Herrschaft und Dienstboten.

[57] Es ist auf meiner Visitentournee nach langer Sommerabwesenheit. Ich schelle an der Wohnung meiner Bekannten, der Frau Regierungsrat X. Schlürfende Schritte nähern sich der Hausthür. Ein unfrisierter Kopf lugt durch eine schmale Spalte, und eine mürrische Stimme sagt: »Niemand zu Hause!« Und als ich mit einem Wort des Bedauerns meine Karte abgebe, greifen schmutzige Finger danach.

Ein Haus weiter bei Assessor von Mehren geruht nach dreimaligem Schellen eine Donna zu erscheinen. Sie hat schnell eine Schürze von zweifelhafter Reinheit vorgebunden und ist im Begriff, den Seifenschaum damit von den drallen roten Armen abzustreifen. Auf meine Frage nach der Dame des Hauses sagt sie: »Ich bedauere sehr, die Frau Assessor ist nicht zu Hause.« »Ihr habt gar nichts zu bedauern!« pflegte meine gute, selige Mutter zu sagen; Euer Empfinden kommt hierbei gar nicht in Frage; Ihr habt einfach zu sagen: »Die gnädige Frau ist nicht zu Hause.«[57]

Bei Präsidents, bei Polizeirats, überall, wo ich an diesem Morgen anklopfte, gab mir das Aussehen der Hausgeister Stoff zum Nachdenken.

Unsere Dienstbotentracht bedarf größerer Aufmerksamkeit von seiten der Hausfrau. Der gute Ton ver langt, daß die Dienerschaft des Hauses, und besteht sie auch nur aus dem bewußten Alleinmädchen, stets so adrett und peinlich sauber gekleidet sei, daß sie sich fremden Augen zeigen kann. In vielen Häusern, z.B. in Norddeutschland, verlangt die Herrschaft das Tragen des sog. »Mädchenzeugs«, das sind helle Waschkleider, große Achselschürzen und ganz kleine Häubchen, unter dem Namen »Mützen« oder »Hamburger Häubchen« bekannt. Diese Kleidung kennzeichnet die Stellung des Mädchens und gefällt uns weit besser als das Tragen von modisch gemachten Kleidern. Ganz unpassend ist es aber, das Mädchen die abgelegten Kleider der Herrin weiter auftragen zu lassen.

Für den Diener, falls man sich einen hält, besorgt die Herrschaft die Kleidung oder Livree. Daß dieselbe reichlich zum Wechseln vorhanden sein muß, daß an Vorhemden und weißen Handschuhen zum Servieren nicht gespart werden darf, sei nebenbei erwähnt. Es verrät schlechten Geschmack, wenn man auffallende Farben zur Livree wählt, dieselbe mit Knöpfen überladet oder gar goldene Fangschnüre tragen läßt, wenn der Zuschnitt des ganzen Hausstandes nicht damit übereinstimmt.

Früher hielt man für einen vornehmen Haushalt den männlichen Dienstboten für unumgänglich nötig.[58] Heute wird er in vielen Häusern durch wohlgeschulte weibliche Personen, die das Servieren und Bedienen vielleicht noch besser verrichten, ersetzt.

In dem Verhältnis zwischen Herrschaft und Dienstboten haben beide Teile Rechte und Pflichten. Betrachten wir zunächst diejenigen der Herrschaft. Die Herrschaft ist verpflichtet, die Dienstboten gerecht und wohlwollend zu behandeln. Eine vornehme Frau sollte sich nie hinreißen lassen, heftig, ausfallend oder launisch ihren Dienstboten gegenüber zu werden. Sie untergräbt dadurch ihr eigenes Ansehen. Man kann auch durch Schweigen, Kälte und Zurückhaltung strafen, vielleicht sogar empfindlicher, weil ungebildete Leute solche Zurückhaltung und Selbstbeherrschung nicht zu üben wissen und sie ihnen mehr imponiert als das auch ihnen geläufige Schelten und Zanken. Man schmälere den Dienstboten nicht ihre freie Zeit, gebe ihnen Freistunden zum Instandhalten ihrer Garderobe und zum Besuch des Gottesdienstes und beanspruche während dieser wahrlich schwer verdienten Zeit nicht allerhand Gefälligkeiten. Man gönne ihnen genügend Schlaf und zahle ihnen pünktlich den ortsüblichen Lohn, gewähre ihnen Achtung und Vertrauen, solange nichts Gegenteiliges erwiesen ist. Man sorge für eine gesunde, helle Schlafkammer mit gutem Bett, mit Schrank, Tisch, Stuhl und Waschgelegenheit in gebrauchsfähigem Zustand. Ein hübsches, reinliches Dienstbotenzimmer stellt der Hausfrau ein besseres Zeugnis aus, als der schönsteingerichtete Salon. Dieser zeugt von Geistes- und Geschmacks-, jenes von Herzensbildung.[59]

Das Recht der Herrschaft besteht darin, Gehorsam, Pflichttreue und Zuverlässigkeit fordern zu können, das Verrichten derjenigen Arbeit, zu der der Dienstbote gemietet ist, und gutes, gesittetes Betragen. Die Pflicht des Dienstboten ist, die Herrschaft in jeder Beziehung zufrieden zu stellen; sein Recht besteht in guter Behandlung, hinreichender, nahrhafter Kost und Verabfolgung des ausbedungenen Lohnes.

Leider spielt in unserer Zeit die Dienstbotenfrage eine gewisse Rolle. Kein Mädchen will mehr dienen, es will nur noch »konditionieren«, und durch die maßlos gesteigerten Ansprüche der dienenden Klasse wird der häusliche Friede nicht selten gestört.

Eine vornehm denkende Frau wird sich nie in Vertraulichkeiten mit den Dienstboten einlassen, wird vertrauend aber nicht vertraulich mit ihnen reden.

Dienstboten in Familienangelegenheiten und pekuniäre Verhältnisse einzuweihen, ist nicht vorteilhaft, sondern rächt sich meist durch Unverschämtheit, Zudringlichkeit und Klatschsucht.

Dein Tadel gegenüber den Dienstboten sei kurz. Ein fortgesetztes Bohren über einem und demselben Fehler reizt und macht aufsässig. Hier und da ein verdientes Lob zu rechter Zeit nützt mehr als eine Stunde Schelten. Man schelte nie in Gegenwart Fremder. Dies verletzt den Dienstboten doppelt und ist peinlich für den Gast.

Lasse es die Dienstboten nie merken, falls du verschiedener Meinung mit deinem Manne bist. Schilt nie in Gegenwart derselben mit ihm. Beherrsche dich,[60] auch wenn es dir mit deinem Temperament schwer fallen sollte. Sobald die Leute sehen, daß das Verhältnis zwischen Mann und Frau getrübt ist, ist es mit ihrem pünktlichen Gehorsam vorbei, ganz abgesehen davon, daß sie die ehelichen Verhältnisse in der Stadt herumbringen können. Verstehst du die Dienstboten gut zu erziehen, so wirst du auch gut bedient sein. Bei dieser Erziehung lege Wert auf folgende Punkte:

Lehre sie in der ersten Zeit nach ihrem Dienstantritt alles, was du von ihnen willst. Geh' ihnen vierzehn Tage nicht von der Seite, sieh, wie sie jede Arbeit verrichten, und unterweise sie. Sie werden alsdann so geschult sein, daß du später nur noch zu kontrollieren brauchst. Kommst du erst nach und nach mit dem Arbeitspensum heraus, so schelten sie über Neuerungen und werden unwillig.

Gewöhne sie, daß sie dir auf dein Rufen nicht »Ja« oder »Nein«, sondern stets »ja« oder »nein, gnädige Frau«, oder wie du dich sonst nennen läßt, antworten. Sprich ihnen gegenüber nicht von »meinem Mann«, oder von »Mariechen«, sondern vom »gnädigen Herrn« und »meiner Tochter«. Halte darauf, daß sie den Gast aufs höflichste empfangen, ihm beim Ablegen des Mantels, beim Ausziehen der Galoschen behilflich sind, aber verbiete ihnen, viel Redensarten, besonders beim Anbieten und Servieren, zu machen. Sagt ein Mädchen: »Darf ich bitten?« »Seien Sie so frei!« oder »Bitte, nehmen Sie noch was!« so macht jeder nicht das Mädchen, sondern dich für diese unpassende Ausdrucksweise verantwortlich.[61]

Die Obliegenheiten der einzelnen Dienstboten richten sich nach den Verhältnissen, in denen du lebst, und nach der Anzahl der Leute, die du hältst. Der Kutscher kann zugleich Gärtner sein und bei Tische aufwarten, die Köchin übernimmt im kleineren Hausstand die Arbeiten des Stubenmädchens. Du wirst gut thun, jedem deiner Dienstboten einen genauen Arbeitszettel auszuarbeiten, den du unter genauer und eingehender Kenntnis der Dauer der einzelnen Arbeiten gefertigt hast. Du vermeidest durch richtige Arbeitseinteilung viel planloses Hin- und Hergelaufe und viel unnützes Fragen. Gieb jedem deiner Leute sein gezeichnetes Arbeitszeug, wie Besen, Schaufel, Aufwascheimer, Staubtuch. So allein vermeidest du ein fortgesetztes Verwechseln und kannst außerdem vorkommenden Falls den Uebelthäter, der dir deine schönen Sachen verdarb, sofort überführen. Ist es dir aber trotz guter Vorsätze nicht gelungen, die Dienstboten an dein Haus zu fesseln, oder trennst du dich aus einem andern Grunde von ihnen, so lasse dich nicht verleiten, sie nach geschehener Kündigung schroffer zu behandeln. Du schaffst dir selbst Aerger und böse Tage. Stelle ihnen ein gerechtes Zeugnis aus und mache es dir zur Pflicht, falls die Dame, die deine Nachfolgerin als Herrschaft des Mädchens werden will, Erkundigungen über dasselbe einzieht, wahres und ausführliches Zeugnis abzugeben. Thäten dies alle Frauen und verschwiegen nicht so manches, wahrlich, es gäbe weniger Dienstbotennot in der Welt![62]

Quelle:
Wedell, J. von: Wie soll ich mich benehmen? Stuttgart 4[o.J.], S. 57-63.
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