitigen Vorsitzenden der ›Gesellschaft für Deutsche Kolonisation‹, Dr. Carl Peters und Unser Kammerherr Felix Graf Behr-Bandelin, Unseren Schutz für die Gebietserwerbungen der Gesellschaft in Ostafrika, westlich von dem Reiche des Sultans von Sansibar, außerhalb der Oberhoheit anderer Mächte, nachgesucht und Uns die von besagtem Dr. Carl Peters zunächst mit den Herrschern von Usagara, Nguru, Useguha und Ukami im November und Dezember v. I. abgeschlossenen Verträge, durch welche ihm diese Gebiete für die deutsche Kolonisationsgesellschaft mit den Rechten der Landeshoheit abgetreten worden sind, mit dem Ansuchen vorgelegt haben, diese Gebiete unter Unsere Oberhoheit zu stellen, so bestätigen Wir hiermit, daß Wir diese Oberhoheit angenommen und die betreffenden Gebiete, vorbehaltlich Unserer Entschließung auf Grund weiterer Uns nachzuweisender vertragsmäßiger Erwerbungen der Gesellschaft oder ihrer Rechtsnachfolger in jener Gegend, unter Unseren Kaiserlichen Schutz gestellt haben. Wir verleihen der besagten Gesellschaft unter der Bedingung, daß sie eine deutsche Gesellschaft bleibt und daß die Mitglieder des Direktoriums oder die sonst mit der Leitung betrauten Personen Angehörige des Deutschen Reiches sind, sowie den Rechtsnachfolgern dieser Gesellschaft unter der gleichen Voraussetzung, die Befugnis zur Ausübung aller aus den Uns vorgelegten Verträgen fließenden Rechte, einschließlich der Gerichtsbarkeit gegenüber den Eingeborenen und den in diesen Gebieten sich niederlassenden oder zu Handels- und anderen Zwecken sich aufhaltenden Angehörigen des Reichs und anderer Nationen unter der Aufsicht Unserer Regierung und vorbehaltlich weiterer von Uns zu erlassender Anordnungen und Ergänzungen dieses Unseres Schutzbriefes.[74]
Zu Urkund dessen haben Wir diesen Schutzbrief höchst eigenhändig vollzogen und mit Unserm Kaiserlichen Insiegel versehen lassen.
Gegeben Berlin, den 27. Februar 1885.
(gez.) Wilhelm.
(gez.) v. Bismarck.«
Von der Erteilung dieses Schutzbriefes an schossen in Deutschland die kolonialgründerischen Talente wie die Pilze aus der Erde. Dutzende haben sich an mich gewandt mit der Bitte, ihnen doch zu sagen, wie das gemacht werden müsse. Die Art, wie ich es selbst angefaßt hatte, fand bei meinen Landsleuten zwar fast durchweg nur Verurteilung und Hohn. Immerhin konnte sie nachfolgenden Koloniegründern einen Weg angeben, wie solche Aufgaben gelöst werden müssen. Auch haben Engländer und Franzosen ihn in einzelnen Teilen der Erde eingeschlagen. Aber die Sache ist, daß derlei Unternehmungen nur nach einzelnen Gesichtspunkten, wie Finanzierung, Vertragsschließung, Flaggenhissung überhaupt gelernt werden können. Das Wesentliche tut nicht der Verstand, sondern der Charakter des einzelnen. Und da hapert es meistens. Es liegt eben nicht jedem, auf eigene Faust Entscheidungen gegen die Mehrheit seines eigenen Volkes und vor allem im Gegensatz zu seiner Regierung zu treffen. Ich würde mich verpflichten, an einem Nachmittag, mit einer guten Zigarre auf dem Sofa liegend, ein halbes Dutzend Kolonialpläne auszuhecken. Etwas ganz anderes ist es, die Kräfte in Bewegung zu setzen, auch nur ein einziges Projektchen durchzuführen. Es ist mir stets sehr pinselhaft erschienen, jemanden als Mitbegründer einer Kolonie zu nennen, bloß, weil er sich einer besitzergreifenden Reise anschloß. Das Reisen-mitmachen ist ganz unterhaltend, aber äußerst unwesentlich. Eine loyale und ernstliche Unterstützung bei der Gründung Deutsch-Ostafrikas hat mir mein alter Schulfreund, Dr. Carl Jühlke, gewährt, welcher harmonisch auf meine Pläne einging, bis er am 1. Dezember 1886 in Kismayu leider den Heldentod fand.[75]
Am 2. April 1885 gründete ich die »Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, Carl Peters und Genossen«, welche mir eine umfassende Generalvollmacht zur Leitung aller ihrer Angelegenheiten notariell ausstellen ließ. In dieser Stellung erweiterte ich meine eigenen Erwerbungen durch eine Reihe von Expeditionen, welche ich nach Ostafrika entsandte, nach allen Seiten und gewann dadurch im wesentlichen das ostafrikanische Seengebiet für Deutschland. Am 20. März 1886 wurde die Kommanditgesellschaft »Carl Peters und Genossen« auf unsern Antrag durch das Kgl. Amtsgericht I in Berlin gelöscht, und an diesem Tage fielen laut Beschluß der Generalversammlung alle Aktiva und Passiva der Gesellschaft auf meine Schultern. Im kommenden Jahre erreichten unsere Erwerbungen in Ostafrika ihre größte Ausdehnung, und ich besaß demnach persönlich zeitweilig die Hoheitsrechte über 5–6mal den Flächenraum des Deutschen Reiches.
Am 26. Februar 1887 gründete ich mit mehreren andern Herren, von denen ich hier vornehmlich Herrn Karl von der Heydt nennen will, die zweite Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft, deren Vorsitzender Direktor ich auf fünfzehn Jahre wurde. Als solcher übernahm ich im April 1887 die Verwaltung in Sansibar, und es gelang mir in dieser Stellung, am 31. Juli Said Bargasch zu veranlassen, mir die ganze Küste von der Umbamündung bis zum Kap Delgado abzutreten. In dieser Abtretung erkenne ich die eigentliche Begründung von Deutsch-Ostafrika, so, wie wir es heute kennen. Gleichzeitig begann ich bereits im Sommer 1887 die Tracierung der Ostafrikanischen Mittelbahn von Daressalam aus, also die wirkliche Erschließung des Hinterlandes dieser Küste.
1889–90 leitete ich die deutsche Emin Pascha-Expedition von Witu über Uganda nach Bagamoyo2, durch welche ich[76] Deutsch-Ostafrika bis zum Oberen Nil abrunden wollte und Uganda unter deutsche Oberhoheit brachte. Gleichzeitig gelang es mir auf meiner Reise, Emin Pascha zu veranlassen, seine Provinz Äquatorial-Afrika um Wadelai dem deutschen Schutzgebiet anzugliedern und dasselbe dadurch bis über Ladò den Nil abwärts vorzuschieben. Am 1. Juli 1890 schränkte die deutsche Regierung dieses Gebiet durch Vertrag mit England auf den heutigen Umfang der Kolonie ein und übernahm die Hoheit über dieselbe von der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft auf das Deutsche Reich.
Als ich mit meinen Gefährten 1884 nach Sansibar fuhr, wollte die deutsche Regierung von einer Koloniegründung in Ostafrika nichts wissen, und sie tat alles, was sie tun konnte, um solche zu verhindern, während sie die Sache noch keineswegs irgend etwas anging, da kein Mensch, ich am wenigsten, sie ersucht hatte, sich um unsere Unternehmung zu kümmern.
Am 7. November lud der damalige deutsche Konsul in Sansibar, Herr William Oswald, mich aufs deutsche Konsulat ein, wohin ich mich am Nachmittag mit Karl Jühlke begab. Dort legte der. Konsul uns »Zur Kenntnisnahme« einen Erlaß des Reichskanzlers vor, der i. V. vom Grafen Hatzfeld, dem damaligen Staatssekretär des Äußeren, gezeichnet war. Dieser Erlaß hatte etwa folgenden Inhalt: Es sei der Reichsregierung zu Ohren gekommen, daß ein gewisser Dr. Peters sich nach Sansibar begeben habe, um im Gebiet Sr. Hoheit des Sultans von Sansibar eine deutsche Kolonie zu gründen. Falls der p. p. Peters« wirklich in Sansibar eintreffen solle, so wolle der deutsche Konsul ihm eröffnen, daß er dort Anspruch weder auf Reichsschutz für eine Kolonie, noch auch Garantie für sein eigenes Leben habe. Gehe er dennoch mit seinem Plan vor, so geschehe dies lediglich auf seine eigene Gefahr und Verantwortung.
Man beachte die gesucht unhöfliche Tonart gegen den[77] eigenen Landsmann und die korrekte Form gegen den Ausländer. Dies war bezeichnend für die damalige amtliche Sprache und charakteristisch für unsere gesamte auswärtige Politik. Doch dies nebenbei! Wichtiger war der sachliche Inhalt. Es war ein völlig unveranlaßter Versuch, unser Unternehmen noch im letzten Augenblick zu verhindern.
Ich möchte wissen, welcher Normaldeutsche es gegenüber einer solchen offiziellen Ablehnung nicht aufgegeben haben und gehorsamst nach Berlin zurückgekehrt sein würde! Ich antwortete dem Fürsten Bismarck, wenn er mir einmal wieder etwas abschlagen wolle, so möge er gefälligst warten, bis ich um etwas gebeten habe. Bislang habe ich um Schutz für eine deutsche Kolonie oder mein Leben im Hinterland des Sultanats Sansibar meines Wissens noch nicht ersucht. Ich vermute, daß das amtliche Schreiben und meine Antwort später einmal mit den Akten des Reichsarchivs zum Vorschein kommen werden. Ich selbst setzte drei Tage später aufs Festland von Ostafrika über.
Während wir in Usagara beschäftigt waren, muß sich der Wind in der Wilhelmstraße irgendwie geändert haben. Fürst Bismarck empfand mit einem Male Luft, sich der Erwerbungen am Westufer des Indischen Ozeans zu bemächtigen. Den Schutzbrief vom 27. Februar 1885 habe ich, glaube ich, so schnell erhalten, weil ich nun meinerseits so tat, als ob mir an der deutschen Oberhoheit nichts mehr liege. Ich weigerte mich, überhaupt aufs damalige Auswärtige Amt zu gehn, und überließ es dem Grafen Behr-Bandelin ganz, mit Herrn von Kusserow zu verhandeln. Das Gesuch um Bewilligung des Kaiserlichen Schutzes hat Herr von Kusserow für mich geschrieben und mir durch Graf Behr zur Unterschrift zugeschickt. Ich ließ es tagelang liegen und reiste inzwischen zu meiner Mutter nach Hannover. Während dieser ganzen Zeit verhandelte ich offenkundig mit Brüssel und tat immer so, als ob ich zu dem König der Belgier und Mr. Stanley fahren wollte, um meine Erwerbung[78] dem sich damals bildenden Kongostaat anzuschließen. Endlich unterschrieb ich unser Gesuch, drahtete aber am Mittwoch dem 25. Februar von der Dennewitzstraße zum Auswärtigen Amt, daß ich am folgenden Tage nach Belgien reisen werde, wenn mein Gesuch nicht sofort bewilligt werden solle. Am Donnerstag kam Behr zu mir gelaufen, ich möge mich doch geduldigen, ich solle den Schutzbrief haben. Am Sonnabend, dem 28. Februar 1885 lag die Urkunde in meinen Händen.
Trotzdem meine Stellung und die meiner Gesellschaft durch den Inhalt dieses Schutzbriefes klar umschrieben war, hat sich nach dem Ausscheiden Herrn von Kusserows nie ein eigentlich gutes Verhältnis zu den Geheimräten des Auswärtigen Amtes mit mir entwickelt. Man konnte sich in Berlin schlechterdings nicht daran gewöhnen, mit den Gesichtspunkten des Schutzbriefes, welcher uns schon im Sommer 1886 die Hoheitsrechte über ein Gebiet 5–6 mal wie das Deutsche Reich verlieh, in Wirklichkeit Ernst zu machen. Wir blieben bloße »Untertanen«, und die alte Anschauung vom beschränkten Untertanenverstand blieb herrschend auch im persönlichen Verkehr. Das führte zu allerlei kleinen Reibereien. Schlimmer war, daß ich im Winter 1886/87 mit dem Grafen Herbert Bismarck persönlich aneinander geriet. Das war damals beinahe, als ob man den Kronprinzen einer herrschenden Linie verletzt hätte. Zwar wurde die Sache zugezogen, aber die Verstimmung blieb, und ich konnte von da ab nichts mehr in der ostafrikanischen Politik durchsetzen. Als Anfang 1887 die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft mit Unterstützung des Fürsten Bismarck, aber zum guten Teil auch durch meine Bemühungen gegründet worden war, verteilte Preußen Orden an die Hauptbeteiligten. Alle, Karl von der Heydt, Delbrück, Hugo Oppenheim usw. wurden bedacht, nur mein Name wurde durch Herbert Bismarck von der Liste gestrichen. Man wird mir glauben, wenn ich sage, daß auch 1887 ein Orden die Gründung[79] von Deutsch-Ostafrika nicht gerade krönen konnte, aber diese Manier, mich allein bei einer so billigen Anerkennung bewußt draußen zu lassen, mußte mich ganz nun ölig reizen. Auch war es, alle Verhältnisse ehrlich betrachtet, gegenüber dem ganzen zuschauenden Ausland lächerlich. Denn besonders in England kannte man die Verhältnisse ziemlich genau und hat mir selbst später erzählt, daß man über meine elende Behandlung in Berlin wohl unterrichtet war.
Unter den sich ablösenden Lügen, welche meine Gegner nacheinander in die deutsche Presse setzten, war die damals am meisten beliebte, ich sei ein grauer Theoretiker, dann wieder, ich sei ein Draufgeher, der von diplomatischen Feinheiten keine Ahnung habe. Dies ist die amtliche Abstempelung noch jahrelang gewesen. Und doch würde ein wenig Überlegung, wenn nur eine billige Beurteilung beabsichtigt gewesen wäre, genügt haben, um zu beweisen, daß schon die bloßen Erwerbungen von Negergebieten ein gewisses diplomatisches Talent erforderten. Deutlicher wurde solches, als mir unter Genehmigung des Fürsten Bismarck im April 1887 der Auftrag zuteil wurde, die Stellung der katholischen Missionen im Schutzgebiet zu umgrenzen und sie vor allem mit den protestantischen Missionen ins Gleichgewicht zu setzen. Ich bemerke, daß sämtliche katholische Missionen in unserem Schutzgebiet bis 1887 noch die französische Flagge führten. Ich wußte bereits im April 1887, daß hierüber letzten Endes, soweit die Katholiken in Frage kommen, der Papst zu entscheiden habe. Ich fuhr daher mit Freiherrn von Gravenreuth auf meiner Reise nach Sansibar von München nach Rom. Dort setzte ich mich mit Herrn von Schlözer, dem damaligen preußischen Gesandten am Vatikan, in Verbindung, und erreichte es durch Verhandlungen mit Kardinälen und dem Papst selbst in einigen Tagen, daß ich eine vollständig befriedigende Abmachung für alle Teile zustande brachte. »Der Reichskanzler wird Ihnen sehr dankbar sein«, meinte Herr von Schlözer beim Abschied. Ja wohl![80] Noch ehe ich in Sansibar ankam, ging in Deutschland ein Pressespektakel los, als ob ich Hochverrat begangen hätte. Nicht, als ob mein Abkommen irgendwie zu tadeln gewesen wäre. Es ist nachher, bis zum Kriege, die Grundlage des ganzen Missionswesens in Deutsch-Ostafrika gewesen. Sondern weil ich es fertig gebracht hatte und keiner von der Zunft. Denn sonst war der Lärm gar nicht zu verstehn. »Es läßt sich nicht leugnen,« erklärte die Nordd. Allg. Zgt. in dem ihr eigenen Ton heuchlerischer Salbaderei, »daß Dr. Carl Peters seine Vollmacht formell und materiell überschritten hat.« Zeitungen, die ich in Sansibar las, wußten schon zu melden, ich würde mit Schande von meinem Posten als Administrator der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft zurückgerufen werden. Kurz, es war die erste »amtliche« Petershetze. Nun möchte ich heute wohl wissen, inwiefern ich eigentlich meine Vollmachten 1887 überschritten habe; denn diese Vollmachten trugen mir gerade auf, das Verhältnis der Konfessionen zu regeln. Daß dies aber nur in Rom möglich war, konnte jeder Tertianer wissen.
Noch schlimmer ging es mir im Sommer 1887 in Sansibar. Dort war mir zunächst der Auftrag geworden, die im deutsch-englischen Abkommen vom 1. November 1886 vorgesehene Abfindung des Sultans von Sansibar für die Übernahme der Zollerhebung in Pangani und Daressalam mit Said Bargasch zu verhandeln. Nun möchte ich wissen, wie ein Privatmensch mit einem mohammedanischen Herrscher eines Landes verhandeln will, wenn das eigene beim Monarchen akkreditierte Konsulat dies nicht wünscht. Auf den ersten Blick war diese Aufgabe ganz unlösbar. Denn den Herren auf unserm Konsulat lag gar nichts daran, daß ich mir in Sansibar diplomatische Lorbeeren erwürbe, wo sie selbst mit der Lappalie des deutsch-arabischen Handelsvertrags gescheitert waren. Auch in diesem Falle mußte ich als »unbefugter« Eindringling erscheinen. Ich konnte Said Bargasch gar nicht einmal zu Gesichte bekommen, wenn dies dem deutschen[81] Generalkonsul nicht paßte. Dem paßte dies aber nicht. In den ersten Monaten kamen meine Verhandlungen denn auch nicht in Fluß. Da verband ich mich mit den britischen und österreichisch-ungarischen Generalkonsuln; und nun hatte ich wenigstens ungehinderten privaten Zugang zu dem Herrscher. Ich pflegte ihn dann morgens vor 6 Uhr regelmäßig zu besuchen, und somit gewann ich, da ich in der Geschichte seines Hauses und den mohammedanischen Gebräuchen bewandert war, persönlichen Einfluß auf ihn. Auf diese Weise veranlaßte ich ihn, mir nicht nur die Zölle in Daressalam und Pangani, sondern die Verwaltung der ganzen Küste zwischen dem Umba und Kap Delgado, mit sieben guten Häfen, einschließlich der Polizeigewalt und mit sämtlichen öffentlichen Gebäuden abzutreten.
Eine solche Verwaltung war durchzuführen, während wir die bloße Zollerhebung in Daressalam und Pangani nicht einmal hätten übernehmen können, weil wir dabei allen arabischen Hemmungen wehrlos ausgesetzt gewesen wären. Der Vertrag, welchen ich im Juli 1887 mit Said Bargasch abschloß, war demnach vom deutschen Standpunkt aus und dem der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft ein großer diplomatischer Erfolg.
Wiederum kamen alle Hindernisse dagegen von Deutschland aus. Nicht nur verweigerte man mir von Berlin die Anerkennung des Vertrages, sondern ich erhielt auch einen Verweis. Da seine Vollziehung durchaus im Interesse des Deutschen Reiches lag, so bin ich auch bis zum heutigen Tage stets der Meinung gewesen, daß nicht sachliche, sondern rein persönliche Gründe dahin wirkten, ihm die Anerkennung zu verweigern. Ich war nicht »berufen«, einen solchen Vertrag zu schließen, ich hatte dafür keine »amtliche Berechtigung«. Anders kann ich mir die Schöppenstedtsche Politik, welche 1887 die Erwerbung der Küste von Deutsch-Ostafrika verhinderte, überhaupt nicht erklären. Sachliche Erwägungen dagegen gab es nicht, da finanzielle Verpflichtungen und[82] Verbindlichkeiten für uns damit nicht verbunden waren, sondern es sich finanziell um folgendes handelte: daß wir die Unkosten der Verwaltung von den Zolleinnahmen bestreiten durften, den Überschuß aber an Said Bargasch abliefern mußten. Bis 1914 hat sich in keinem Jahre ein Überschuß ergeben.
Im Verlauf dieser Vorgänge, welche meinen politischen Einfluß auf die Araber Sansibars zermürbten, wurde ich nach Europa zurückgerufen und trat infolgedessen vom Direktorium der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft endgültig zurück.
In Berlin herrschte 1889 diejenige allgemeine Politik, welche Graf Herbert Bismarck im Reichstage als »Kolonialehe mit England« bezeichnet hat. Sie hat sich dann später unter den Nachfolgern des Fürsten Bismarck als Versuch »besserer Beziehungen mit England« fortgesetzt. Man glaubte, eine überseeische Politik im Bunde mit dem britischen Reich treiben zu können: Von einer »Weltpolitik« hing aber das Schicksal unserer Industrie und das Wohl und Wehe von Millionen unserer anschwellenden Bevölkerung ab. Wir waren also aus wirtschaftlichen Gründen zu ihr gezwungen. Aber sie mußte uns sicherlich in Gegensatz zu England bringen, und wir mußten demnach die Rückendeckung für sie von vornherein anderswo suchen.
Ich habe also von jeher die »Kolonialehe mit England« und das Anstreben »besserer Beziehungen zu England« für eine Unklarheit in den leitenden Köpfen gehalten. Das Deutsche Reich konnte nicht gleichzeitig in eine Weltpolitik einlenken und von Freundschaft mit den Briten träumen. Ich bin sicher, daß die Haltung unserer Regierung gegen die von mir geleitete Emin Pascha-Expedition aus solchem logischen Irrtum entstanden ist.
Auf besonderen Wunsch der Leitung der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft und des Auswärtigen Amtes sollte ich ohne Lärm aus der Direktion der Gesellschaft verschwinden,[83] indem ich das Kommando der Deutschen Emin Pascha-Expedition übernähme. Dies war zwischen beiden Teilen ausgemacht. Der Regierungspräsident von Tiedemann war am Abend meiner Abreise vom Anhaltischen Bahnhof zur Emin Pascha-Expedition beim Fürsten Bismarck, und wie er mir noch am, selben Abend nach Nürnberg meldete, habe der Fürst sich ihm gegenüber als begeisterten Freund dieser Expedition gezeigt. Er habe auf ihr Gelingen getrunken und gesagt, wenn er noch jung wäre, würde er selbst mitgehen. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich gleichzeitig mit diesem Briefe des Herrn von Tiedemann in der Nürnberger Morgenzeitung die halbamtliche Meldung fand: »Fürst Bismarck wünscht, daß Dr. Peters das vorsitzende Direktorium der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft niederlegt«. Ich habe mir diese offenkundige Doppelzüngigkeit schon damals so erklärt, daß der alte Fürst bona fide dem Vater meines Reisekameraden Glück entbot. Graf Herbert Bismarck aber, ohne Wissen seines Vaters, diese boshafte Notiz, welche allen unseren Verabredungen widersprach, in die Presse bringen ließ. Die Sache war um so heimtückischer, als ich bereits auf der Reise war und mich gar nicht mehr gegen das Hinterlistige der Nachricht wehren konnte.
Die meisten Zeichnungen der Deutschen Emin Pascha-Expedition waren unter der Bedingung gemacht, daß die Gesamtsumme eine Höhe von 400000 Mark erreichte. Im letzten Augenblick hatten wir noch einem Ausfall von 50000 Mark zu begegnen. Dafür trat ein polnischer Graf ein, der bei den Garde-Kürassieren in Berlin stand und die Reise mitmachen wollte. Dahinter war man im Auswärtigen Amt gekommen und beschloß, mir diese Zeichnung, mit der das ganze Unternehmen stand oder fiel, zu hintertreiben. Man ließ sich die Polen, Vater und Sohn, kommen und eröffnete ihnen, der letztere sei nach Brasilien an die Gesandtschaft kommandiert, wenn er seine Beteiligung an der Emin Pascha-Expedition aufgeben wolle. Nach einigem[84] Sträuben ließ sich dieser darauf ein, und somit brach das Unternehmen, als ich schon zwischen Brindisi und Alexandria schwamm, im letzten Augenblicke noch einmal zusammen. Von Alexandria aus habe ich dann telegraphisch den Fehlbetrag persönlich gezeichnet, um die Grundlage des Unternehmens zu retten.
Nun mag man sagen: »Die Expedition lag nicht mehr im deutschen Interesse, eine Ausdehnung unseres Kolonialgebietes in die oberen Nilgegenden war nicht erwünscht, und man kann es der Kaiserlichen Regierung nicht übelnehmen, wenn sie sie verhindern wollte.« Aber formell hatte sie dieselbe doch unterstützt, und kein Mensch wird behaupten wollen, daß eine solche heimtückische Bekämpfung dem deutschen Ansehen, unserer Würde und unseren völkischen Interessen entsprach. Ich habe erst nachher erfahren, daß unsere Regierung schon vor meiner Abreise von Berlin die Kaiserliche Botschaft in London beauftragt hatte, dem britischen Auswärtigen Amt gegenüber auf alle kolonialen Erwerbungen nördlich von 1 s. Br. zu verzichten und insbesondere auf die von meiner Expedition zu durchquerenden Gebiete von Kawirondo, Uganda und seinen Nebenländern. Augenscheinlich war dieser Verzicht das, was Herbert Bismarck in meiner Anwesenheit im Deutschen Reichstag als »Kolonialehe mit England« bezeichnet hatte3. Ich hätte wohl erwarten dürfen, daß man solchen Verzicht zunächst mir mitteilen würde, anstatt kleinliche Kniffe und Intrigen gegen mich in Anwendung zu bringen.
In Sansibar im Sommer 1889 wurde ich amtlich geschnitten. Meine Zuschriften an das Generalkonsulat wurden nicht beantwortet, keinerlei Unterstützung, wie sie das Konsulat dem Ärmsten seiner Landesgenossen schuldet, wurde mir zuteil. Said Bargasch veröffentlichte unter Zustimmung des deutschen Konsuls einen Erlaß an den Straßenecken Sansibars,[85] in welchem jeder Neger mit dem Tode bestraft wurde, der mit mir reisen würde.
Als ich im Juni die britische Blockade von Norden her umging, gingen nicht nur drei britische Kreuzer aus, um mich zu fangen, sondern auch zwei deutsche, die »Leipzig« und die »Schwalbe«, gaben sich dazu her. Ich würde es kaum glauben, wenn ich nicht alles selbst erlebt hätte. Denn noch immer bestand das Protektorat des Deutschen Kaisers über unserer Expedition. Ich fragte mich oft, ist es denn denkbar, vertritt irgendein Blödsinniger die deutschen Interessen und unsere Würde gegenüber dem Ausland? Die Rückwirkung dieser Fälle von sogenannten Demütigungen auf meine Person war natürlich die genau entgegengesetzte, wie wohl beabsichtigt war. Ich bin in meinem Leben nicht so gleichmütig, ja selbstbewußt und fröhlich gewesen, als in diesen Wochen der Landung von Kwaihubucht und des Einmarsches nach Witu.
Ich habe mich auch in der Rückerinnerung niemals dazu entschließen können, den von mir so tief verehrten Bismarck mit all diesen kleinlichen und niedrigen Quertreibereien zu verbinden. Das war der kleine Sohn des großen Vaters, Herbert Bismarck. Besonders weiß ich das von folgendem Vorfall, für dessen Richtigkeit ich auf die Glaubwürdigkeit des englischen Captain Bateman angewiesen bin, des späteren Kommandanten von Taveta, welcher ihn mir am Kilimandscharo 1891 an offener Tafel erzählt hat4.
Herbert Bismarck sei 1889 in Londen gewesen und habe dem dortigen Auswärtigen Amt gesagt: »Mein Vater würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Dr. Peters nicht lebendig aus Afrika zurückkäme.« Darauf habe sich Admiral Fremantle ihn (Bateman) kommen lassen und habe ihm auf einer Karte gezeigt, wo er voraussichtlich meine Expedition[86] treffen könne. Er sei mit einer Kompagnie indischer Truppen und zwei Geschützen von Mombassa nach Ukamba Mumoni an den Tana marschiert. Dort hätten ihm Eingeborene von einem Hügel aus mein Lager gezeigt (wahrscheinlich den Platz, wo ich einmal gelagert hatte). Er habe dann in der Nacht fünfzig bis sechzig Granaten hinuntergeschossen, denn er hätte sich gesagt: »Ach, Dr. Peters ist ein sehr unangenehmer Bursche, dies wird die Sache am einfachsten erledigen.« »Hatten Sie denn den Auftrag, mich zu ermorden?« »Nein, natürlich nicht ermorden; ich sollte Ihren weiteren Vormarsch aufhalten. Ich bin dann Ihren Spuren noch bis zu den Grenzen von Massailand gefolgt, von wo ich umkehrte.«
Leser meiner »Deutschen Emin Pascha-Expedition« werden sich vielleicht erinnern, daß Herrn von Tiedemann und mir in Ukamba Mumoni von den Eingeborenen gemeldet wurde, es sei die Expedition eines Weißen zu uns im Anmarsch. Wir bezogen diese Meldung eine Zeitlang auf Kapitänleutnant Ruft. Ich habe nachher angenommen, es könnte sich möglicherweise um Captain Bateman gehandelt haben.
Diese Erzählung, wenn sie wahr ist, bedarf keines Wortes weiter zu ihrer Beurteilung und würde wohl den Höhepunkt aller Machenschaften einer Regierung gegen einen einzelnen Landsmann darstellen.
Was ich seit Herbst 1883 an Erfahrungen an meinen deutschen Landsleuten gemacht hatte, durch die ganze Zeit der Begründung von Deutsch-Ostafrika, vornehmlich auch während der Deutschen Emin Pascha-Expedition, mußte erkältend auf meine Vaterlandsliebe zurückwirken. Denn schließlich ist auch der Patriotismus nicht gerade ein mysteriöser Drang im einzelnen, der unveränderlich dableiben muß, wenn die andere Seite unbekümmert mit Fäusten haut und mit Füßen tritt. Wie alles in der Natur, beruht auch die Vaterlandsliebe des einzelnen auf einer gewissen Gegenseitigkeit von Pflichten und Neigungen, und nur diejenigen[87] Gemeinwesen in der Geschichte werden groß, wo auch die Gesamtheit Dankbarkeit gegen den einzelnen ausübt, welcher für das Gemeinwesen sich bemüht. Ich aber hatte von der Mehrheit der deutschen Presse durch die ganze Zeit wesentlich nur Lügen, Verleumdungen und Beschimpfungen; von der Regierung Mißachtung der wesentlichsten meiner Arbeiten; vom deutschen Spießer Gleichgültigkeit oder Hohn erfahren. Ich fing an, mir als Prügeljunge des deutschen Volkes vorzukommen, und ich wurde es allmählich satt, dauernd diese Rolle zu spielen. Ich dachte schon während der Rückreise von Uganda daran, meinen Aufenthalt wieder in England zu nehmen. Unter den Engländern, das wußte ich, wurde jedes patriotische Wirken gewürdigt, auf alle Fälle hatte man dort Verständnis und Anerkennung für rein männliche Leistungen, wie doch die Deutsche Emin Pascha-Expedition eine war.
Die Kolonialpolitik des Fürsten Bismarck war eine wesentlich zuwartende, und das entsprach auch den Interessen des Deutschen Reiches am Ausgang des vorigen Jahrhunderts, jedenfalls aber den Neigungen und den Anschauungen des deutschen Volkes selbst. Wenn Bismarck jünger gewesen wäre, so hätte er sich manche Gelegenheit wohl kaum entgehen lassen, z.B. die Annexion der Insel Sansibar 1885 und 1887, die Besitzergreifung Ugandas und des Oberen Nils 1889 und 1890. Wenn er 1890 wirklich geäußert hat, was ihm zugeschoben wird, er würde den Sansibar-Vertrag seines Amtsnachfolgers niemals unterzeichnet haben, so verstehe ich dies nicht, da er selbst schon 1889 der englischen Regierung gegenüber auf eine koloniale Ausdehnung über 1° s. Br., also insbesondere auf Uganda mit seinen Nebenländern, verzichtet hatte.
Im allgemeinen wird die Geschichte sicherlich den Gesichtspunkt, welchen Fürst Bismarck stets vertreten hat, für richtig erklären, daß er es ablehnte, für koloniale Abenteuer sich in europäische Verwicklungen zu stürzen. Wenn er dies[88] nicht wollte, so mußte er in erster Linie britische Gefühle und Interessen schonen.
Eines war schon am Schluß des vorigen Jahrhunderts klar, daß das Deutsche Reich eine erfolgreiche Kolonial- und Flottenpolitik nur treiben konnte unter Anlehnung an ein freundschaftliches Rußland im Osten. Wir konnten nicht gleichzeitig Ausdehnung im Westen und eine tatkräftige Politik donauabwärts führen. Denn eine solche doppelte Betätigung muß uns gleichzeitig mit beiden Weltreichen in Widerspruch bringen. Die Politik des Drei-Kaiser-Bündnisses, oder aber, wenn es sein mußte, auch nur das Doppelbündnis mit Rußland, war die natürliche Rückendeckung für eine deutsche Kolonialpolitik. Darüber ist unter denkenden Kolonialpolitikern Deutschlands schon 1890 keine Meinungsverschiedenheit gewesen. Unsere Entwicklung auf die See verweisen, gleichzeitig aber durch Worte und einzelne Höflichkeitshandlungen Freundschaft mit dem nüchternen und spröden England schaffen zu wollen, kennzeichnet eine politische Kurzsichtigkeit, welche früher oder später scheitern mußte.
Die Deutsche Emin Pascha-Expedition, ihren Zielen nach, gehört durchaus zur Begründungsgeschichte von Deutsch-Ostafrika. Sie war ein Versuch, unsere Interessensphäre über den Norden des Viktoriasees und nilabwärts bis nach Ladò auszudehnen, also Uganda und Emin Paschas Provinz in unser Schutzgebiet einzubeziehen. Sie beruhte politisch auf der Tatsache, daß Ägypten und Großbritannien bereits 1885 auf den ganzen Sudan in einer Note an die Mächte verzichtet hatten, daß diese Gebiete demnach nach europäischer Fiktion »nobody's country« waren. Daß Deutschland umgekehrt schon 1889 seinerseits wieder auf diese Gebiete verzichtet hatte, das wußte ich nicht. Übrigens hatte ich bereits auf der Reise die Möglichkeit erwogen, daß das Deutsche Reich es ablehnen könne, die Erwerbungen im Norden Deutsch-Ostafrika anzugliedern. Ich hatte demnach[89] in einzelnen Fällen die Rechtsgültigkeit meiner Verträge von der Zustimmung des Deutschen Kaisers unabhängig gemacht und hatte die erworbenen Landstriche für mich persönlich genommen. Würde ich Emin noch in seiner Provinz getroffen haben, hätte ich vor allem genügend Munition gehabt, so würde ich sicherlich mir ein eigenes Herrschaftsgebiet gegründet haben und wäre dauernd in Mittelostafrika geblieben. Diese Voraussetzungen trafen indes nicht zu, und somit wurde mein Rückmarsch an die Küste notwendig. Die Deutsche Emin Pascha-Expedition stellt jedenfalls den Höhepunkt meiner irdischen Tätigkeit dar und so liegt sie auch vor meiner Erinnerung.
Um 1885 habe ich mehrere Male persönlich mit dem Fürsten Bismarck zu tun gehabt. Es war eigentümlich für den großen Mann, daß da, wo er persönlich mit jemandem zu rechnen hatte, er ihn auch durch Augenschein kennen lernen wollte. Es war mir auffallend, ja unheimlich, wie genau er stets zu wissen schien, wo ich gerade war. Sein Diener kam mehrere Male in die Restauration, wo ich saß, um mich zu holen. Ich habe erst nachher erfahren, daß ich 1885 und auch später unter der Beobachtung der politischen Polizei von Berlin stand. Ich sah ihn das erstemal bald nach Empfang des Schutzbriefes, dann wieder, als sich die Lage mit Sansibar verwickelte. Einmal, ich glaube es war im Juli 1885, ließ er mich »wie ich ging und stand« aus meinem Bureau in der Zimmerstraße zu sich kommen, um mich zu fragen, ob ich auf den Posten als Generalkonsul nach Sansibar gehen würde. Das war um die Zeit, als Rohlfs von dort zurückberufen wurde. Ich machte den Fürsten darauf aufmerksam, daß, wenn ich aus der damaligen »Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, Carl Peters und Genossen« herausträte, ich befürchte, daß die Ausdehnung der Kolonie, welche der Schutzbrief doch selbst ins Auge fasse, unterbrochen werden würde. Im selben Sinne bat Karl Jühlke, der schon zusammen mit der Erteilung[90] des Schutzbriefes mit dem Gerichtswesen in der Kolonie betraut war, von seiner dauernden Ernennung als Ober richter absehen zu wollen.
Der Eindruck des Fürsten Bismarck im persönlichen Verkehr war ein überwältigender. Unvergeßlich ist mir noch immer das große leuchtende Auge, welches einem durch und durch zu blicken schien. Die mächtige, imponierende Gestalt entsprach ganz der Vorstellung, welche ich mir schon vorher von ihm gemacht hatte. Man muß im Auge behalten, daß ich schon als Kind seine großen weltgeschichtlichen Taten erlebt hatte, und später häufig bewundernd an seinem Hause in der Wilhelmstraße vorübergegangen war. Sein Wesen verband eine gewisse ernste Sachlichkeit mit einem humorvollen Wohlwollen. Später traten die erzählten Ereignisse von 1887 und der Emin Pascha-Expedition ein, welche mich innerlich von Fürst Bismarck und seiner Familie trennten. Nach seiner Amtsentlassung hat er mich wiederholt, unter anderem auch durch meinen verstorbenen Freund von Kardorff, einladen lassen, ihn in Friedrichsruh zu besuchen. Aber ich dachte an meine Empfindungen von Witu und meine Märsche entlang dem Tana. Ich habe den großen Staatsmann nicht wiedergesehen.[91]
1 | S. hierzu: »Die Gründung von Deutsch-Ostafrika.« Hamburg, Rüsch'sche Verlagsbuchhandlung 1906. »Wie Deutsch-Ostafrika entstand.« R. Voigtländers Verlag, Leipzig. »Die Deutsche Emin Pascha-Expedition.« R. Oldenbourg, München-Leipzig 1891. |
2 | Bei dieser Reise war Adolf von Tiedemann mein einziger weißer Begleiter, dessen vornehmer Loyalität und männlicher Tüchtigkeit ich auch in dieser Lebenserinnerung meine herzliche Anerkennung aussprechen möchte. |
3 | S. hierzu: Das Staatsarchiv, Bd. 52, S. 180. |
4 | Mein Zeuge für diese Erzählung ist u.a. heute noch der Freiherr von Pechmann, welcher zugegen war. |
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