Der »Fall Peters«

[93] Über's Niederträchtige

Niemand sich beklage.

Denn es ist das Mächtige,

Was man dir auch sage.

Goethe.[93]


Als ich im Sommer 1890 nach Bagamojo und Sansibar zurückkehrte, fand ich bei meinen Landsleuten gegen mich eine ganz andere Gesinnung, als bei meinem Ausmarsch im vergangenen Jahr. Nicht nur fand ich Glückwunschdepeschen aus allen Teilen Deutschlands, sondern auch die Deutschen nahmen mich überall herzlich auf und ehrten mich durch Banketts und andere Feiern. Genau so war es in Deutschland selbst. Ich wurde häufig zum Kaiser befohlen, und gleich das erstemal eröffnete er mir, daß ich nunmehr in den deutschen Reichsdienst übertreten solle. Sicherlich war dies auch wohlwollend und gütig von ihm gemeint.

Dann nahmen Herr von Caprivi und Herr von Marschall die Angelegenheit in die Hand, und ersterer teilte mir mit, daß man beabsichtige, mich zum Zivilgouverneur von Deutsch-Ostafrika zu machen, ich möge doch die Einzelheiten mit dem damaligen Kolonialdirektor Dr. Kayser besprechen. Damit waren wir glücklich wieder bei den Zuständen von 1888 angelangt, den Geheimräten der Wilhelmstraße. Kayser hatte sich schon seit 1887 als mein heimtückischster und verschlagenster Gegner herausgestellt. Er war damals im Früh-Herbst 1891 in Bad Tölz, und ich fuhr mit Karl von der Heydt zu einer Besprechung mit ihm dorthin. Er tat sehr überrascht, als ich ihm erzählte, was Herr von Caprivi mir gesagt hatte: »Was, ist er schon so weit gegangen?« Ich dachte, warum sollte er nicht einfach sagen, was er von mir will? Warum sollen wir alle arbeiten, als wenn[94] wir uns in Laufgräben gegeneinander anpirschten? Aber so war Dr. Kayser. Für ihn war das menschliche Leben eine Anzahl von Schlichen und Intrigen; offenes und wahrheitsliebendes Handeln lag ihm so fern, wie dem Fuchs das Boxen. Das mußte alles auf Schleichwegen und hinten herum betrieben werden.

Im Gegensatz zu dem, was mir der Reichskanzler erzählt hatte, erfuhr ich nun, daß Herr von Soden zum Gouverneur bestimmt war, daß für meine Person also im Grunde gar kein Platz mehr in der Verwaltung sei. Ich brachte ferner heraus, daß Kayser aber nicht nur mich, sondern auch Wissmann und Emin Pascha Soden gewissermaßen aufhalsen sollte. Wir sollten alle nichts eigentlich zu sagen haben, aber doch in der Sodenschen Verwaltung »untergebracht« werden. Damit konnte im Grunde Herrn von Soden gar nicht gedient sein, welcher ein gerader und ehrlicher Mensch war, noch auch uns drei »Afrikanern«. Die Sache fing mit Unzufriedenheit und Mißtrauen auf allen Seiten an. Das gerade paßte dem Dr. Kayser, dem das Wohl und Wehe unserer Kolonien im Grunde völlig gleichgültig war. Er wollte Kolonialsekretär und Exzellenz, oder vielmehr er wollte seine Frau zur Exzellenz und hoffähig machen. Darum handelte es sich, alles andere war ganz gleichgültig.

So klügelte er sich das System der »Reichskommissare zur Verfügung des Gouverneurs von Ostafrika« aus, eine echt Kaysersche Schöpfung. Diese Stellung wurde uns dreien angeboten, dem armen Soden wurde gewissermaßen die Rolle des Bärenbändigers zugeschoben.

Es ist bekannt, daß Emin Pascha von Bukoba nach seiner alten Provinz am Oberen Nil zurückmarschierte, Wissmann gab eine ganz kurze Gastrolle in Daressalam und kehrte dann nach Kairo zurück, ich war der einzige von uns dreien, welcher in Tanga den ernsten Versuch machte, aus dem Zwitterwesen Kayserscher Schöpfung etwas Greifbares zu[95] gestalten. Ich wußte nicht, war ich nun Beamter Sodens oder unterstand ich unmittelbar der Kolonialabteilung in Berlin. Das war alles ganz absichtlich möglichst unklar und dunkel gehalten.

Dr. Schroeder-Poggelow hatte mich schon im Januar 1892 gewarnt, als ich bei meinem Bruder in Nürnberg zum Besuch war, um mich dort zur Abwechslung einmal mit Herrn von Soden zu »besprechen«: »Nehmen Sie nur um Gottes willen die Ihnen angebotene Reichsstellung nicht an. Ich erfahre zuverlässig, man will Sie nur anstellen, um Sie sobald als möglich unter irgendeinem Vorwande wieder zu entlassen.« Es war der große Fehler meinerseits, daß ich mich überhaupt in diesen Irrgarten amtlicher Ränke begab, daß ich in die mir von Kayser gestellte Falle mit offenen Augen ging, daß ich das »Reichskommissariat zur Verfügung des Gouverneurs« annahm. Alles folgende hat sich logisch aus diesem Mißgriff entwickelt. Im Augenblick, wo ich mich auf diesen Hexentanz einließ, ist mein Schicksal in Deutschland ein für allemal entschieden gewesen. Ich war so töricht, nach Ostafrika abzureisen, ohne daß mein Tätigkeitskreis irgendwie bestimmt oder abgegrenzt gewesen wäre. Das alles sollte zwischen Herrn von Soden und mir in Tanga vereinbart werden. Ich ging also mit gebundenen Händen meinem Schicksal entgegen. Ich hatte unterwegs noch gehofft, man werde mir meinen Amtsbezirk bis zur Küste einschließlich Tanga und Pangani einräumen, etwa das Gebiet, welches ich selbst 1887 Hörnecke zugewiesen hatte. Schon am Tage meiner Ankunft wurde ich enttäuscht. Herr von Soden brachte meine Vollmacht fertig aus Daressalam mit. Da war von irgendwelchen Besprechungen oder Vereinbarungen gar nicht die Rede.

Als mein Amtsbezirk wurde mir das Kilimandscharogebiet, neun Tagemärsche hinter der Küste, zugewiesen. »In diesem Fall bitte ich um meine sofortige Entlassung. Fern von der Küste glaube ich nichts für die Kolonie tun zu können.«[96] »Was, wollen Sie die neue Kolonialverwaltung in Deutsch-Ostafrika mit einem öffentlichen großen Krach anfangen?« Anstatt ihm ruhig darauf zu antworten: »Warum denn nicht? Ich habe doch persönlich gar kein größeres Interesse an Deutsch-Ostafrika als z.B. Sie und Kayser!« war ich schwach und sentimental genug, Ostafrika immer noch als meine eigene Schöpfung zu betrachten, obwohl ich längst mit Fußtritten daraus hinausgeworfen war, und bildete mir in der Tat ein, daß ein Skandal vermieden werden müsse. Ich sagte also: »Dann will ich zunächst einmal nach dem Kilimandscharo hinausmarschieren und sehen, ob ich da etwas tun kann.« Ich schrieb indes noch an demselben Abend an Direktor Kayser und wiederholte meine Bitte um Entbindung von meinem Amte.

Ich schildere diese Vorgänge, welche bislang der Öffentlichkeit unbekannt gewesen sind, so genau, weil in ihnen alle Ursachen des »Falles Peters« schon gegeben waren. Wenn ich damals von Tanga nach Deutschland oder noch besser nach London gefahren wäre, würde mein Leben nicht nur einen klareren und ruhigeren, sondern auch einen erfolgreicheren Verlauf genommen haben. Hierzu fehlte es mir an der energischen Folgerichtigkeit, und dem habe ich die Tragik meines Daseins zu verdanken.

Den eigentlichen »Fall Peters« in all seinen kleinlichen Einzelheiten will ich hier nicht noch einmal erzählen. Ich finde, er ist genug durch die deutsche Presse gezerrt und hat uns hinreichend auf der Erde geschadet. Nicht etwa durch die Eigenschaften, welche ich in ihm bekundet habe. Das waren genau dieselben, welche ich bei der Begründung von Deutsch-Ostafrika und bei der Durchführung der deutschen Emin Pascha-Expedition gezeigt hatte, und sie waren bekannt genug, als mich Deutschland zum Kilimandscharo schickte. Anstatt mich mit einer Tätigkeit in der Kolonie zu betrauen, schickte man mich aus ihr heraus und gab mir den Auftrag, das Kilimandscharogebiet der Kaiserlichen[97] Oberhoheit zu unterwerfen. Man gab mir umfassende Vollmacht, die oberste Gerichtsbarkeit, selbst das Recht über Leben und Tod. Man mußte mich von der Emin Pascha-Expedition her genügend kennen, um zu wissen, daß ich die deutsche Herrschaft in meinem neuen »Amtsgebiet« in Wirklichkeit und im Ernst einführen oder bei dem Versuch untergehen werde, daß es sich also dabei nicht etwa um eine sanfte Komödie handele.

So zog ich also als, ich weiß nicht was, ins Innere von Afrika1. »Kaiserlicher Kommissar zur Verfügung des Gouverneurs!« Selbst über den Umfang meiner Berichterstattung war ich im unklaren. Niemand sagte mir, worüber ich berichten sollte und wie oft. Ich beschloß, um doch nicht einfach als Bezirkshauptmann der Kolonie zu amtieren, wenigstens einen abgetrennten Justizbezirk darzustellen, also über Gerichtsangelegenheiten nicht nach Daressalam zu berichten. Nur unnötige Kriegsführung war mir untersagt. Aber darum handelte es sich ja gerade, zu entscheiden, welche Kriegführung »nötig« oder »unnötig« sei. Der hätte doch geradezu für Dalldorf reif sein müssen, welcher zum Vergnügen im afrikanischen Dornengestrüpp hätte Krieg führen mögen, gewissermaßen aus einer angeborenen Neigung.

Es war ganz klar, daß bei solcher Lage ein mißgünstiger Vorgesetzter mir in jedem Fall aus meiner Amtsführung einen Strick drehen konnte. Entweder ich war zu gewaltsam oder zu sanftmütig, zu unternehmend oder zu gleichgültig. Im Kilimandscharobezirk gab es 1891 etwa 120000 kriegerische, zum Teil ganz unabhängige Eingeborene. Dort sollte ich die deutsche Flagge emporziehen und die Kaiserliche Hoheit aufrichten! Das mache mir einmal jemand ohne Anwendung von Gewaltmaßregeln vor. »Aber Herr von Eltz, der vor mir am Kilimandscharo gewohnt hatte, war doch[98] ohne Zusammenstöße mit den Schwarzen ausgekommen!« Wie oft ist dieser gedankenlose Einwand nicht gegen mich erhoben! Herr von Eltz hatte sich eben auf das Sitzen in Moschi beschränkt. Mir aber war eine Kompagnie der Kaiserlichen Schutztruppe mitgegeben, damit ich das deutsche Ansehen am Berge energisch aufrichten könne! Wenn ich irgendwo in Afrika bloß wohnen will, sei es am Kilimandscharo, sei es am Baringo oder in Uganda, so habe ich keine Bedeckung nötig. Umgekehrt zwingt die Entfaltung einer soldatischen Macht einen Beamten zur Bekundung eines gewissen Einflusses, wenn er sich und seinen Auftraggeber nicht geradezu lächerlich machen will. Z.B. kann ich Unordnungen, ja Greueln zusehen, wenn ich allein bin; ruchlos wird das aber, wenn ich 150 Mann unter mir habe.

Während ich kaum am Kilimandscharo mich eingerichtet hatte, kam dahin die Nachricht, daß Herr von Zelewski mit einem großen Teil der Schutztruppe in Uhehe in einen Hinterhalt gefallen und mit vielen seiner Offiziere umgekommen sei. Dies erfuhren meine Nachbarn, die Leute Malamias, Ende September 1891, und sehr bald bemerkten wir aufsässige Gelüste um den Berg. Bald kamen auch Nachrichten von aufständischen Regungen aus den verschiedenen Teilen des Schutzgebietes. Da über die Hälfte der mir zugewiesenen Kompagnie im Zusammenhang mit diesen Vorgängen an die Küste zurückbeordert wurde, so begann ich um die Sicherung unserer Stellung ernstlich besorgt zu werden. Man hat später, 1897 und 1907, in Deutschland durch Zeugenaussagen vor Gerichten untersuchen wollen, ob diese meine Sorge berechtigt gewesen sei oder nicht. Ich führte infolge derselben den Kriegszustand am Kilimandscharo ein. Da ich mich hiermit völlig innerhalb der Grenzen meiner Befugnisse befand, worum es sich allein handelte, hätten sich die Richter meiner Ansicht nach nicht die Mühe zu geben brauchen, zu untersuchen, ob meine Ansicht selbst richtig sei oder nicht. Ich glaube, einen ziemlich[99] nüchternen Blick für Verhältnisse zu haben, welche ich anschaulich sehe, und glaube auch noch aus der Rückerinnerung heraus, daß ich solchen am Kilimandscharo im Winter 1891/92 hatte2.

Das Kriegsrecht dort führte in diesem Winter zweimal zur Vollstreckung von Todesurteilen an Negern. Beide Fälle standen nachgewiesenermaßen in gar keinem Zusammenhang und lagen auch zeitlich etwa ein halbes Jahr auseinander. Damals wünschten die britisch-ostafrikanischen Kreise noch einmal den Kilimandscharo, die Perle unseres ganzen ostafrikanischen Besitzes, für sich zu gewinnen. Sie wollten eine Eisenbahnlinie von Mombassa nach dem Viktoriasee bauen, welche sich auf den Kilimandscharo stützen sollte.

Bei diesen Plänen war meine Person, der ich mich stets als den eifersüchtigsten Vorfechter deutscher Interessen in Ostafrika gezeigt hatte, den Engländern in jenen Gegenden im Wege. Ich mußte also beseitigt werden. Das war der erste Schritt zur Durchführung ihres Planes. Systematisch, wie sie in solchen Fällen immer vorzugehen pflegen, schmiedeten sie also eine Waffe, um meine Stellung zunächst in die Luft zu sprengen. Die beiden Hinrichtungen, von denen ich erzählt habe, die eines Negers und einer Negerin, welche[100] miteinander gar nichts zu tun hatten, wurden in eine einzige grelle Skandalangelegenheit verknüpft, und es wurde die Anschuldigung gegen mich von der englischen Mission in Moschi an das Gouvernement nach Daressalam geschickt, ich hätte willkürlich meinen Diener und eine Konkubine wegen geschlechtlicher Vergehungen aufhängen lassen.

Trotzdem in einer amtlichen Untersuchung, welche der Gouverneur von Soden auf meinen Wunsch im Sommer 1892 hatte anstellen lassen, die völlige Haltlosigkeit dieser Behauptungen aktenmäßig festgestellt wurde, trotzdem ich daraufhin mit einer neuen Expedition zur Regelung der deutsch-britischen Grenze zwischen Umbamündung und dem Kilimandscharogebiet ins Innere entsendet wurde, wobei es mir gelang, das schöne Bergland gegen englische Ansprüche für uns zu sichern, waren meine eigenen Landsleute doch noch nicht zufriedengestellt. Es wäre doch zu schön gewesen, wenn sie durch einen so plumpen Versuch wie den von der englischen Mission unternommenen einen erfolgreichen und deshalb sehr unbequemen Mitbewerber hätten dauernd beseitigen können, als daß sie ihn ohne weiteres hätten aufgeben mögen. 1893, nach Beendigung der Grenzregulierung, wurde ich nach Deutschland zurückgerufen und nach einem mehrmonatigen Besuch der Vereinigten Staaten von Nordamerika dem Auswärtigen Amt in Berlin zugeteilt. Auch diesmal kam es dem Dr. Kayser augenscheinlich nicht darauf an, etwa meine Kraft und meine Erfahrung der deutschen Kolonialpolitik zuzuwenden, sondern, wie es schien, nur, mich zu neutralisieren, möglichst unschädlich zu machen. Von allen praktischen Entscheidungen, ja auch nur Beratungen über die Entwicklung von Deutsch-Ostafrika wurde ich sorgfältig getrennt. Dafür wurde ich mit der ehrenvollen und äußerst wichtigen Aufgabe betraut, ein Buch über das ostafrikanische Schutzgebiet zu schreiben. Ich erinnere mich noch eines Morgens zu Beginn 1894, als ich aus Versehen in den Konferenzsaal des Auswärtigen Amtes[101] geriet, wo die Herren der Kolonialabteilung unter dem Vorsitz des Dr. Kayser gerade tagten, um über den Bau einer Eisenbahn zum Kilimandscharo zu beraten. Ich hatte mich zufällig in diesen Gegenden ein bis zwei Jahre aufgehalten und hätte ihnen auf Wunsch sagen können, wie es dort wirklich aussah, da keiner von ihnen meines Wissens jemals im Innern von Afrika gewesen war. Ein tiefes Stillschweigen, solange ich mich im Saal aufhielt, erst als ich wieder draußen war, setzten sie ihre Beratungen fort. Wenn ich drin geblieben wäre, hätten die Herren ja gar nicht offen sprechen können. Ich kannte die Verhältnisse, und man wäre Gefahr gelaufen, sich vor mir lächerlich zu machen. So machte man Anfang 1894 in der Wilhelmstraße Kolonialpolitik! Ich gewann sehr bald den Eindruck, daß man mich im Grunde dort gar nicht wünschte. Ich wußte ihnen zu viel, man konnte sich vor mir ja gar nicht unbefangen über wichtige Fragen aussprechen! Man mußte befürchten, daß ich innerlich über sie lache!

Im Mai 1894 ernannte mich der Kaiser zum etatsmäßigen Reichskommissar mit Pensionsberechtigung. Der verstorbene Generalfeldmarschall Graf von Moltke brachte mir persönlich die Urkunde in meine Wohnung in Berlin, v.d. Heydtstraße 1. In ihr war gesagt, der Kaiser ernenne mich in der Erwartung, daß ich fortfahren werde, meinen Amtspflichten auch fernerhin mit gleichem Eifer und gleicher Treue nachzukommen wie bisher. Wohl gemerkt, über meine Amtsführung 1891/92 am Kilimandscharo war dem Kaiser damals genauer Bericht erstattet, auch wurde ich während dieser ganzen Zeit regelmäßig zu Hofe eingeladen. Die Urkunde war von Caprivi gegengezeichnet. In ihr hatte ich also für meine ganze bisherige Tätigkeit eine Entlastung, wie sie sich deutlicher und feierlicher nach deutschem Recht nicht denken läßt.

Im Februar 1895 wurde ich von den Mittelparteien als Kandidat für den Reichstag im Wahlkreis WitzenhausenEschwege-Schmalkalden[102] aufgestellt. Bei dieser Gelegenheit hatte ich auch gegen einen sozialdemokratischen Mitbewerber zu fechten. Wohl, um seinen Genossen im Wahlkampf gegen mich zu unterstützen, brachte der sozialdemokratische Abgeordnete von Vollmar im Reichstag den alten, längst erledigten Klatsch vom Kilimandscharo gegen mich zur Sprache, den ich persönlich schon fast vergessen hatte. Dies veranlaßte mich zum zweitenmal, das Auswärtige Amt um eine abermalige Untersuchung und Klarstellung des Falles zu bitten. Diese wurde mir auch zuteil, und nach ihrer völlig zufriedenstellenden Beendigung bot mir der damalige Reichskanzler, Fürst Hohenlohe-Schillingsfürst, die Landeshauptmannschaft am Tanganjika mit erhöhtem Gehalt und voller Gerichtsbarkeit an. Ich habe sie nicht angetreten, nicht, weil ich der Regierung – etwa wegen irgendeines Makels vom Kilimandscharo her – nicht gepaßt hätte, sondern weil ich diesmal nicht wieder ohne klare Vollmachten bis ins einzelne ins Innere von Afrika gehen mochte, welche man mir nicht geben wollte. Zum zweiten Male sollte ich gewissermaßen mit verbundenen Augen auf meinen Posten abgehen, und das lehnte ich ab. Ich bat nun im November 1895 um meine Entlassung aus dem Reichsdienst. Da ließ sich der Kolonialdirektor Kayser meinen Freund Dr. Otto Arendt an sein Bett kommen und mich durch diesen dringend bitten, doch meinen »Fuß im Steigbügel«, wie er sich ausdrückte, zu behalten und mein Gesuch um Abschied in eine Bitte um »Zur Dispositionsstellung« umzuwandeln. Man habe eine anderweitige Verwendung für mich vor. Ich ließ mich hierauf ein, und somit blieb ich – worauf es wohl nur ankam – auch fernerhin der Disziplinargewalt des Auswärtigen Amtes unterstellt3.

Vom Herbst 1895 an hatte ich mich überzeugt, daß unsere Defensivstellung in Europa und über See eine Verstärkung[103] unserer Flotte dringend erheische; und vom Dezember an begann ich, für diesen Gedanken öffentlich zu werben. Wie bei meinem kolonialen Auftreten zu Anfang der achtziger Jahre wühlte ich dadurch einen wilden Haß der linken Parteien gegen mich auf. Man redete von den »uferlosen Flottenplänen von Dr. Peters« im Reichstage, und, wie in Deutschland üblich, kämpfte man nicht bloß sachlich, sondern mit persönlichen Schimpfereien und Verleumdungen in der feindlichen Presse. Ich brauche wohl heute kaum noch den Mann in der Straße zu fragen, wer 1895/96 im Recht gewesen ist mit seiner Auffassung von den Aufgaben der deutschen Flotte, ob ich oder die vielen »großen Politiker«, welche gegen mich anschrien. Indes machte meine Bewegung Fortschritte. Unter anderem gelang es mir, die deutsche Kolonialgesellschaft für den Gedanken zu erwärmen und zum Eintreten für denselben zu gewinnen. Der Vorsitzende der Abteilung Berlin der Kolonialgesellschaft war damals der Prinz Arenberg, der bekannte Zentrumsabgeordnete. Trotzdem der Hauptvorstand beschlossen hatte, meine Bewegung zu unterstützen, Prinz Arenberg also nach Recht und Sitte gebunden war, dies auch zu tun, trat er dennoch in verschiedenen Versammlungen öffentlich gegen mich auf und bekämpfte den Gedanken der Flottenvermehrung.

Im Februar 1896 war sein Amtsjahr als Vorsitzender abgelaufen, und er stellte sich in der Abteilung Berlin zur Wiederwahl, was eigentlich eine bloß formelle Angelegenheit war. Aber hier trat ich ihm wegen seiner Stellungnahme zur Flottenbewegung entgegen und stellte mich selbst zur Wahl. Ein heftiges Wortgefecht erhob sich, und dann kam die Abstimmung. Für mich waren 73 und für Prinz Arenberg nur 52 Wahlzettel abgegeben, ich war also gewählt.

Nun hatte die Pauke ein Loch. Durch die Behandlung Arenbergs fühlte sich das ganze Zentrum im Reichstag beleidigt. Die sämtlichen linken Parteien schrien nach Rache. Jetzt glaubte auch Direktor Kayser mit seinen Hintermännern[104] die Zeit gekommen, um einen vernichtenden Hieb gegen mich wagen zu können. Am 13. März fing die ganze Meute im Lande und im Reichstag gegen mich an zu kläffen. Zum drittenmal wurden die »Greueltaten« vom Kilimandscharo, da man keine andere Handhabe gegen mich hatte, aus dem Jahre 1891 herangeholt. Und zwar in englischer Verbrämung. Der Deutsche Reichstag schämte sich nicht, englische, amtlich zweimal widerlegte Lügen von neuem aufzutischen und in dreitägiger Redeschlacht dem gruselnden Philister im Lande vorzuführen.

Ich will mich bei der Erinnerung an diese elende Intrige nicht weiter erregen. Sie liegt hinter mir und hat auch in ihren Folgen heute weiter keine Bedeutung mehr. Herrn Bebel wurde das ganze Belastungsmaterial in die Hand gespielt, und in seiner kritiklosen Art untersuchte er gar nicht, wie weit dasselbe begründet sei, sondern legte einfach los. Den weiteren Gang der Angelegenheit leitete Freiherr Marschall von Bieberstein, der damalige Staatssekretär des Äußern, dem ich formell noch unterstand. Die Herren Kayser, Hellwig und ihresgleichen waren in diesem Fall wirklich nur vorgeschobene Statisten, und ich glaube es sehr wohl, daß z.B. Kayser die ihm zugeschobene Rolle nur sehr ungern spielte. Von meinen Freunden traten Graf Arnim-Muskau, Graf Mirbach-Sorquitten, Graf Schwerin, Graf von Limburg-Stirum u.a. wacker für mich ein. Rudolf von Bennigsen riet dem Reichstag, wenigstens mit seinem Urteil zurückzuhalten, bis die Anschuldigungen des Herrn Bebel auf ihren Tatbestand geprüft seien.

Herr Bebel hat bis zu seinem Totenbett niemals den Hintermann für seine Verleumdungen genannt. Im Reichstag, auf Befragen von Dr. Otto Arendt, hat er später nur geäußert, das Material sei ihm von einer hochstehenden Persönlichkeit zugestellt worden. Ob dies Herr von Marschall selbst war oder ein Mittelsmann, kann ich nicht sagen.

Insbesondere hatte Herr Bebel schon am 13. März öffentlich[105] erklärt, ich hätte einen Brief an einen gewissen Bischof Tucker geschrieben, in welchem ich zugegeben habe, die mir unterschobenen Schandtaten begangen zu haben, mich indes entschuldige, ich sei mit dem gehenkten schwarzen Weibe nach arabischem Gesetz verheiratet gewesen, habe also das Recht gehabt, sie und ihren Geliebten aufzuhängen. Dieser Brief sei in einer Londoner Missionszeitschrift abgedruckt und könne von ihm leicht beschafft werden. Diese Behauptung war um so täppischer, als ihre Unwahrheit schnell zu erweisen war. Von einem Bischof Tucker hatte ich bis damals überhaupt noch nichts gehört, geschweige denn mir einem solchen Briefe gewechselt. Auch hat derselbe bei seiner späteren Vernehmung eidlich bekundet, daß er mich gar nicht kenne und nie einen Brief von mir erhalten habe. Bebel selbst hat schließlich, ich glaube 1899, öffentlich im Reichstage ausgesagt, daß er mit seinen Anschuldigungen gegen mich »hereingefallen« sei, daß dieselben unwahr seien.

Daß der Deutsche Reichstag sich auf eine völlig aus der Luft gegriffene Lüge hin in lauten Deklamationen erging, zeugt von seiner großen staatsmännischen Würde und wird ihm wohl für alle Zeiten zur Schande für Mit- und Nachwelt gereichen. Die Herren wissen gar nicht, wie lächerlich sie sich damit auf der ganzen Erde gemacht haben.

Der deutschen Regierung aber kann man nicht den Vorwurf der Leichtgläubigkeit, sondern muß man den der Bosheit machen, wenn sie am 14. März 1896 öffentlich durch Direktor Kayser im Reichstag erklären ließ, alle Anschuldigungen gegen mich seien bereits wiederholt amtlich untersucht und als unbegründet befunden worden, nur die von Herrn Bebel gemeldete Tatsache, daß ich einen Brief bezeichneter Art an Bischof Tucker geschrieben habe, sei für sie neu, und sie werde den Ausgangspunkt einer nochmaligen Untersuchung gegen mich, also der dritten, bilden. So sprach nicht der »Gentleman«, sondern das hatte sich der ehemalige Staatsanwalt Herr von Marschall ausgeklügelt, und diese Kennzeichnung[106] trägt auch die ganze folgende Untersuchung an sich, ja, die Behandlung des ganzen »Falles Peters« bis zum heutigen Tage.

Wie das Ausland von vornherein über diesen »Fall Peters« gedacht hat, erfuhr ich bereits am Montag, dem 16. März 1896, als ein amerikanischer Freund in meine Wohnung zu mir kam und mir zu der ungeheuren Reklame Glück wünschte, welche ich im Deutschen Reichstag erfahren habe. Ein anderer Yankee sagte zu etwa gleicher Zeit zu einem Freunde von mir in New York: »That must have cost Dr. Peters a lot of money to keep the pot boiling for three days!« (»Das muß Dr. Peters einen Haufen Geld gekostet haben, den Topf drei Tage lang im Kochen zu halten!«) Er meinte, ich hätte den ganzen Deutschen Reichstag bestochen, damit er drei Tage lang sich mit mir beschäftige. Eine ähnliche Auffassung habe ich später in England, Frankreich, Italien, kurz in allen Ländern gefunden, wohin ich gekommen bin. Nichts hat meines Wissens das Ansehen des Reiches, ja des ganzen deutschen Volkes auf der Erde so herabgemindert, wie diese Ereiferungsszene gegen einen Einzelnen, der sich nicht einmal verteidigen konnte, drei Tage hindurch. Um diesen Stempel der Sache so recht hervortreten zu lassen, verbot mir die deutsche Regierung schon am 15. März 1896 durch Erlaß des Reichskanzlers, mich gegen die Flut von Lügen, Beschimpfungen und Verleumdungen, denen ich in der Presse wehrlos ausgesetzt war, öffentlich zu äußern. Man schien die Niedrigkeit und Unritterlichkeit deutscher Gesinnung so recht deutlich vor aller Welt abheben zu wollen. Das ist den Herren auch gelungen, und noch in diesem Weltkrieg fühlen wir die Rückwirkung ihres Benehmens.

Daß dieses Geschimpfe von allen Seiten, diese Gesinnung, welche meine Landsleute bewiesen, mein eigenes Selbstbewußtsein nicht eigentlich beirren konnte, liegt auf der Hand. Die Monate, welche den Lärmszenen im Deutschen[107] Reichstag folgten, gehören zu den glücklichsten meines ganzen Aufenthaltes in Deutschland. Ich hatte solche Niedrigkeit bei diesem Volke nicht erwartet, aber gerade das Übermaß machte meine Seele gewissermaßen immun gegen ihre Wirkung. Ich hatte ihnen immerhin ein Gebiet, doppelt so groß wie das Deutsche Reich erworben. Sie hatten das angenommen. Wenn sie darauf mit Gemeinheiten antworten wollten, so war das schließlich ihre eigene Sache, nicht meine.

Ich fühlte mich auch gar nicht »unmöglich« in Deutschland. Denn noch so viele Schimpfereien und Verleumdungen können schließlich nicht eine einzige Tatsache in dieser Welt entstehen oder vergehen lassen, und ich war nach dem 16. März 1896 durchaus kein anderer als vor dem 13ten.

Aber umgekehrt, ich hatte diese Gesellschaft jetzt satt. Sie waren für mich »unmöglich« geworden, und ich sehnte mich danach, endlich einmal in einer reinen Luft zu leben. Deshalb fuhr ich im Juli 1896 nach London zurück und tat das, was ich schon 1892 hätte tun sollen, sobald ich wahrnahm, daß man in der Wilhelmstraße nicht etwa eine ehrliche Mitarbeit haben, sondern mich durch allerhand Schliche und Gaunereien zum Hanswurst machen wollte. Ich habe dadurch, daß ich bis zum Juli 1896 wartete, fünf weitere Jahre meines Lebens verloren, freilich auch manches gelernt.

Der weitere Gang und Schluß des »Falles Peters« ist bekannt. Ich hatte meine Kiste, welche mein gesamtes Verteidigungsmaterial, unter andern die Briefe des Geheimrats Kayser, Herrn von Bülows, Bronsart von Schellendorffs enthielt, bei dem Bankhaus von der Heydt & Co. in der Behrenstraße in Berlin eingestellt. Diese Kiste ersuchte ich die Firma Anfang Oktober 1896 mir, hoch versichert, an meine Londoner Adresse zu schicken. Vom Lehrter Bahnhof, wohin sie zur Überführung nach London geschickt war, verschwand sie und wurde einige Tage später erbrochen unter einem Torbogen der Wilhelmstraße wieder aufgefunden. Das gesamte Verteidigungsmaterial, welches sie enthalten[108] hatte, war daraus verschwunden, während die Wertpapiere darin geblieben waren. Erst dann, im April 1897, eröffnete Herr von Marschall das Disziplinarverfahren gegen mich.

Man hat in Deutschland den Brustton der Biederkeit gegenüber der Dreyfuß-Angelegenheit in Paris angeschlagen. Ich rate meinen Landsleuten, einmal ehrlich den »Peters-Fall« mit der Dreyfuß-Angelegenheit in seinen Einzelheiten zu vergleichen, um festzustellen, auf welcher Seite die größere Gemeinheit vorhanden ist. Der »Peters-Fall« fing mit dem gefälschten Tuckerbrief an, und sein Gerichtsverfahren wurde durch den Diebstahl einer Aktenkiste eröffnet. Zum Überfluß war ich der Begründer der größten deutschen Kolonie, während Dreyfuß ein einfacher Hauptmann in der französischen Linie war. Ich weiß nicht, ob seine Brutalisierung an die Roheit meiner eigenen Behandlung heranreicht. Jedenfalls ist Hauptmann Dreyfuß, als durch ein objektives Gerichtsverfahren festgestellt war, daß man ihn des zur Last gelegten Aktendiebstahls nicht überführen konnte, in aller Form und mit allen Ehren in seine alte Dienststellung wieder eingeführt, während ich, nachdem ich von 1907 bis 1909 durch eine Reihe von Prozessen den Nachweis erbracht hatte, daß alle die Anschuldigungen, welche gegen mich aufgestellt waren, unwahr seien, bis auf den heutigen Tag keinerlei formelle Genugtuung erhalten habe. Noch immer besteht das Disziplinarurteil vom 15. November 1897!

Wer sich für den Fortgang und den Abschluß des Disziplinarverfahrens gegen mich interessiert, den verweise ich auf Dr. Julius Scharlach: »Zur Verteidigung von Dr. Carl Peters« (Berlin 1898, Hermann Walther), »Bebel oder Peters« von Wilhelm von Kardorff (Hamburg 1907, Rüsch'sche Verlagsbuchhandlung), Dr. Wilhelm Rosenthals Schrift: »Die Disziplinarurteile gegen den Reichskommissar a. D. Dr Carl Peters« (Hamburg 1907, Rüsch'sche Verlagsbuchhandlung), Fritz Behns vorzüglichen Aufsatz »Carl Peters. Ein deutsches[109] Schicksal« in Nr. 7 der »Süddeutschen Monatshefte« von 1917 (17. April 1917), und mein: »Mißbrauch der Amtsgewalt« (Berlin 1897, Walther und Apolant). Außerdem kommen meine Aufsätze über diese Angelegenheit in meinem Buch »Zur Weltpolitik« S. 350–383 in Betracht (»Ein Zwischenfall in der deutschen Kolonialpolitik«).

Es ist kaum nötig, die Einzelheiten hier noch einmal aufzuführen. Das Ergebnis war, daß ich wegen »Mißbrauch der Amtsgewalt« aus dem Reichsdienst entlassen wurde im April und November 1897. Im Kampf für eine der Gerechtigkeit entsprechende Genugtuung hat sich besonders der Reichstagsabgeordnete Dr. Otto Arendt bemüht, welcher immer und immer wieder auf die groben Rechtsverletzungen hingewiesen hat, welche bei dem Verfahren gegen mich vorgekommen sind. Auch der verstorbene Herr von Kardorff hat nichts unversucht gelassen, mir Gerechtigkeit in Deutschland zu verschaffen. Noch seine letzte Reichstags-Rede im Dezember 1906 beschäftigte sich mit meiner Person. Dabei sagte er etwa: »Die Schamröte tritt mir ins Gesicht, wenn ich an die Behandlung denke, welche wir Dr. Carl Peters in diesem Hause haben zuteil werden lassen.« Der Deutsche Kaiser gab mir 1905 auf dem Gnadenwege meinen Titel als Reichskommissar a. D. und Anfang 1914 die mir zustehende Pension als Beamter wieder. Auch sonst muß ich dankbar anerkennen, daß ein engerer und weiterer Kreis von Freunden in den ganzen Jahren seit 1896 treu zu mir gestanden und mich durch seine Teilnahme unterstützt hat, sowohl in der Presse, wie im vertrauten Kreise. Von 1913 ab wurde von einer Gruppe meiner Freunde für ein Denkmal gesammelt, welches man mir an dem Eingang des Hafens von Daressalam setzen wollte. Dies ist vom Bildhauer Karl Möbius in 11/2 facher Lebensgröße in künstlerischer Vollendung hergestellt und ging mit dem Dampfer der deutschen Ostafrikalinie »Feldmarschall« unmittelbar vor Ausbruch des Weltkrieges an seinen Bestimmungsort ab.[110] Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Das Modell steht noch in Berlin.

Ich habe häufig darüber nachgedacht, wie weit die Schuld an meiner eigenartigen Laufbahn in Deutschland bei mir selbst zu suchen ist. Sicherlich hat mir mein temperamentvolles und offenes Wesen manchen Gegner zugezogen. In den Formen, glaube ich, habe ich meine Mitmenschen selten verletzt. Dafür war die Ilfelder und die englische Erziehung schließlich maßgebend. Vor allem ist es stets ein Erfordernis meines persönlichen Stolzes gewesen, in meiner Dienststellung unbedingt die Schranken des einmal übernommenen Gehorsams einzuhalten. Aber ich glaube, daß meine angeborenen Eigenschaften, welche auf der anderen Seite die Grundlage aller meiner Erfolge gewesen sind, vor allem mein Trotz und die Heftigkeit meines Wollens meinem Einleben in die deutschen Verhältnisse im Wege gestanden haben. Daß die Leichtigkeit, mit welcher ich mir von je über Schwierigkeiten weggeholfen habe oder unerquickliche Lagen auf mich nahm, mir viel Neid in meiner Umgebung einbringen mußte, ist mir stets klar gewesen. Meine bittersten Feinde sind häufig die Mitstreber in der Kolonialpolitik gewesen, die vielen Geister, welche im Grunde dieselben Ziele verfolgten, wie ich selbst. Aber, um diesen Neid und den daraus folgenden Haß zu vermeiden, hätte ich schließlich meine ganze Natur und damit meine eigentlichste Lebenstätigkeit aufgeben müssen. Der ließ sich also schlechterdings nicht umgehn. Im allgemeinen habe ich auch heute noch in der Erinnerung das Bewußtsein, daß ich mich im wesentlichen stets in der Abwehr befunden habe. Wenn ich in Kampf mit einzelnen und ganzen Einrichtungen geraten bin, so ist das daher gekommen, weil ich nicht Ehrfurcht und Achtung heucheln wollte, wo ich sie nicht fühlte, und weil mir oft Schein und Formen, welche andern Deutschen ungeheuer wichtig dünken, eben wirklich keinen Eindruck machen konnten.[111]

Alle solche nachträglichen Betrachtungen haben nicht den geringsten praktischen Zweck. Könnte ich meinen Lebenslauf noch einmal einrichten, würde ich vielleicht manche Klippe des hinter mir liegenden vermeiden. Aber ich nehme nicht an, daß ich noch einmal als Sohn eines norddeutschen Pastors wieder auf die Welt kommen werde. Die nutzloseste Kraftvergeudung ist die Reue über Dinge, welche nicht mehr geändert werden können.

Wie die Sache verlief, wurde ich mit einundvierzig Jahren von meinem eigentlichen Lebenswerk getrennt. Dies ist ein Alter, in welchem manche Menschen ihre Haupttätigkeit erst vor sich haben. Ich liebte mein Lebenswerk, Deutsch-Ostafrika, leidenschaftlich, und würde sicherlich noch manches zu seiner gesunden Entwicklung haben beitragen können. Denn ich kenne die Gesetze des kolonialen Lebens und kolonialpolitischer Verwaltung. Aber es mußte alles so kommen, wie es gekommen ist. Wenn mich irgend etwas über das Elend irdischer Entwicklungen trösten kann, so ist es die feste Überzeugung von der vollen Notwendigkeit alles Geschehens. Die menschlichen Willensäußerungen sind ebenso notwendig bedingt, wie jeder andere Vorgang in der Natur, und uns bleibt nur übrig, den Schicksalsschlägen, wie sie auch sein mögen, Gleichmut der Seele und den Stolz des Ausharrens gegenüberzusetzen.[112]

1

Bei meiner Kilimandscharo-Tätigkeit war der Freiherr von Pechmann ein ehrlicher und offener Mensch, die eigentliche Vertrauensperson für meine Pläne.

2

Die Frage, ob die Lage am Kilimandscharo im Winter 1891–92 bedroht gewesen sei, ist eine wirkliche »querelle allemande«. Die Tatsache, daß Herr von Bülow, mein Nachfolger, dem ich sofort nach meinem Eintreffen an der Küste eine weitere Kompagnie der Schutztruppe als Verstärkung zugeschickt hatte, mit Leutnant Wolfrum, mehreren Weißen und einem großen Teil seiner Schwarzen im Juni 1892 von den Wamoschi niedergemacht wurde, genügt doch wohl, um die Gesinnung der Eingeborenen hinreichend zu kennzeichnen. Es ist einfach lächerlich, wenn ein Berliner Gerichtshof da vier Jahre später bei allen möglichen »Sachverständigen«, welche von den Verhältnissen am Kilimandscharo etwa so viel kannten, wie mein Hund von den Kanälen des Mars, und von dem selbst auch nicht ein einziger in Afrika gewesen war, durch Umfrage feststellen wollte, ob es 1891–92 am Kilimandscharo gefährlich oder gemuetlich gewesen sei. So etwa wird sich ein Disziplinarverfahren in Schöppenstedt abgespielt haben.

3

Siehe hierzu »Ein Meineid« von Dr. Otto Arendt. Hamburg, Rüsch'sche Verlagsbuchhandlung 1907.

Quelle:
Peters, Carl: Lebenserinnerungen. Hamburg 1918, S. 93-113.
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