Der Bellomosche Direkteur.

[141] Den 5. Oktober gaben wir das erste Stück in Weimar: »Verbrechen und Ehrsucht«, und es gefiel. Es wurden noch einige Stücke gegeben, die auch nicht mißfielen; man hatte Geduld und nahm den Willen für die Tat. Den 4. November wurde mir Herr Bellomo anschaulicher.

In der schon in Eisenach gegebenen Oper »Der lahme Husar« hat sie eine Statistenrolle. Versehentlich wird sie zur Probe geladen. Auf ein höfliches Billett an Bellomo bekommt sie zur Antwort, von der Probenansage wisse er nichts. Zu klagen habe er auch nie über sie gehabt, als nur das eine Mal, wo sie ihre Schuhe mit Fleiß zerrissen habe. Dabei hat man in der Garderobe gesehen, wie ihre Zehen aus den Schuhen standen. Ja, sie soll sich soviel vergeben haben, der Schustersfrau einen Wink zu geben. Tatsächlich wäre sie Herrn Regglen, der brav tanzte und Ballette machte, so gern gefällig gewesen. Die zerrissenen Schuhe hing sie sich zum Andenken an der Wand auf.[141]

Hatten wir ein und das andere Stück gegeben, das gefallen, so war's nicht möglich, daß es Herr Bellomo lassen konnte, er mußte eins von seinen Lieblingsstücken mit einmengen, seinen »Jost von Bremen« unter anderen. Da konnte er in der Kulisse lachen, daß er sich den Bauch hielt und die Tränen ihm über die Backen liefen, besonders wenn der Jost den Hering in den Kaffee titschte und verzehrte, die Szene des Uebelwerdens so natürlich spielte, daß mir in Eisenach im Parterre angst wurde, ich würde in natura das tun, was er pro forma darstellen mußte, keinen Blick mehr aufs Theater wandte, wie das Stück aus war, aufs Theater zu Herrn Bellomo kam und sagte: »Um Gottes willen, Herr Bellomo, was ist das für ein infames Stück! Das gehört auf den Zahnarztenstand, nicht aber auf ein regelmäßiges Theater.« Er sagte zu mir: »Still, sagen Sie das ja nicht laut! Es ist dem Herzog und dem Hof in Weimar sein Lieblingsstück.« »Das?? Unmöglich!« Er behauptete es.

In Weimar erkundigte ich mich. Und so ist der Zusammenhang: Wie Herr Bellomo den ersten Winter in Weimar war, vergriff er sich einige Male an Stücken, besonders Trauerspielen. Weil die nun gar nicht anzusehen waren, so hieß es, er möchte bei seinen »Trunkenbolden in der Hölle«, »Eingebildeten Philosophen«, »Lahmen Husaren«, »Jost von Bremen« usw. bleiben. Das ist: »Schuster, bleib' bei deinen Leisten.« Das war aber dem Mann zu hoch, zu fein, zu unverständlich, weil es höflich und verblümt gesagt wurde, und glaubte daher: Das ist vortrefflich! Weimar hat auch deinen Geschmack! – Ich bekam eine Rolle zugeschickt, wo unten der Name »Mad. Ackermann« weggestrichen und der meinige dafür hingeschrieben war. Die Rolle war nicht neu geschrieben, daß es ein Versehen hätte können gewesen sein. Das Stück hieß: »Besuch nach dem Tode«, die Rolle: Louisens Geist. – Ich las die Rolle durch und dachte: was ist denn das wieder? Der erste Auftritt! Aber der zweite! Das Stück konnte ich nicht bekommen, und Leseprobe war auch nicht. Die Rollen waren ja nicht neu geschrieben. Ich dachte, ohngeachtet ich es nicht in der Rolle merken konnte, gewiß, es[142] entwickelt sich das zuletzt so, daß du keinen wirklichen Geist vorstellst, sondern daß das alles eine Verstellung ist. Ich sagte nichts, wanderte zeitig zur Probe, nahm einen Stuhl und setzte mich so zu dem Souffleur, daß ich auch nicht ein Wort, nicht einen Gedanken von dem Stück verlieren konnte. Die Probe war aus, ich nach Hause. Wie? Das ist ein Stück zum Lesen, oder als Roman und Geschichte, nicht aber aufs Theater. Wieder ein Bellomoscher Findling, den er mit väterlicher Zärtlichkeit auf- und angenommen. Darum also mein Name! Selbst Mad. Ackermann liebt das Bellomosche Kind nicht mehr. Du sollst dich damit beschleppen. Warte! Heute wird in dem zweiten Aufzug, den du hast, gewiß gepfiffen. Dann hörst du auf, Louisens Geist zu sein, schlägst deinen Schleier zurück und bist Kummerfeld.

Sie hätte dann mitgeteilt, daß sich in Dresden und in dem Bade dort angesehene Personen das Stück verbeten hätten, und daß Bellomo auch von dem Autor ersucht worden sei, von weiteren Aufführungen dieses nur zum Lesen bestimmten Stückes abzusehen. Es sei zudem Weimars unwürdig; der Mißerfolg aber werde von ihren Neidern auf ihre Rechnung gesetzt werden. – Aber man pfiff nicht, sondern lachte nur.

Denselben Abend kam Herr Neumann zur Gesellschaft. Nur einmal habe ich ihn in Bonn spielen sehen, um Achtung für den Mann zu haben. Er spielte den Karl Moor in den Räubern mit allgemeinem Beifall. Dem Himmel sei Dank! Nun hoffte ich, werden bessere Stücke kommen. – Wenn Herr Bellomo nun auch eins nahm, aber er konnte es nicht lassen und mußte was von seinem Unsinn hineinbringen. Hier etwas von ihm, und die ganze Theaterwelt erstaune, daß der Mann Direkteur sein wollte.

Der »Argwöhnische Ehemann« wurde zum ersten Male hier gegeben. Wer kennt das Stück nicht? Ich lese den Zettel und finde unter den Personen statt Käthchen – Heinrich ... Monsieur Herr (ein Knabe von 11 oder 12 Jahren, den Herr Frankenberg bei sich hatte). Ist der Mann ganz von Sinnen? Der Junge soll die Rolle spielen? Heinrich anstatt Käthchen? Ich komme zur Probe. Herr und Madame Frankenberg setzten sich dagegen, daß der Knabe Monsieur Herr als Knabe[143] die Rolle spielen könne. Er sollte. – Der Spektakel war arg unter den drei Leuten. Aber Herr Bellomo wollte als Direkteur recht haben. Er blieb dabei, und ich sagte noch nichts.

Wir kamen den Abend aufs Theater. Madame Frankenberg hatte die Minette zu spielen. Noch wußte ich nicht, ob es so bleiben sollte oder nicht. Ich konnte nun nicht länger stillschweigen, ich mußte sagen: »Solch ein Auftritt ist noch in keinem Stück gewesen. Der erste Akt in der ›Kindermörderin‹ ist arg, aber der heutige ist gar † † †. Ei, pfui Teufel!« Daß es mag brühwarm übergetragen worden sein, daran war nicht zu zweifeln, und darum sagte ich's, weil die es hätten verhindern können, daß sich der Mann nicht so ganz bloß gegeben.

Madame Frankenberg blieb bei ihrem Wort: »Unser Junge soll die Rolle nicht spielen,« und hielt es redlich. Sie zog über ihr Minetten-Kleid einen andern Rock, nahm eine Saloppe um und spielte die Rolle selbst. So wurde die Ehre des Stücks gerettet, das niemals noch in Weimar war gegeben worden. Waren denn sonst keine Frauenzimmer da, die die Rolle übernehmen konnten? Auch die Frage kann ich mit »Ja« beantworten. Madame Bellomo war da. Die hätte sie spielen können und würde sie auch ohne Widerrede gespielt haben; denn sie war eine verträgliche Frau.

Dies sei nun genug gesagt von der Bellomoschen Direktion! Man wird vielleicht denken, wie es möglich gewesen, bei so einem Mann zu bleiben. Auch darauf kann ich antworten. Weimar war zu sehr für Schauspiel eingenommen. Ich und vielleicht viele mit mir, dachten: Vielleicht wird ihm ein Damm gelegt, ihm seiner Frau wegen nicht ganz der Abschied gegeben, nur die Oberherrschaft genommen, so daß wir noch ganz in Weimarischen Sold kommen können und ihm selbst ein Vormund gesetzt würde, ohne dessen Zulassung er keinen albernen Streich spielen kann. Das hoffte ich.

Quelle:
Schulze-Kummerfeld, Karoline: Lebenserinnerungen. Berlin 1915, S. 141-144.
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