Carl Strathmann


Carl Strathmann

Ein Original in unserer Zeit ist er. Sein Talent eine vom Himmel gefallene Gabe, die es ihm nicht der Mühe wert gewesen sein würde vom Wege aufzuheben, wäre sie ihm nicht direkt in den Schoß gefallen.

Das Trägheitsgesetz ist in diesem Künstler in großem Maße ausgebildet, und so ist es auch nur zu erklären, daß Strathmann in seinem Beharrungsvermögen sich in die ornamentalen Muster seiner Bilder bis in die kleinsten Details hinein versenkt und in diese Details immer noch neue Motive hineinzukomponieren sucht.

Ebenso spielt die Gewohnheit in seinem Privatle ben eine Rolle: Seit Jahren macht er jeden Abend nach des Tages Last und Mühe denselben Weg aus seinem Atelier in die Stammkneipe, die in einem engen Gäßchen an dem ehemaligen Augustinerkloster in München liegt. Hier sitzt er bis[71] in die späte Nacht hinein in einer Gesellschaft von Ofenhändlern, reichgewordenen Maurermeistern bis hinauf zu den jetzt verstorbenen genialischen Sonderlingen, den Malern Stäbli und Schwabenmaier.

In das süddeutsche weiche Wortgetön fährt dann plötzlich die scharfe, etwas schleppende Stimme Strathmanns dazwischen und mit immer demselben Lacherfolg trägt er immer dieselben Couplets und Gedichte vor. Abende, wo Strathmann der Stammkneipe fernblieb, gab es wenige; eigentlich nur, wenn Atelierfeste bei ihm oder bei seinen Freunden gefeiert wurden.

In seinem Atelier hatten derartige Feste einen rein cölibatären Charakter. Für das Amüsement seiner Gäste sorgte er ganz allein durch Vortrag seiner Lieder.

Noch heute klingt mir das berühmte Fusellied in die Ohren:


»– – – – Fusel

Die ganze Nacht in eenem Dusel«


Anders ging es zu bei unserm Freund Fritze. Hier bedienten bei solchen Festen weibliche Modelle mit und ohne Kostüm.

Ein findiger Wirt hatte in den Bodenraum seines Hauses unter dem Dachstuhl einige Atelierfenster einsetzen lassen und hatte diese grob eingeteilten Räume als Atelierwohnung an unsern Fritze vermietet. Der machte sich durch Einziehen von Rupfenwänden, die er als Wände von Bauernzimmern täuschend bemalte mit Nischen und Blumenaufsätzen, viele[72] höchst gemütliche Zimmer zurecht. Da war in einer Stube ein Schießstand, wo mit Zimmerstutzen nach der Scheibe geschossen wurde; in andern wurde gesungen oder Tarok gespielt. Aber in seinem Atelier – dem Hauptraum – thronte Fritze selbst auf dem Kanapee. Schwerhörig wie er war, schrie er in seinem sächsischen Dialekt dem Nachbar zur rechten – an seine linke Seite hatte sich die kleine Hedwig geschmiegt – nur immer das eine Wort ins Ohr: »Künstlerläbben!«

In der Mitte dieses Ateliers prangte in schwerem Goldrahmen sein größtes Bild: Junge Bauern und Bäuerinnen in Tiroler Kostüm begrüßen auf der Plattform eines Waggons III. Klasse mit Hutschwenken und Jodeln den jeweiligen Beschauer des Bildes. Er hatte den sinnigen Titel erfunden: »Juhuhu!« Strathmann nannte es aber, weil es unverkäuflich blieb: »Das Eisenbahnunglück.«

Jedoch wollen wir Strathmann von nun an lieber bei seinem künstlerischen Arbeiten aufsuchen.

Mit den Modellen, die doch den anderen Malern ein unentbehrliches Mittel zur Vollendung ihrer Bilder sind, lebt er in fortwährendem Kampfe, den er aber bald wieder aufgibt. Nach einem Versuch, dieselben sich dienstbar zu machen, und das Vergebliche seines Bemühens einsehend, setzt er sie Knall und Fall an die Luft.

So war es, als er sein größtes Bild und eins seiner besten, die Salambo, schuf. Das Weib sollte in vollständiger Nacktheit auf dem Ruhebette träumen, zu Häupten die Harfe.[73] Ein Modell wurde genommen und jedem, der es hören wollte, teilte Strathmann mit, daß er jetzt Dürer und Holbein an Richtigkeit der Formen überbieten werde. Bald aber wurde das Modell heimgeschickt und allmählich deckte er die Nacktheit seiner Salambo immer mehr mit Teppichen und phantastischen Gewändern seiner Erfindung zu und zwar so, daß am Schluß nur ein mystisches Profil und die Finger einer Hand aus einem Wust von ornamentgezierten Stoffen hervorsahen.

Strathmann ist jetzt ungefähr in seinem sechsunddreißigsten Lebensjahre, ganz genau wird er es selbst nicht sagen können, und kämpft seinen Kampf gegen die Windmühlen, die in seinem Fall die Gunst des Publikums bedeuten, unentwegt weiter. Nur wenige wissen seine Werke zu schätzen und Besitzer Strath mannscher Bilder sind daher an den Fingern herzuzählen: Da ist die Galerie in Weimar, die das Glück hat, Eigentümerin der Salambo zu sein, in München der Gründer der Neuesten Nachrichten, Herr Knorr, ferner der Herausgeber der Kunst für Alle, Direktor Schwarz, der Maler Schlittgen. In Potsdam Rumpf, dann noch einige Kenner am Rhein und an der Donau und in Hamburg.

Sein Studiengang war natürlich auch anders geartet als gewöhnlich. Die Akademie seiner Geburtsstadt Düsseldorf besuchte er zuerst; getan, wenigstens nach dem Sinne der Herren Professoren, hat er aber so gut wie nichts.

Es liegt mir aus dieser Zeit gerade ein Blatt vor Augen:

Ein von ihm aus dem Kopf gezeichnetes Porträt des[74] Th. Th. Heine, mit dem er in diesen Jahren befreundet war. Die Ähnlichkeit ist, trotzdem doch über ein Jahrzehnt darüber hinweggegangen, eine frappierende, aber doch herrscht in dieser realistisch gehaltenen Zeichnung ein grotesker Zug vor, der später mehr und mehr zu seiner persönlichen Note wird.

Nach Konflikten mit den Lehrern der Anstalt, die ihn vergeblich in das gewohnte Drillsystem hineinpressen wollten, siedelte er nach Weimar über, wo Graf Kalkreuth viele junge Talente an sich zog.

In München, wohin er ging, als Kalkreuth seine Stellung an der Weimarer Kunstschule aufgab, fing er dann allen Ernstes ein Bild an. Es sollte nach der damaligen Mode, – denn seit der großen Ausstellung vom Jahre 1883 war Bastien Lepage durch sein Bild: »Der Bettler« der liebe Gott der Münchner Maler geworden, – realistisch und plein air sein.

»Das Billet doux.« Die Frau am Arm ihres Ehemannes steckt dem Liebhaber einen Brief zu. Es ist in grauen Tönen gehalten und auch soviel wie möglich nach dem Modell gearbeitet, aber über das Ganze weht schon Strathmannscher Geist. Das Gitter des schmiedeeisernen Zaunes zum Beispiel windet sich in den verschnörkeltsten Spiralen.

Von da ab entstanden Aquarelle. – Gigerl, Clowns, Drachentöter, Waschweiber ergötzen den Beschauer durch ihre groteske Komik, der ich nur den verwandten Humor eines Sterne in seinem unsterblichen Tristram Shandy an die Seite stellen kann.[75]

Diese Bilder wirkten so allgemein, daß schon zu jener Zeit auf dem Oktoberfest diese Karikaturen wieder karikiert an manchen Buden zu sehen waren. Auch Illustratoren schlachteten seine Art genügend aus und machten versüßt und verdünnt – wie es immer ist – bessere Geschäfte als er mit seinen Originalen.

Im Jahre 1894 arbeitete er an der Salambo.

Das biedere Künstlervölkchen Münchens tuschelte sich darüber allerlei Merkwürdiges in die Ohren: Er sollte das Bild zur Nachtzeit malen. Spät wenn er die Tafelrunde verlassen und nicht mehr ganz normal sein Atelier gefunden, sollte er, in der Linken einen Lichtstumpf, all die traumhaften Blumen und Muster, die ihm eine erhitzte Phantasie vorgegaukelt, auf die Leinwand bannen.

Überall auf diesem Bilde blitzen wirkliche farbige Steine hervor, namentlich die Harfe glitzert von falschen Edelsteinen, die er mit bewundernswertem Raffinement auf die Leinwand zu kleben oder hinaufzunähen weiß.

Strathmann, der einer der ungewandtesten zu sein scheint, ist Meister in praktischen Handhabungen. Gleich dem besten Buchbinder klebt er Kartons – seine Aquarelle sind oft aus mehreren Stücken zusammengesetzt – oder spaltet die dünnsten Pappendeckel, wenn sie auf beiden Seiten bemalt sind, auseinander, so daß jedes Bild einzeln da ist. Der komplizierte Bau einer Lokomotive ist ihm ebenso bekannt wie die Konstruktion einer Trommel aus der Revolutionszeit.[76]

Hatte er mit seinen Aquarellen ein Jahr vorher überall die höchsten Triumphe gefeiert, so lernte er jetzt die Unbeständigkeit des Glückes kennen. Kurzsichtige Engherzigkeit und kunstpolitische Dickköpfigkeit bewirkten, daß diese Salambo nicht einmal im Kunstverein, wo doch jede Dilettantin ihren Schund an der Wand hat, ausgestellt wurde. Dieser Refus war um so merkwürdiger, als sogar zwei Sezessionisten in die Jury gewählt waren, die die Stagnation sozusagen wieder in Fluß bringen sollten.

Die partikularistische Tendenz der jeweiligen Jury hat von da ab viele seiner Sachen auch von den großen Ausstellungen ferngehalten mit der Begründung: Strathmanns Arbeiten wären kunstgewerblicher Natur.

Zu gleicher Zeit mit der Salambo entstand auch sein liebenswürdigstes Bild: Ibykus, der Götterfreund.

Es ist nicht unbeeinflußt von den Japanern. Fliegende vergoldete Kraniche nehmen die obere Hälfte des Bildes ein. Ihnen streckt Ibykus eine Hand grüßend entgegen; um das Haupt hat er einen goldenen Heiligenschein, und reiche Kleider umgeben seinen Körper, eine reiche Vegetation von nicht existierenden Pflanzen und Bäumen bedeckt den übrigen Teil des Bildes.

Ich persönlich stehe nicht an, dieses Bild mit zu den besten Arbeiten unserer Zeit zu zählen.

So entstand Werk um Werk, das Publikum aber zog sich vollständig vor ihm in sein dunkles Schneckenhaus zurück, und selten fiel auf seine Künstlerbahn ein Sonnenstrahl. Aber[77] nichts hat ihn zum Schwanken gebracht. Mit dem Fanatismus des Märtyrers ringt er und hofft er.

Wie ich schon oben angedeutet habe, ist seine Komik fern von dem platten Witzeln nach Publikumsgeschmack; er hat auch nichts vom göttlichen melancholischen Humor des Don Quixote. Ein verwandter grotesker, burlesker Zug findet sich in den verschrobenen schnurrigen Helden der englischen Schriftsteller; auch die verzerrte Lustigkeit der Produktionen von Clowns spiegelt sich in seinen Bildern wider. Dieses spezifisch Englische hat Strathmann von seiner Mutter geerbt, die eine Landsmännin des großen Lorenz Sterne war.

Von seinen zahlreichen übrigen Bildern mögen noch hervorgehoben werden:

Faun und Schlange. Ein Werk von ganz persönlichem Gepräge.

Eine betende Maria, ferner:

Musikanten im Schnee.

Dieses volkstümliche Motiv wird bei ihm zu einem grotesken Monumentalbild. Die Silhouetten haben etwas Gespenstisches und doch sind es wieder arme, leibhaftige, sorgende Wesen, nur mit den Augen eines eigenartigen Künstlers erfaßt.

Die Stimmung des naßkalten Wintertages ist ausgezeichnet getroffen. Dichter Schnee rieselt aus trübem Himmel auf die Wanderer nieder. Er bleibt auf den Kleidern haften oder fällt als weißer Teppich auf die Erde.[78]

So waten sie dahin längs einem verfallenen Bretterzaun, bis zu den Knöcheln in den weichen Boden versinkend.

Onkel Toby und sein Korporal Trim würden einander an Liebenswürdigkeit überboten haben, um diese Obdachlosen in ihr gastliches Haus aufzunehmen.

Auf ganz eigenartige Weise hat Strathmann den Schnee gemalt: Flocke an Flocke setzte er mit beispielloser Geduld – und selbst da, wo der Schnee stärker liegenbleibt, wie in den Falten der Anzüge und auf den Schultern, sind die Tupfen auch vielfacher aufeinandergehäuft, so daß der Maler den Eindruck des aufliegenden Schnees tatsächlich erreicht hat, aber doch auch wieder der Phantasie allerlei krause Stickmuster durch den Gang der weißen Flächen vorzaubert.

Eine der Zierden der letzten Schwarz-Weiß-Ausstellung der Berliner Sezession war sein fast drei Meter langes Aquarell »der Krönungszug«.

Eine Reihe der sonderbarsten Ritter und Pagen, in ihrer Mitte der gekrönte Herrscher in einem Kostüm, reich, geschmackvoll und schrullenhaft zu gleicher Zeit.

Durch seine schöne große Farbenwirkung in die Ferne erregt dieses Bild Strathmanns zuerst die Aufmerksamkeit des Beschauers. Dann aber wandelt sich diese Aufmerksamkeit in bewunderndes Erstaunen, wenn in der Nähe betrachtet die reizvolle Ornamentik auf Rüstungen und Gewändern, die fleißige Durchführung der Blumen und Gräser zur Geltung kommt.[79]

Reichhaltige Muster für Tapeten, Menus und Buchzeichen vervollständigen den Rahmen seines Schaffens.

Daß in seiner Kunst vieles, manchmal sehr vieles tadelnswert erscheint, ist selbstverständlich; erscheint doch der am meisten mit Fehlern behaftet, der seiner Mitwelt um einige Nasenlängen voraus ist, und glaubt doch jeder Laie, sein Kunstverständnis damit dokumentieren zu können, wenn er recht viele scheinbare Fehler an das Tageslicht zerren kann.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß Strathmanns Kunst aus der Masse der heutigen Bilderproduktion als ein Merkstein hervorragt; immer sichtbarer wird sein Wert emporsteigen, nachdem das Mittelmäßige der wohlverdienten Vergessenheit anheimgefallen sein wird. Emile Zola sagt an einer Stelle in seinen Aufsätzen über die Malerei: »Es gibt eine ewige Wahrheit, die mich in der Kritik aufrecht hält: daß die Temperamente allein leben und die Zeitalter beherrschen.«

Ein Temperament, eine Individualität ist Strathmann gewiß. Mag er noch ringen, der Kampf ist ja der Reiz des Lebens und nichts ist dem sterblichen Menschen verderblicher, als wenn ihn Fortuna bereits am Anfang seiner Laufbahn mit Gaben überschüttet, mit Gold und dem Lorbeer.

Wie vielen sind diese Geschenke zur Fessel geworden! Wie viele haben sie gleich Bleigewichten umklammert und ihre aufstrebenden Ideale in den Sold des tyrannischen Modegeschmacks herabgezogen![80]

Mancher flucht diesem falschen Glück, sobald er aus der Mode gekommen. Bei lebendigem Leibe ein toter Mann.

Doch das Ringen und Zwingen des widerstrebenden Geschickes stählt die Kraft; der Glaube an sich selbst richtet den Müden immer wieder auf und am Ende des Kampfes winkt ihm eine schönere Krone: Sich selbst treu geblieben zu sein. Der stolze (alte) Wahlspruch von Félicien Rops in bezug auf Bewunderung war: »J'en ai besoin de peuJ'en ai besoin d'Un;j'en ai besoin de Pas Un


Carl Strathmann

Quelle:
Corinth, Lovis: Legenden aus dem Künstlerleben. 2. Auflage, Berlin: Bruno Cassirer, 1918, S. 68-82.
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