In Venedig

[40] In Venedig fand ich Quartier in einem Hause an den Zattere, das mir Passini empfohlen hatte, der hier selbst regelmäßig Wohnung nahm. In der Kunst Venedigs war ich rasch heimisch. Die venezianische Malerei war mir aus den Wiener Sammlungen, Plastik und Architektur von Dalmatien und Istrien her schon leidlich vertraut und lieb. Da ich, schon aus Sparsamkeit – vaporetti gab es damals noch nicht – meine[40] Wege in der Stadt zu Fuß zurücklegte, bin ich in den vier Wochen, die ich täglich vom frühen Morgen bis in den späten Abend hinein auf Kunstwanderungen verbrachte, so weit gekommen, daß ich schließlich jede calle und jeden campo zu finden wußte. Der reiche, südliche Charakter der Stadt und ihrer Kunst entzückte mich, und ihre Beziehung zum Orient, die Einflüsse, welche die Überreste der klassischen Skulptur, namentlich durch die griechische Plastik, durch Beutestücke aus Athen und von den Inseln, auf die Plastik Venedigs zur Zeit der Lombardi ausgeübt hatten, zu verfolgen, schien mir von besonderem Interesse.

Ich teilte meine enthusiastischen Eindrücke meinem älteren Freunde Albert von Zahn nach Dresden mit, der damals das Material für eine neue Auflage des Cicerone sammelte. Die zweite Auflage dieses Werkes hatte Zahn einige Jahre vorher schon besorgt, da Jacob Burckhardt – wie leider meist bei seinen Büchern – eine neue Bearbeitung verweigerte. Meine Briefe brachten ihn auf den Gedanken, ich möge – wie es Mündler für die zweite Auflage gemacht hatte – alle Ergänzungen und Änderungen, die mir für eine weitere Auflage notwendig erschienen, zusammenstellen, damit er sie benutzen und als »Beiträge« noch besonders herausgeben könne. Ich lehnte dies zwar ab, da ich ja eben erst in Italien hineinzusehen begänne und meine Ansichten und Urteile daher sicher vielfach voreilige und selbst falsche sein würden. Aber Zahn sammelte doch alles, was ich ihm in regelmäßiger Korrespondenz mitteilte, und veranlaßte mich später, dies für den Cicerone zu verarbeiten.

In Venedig war ich anfangs ohne jeden Bekannten. Dann traf ich zufällig Freunde aus Wien: Angeli, Makart und dessen Schüler, den Oberst Perres, die Venedigs landschaftliche Reize in vollen Zügen genossen. Erst nach langem Zureden waren sie zu bewegen, auch einmal in eine Kirche mit mir zu gehen, und nur weil wir auf einer Gondelfahrt daran vorüberfuhren, konnte ich sie veranlassen, Tiepolos Fresken im Palazzo Labia mit anzusehen. Diese wirkten zündend namentlich auf[41] Makart, der nun auch mit in den Dogenpalast ging, und dem ich dann alles, was von Veronese, Tintoretto und Tiepolo in Venedig war, zu gänglich machen mußte. Abends suchte er bei Naya Photographien von Werken dieser Meister aus und zahlte dort zum Schluß eine Rechnung von dreitausend Lire. Ein paar Jahrzehnte später traf ich mit einem Maler neuerer Richtung, Ludwig von Hofmann, in Venedig zusammen, und da auch er von Sammlungen und Kirchen nichts wissen wollte, mußte ich ihn fast zwingen, mit mir einige der Paläste und Galerien zu sehen. Er war daraufhin im Dogenpalast und im Palazzo Labia, erklärte aber, daß er von Veronese und Tiepolo aufs schlimmste enttäuscht sei. Ich bat ihn, es dann doch in der Akademie einmal zu versuchen. An Tizian ging er achselzuckend vorüber, und als ich ihn daher direkt zu dem Ursula-Zyklus von Carpaccio führte, bat er mich, ihn zu entschuldigen; er könne seine Zeit in Venedig nicht mit so unkünstlerischen Dingen verlieren!

Gegen Ende meines Aufenthaltes in Venedig machte ich Ausflüge in die Terra ferma, zunächst nach Treviso, Castel Franco, Asolo, Maser und Bassano, dann nach Padua. Den Weg nach Florenz, meinem vornehmlichen Ziele, nahm ich über Padua, Vicenza, Verona, Mantua, Ferrara und Bologna. Von Bologna machte ich einen Abstecher nach Ravenna. Sämtliche Städte arbeitete ich nach dem Cicerone und Murray mit größter Gewissenhaftigkeit durch. Für die ferraresisch-bolognesische Kunst konnte ich mich nach den Venezianern und Paduanern nicht erwärmen, und zum Verständnis der ravennatischen Bauten fehlte mir damals die genügende Vorbildung in der altchristlichen Kunst, obgleich ich sie an der Hand von Rahns nicht lange vorher erschienener Publikation über Ravenna durchstudierte.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 40-42.
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