XXIII. Wieder im Gefängnis.

[122] Ich wurde kurze Zeit, etwa zehn Tage, nachdem das Urteil rechtskräftig geworden, zur Verbüßung meiner Strafe in die Gefangenschaft nach Tegel übergeführt.

Schon am Nachmittag desselben Tages besuchte mich der Direktor, und die ersten Worte, die er an mich richtete, sind mir heute noch gegenwärtig:

»Nun sind Sie also nach langer Irrfahrt hier gelandet!«

»Jawohl, Herr Direktor«, antwortete ich, »aber an welchem Ufer!« –

Es ist mir sehr erfreulich, hier sagen zu können, daß die Gefängnisanstalt Tegel, sowohl was die Beamtenschaft anlangt, wie in bezug auf Pflege und Fürsorge, geradezu mustergültig genannt zu werden verdient. Gerade ich konnte dies am besten beurteilen.

Mir persönlich ist man stets von allen Seiten mit – ich möchte sagen – freundlicher Zuvorkommenheit begegnet, bis zu dem Augenblick, da sich die Tore der Freiheit für mich wieder auftaten.

Es hatten sich bekanntlich sowohl während meiner Untersuchungshaft wie auch nach meiner Verurteilung viele Freunde und Freundinnen gefunden, die Geldmittel und sonstige Spenden aufbrachten und sich auch für meine Zukunft bemühten.[123]

Nach meiner Entlassung überlieferte mir eine bekannte Berliner Zeitung, als Ergebnis einer öffentlichen Sammlung, fast 2000 Mark, ein Frankfurter Blatt 440 Mark.

Achtundvierzig Stunden nach meiner Verurteilung erhielt ich durch Vermittlung einer Dame aus den ersten Kreisen Berlins die feste Zusicherung, daß mir, solange ich in Haft war, 50 Mark monatlich und nach meiner Entlassung bis zu meinem Tode 100 Mark monatlich ausbezahlt werden sollten.

Wenn man Zeitungsnotizen aus jener Zeit Glauben schenken wollte, so müßte ich heute ein sehr reicher Mann sein. Nur ich selbst habe davon nichts gemerkt!

Das Gerücht, daß mir große Geldsummen zugewendet sein sollten, veranlaßte in der nächsten Zeit einen ganz eigenartigen Briefwechsel. Hunderte von solchen Briefen trafen in der Anstalt ein, die alle beinah denselben Wortlaut hatten:

»Sie sind jetzt ein reicher Mann, verfügen über Geldmittel, also helfen Sie auch jetzt uns armen Bedrängten!«

Dann wurde die Summe aufgeführt, die notwendig war, um den Briefschreiber aus seiner bedrängten Lage zu befreien.

Die höchste Summe, die mir abgefordert wurde, betrug 6000 Mark, und dann ging es von Tausenden zu Hunderten hinab und von hundert Mark zu kleineren Beträgen.

Der Gefängnisinspektor versicherte mir schon nach vier Monaten, daß, wenn alles das, was von mir gefordert wurde, von der Verwaltung ausbezahlt würde, ich bereits über 100000 Mark verausgabt hätte.[124]

Die Briefe und Karten, die mir aus allen Weltteilen und fast allen Staaten der Erde zugingen, setzten mich oft in großes Erstaunen darüber, was in der Welt geschah und gesprochen wurde; und daß man das alles als bekannt voraussetzte, während ich doch davon keine Ahnung hatte.

Wiederholt bin ich in Briefen und Karten dazu aufgefordert worden, doch etwas für meine Befreiung zu tun.

Allein die Wege, die man mir dazu vorschlug, konnte ich nicht betreten.

Ich hatte mich so ziemlich darein gefunden, daß ein Gnadengesuch aussichtslos sein würde, und meine ganze Hoffnung darauf gesetzt, nach verbüßter Strafe von drei Jahren »vorläufig« entlassen zu werden.

Ob von anderer Seite in meiner Angelegenheit Gesuche um Begnadigung bei Sr. Majestät dem Kaiser gemacht worden sind, weiß ich nicht.

Es kam mir und allen, die teilnahmen an meinem Schicksal, deshalb auch ganz unerwartet und überraschend, als plötzlich direkt auf


Ordre Sr. Majestät des Kaisers


meine Freilassung erfolgte.

Quelle:
Voigt, Wilhelm: Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde: mein Lebensbild. Leipzig; Berlin 1909, S. 122-125.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde
Wie ich der Hauptmann von Köpenick wurde
Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde. Ein Lebensbild