Frankfurt

[47] 1817–1819


In Frankfurt wurde ich von den Aktionären des Theaters wie auch von sämtlichem Theater- und Orchesterpersonal auf das freundlichste empfangen. Man gab mir zu Ehren ein Festessen im Saal des »Weidenbusches«, bei welchem die üblichen Toaste und herkömmlichen Reden nicht fehlten. Das Orchester, welches sich unter der vorzüglichen Leitung seines bisherigen Direktors, des Herrn Schmitt, den Ruf eines der besten Deutschlands erworben hatte, fand ich durch die lange Krankheit desselben ein wenig verwildert. Da man mir aber in meinen Anordnungen willfährig entgegen kam und sich an meine Art zu dirigieren bald gewöhnte, so wurde das frühere gute Ensemble in kurzer Zeit wiedergewonnen. Mein Vorgänger hatte mit der Geige dirigiert, und auf den Wunsch der Sänger begann ich auch in derselben Weise, indem ich mit dem Bogen taktierte und die Geige zur Hand hatte, um denselben nötigenfalls einhelfen zu können. Doch bald gewöhnte ich sie an solch genaues Einüben ihrer Partien, daß eine derartige Hilfe nicht mehr nötig war. Nun legte ich die Geige weg und taktierte auf französische Weise mit dem Stäbchen.

Der Geschäftsgang bei der Frankfurter Bühne war damals der, daß das von den Aktionären erwählte Direktorium wöchentlich einmal mit den technischen Direktoren (Herr Ihlée für das Schauspiel, ich für die Oper) zu einer Sitzung zusammenkam, in welcher das Repertoire entworfen und alle die Verwaltung betreffenden Gegenstände besprochen wurden. Der Präses dieses Direktoriums war der Kaufmann Herr Leerse, der sich in dem Amte gefiel und daher Sorge trug, immer wieder gewählt zu werden. Er hatte sich durch die Länge der Zeit einige Routine in der Verwaltung des Theaters erworben und sprach daher gewöhnlich[48] in sehr entscheidendem Tone. Sein ganzes Bestreben war auf Ersparnisse gerichtet, um das jährlich wiederkehrende Defizit von 14 bis 17000 Gulden, das die Aktionäre decken mußten, zu beseitigen. Ihm waren daher die wohlfeilsten Sänger, Schauspieler und Musiker zum Engagement die liebsten, und bei der Wahl der aufzuführenden Opern und Schauspiele entschied er sich stets für die, für welche das geringste Honorar gefordert wurde. Auch Ihlée und ich hatten ein Interesse, das fatale Defizit wegzuschaffen, da uns ein Anteil am Überschuß kontraktlich zugesichert war; wir glaubten aber, daß dies weit sicherer erreicht werden würde, wenn man das Kunstinstitut durch Engagement ausgezeichneter Talente und durch die Aufführung klassischer Werke zu heben suche. Wir waren daher häufig in Opposition mit Herrn Leerse und dessen Kollegen, und nur einer derselben, Herr Georg Brentano, trat unsrer Ansicht bei. Doch wußte er ihr nur selten den Sieg zu verschaffen, da er sie in der Regel nur mit leicht hingeworfenen Witzen und Sarkasmen zu verteidigen pflegte. Die Animosität, die sich durch diese Meinungsverschiedenheit zwischen mir und Herrn Leerse erzeugte, wurde jedoch erst in späterer Zeit bemerklich, denn anfangs vertrugen wir uns ganz gut. Es wurde mir daher auch nicht schwer, die Zustimmung des Direktoriums zur Annahme und Aufführung meiner Oper »Faust« zu erlangen. Ich war sehr begierig, dieses Werk, das ich schon vor fünf Jahren in Wien geschrieben hatte, nun endlich einmal zu hören, und beeilte daher die Voranstalten nach Möglichkeit. Da unter dem Personale kein Baritonist war, der die Partie des Faust genügend geben konnte, so war ich genötigt, sie dem ersten Tenor, Herrn Schelble (später Gründer und Direktor des Cäcilienvereins), zuzuteilen, der in seinem Mezzotenore den nötigen Umfang sowie auch die für die Partie erforderliche Kehlfertigkeit besaß. Nachdem die Proben bereits begonnen hatten, sprach Schelble den Wunsch aus, daß ich ihm noch eine Arie, die dankbarer als die in der Oper vorhandene sei und ihm ganz in der Stimme liege, schreiben möchte. Da sich gleich nach dem Anfangsduett ein passender Platz dafür fand und Herr Georg Döring (Oboist des Orchesters und später beliebter Romandichter) dazu einen mir zusagenden Text lieferte, so erfüllte ich diesen Wunsch sehr gern. Diese Arie »Liebe ist die zarte Blüte«, welche später so oft in Konzerten und von Pischek in London unzählige Male gesungen wurde, ist daher das erste, was ich in Frankfurt komponierte. Unterdessen war das Einüben der Oper so weit gediehen, daß sie im März zum ersten Male gegeben werden konnte. Sie gefiel anfangs dem großen Haufen zwar weniger als den Kennern, gewann[49] aber mit jeder Aufführung mehr Publikum, so daß sie seit jener Zeit fast fortwährend auf dem Repertoire der Frankfurter Bühne geblieben ist und immer nach kurzen Zwischenräumen von neuem einstudiert wurde.

Dieser Erfolg ermunterte mich zu neuen dramatischen Arbeiten. Ich sah mich daher nach einem Stoffe zu einer solchen Arbeit um und fand einen mir zusagenden im Gespensterbuche von Apel in der Erzählung: »Der schwarze Jäger«. Döring, mit dem ich mich deshalb besprach, erbot sich zu der Bearbeitung als Oper. Wir entwarfen gemeinschaftlich ein Szenarium, das sich von der Bearbeitung Kinds, die uns damals noch unbekannt war, hauptsächlich dadurch unterschied, daß der tragische Schluß der Erzählung beibehalten wurde. Sobald Döring die ersten Szenen bearbeitet hatte, machte ich mich auch sogleich an die Kompositon. Schon war die Introduktion größtenteils in der Skizze vollendet, als die berühmte tragische Schauspielerin Madame Schröder und ihre Tochter, die später noch berühmter gewordene Schröder-Devrient, nach Frankfurt zu Gastspielen kamen und bei ihrem Besuche diese angefangene Arbeit auf dem Klaviere liegen sahen. Sie erzählten mir, daß C.M. von Weber denselben Stoff als Oper komponiere und bereits den ersten Akt vollendet hätte. Dies veranlaßte mich, meine Arbeit liegen zu lassen, da ich befürchten mußte, Weber würde weit früher als ich mit seiner Oper hervortreten. Dies wäre jedoch, wie sich später zeigte, nicht der Fall gewesen; denn der »Freischütz« wurde erst im Jahre 1820 bekannt und meine fast ein Jahr später begonnene Oper »Zemire und Azor« bereits am 4. April 1819 zum erstenmal gegeben. Indessen habe ich es nie bereut, den Apelschen Stoff aufgegeben zu haben; denn mit meiner Musik, die nicht geeignet ist, ins Volk zu dringen und den großen Haufen zu enthusiasmieren, würde ich nie den beispiellosen Erfolg gehabt haben, den »der Freischütz« fand.

Da ich mich nun erst wieder von neuem nach einem Opernbuche umsehen mußte, so begann ich unterdessen Quartetten zu schreiben. Die nächste Veranlassung dazu war eine Aufforderung der Freunde dieser Musikgattung, öffentliche Quartettaufführungen zu veranstalten, die bis dahin in Frankfurt noch nicht existiert hatten. Ich wünschte, dabei neue Kompositionen vorführen zu können, und schrieb deshalb im Laufe des Sommers die drei Quartetten Op. 45. Als ich das erste derselben in einer Musiksoiree bei Herrn Schelble vortrug, war auch Jean Paul unter den Zuhörern. Er schien sich sehr für die neue Komposition zu interessieren und legte ihr eine höchst poetische Deutung unter, an[50] die ich bei der Arbeit zwar nicht gedacht hatte, welche mir aber als sehr treffend bei jeder spätern Vorführung des Quartetts wieder in Erinnerung gekommen ist.

Am 29. Juli 1818 vermehrte sich meine Familie wieder um ein Töchterchen, welches den Namen Therese von ihrer Pate, der Frau Thomae in Kleve, erhielt und von meinem Freund Speyer über die Taufe gehalten wurde. Dorette fühlte sich nun sehr glücklich, einen festen Wohnsitz zu haben, um sich ganz der Pflege des neuen Ankömmlings widmen zu können.

Im Herbste begann der erste Zyklus der öffentlichen Quartetten im kleinen Saale des »Roten Hauses«. Die Mitwirkenden waren bei der zweiten Violine Herr Konzertmeister Hoffmann, bei der Viola Herr Bayer und beim Violoncell Herr Hasemann, damals Baßposaunist im Orchester, später erster Violoncellist der Kasseler Kapelle. Ich trug Quartetten von Haydn, Mozart, Beethoven und eigne vor und übte sie vorher sorgfältigst in zwei Proben ein. Sie machten daher durch die Genauigkeit ihrer Ausführung große Sensation und fanden so viel Beifall, daß im Laufe des Winters noch ein zweiter Zyklus veranstaltet werden konnte.

Im September 1818 begann ich auch die Komposition der neuen Oper. Herr Ihlée hatte mir dazu den Text der ehemals sehr beliebten Oper »La belle et la bête« von Grétry vorgeschlagen. Da diese damals schon ganz vom deutschen Repertoire verschwunden und der jüngern Generation unbekannt war, so ging ich gern auf den Vorschlag ein. Denn ich hatte von frühester Jugend an eine Vorliebe für dieses Märchen und erinnerte mich auch noch einer Arie aus der Grétryschen Oper, die der Zemire mit dem Echo, die ich als Knabe oft von meiner Mutter gehört und auch selbst gesungen hatte. Herr Ihlée erbot sich, den Text in die Form der modernen Oper umzugestalten, was er auch, als sehr bühnenkundig, zu meiner vollen Zufriedenheit ausführte. – Damals wurde die Rossinische Musik zuerst in Deutschland bekannt, und besonders war es der »Tancred«, der in Frankfurt einen wahren Beifallssturm erregte. Fast in jeder Theatersitzung mußte ich von Herrn Leerse die Worte hören: »Das ist eine Oper, die das Publikum anzieht! Solche müssen Sie uns mehr in Szene setzen!« – Sowenig ich nun auch ein Verehrer der Rossinischen Musik war, wie die scharfe Kritik derselben in dem Tagebuche der ita lienischen Reise zeigt, so blieb doch der Beifall, den »Tancred« in Frankfurt fand, nicht ganz ohne Einfluß auf den Stil meiner neuen Oper. Dazu kam, daß ich über vier Sänger (Demoiselle Friedel, die Schwestern Campagnoli und Herrn Schelble)[51] zu disponieren hatte, die bedeutende Kehlfertigkeit besaßen. So erklärt es sich, daß die Musik zu »Zemire und Azor« so viele Koloraturen und Gesangsverzierungen in den Partien der drei Schwestern und der des Azor enthält. – Die Oper wurde von den Sängern wie vom Orchester mit großem Eifer einstudiert, da sie ihre Partien sehr dankbar und ihren Stimmlagen angemessen fanden. Auch das Orchester zeigte gleichen Eifer. – So konnte es nicht fehlen, daß die Oper sogleich bei der ersten Aufführung großen Beifall fand und einen allgemeinern als der »Faust«, was sich jedoch später, sowohl in Frankfurt als im übrigen Deutschland, dem wahren Wert beider Opern gemäß wieder ausglich.


Im Laufe des Winters gab ich mit meiner Frau auch noch ein Konzert, zu welchem ich eine neue Sonate für Harfe und Violine geschrieben hatte. Da sich auch, seit ich von neuem einen festen Wohnsitz hatte, wieder Schüler eingefunden, sowohl einheimische als fremde, so war ich während des ganzen Winters sehr mit Arbeiten überhäuft. Ich sehnte mich daher, als endlich das Frühjahr herangekommen war, sehr nach einer Erholung, und es kam mir erwünscht, daß vier meiner frühern musikalischen Freunde aus Rudolstadt, die Herren von Holleben, Müller, Sommer und Methfessel, nach Frankfurt kamen und mich zur Mitreise nach Mannheim, wo ein Musikfest stattfinden sollte, aufforderten. Ich erwirkte mir einen achttägigen Urlaub und schloß mich ihnen an. Von Darmstadt an, wo die reizende Bergstraße beginnt, pilgerten wir bis Heidelberg zu Fuß und trugen unser Gepäck im Ranzen selbst auf dem Rücken. Drei der Rudolstädter, die Herren Müller, Sommer und von Holleben, die ausgezeichnet Horn bliesen, hatten ihre Hörner auf die Ranzen geschnallt, und Methfessel, der unsere vierstimmigen Gesänge und seine eigenen Lieder mit der Guitarre begleitete, trug sein Instrument, an einem Bande hängend, über die Schulter. So hatte die Reisegesellschaft trotz ihres honneten Äußeren doch ganz das Ansehen einer reisenden Musikantenbande, und da wir in fröhlichem Übermute durch alle Dörfer und Städtchen stets musizierend oder singend einherzogen, so fehlte es uns niemals an einem Schweife jubelnder Zuhörer sowie an zahlreichen Anträgen, aufzuspielen, die natürlich, wiewohl zu großem Bedauern der Anfragenden, abgelehnt wurden. Wir machten kleine Tagereisen und erstiegen mehrere der an unserem Wege[52] gelegenen Burgen. Dort wurde das aus dem Wirtshause hinaufgeschaffte Mahl eingenommen und durch Hornmusik, Gesang und fröhlichen Scherz gewürzt. Am dritten Tage kamen wir nach Heidelberg, wo wir sogleich wieder die Schloßruine erstiegen. Eine Hornfanfare zog bald einen Zuhörerkreis in unsere Nähe, der sich sehr an unsern vierstimmigen Gesängen und Methfessels komischen Liedern ergötzte. Da wir unsere Namen ins Wirtsbuch eingetragen hatten, so wurde es bald in der Stadt bekannt, daß ich mit einer Gesellschaft Musiker zum Musikfest nach Mannheim ziehe. Es erschien daher am Abend eine Deputation des Heidelberger Gesangvereins bei uns mit der Einladung, die Fahrt nach Mannheim am andern Morgen auf dem festlich geschmückten Schiffe des Vereins mitzumachen. Freudig wurde zugesagt!

Diese Fahrt war der Glanzpunkt der ganzen Reise! Als ich mit meinen Gefährten das bis in die Spitze des Mastes mit Blumenfestons geschmückte Schiff betrat, wurden wir von den bereits versammelten Sängern und Sängerinnen mit einem Chorgesang begrüßt und dann aufs freundlichste bewillkommnet. Da das Schiff unterdes zwischen hohe Felsenufer, die den Schall zurückwarfen, vorgedrungen war, so revanchierten sich die Rudolstädter zuerst mit ihrer Hornmusik, die sich da prächtig ausnahm. Dann folgten unsere Lieder, und besonders war es wieder Methfessel, der durch den Vortrag humoristischer Gesänge, die er meisterhaft mit der Guitarre begleitete, die ganze Gesellschaft in die fröhlichste Laune versetzte. Als wir uns dem Ziel der Reise näherten, wurden wir vom Mannheimer Verein auf mehreren mit Blumen und Flaggen geschmückten Schiffen eingeholt und bewillkommnet. Meine Anwesenheit auf dem Heidelberger Schiffe war bereits bekannt geworden; das Festkomitee begrüßte daher auch mich und meine Gefährten und händigte uns Eintrittskarten für Proben und Aufführungen ein. Ja sogar eine Wohnung in einem Privathause ward mir angetragen, die ich jedoch ablehnen mußte, da ich mich von meinen Begleitern nicht trennen wollte. Sobald daher die Landung bewerkstelligt war, suchten wir ein Gasthaus auf. Leider fanden wir es aber schon so von Fremden überfüllt, daß wir uns zu fünfen mit einem Zimmer behelfen mußten, und am andern Tage wurde der Zudrang so groß, daß wir Mühe hatten, unser Zimmer gegen das Eindringen noch weiterer Gäste zu schützen. Wir machten aber kurzen Prozeß, indem wir den Kellner, der uns solches zumuten wollte, ohne weiteres zur Tür hinauswarfen. Am Abend legten wir uns, da es, wie leicht begreiflich, an Betten fehlte, ganz friedlich nebeneinander auf eine Streu, und unsre gute Laune wurde dadurch nicht im geringsten gestört.[53]

Was nun die Musikaufführungen betrifft, so erinnere ich mich ihrer nicht mehr, was und wie es gegeben wurde, nur so viel weiß ich noch, daß ich und meine Gefährten, die sämtlich den Frankenhäuser Festen beigewohnt hatten, hier von der Wirkung der Musik nicht so befriedigt wurden wie dort, was sich aber schon durch den einzigen Umstand erklärt, daß die Aufführungen in Frankenhausen in dem sonoren Raume einer Kirche, dagegen in Mannheim im Theater stattfanden.

Am dritten Tage traten wir die Rückreise an. Da der Weg von Mannheim nach Mainz für eine Fußreise zu uninteressant gefunden wurde, so mieteten wir uns ein Boot mit zwei rüstigen Ruderern und machten ihn wieder zu Wasser. Aber auch so war die Reise noch ziemlich langweilig. Wir hatten überdies die Nacht vorher auf einem Balle zugebracht und fühlten uns sehr ermüdet; es war daher kein Wunder, daß wir die versäumte Nachtruhe nachholten und die Fahrt zum großen Teile schlafend zurücklegten. Bei unsrer Ankunft in Mainz erlebten wir jedoch noch ein kleines Abenteuer, das uns für die letzten Stunden unsres Zusammenseins die fröhlichste Laune zurückgab. Es dämmerte bereits, als wir nach unserer Landung das beste Gasthaus der Stadt aufsuchten. Als wir es eben in dem bereits beschriebenen Aufzuge reisender Musikanten betreten wollten, schrie uns der Wirt, der aus dem Fenster sah, mit zorniger Stimme entgegen: »Packt Euch! Leute wie Ihr werden hier nicht aufgenommen!« Diese Anrede ergötzte mich sehr, weil ich meine Gefährten schon vielfach wegen ihres Aufzuges geneckt hatte, und lachend rief ich Herrn von Holleben zu: »Herr Oberforstmeister, man will uns hier nicht aufnehmen; suchen wir ein andres Gasthaus auf!« Der Wirt aber, dem der vornehme Titel in die Glieder gefahren war, stürzte pfeilschnell auf die Straße und bat unter unzähligen Bücklingen: »Meine gnädigen Herren, geruhen Sie näher zu treten und entschuldigen Sie huldreichst meine Bêtise!« Im höchsten Grade komisch war nun seine Verlegenheit, als wir ihm ins Innere des Hauses gefolgt waren und dort im hellen Lichterschein von ihm gemustert wurden. Unser elegantes Äußere schien ihn nun zu beruhigen, doch die unglücklichen Hörner, die auf die Tornister geschnallt waren, und die an Methfessels Halse hängende Guitarre erregten bei ihm immer von neuem Skrupel, ob er auch seines Hauses würdige Gäste aufgenommen habe. Als wir aber drei Zimmer mit Wachsbeleuchtung, wie ich absichtlich hinzusetzte, fünf Betten und ein gutes Abendessen bestellten, und zwar in dem kurz befehlenden Tone vornehmer Leute, da schwand bei ihm der letzte Zweifel, und sein Wesen wurde nun ganz Unterwürfigkeit. Noch lange ergötzte uns diese gemeine Wirtsnatur[54] und erheiterte unser letztes Beisammensein. Am andern Morgen kehrte ich, da mein Urlaub abgelaufen war, nach Frankfurt zurück, und die Rudolstädter verfolgten weiter rheinabwärts ihren Reiseplan.

Als ich meine Wohnung betrat, sprangen mir die Kinder fröhlich entgegen, meine Frau aber, die schon bei der Trennung vor acht Tagen sehr betrübt gewesen, fand ich infolge eines heftigen Schreckens recht leidend. Damit der Leser die Veranlassung dazu verstehe, muß ich früher Erlebtes vorausschicken.

Im Spätherbst 1818 kam der Oboist Thurner nach Frankfurt, den ich früher in Braunschweig gekannt hatte, wo wir beide Mitglieder der Kapelle gewesen waren. Schon damals zeichnete sich Thurner durch seine Virtuosität sowie durch sein Kompositionstalent sehr aus. Auf spätern Reisen, besonders in Wien, wo er längere Zeit verweilte, hatte er sich den Ruf des ersten der damals lebenden Oboisten erworben. Zugleich erzählte man aber wunderliche Geschichten von seinem dortigen Aufenthalte; von einer Liaison mit einer vornehmen Dame, die er später anklagte, ihn durch eine Tasse Kaffee vergiftet zu haben; von einer deshalb entstandenen Kriminaluntersuchung, die ergeben, daß er periodisch in Irrsinn verfalle und dann an der fixen Idee leide, vergiftet zu sein. Diese Erzählungen, die von Mund zu Mund gingen, machten ihn interessant; sein Konzert war daher überaus zahlreich besucht. Ich fand ihn, da er mich gleich nach seiner Ankunft besuchte, zwar ernster und zurückhaltender, als ich ihn früher in Braunschweig gekannt hatte, bemerkte aber im übrigen durchaus nichts Auffallendes an ihm. Da sein Spiel sehr gefiel und ich ihn als ausgezeichnet auch im Orchester kannte, da ferner durch Georg Dörings Abgang aus dem Orchester (er gedachte, sich von nun an ganz der Schriftstellerei zu widmen) eine Vakanz bei der Oboe entstanden war, so trug ich in der nächsten Theatersitzung darauf an, daß Thurner als erster Oboist angestellt werde. Seine Forderungen waren nicht übermäßig hoch gestellt, und der Vorschlag fand deshalb wenig Opposition, ja selbst Herr Leerse willigte bald ein. Thurner trat daher ins Orchester und zeigte sich durch geschmackvollen Vortrag seiner Soli und schönen Ton als eine wahre Zierde desselben.

Nach einiger Zeit bemerkte man jedoch eine auffallende Schwermut an ihm, die sich nach und nach so steigerte, daß am Ende kein lautes Wort mehr aus ihm herauszubringen war. Seinen Orchesterdienst versah er dabei aber immer noch ganz pünktlich, so daß ich hoffte, es werde diese Periode des Trübsinnes ohne weitere Folgen vorübergehen. Bald ging[55] sie aber in völliges Irrsein über, wo dann auch die fixe Idee von der Wiener Vergiftung wieder auftauchte. Nun war es die höchste Zeit, um allem möglichen Skandal vorzubeugen, ihn aus dem Orchester zu entfernen. Döring, ein naher Verwandter Thurners, übernahm es, für seine Kur und Pflege zu sorgen, trat auch vorläufig in dessen Stelle wieder ein. Die Krankheit steigerte sich nun bald zu solcher Heftigkeit, daß er fortwährend bewacht werden mußte. Eines Abends war es ihm demohnerachtet gelungen, kaum halb angekleidet seinem Wächter zu entspringen. Er irrte bei starkem Schneegestöber die halbe Nacht hindurch im Freien umher und kehrte erst gegen Morgen, in eine dicke Kruste von Schnee und Eis gehüllt, in seine Wohnung zurück. Da er sich in diesem Zustande sogleich in sein Bett geworfen hatte, so fand ihn der Arzt am Morgen triefend und dampfend im heftigen Fieber. Vielleicht führte dies aber zu einer Krisis, denn von dem Tage an besserte es sich mit ihm, und bald konnte er, wieder völlig bei Verstande, seinen Dienst im Orchester wieder von neuem beginnen. Doch bemerkte ich bald, daß er in jedem Monat, etwa acht Tage lang, und zwar immer bei zunehmenden Monde, von einem leichten Rückfall seines melancholischen Irrseins heimgesucht wurde, der sich durch einen stieren Blick und eine gewisse fieberhafte Unruhe im voraus ankündigte. Dann trug ich mit Dörings Hilfe Sorge, daß er einige Tage vom Orchester ferngehalten wurde, bis mir sein heiterer Blick die Genesung wieder anzeigte. In solcher Weise versah Thurner bis in den Sommer hinein seinen Dienst, und man gab sich der Hoffnung hin, daß er nach und nach auch von diesen leichtern Anfällen geheilt werden würde. Er hatte mich in der letzten Zeit wieder wie früher dann und wann besucht, auch wohl den Abend bei mir zugebracht und sich freundlich und teilnehmend gegen Dorette und die Kinder gezeigt. Als ich daher mit meinen Rudolstädter Freunden nach Mannheim abgereist war, fiel es Doretten anfangs gar nicht auf, ihn eines Morgens ins Zimmer treten zu sehen; als er sich aber, ohne zu grüßen oder ein Wort zu sagen, ihr gegenüber setzte und mit stieren Blicken vor sich hinstarrte, wurde es ihr unheimlich zumute, und sie fing an, sich zu fürchten. Da sie ganz allein mit ihm war (die Kinder waren in der Schule), so wollte sie eine im Nebenzimmer beschäftigte Näherin herbeirufen; doch kaum war sie aufgestanden, so sprang auch er auf und umfaßte sie. Mit einem Schrei des Entsetzens riß sie sich los, stürzte sich in die von der Näherin soeben geöffnete Tür des Nebenzimmers, und es gelang ihr, noch ehe Thurner ihr folgen konnte, die Tür zuzuwerfen und den Riegel vorzuschieben. Das Zimmer aber hatte unglücklicherweise keinen weitern Ausgang, und so sahen[56] sich die erschrockenen Frauen von dem Rasenden belagert. Seinen Versuchen, das Schloß zu sprengen, begegneten sie dadurch, daß sie sich mit aller Kraft, die ihnen die Todesangst gab, gegen die Tür stemmten; es gelang ihnen, denn nach einigen vergeblichen Versuchen gab er es auf, rannte die Treppe hinab und zum Hause hinaus. Dorette fühlte sich nun einer Ohnmacht nahe, mußte zum Arzt schicken und einige Tage das Bett hüten. Nach meiner Rückkehr erholte sie sich in der Freude darüber und in der Beruhigung, nun unter meinem Schutze zu stehen, bald wieder, und so hatte der Vorfall weiter keine übelen Folgen. Für den unglücklichen jungen Mann hatte dieser letzte heftige Ausbruch seiner Krankheit aber zur Folge, daß ihn die Theaterdirektion entließ. Er reiste dann, nachdem er wieder hergestellt war, nach Holland, konzertierte dort anfangs mit großem Beifall und Erfolg, wurde aber bei einem noch heftigem Anfall seiner Krankheit ins Irrenhaus gesperrt, wo er bald darauf starb. Die Welt verlor in ihm ein großes Musikgenie, das durch die unselige Krankheit nicht hatte zur vollen Entwicklung kommen können!


Unterdessen war die Animosität zwischen Herrn Leerse und mir immer greller hervorgetreten, und es verging selten eine Theatersitzung, ohne daß sie in förmlichen Streit ausbrach. Er machte mir zum Vorwurfe, daß ich zum Einüben neuer Werke zu viel Zeit gebrauche, weil ich es zu genau damit nähme. Er meinte, alle vierzehn Tage müsse sich eine neue Oper einstudieren oder wenigstens eine ältere in ihren unbesetzten Partien ergänzen lassen! Vergebens stellte ich ihm vor, daß eine Oper, die nachlässig eingeübt sei, unmöglich gut gehen, folglich auch keine Wirkung machen könne; daß sie dann, einmal in Mißkredit gebracht, auch keine Leute herbeiziehen werde, und so die darauf verwandte Zeit und Kosten unnütz vergeudet seien! Bei diesem eigensinnigen Menschen, der überdies vor meinem Eintritt in die Theaterverwaltung nie Widerspruch erfahren hatte, waren vernünftige Vorstellungen ohne alle Wirkung. Da ich mich nun durchaus nicht bewegen ließ, eine Oper früher anzusetzen, als bis sie, den vorhandenen Kräften gemäß, aufs genaueste eingeübt war, so brach der Streit nie ab. Dies sowie eine Äußerung des Herrn Leerse bei einer Generalversammlung der Aktionäre, »daß sie für ihr Institut keines berühmten Künstlers, sondern nur eines tüchtigen Arbeiters bedürften, der alle seine Zeit und Kräfte dem Theater widme«, waren die Veranlassung, daß ich in der nächsten Theatersitzung meine Stelle mit Ende September (1819) kündigte. Die Nachricht davon drang bald in die Stadt und erregte[57] bei den Musikfreunden allgemeines Bedauern. Auch Börne äußerte sich in seiner Zeitschrift »Die Waage« darüber, und zwar nicht auf sehr schonende Weise gegen die Theaterverwaltung.

Ich schied mit leichtem Herzen von Frankfurt, denn meine Berufung dahin hatte mich nur in meiner Reiselust gestört; meine gute Frau aber, die einer Trennung von den Kindern entgegensah, weil diese nicht mehr auf Kunstreisen mitgenommen werden konnten, war sehr betrübt. Ich beruhigte sie aber durch das Versprechen, daß sie die Sommermonate stets bei ihren Kindern zubringen und nur vier bis fünf Wintermonate mit mir reisen solle.

Quelle:
Spohr, Louis: Lebenserinnerungen. Tutzing 1968, S. 47-58.
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