[99] Den 10. Februar reiste ich nach München. Ich machte den 11. dem Herrn Grafen von Seeau meine Aufwartung.
»Herr Graf, meine Absicht ist nicht, mich jetzt hier bei Ihrem Theater zu engagieren. Auch könnte ich nicht, weil ich mich verbindlich gemacht, nach Innsbruck zu kommen, wenn das neue Theater zustande käme. Ich weiß aber, wie es bei dem Theater zugeht. Vielleicht ist es wieder nicht von Bestand. Ich wünschte also, hier drei Gastrollen zu spielen. Man kann nicht wissen, nach einigen Jahren, welche Veränderungen bei Ihrem Theater vorgehen. Nun, denke ich, werden Sie doch lieber heute oder morgen eine Person engagieren wollen, die Sie im voraus kennen, als eine andere, die Sie nicht kennen, und an die Sie Reisegeld und Vorschuß wagen müssen. Letzteren, hoffe ich, werde ich nie brauchen. Auch denken Sie nicht, Herr Graf, daß Sie mir für die drei Rollen, die ich spielen will, ein Geschenk machen sollen! Nein, ich weiß die Verdrießlichkeit, die Sie deswegen erst kürzlich gehabt. Ich verlange und nehme nichts. Auch ohne hier zu spielen, hatte ich mir vorgenommen, nach München zu reisen, weil es so nahe bei Augsburg ist, und ich die erste fremde Stadt, die ich in meiner Kindheit sah, wiedersehen wollte.«
Der Herr Graf versicherten mich seiner Hochachtung und sagte, wenn das mein Ernst wäre, sei er es zufrieden. Ich versicherte ihn, daß ich bei solchen Gelegenheiten immer sehr ernsthaft wäre, daß ich ihm auf Ehre versicherte, mich für jetzt nicht zu engagieren, noch engagieren zu wollen, daß aber eine Frau wie ich, die reell dächte, nur auf die Zukunft hinaus sähe, daß ich wünschte, nach einigen Jahren einen Ort zu finden, wo ich Hoffnung haben könnte, zeitlebens zu bleiben, daß München dafür bekannt sei und daß ich gegenwärtig auch gar kein anderes Interesse hätte als die Zukunft.[99]
Der Herr Graf sagte, daß ihm meine Art, zu denken, gefiele, und da ich nicht für gegenwärtig wolle engagiert sein, auch für meine Rollen zu spielen nichts haben wollte – denn er hätte es des letzten Verdrusses wegen verredet, keinen mehr spielen zu lassen, der nicht engagiert wäre –, so sollte ich drei Rollen spielen.
Nun wurden Komödienzettel geholt und Stücke ausgesucht. Endlich, nach vielem Hinundwiederdenken, wurde bestimmt: zum ersten die Gräfin Orsina in »Emilia Galotti«, als zweite Minna von Barnhelm, als dritte, mehr durch den Herrn Grafen wie durch mich die Juliane von Lindorak. Die Rollen, die ich spielen wollte, sollten aus folgenden ausgesucht werden: Gräfin Orsina, Braitfort, Cecilie im »Ehescheuen«, Franziska im »Schmuck«, die Baronin in der »Jeanetta«. Aber gegen alle waren Einwendungen, daß sie nicht einstudiert wären usw. Kurz, nur die drei benannten, dabei sollte es bleiben.
Ich war und konnte nicht anders, als mit der Aufnahme des Herrn Grafen zufrieden sein. Meiner Schuldigkeit gemäß, wollte ich nun auch den Damen meine Besuche abstatten. Einige waren artig, andern war's aber nicht gelegen, mich vor sich kommen zu lassen. Konnte sein, daß ich ungelegen kam, da ich mich nicht melden ließ. Wenn es aber nur nicht die Bedienten so gar plump gemacht hätten, wie bei Madame A. Nicht so bei Madame Urban. Sie war so ganz gerade, wie die Menschen, wenn ich Liebe und Freundschaft für sie fühlen soll, sein müssen. Die gute Frau!
Der Herr Graf hatten es an Ihro Kurfürstliche Durchlaucht gesagt, daß ich da wäre und spielen wollte. Und ohngeachtet, daß ich ein Jahr von Mannheim weg war, haben Ihro Durchlaucht sich doch noch meiner zu erinnern die Gnade gehabt und gesagt: »Ja, die hat die Braitfort in Mannheim recht gut gespielt, sonst aber recht wenig zu tun gehabt.«
Das sagte mir der Herr Graf selbst, und ich antwortete: »Das ist ja eine von den Rollen, die ich für die Juliane gern gespielt hätte.« »Ja, das habe ich nicht besetzt; ich will es aber doch einstudieren lassen.«[100]
Ich übergehe vieles mit Stillschweigen; nur daß man sogar Schwierigkeiten machte, daß kein Kleid für mich in der Garderobe wäre, denn sie trügen meist ihre eigenen Kleider. Ich hätte mich nicht unterstanden, von meinen paar Kleiderchens welche mitzunehmen. Und zudem wußte ich ja nicht, ob ich zum Spielen kommen würde, und welche Rollen. Ja, ich hatte nicht einmal mein Negligée, das ich zur Minna pflegte anzuziehen, bei mir, weil ich auf diese Rolle nicht gerechnet. Eine Freundin, die ich in Augsburg kennen lernte, Demois. Khaser, die in München bei einer Dame als Kammerfrau stand, wollte mich aus der Verlegenheit bringen und mir einen Morgenanzug von ihrer Herrschaft verschaffen. Sonst hätte ich des Umstandes wegen dem Herrn Grafen sagen müssen: »Ich kann die Minna nicht spielen.« Was wären meine Kleider gewesen auf solch einem großen Theater? Kurz, der Herr Graf mußte mit Ernst befehlen, und nun führte mich der Schneider nach der Garderobe. Hier war gewiß kein Mangel, eins schöner und prächtiger, als das andere. Die Wahl fiel schwer. Doch stand ich im Irrtum, weil sie sagten: »Wir tragen meist unsere Kleider,« daß die nicht zur Garderobe des Herrn Grafen gehörten. »Unter diesen möchte ich mir wohl aussuchen. Aber ich darf wohl nicht?«
Der Schneider: »Und warum nicht?« Sie können; sie gehören dem Herrn Grafen.« Ich: »Und doch sagte man mir, es wäre kein Kleid für mich da.« Der Schneider: »Oh, was sagen die nicht!« Ich suche also drei Kleider, zwei reiche und ein ganz einfach taftenes zur Juliane. Der Schneider: »Das zieht nur Mad. M. an.« Ich: »Oh, das muß mir passen, wie auf meinen Leib gemacht.« Ach, und war freilich auch mit ein unverzeihliches Verbrechen, daß das Kleid mir auf den Leib passen mußte.
Endlich und endlich, nach so vielen Schwierigkeiten, bei denen sich der Herr Graf nicht wenig geärgert, hieß es: Juliane von Lindorak. Ich sagte: »Herr Graf, das ist nicht die Abrede.« Aber, der Himmel weiß, wer nicht gesund werden wollte, daß »Emilia Galotti« nicht konnte gegeben werden. Der Herr Graf sagte: »Madame Kummerfeld wird sonst[101] zu lange hier aufgehalten.« Ich versicherte dem Herrn Grafen, daß ich, auch ohne zu spielen, nicht nur auf ein paar Tage nach München gekommen wäre. Und endlich sagten der Herr Graf ganz in dem Ton, der mir Zutrauen zu ihm geben mußte, indem er meine Hand fest drückte: »Spielen Sie nur die Juliane zuerst. Ich will Sie steigen lassen.« Was sollte ich tun? Gar nicht spielen, das wäre recht gewesen. Warum ich die Juliane nicht als die erste Rolle spielen wollte? Gleich meine Gründe! Warum die Minna nicht? Dieselben! Aber nach der Orsina konnte ich Minna und Juliane in München machen, das wußte ich.
Doch meine Gründe? Alle die Frauenzimmer, die in München waren, das wußte ich, waren zum Teil schön, ja, auch die nicht Schönen doch hübscher und jünger wie ich. Das schöne Mariengesicht, wovon ich schon in Hamburg gehört, war Mad. Neuhaus. Mithin wählte ich Rollen, die ich wählen mußte. Daß die Stücke nicht im Gang waren, war freilich weder des Herrn Grafen, noch meine Schuld. Und da bei dem Grafen auch die Wände Ohren hatten, so hatte man erfahren, wie ich mich gegen die Juliane gesperrt, und darum mußte die zuerst gegeben werden. Hätte der Herr Graf nicht mit dem Ton, nicht mit dem Gesicht gesagt: »Ich will Sie steigen lassen,« ich hätte gar nicht gespielt. Auch kann ich versichern, ich weiß es bis zu dieser Stunde nicht, wem die drei Rollen zugehört. Auch das Zeremoniell würde ich beobachtet und die Dame selbst darum angesprochen haben. Aber ich war zurückgescheucht durch das Betragen so mancher, und ich gehörte nicht zu denen, die sich so vor der Türe sollten abweisen lassen. Ich kam nicht hin, um eine Kollekte zu holen.
Madame Neuhaus mußte ich's nachsagen, daß sie die Rolle der Henriette einstudiert hat, eben keine Rolle, die eine Schauspielerin gern spielt. – Ich kam zur Probe; es war der 16. Februar. Mad. A.s Schuldigkeit wäre es gewesen, denke ich, zu sagen: Mad. Kummerfeld, Sie wollten mich besuchen; aber ich war nicht zu Hause, oder so etwas dergleichen. Sie sagte nichts, ich auch nichts. Doch daß sie Mad. A. war, sah ich am ersten Blick; denn sie spielte die[102] Königinnen. Frauenzimmer waren in der Garderobe, Madame Neuhaus, Mad. Urban nebst allen Tänzerinnen. Letztere gingen fort, um das Ballett zu probieren. Da wir Schauspielerinnen nur noch da waren, sagte ich zu Mad. A.: »Ich glaube wohl, ich habe die Ehre, in Ihnen Mad. A. zu sehen? Entschuldigen Sie mich, daß ich Ihnen nicht eher mein Kompliment gemacht. Aber ich hielt Sie für eine von den Figurantinnen oder Tänzerinnen. Daß ich bei Ihnen im Hause gewesen, hoffe ich, wird man Ihnen gesagt haben.« Mad. A. stand da, fühlte, was ich sagte, aber wußte nicht, was sie antworten sollte. Und ich bemitleidete sie. Sie murmelte eine Art von Entschuldigung, wovon ich kein Wort verstand. Aber es dauerte nicht lange, so sagte sie recht mit allem möglichen Königspielerstolz, daß sie krank wäre, lieber sich zu Bett legte; aber wenn dann jemand käme und spielen wollte, so hieße es dann gleich, es wäre Verstellung: »denn ich habe eine Blatter auf der Zunge; ich weiß nicht, ob ich heute werde sprechen können.« Ich wendete mich zu Madame Urban und sagte etwas über die Blatter. Mad. A. hat es wiedererfahren, was mir denn recht lieb war.
Ich spielte, und an der Stille, wenn ich sprach, und an dem lauten Beifall, den ich hatte, wenn ich abging, merkte man nicht, daß ich mißfallen, auch nicht an den Tränen, die ich mancher Dame in den Logen und im Parterre durch mein Spiel entlockte. Ich habe gespielt, und würde noch besser gespielt haben, wenn mein Hals ganz gesund und ich nicht etwas heiser gewesen wäre, so daß ich nicht alle Töne so in meiner Macht hatte, wie dann, wenn ich ganz wohl war.
Mit Mad. Urban wollte ich auch wieder nach Hause fahren. Im Weggehen begegnete mir bei dem Logengang ein Kavalier. Dieser sagte: »Ha! Madame Kummerfeld! Brav; recht brav! Wir sehen Sie doch noch öfter spielen?« »Ich hoffe es.« »Wie gesagt, wir waren alle recht sehr zufrieden. Gute Nacht!« Und damit war derselbe fort. Madame Urban: »Nun gratuliere ich Ihnen. Nun haben Sie gewonnen Spiel. Das war der Prinz N.N.« Ich: »Der Prinz?! Ich wußte es nicht.« Mad. Urban: »Ja, auf den kommt viel an. Hätten Sie ihm nicht gefallen, so hätte er[103] kein Wort zu Ihnen gesagt, wäre stillschweigend an Ihnen vorbei gegangen. Denn ich kenne ihn.«
Ich ließ mich bei keinem von der Gesellschaft sehen, als bei Madame Urban. Den Herren Grafen hatte ich die Ehre, in der Musikalischen Akademie zu sprechen, wohin mich Madame Urban mitgenommen, und der Herr Graf war sehr wohl mit mir zufrieden, wir sprachen über manches.
Dreimal hatte man »Minna von Barnhelm« abgewandt – sie wurde nicht gegeben. So lange haben sie gearbeitet, bis sie endlich durchgedrungen, daß ich nicht wieder zum Spielen kam. Und die Ursache wurde auf eben den Prinzen geschoben; diesem hätte ich mißfallen.
Ich wollte dem Herrn Grafen meinen zweiten und letzten Besuch machen, aber ich kam nicht vor. An seiner Stelle hätte ich mich auch nicht sprechen lassen. Aber seine Schwester hatte ich die Ehre, durch Madame Urban zu sprechen. Eine vortreffliche Dame. Ich leugne nicht, daß ich weinte über die Bosheit der Menschen. Die Gräfin von Seeau sagte zu mir: »Sie haben gefallen, das weiß ich. Denn hätten Sie nicht gefallen, so hätten sie es Ihnen gemacht, wie der –«, sie nannte mir eine Schauspielerin, deren Namen ich vergessen. »Die mußte mein Bruder öfter spielen lassen, damit sie sie auslachen konnten.« Ich wünschte und hoffte, daß die gnädige Gräfin jedes Wort ihrem Herrn Bruder wieder sagen würde; denn ich sprach scharf der Sache gemäß und sagte gerade heraus, daß man den Herrn Grafen neckte, und die gnädige Gräfin konnte nicht »Nein« sagen.
Was haben sie nun alle davon gehabt? Ich blieb ja nicht und wollte nicht bleiben. Ich hätte sie alle ausstechen wollen? Wie lächerlich! Wann kam je so ein Gedanke in meinen Sinn? Hatten sie nicht alle ihre Verdienste? Konnte ich sie um ihr festes Engagement bringen? Hatten sie nicht alle ihr Brot? Oh, die Gräfin hatte recht. Sie sagte: »Nein, Madame, es ist gut, daß sie nicht mehr unter diesen Leuten spielen; sie wären imstande gewesen, es anzustellen, daß man Sie auspfiff oder so etwas, und wer weiß, was mein Bruder gemerkt hat und Sie eben deswegen nicht mehr spielen lassen will und Ihnen sein Wort nicht hält.« »Da[104] haben Sie recht, gnädige Gräfin, und das ist ihnen nicht gelungen, weil sie sich vielleicht nicht eher daraus besannen. Nein, so ist es besser. Und sie sollen sehen, daß ich nicht einen Tag früher wegreise, als ich mir vorgenommen habe. Denn es geht nicht so bald nach Innsbruck. Bin nicht hergekommen, um mir von dem Herrn Grafen einige Louisd'or zu erbetteln. Sagen Sie ja alles wieder, gnädige Gräfin! Und wer sich durch meine Reden zu nahe getreten glaubt, der frage mich selbst; denn ich bleibe noch hier.«
Freilich, die Art und Weise, wie ich mit dem Herrn Grafen von Seeau gesprochen, mußte befremden, und hätte ich nur die Geschichte des Herrn L. beherzigt, die er mir in Augsburg erzählt, so hätte ich mich gar nicht sehnen können, in München Gastrollen zu spielen. Aber hier lag der Fall so: ich wollte mich nicht engagieren, und Herr L. hatte sich engagiert. Hätten sie sich freundschaftlicher auch nur dem Schein nach gegen mich betragen, und ich hätte nicht gefallen, ich würde es ebenso aufrichtig gesagt haben. Manchem verdienstvollen Schauspieler ist das begegnet. Herr Boeck und Herr Borchers haben an vielen Orten gespielt, wo man sie ihren Verdiensten gemäß schätzte, und an einem oder ein paar andern Orten fielen sie durch. Selbst Herr Schröder hat in München, wie ich gehört, nicht in allen Rollen gleich gefallen. Auch Mad. A., die nach der Zeit in Wien ein paar Gastrollen gespielt haben soll, wäre dort durchgefallen und hätte gar nicht gefallen. Das sind mögliche Fälle und hängt von Umständen ab. Aber in München machten sie es zu plump, und ich will wünschen, daß sie da alle leben und sterben, damit ihnen nicht anderwärts mit dem Maß gemessen werde, womit sie andere messen.
Noch ehe ich die Rolle in München gespielt, bekam ich Briefe von Herrn von Very aus Augsburg, worin er mir schrieb, daß Herr von Wibmer in München mit ihm in Kompagnie getreten. Und sonderbar, eben dieser Herr von Wibmer, nachdem er mich nur das eine Mal in München spielen gesehen, den 16. Februar, brachte mir den 17. den Kontrakt zum Unterschreiben, auf ein Jahr, nach Innsbruck, mit 12 Kaisergulden die Woche Gage und an die Stelle der ersten[105] Rollen. (Dieses wußte ich, aber freilich die Münchener Schauspieler nicht.) Herr von Wibmer eilte und sagte: »Ich wünsche nicht, Sie zu verlieren. Man möchte Sie mir sonst hier behalten. Wenn Sie den Kontrakt unterschrieben haben, bin ich sicher.« Ich: »Oh, das hat keine Not. Aber auch ohne Kontrakt wären Sie es. Denn H. von Very hat mein Wort. Mir dürfte der Herr Graf v. Seeau 24 Gulden bieten die Woche, ich nehme die 12 und reise mit Ihnen und Herrn v. Very nach Innsbruck. Für was oder warum strapazierten Sie sich.« Ich weiß es wohl, die Münchener dachten, ich wäre eine Komödiantin.
Ich ließ es mir in München recht wohl gefallen, war mit Herrn v. Wibmer in Gesellschaft und auf einem Ball und Souper, sah Schloß und Bildergalerie, die reiche Kapelle, die Kirchen usf. Kurz, für Geld und gute Worte kam man überall hin. Denn trotz der 88 Gulden, die ich in Augsburg bei der Seippschen Direktion verloren, ohne die letzten Wochen, die ich nicht mitgespielt, stand sich meine Kasse doch nicht schlimm. Ich lebte und wohnte in Innsbruck wie in Augsburg für ein Spottgeld, war keinem Menschen mehr was schuldig. Ich konnte also mit Recht zu mir sagen: den Rock, das Hemd, das du trägst, hast du dir nach deines Mannes Tode selbst verdient. Gott sei Dank! Niemand was schuldig!
Den 28. Februar reiste ich von München weg und kam den Abend in Augsburg wieder an. Die ganze Gesellschaft war fort bis auf Mad. Paartl und H. Betge, die mit nach Innsbruck gingen. Sie hatten für den Herrn v. Very die Garderobe besorgt; diese war hübsch, und er hatte alles hergegeben und bezahlt.
Ich war einmal in Gesellschaft, und da sagte ich, mir wär's unbegreiflich, warum, nachdem wir bei Herrn Seipp so viele Stücke gegeben, die doch so sehr, so allgemein gefallen, doch keine Leute gekommen sind. Zum Beispiel: »Henriette, oder sie ist schon verheiratet«, von dem so viele gesagt, in München hätten sie es aufführen sehen, wo es bei weitem gegen unsere »Henriette« hätte zurückstehen müssen, die Zuschauer hier sind nicht aus dem Applaudieren gekommen,[106] Herr Seipp und alle Schauspieler wurden angeredet, wie vortrefflich wir alle gespielt, sollten es doch ja bald wieder geben; wir haben uns so innig darüber gefreut: endlich doch einmal wieder »ein Zugstück« – wir geben es, und wieviel war über die Unkosten mehr? »Ja, das wollen wir Ihnen sagen. Hier in Augsburg ist man gewohnt, daß der Prinzipal oder die Prinzipalin selbst die Komödienzettel in die Häuser der Vornehmen bringen und solche invitieren. Aber Mad. und H. Seipp ließen sich nirgends sehen, und da hielt man sie für stolz. Alle Prinzipale und Prinzipalinnen, die sonst hier waren, haben das getan.« O schade, daß ich das nicht gewußt habe. Die gute Seipp war zu sehr Hausmutter, konnte nicht von ihren kleinen Kindern, und er – konnte das gar nicht. Aber hätte ich das nur vor 6 oder 7 Monaten gewußt. Zettel hätte ich nicht gebracht, aber, weiß Gott, um das Ganze zu erhalten, hätte ich mich in einen Wagen gesetzt, wäre herumgefahren und hätte invitiert in die Komödie. Das hätte mir viel Freude machen sollen. Wer hätte das denken können? Das war die Ursache, daß die Gesellschaft mußte auseinandergehen.
Buchempfehlung
Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik
78 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro