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[58] Während Manet dem Ende des vergangenen Jahrhunderts seine Signatur aufdrückte, setzte das neue mit einem neuen Namen ein: Cézanne. Dieser war wohl von Zola und Manet gekannt und geschätzt, aber durch seine anfangs befremdende Eigenart gelang es ihm erst jetzt, sich weiteren Kreisen verständlich zu machen. Gleichaltrig mit Manet, war er dennoch stürmischer in seiner Auffassung, und durch das Neue seines Wollens gewann er eine heftige Macht über die Herzen der Künstler. Man verstand ihn, trotz seines scheinbar unbeholfenen hölzernen Vortrages, der jedes Hervorheben interessanter Details vermied – und Gauguin und van Gogh wurden seine ersten Jün ger.
Es waren wohl die Stilleben Cézannes, die wegen ihrer Farbenkraft zuerst erkannt und gepriesen wurden. Scharfe, leuchtende Farben ohne jede Vermittlung nebeneinander gesetzt und oft die einzelnen Früchte und Krüge mit schwarzen Konturen umrändert. Dann begriff man, was er in seinen Landschaften aussprach. Und wie in der Zeit des ersten Impressionismus der Weißkohl und Rotkohl die alten Landschaftsmotive über den Haufen warf, so wurde er mit seinem Häuserfassadenmotiv epochemachend.
Früher war es keinem Künstler eingefallen, in der nüchternen Wandfläche eines Hauses etwas künstlerisch Anreizendes zu erblicken, jetzt aber sehen wir in allen Ausstellungen die prosaischsten modernen Häuser als Hauptmotiv unzähliger moderner Künstler prangen – mehr oder weniger gut gemalt. Übrigens kann man mit Bestimmtheit annehmen, daß ähnliche Motive Manets, z.B. das Haus von Ruel (Berliner Nationalgalerie) durch Beeinflussung Cézannes geschaffen wurden. Die breite Art, wie Cézanne Bäume und Terrains sah, wollten jetzt auch unsere Künstler als Zeichen ihrer eigenen Ursprünglichkeit betonen. Nun möchte ich selbst nicht als rückständig gelten, wenn ich gestehe, daß ich in unserer nordischen Heimat diese scharfe Aneinandersetzung der Flächen und Farben in der Natur nicht erkennen kann, verständlich wurde mir diese Anschauung zuerst in den südlichen Alpen und in Italien. Ich möchte auch behaupten, daß die Auffassung Cézannes darin begründet ist, daß er als Südfranzose geboren wurde, und daß er meistens im Süden Frankreichs gelebt und gearbeitet hat. Gauguins Art ist ebenfalls bedingt durch seinen Aufenthalt auf den Südseeinseln, wo er selbst gesteht, daß ihm hier seine Sehnsucht nach scharfen Farbenkontrasten erfüllt worden ist. Van Gogh, der jüngste von den dreien, war unstet und flüchtig und gelangte auch wohl erst zur Festigung seiner selbst, als er aus dem dunstig-silbrigen Holland nach Südfrankreich zu Gauguin gezogen war. Er geht wieder weiter als seine Vorgänger, indem er dicke Farben aufträgt und durch Nebeneinandersetzen reiner Farbenteilchen in der Ferne für das Auge eine desto lebendigere Wirkung erzielt. Auch seine Zeichnungen sind durch einzelne Striche und Punkte in solche Wirkung gebracht, daß der Eindruck der Natur erreicht wird, welche wohl keine Umgrenzung durch umgebende Linien in sich zeigt. In der Malerei ist er aber wieder von einer bestimmten Linienführung sehr eingenommen.
In Deutschland wurden wir – wie ich bereits gesagt habe – zuerst im jetzigen Jahrhundert mit diesen drei radikalsten Neuerern direkt bekannt; aber etwa zehn Jahre früher tauchte schon[59] in Berlin der Norweger Munch auf, welcher viel für und gegen sich reden machte. Heute sehen wir, daß diese damals originell anmutende Kunstauffassung in den Bildern Munchs ihren Ursprung in seiner Nacheiferung jener Franzosen gefunden hatte. Mit großem Talent hat er die Auffassung dieser Impressionisten zur eigenen gemacht und verarbeitet, so daß sie zu seiner eigenen Individualität wurde. Dazu mag beigetragen haben, daß in den skandinavischen Ländern, aus denen er seine Motive nahm, die Sonne härter scheint und der blaue Himmel ohne jenen feinen Silberton alle Farbenkontraste unvermittelt nebeneinander erscheinen läßt. Auch hat Munch nicht lediglich aus den Realisten geschöpft, sondern auch für sich von den Symbolisten gewonnen; dieses beweisen manche seiner Zyklen, in denen geistiger Mystizismus neben krasser Realistik steht. Ich bin auf diesen Künstler genauer eingegangen, weil er für die moderne deutsche Malerei gewissermaßen in ihrer zweiten Epoche – die erste mit Bastien Lepage, Liebermann und Uhde gerechnet – von wesentlicher Bedeutung und größtem Einfluß geworden ist.
Dann kam die Gelegenheit, die Werke Cézannes und seiner beiden Schüler mit eigenen Augen zu sehen, durch Paul Cassirer, der sie einführte, – und auch durch die Berliner Sezession, welche sich von jeher zur Aufgabe gemacht hat, alles Neue in der Kunst zu zeigen. Man konnte sich nicht dieser durch aus persönlichen Auffassung der neuen Kunstrichtung erwehren, und eine wahrhaft modisch wirkende Imitation drohte die fast selbständig gewordene deutsche Kunst zu vernichten. Noch ungezügelter wurde fremde Art nachgeahmt, als neue französische Künstler weitere Schlüsse aus den Werken Cézannes zogen.
Um mich für das Folgende verständlich zu machen, muß ich weiter ausholen: Jeder Betätigung der einzelnen Kunstperioden liegt ein gemeinsames Leitmotiv zugrunde, das ihr die bestimmende Charakteristik gibt. In unserer Nächstliegenden Zeit liebte man es, die Primitivität verschiedener Kunstkulturen als Unterströmung für das neu zu Schaffende zu verwerten. Seit 50 Jahren etwa, nachdem die Deutsch-Nazarener Veit, Overbeck, Cornelius sich zum Präraffaelitismus bekannt hatten, tauchte diese Ehrfurcht vor gotischer Kunst in England wieder auf. Wir kennen alle die Namen Dante Rosetti und Burne Jones. Sie faßten ihre Kunst in derselben primitiven steifen Art auf und vererbten sie so den französischen Symbolisten. Dann suchte man das Primitive in der Kunst Chinas und Japans und verwertete die Wirkung der Färbflecken dieser alten Kulturmenschen. Whistler ist wohl der berühmteste von dieser Art. Indische, persische Kunst folgte. Nun, nachdem alle diese Kulturen bis zur Neige ausgekostet waren, und die Blasiertheit der überkultivierten Franzosen eine gewissermaßen kon zentrierte Primitivität ersehnte, warf man sich auf die kindischen Stammeleien der Naturvölker. Die jetzigen Bilder der Neger und Malaien, die Malereien auf indianischen Zeltdächern wurden das Ideal in Form und Farbe für diese Modernsten.
In allen Arbeiten von Matisse und seinen Nächsten tritt dieses Quellmotiv deutlich zutage. Wie es nun immer ist, werden die Nachkommen noch wilder in ihren Annahmen, was modernste Kunst verlangt, und kommen scheinbar ganz auf die Naturvölker zurück; außerdem haben sie für ihre Rätselkunst, die nichts mehr mit der freien edeln Kunst gemein hat, Lehren aufgestellt, die der Geometrie entnommen scheinen. Man versucht die Körperflächen aus Dreiecken, Vierecken und Fünfecken herauszukonstruieren, und es wird oft unmöglich, vor diesem automatischen[60] Herumzirkeln das Dargestellte zu verstehen. Jede Einzwängung der Kunst in steinerne Lehren ist ein unwürdiges Unterfangen, und wir können – sobald es sich um bestimmte Doktrinen in der Mache handelt – nicht mehr von einer Kunstauffassung sprechen, sondern müssen derartiges zu den »Manieren«, zur »Rezeptmalerei« zahlen. Deshalb reihe ich hier auch zuerst den Pointillismus oder Neo-Impressionismus an, der schon älteren Datums ist und heut beinahe auf dem Aussterbeetat steht. Da diesem System ebenfalls ein Rechenexempel zugrunde liegt, welches lehrt, wie die einzelnen Farbteilchen zu einander stehen sollen und gegen einander verwendet werden müssen, kann diese Art Malerei auch nur als »Manier« bezeichnet werden. All diese Manieren haben deshalb zur Folge, daß die Individualität verschwindet und wenig oder gar kein Unterschied zwischen den Werken verschiedener Künstler zu sehen ist.
Ich habe vorher gesagt, daß die blinde Nachahmung dieser modernsten Art zu malen die fast selbständig gewordene deutsche Kunst arg gefährdet hat. Die jüngsten Generationen malten z.B. Stilleben à la Cézanne und à la van Gogh; aber nicht um das innerste Niesen dieser großen Vorbilder war ihnen zu tun, sondern um die Ähnlichkeit der äußeren Mache. Die perspektivisch falsch konstruierte spitze Tischecke Cézannes, ebenso wie die falsche Aufsicht seiner Krüge, das scharfe Grün seiner Apfel und die mit blauer Farbe umrissenen Konturen sind auf all diesen Bildern getreulich nachgeahmt und wiederzufinden, ebenso wie die karierten und emaillierten Gefäße, die van Gogh zu malen pflegte. Neue Motive wagen sich niemals bei diesen Nachäffern hervor. Niemals hat auch nur einer von diesen vielen Nachtretern den Mut gehabt, andere Gegenstände auf die Heinwand als die gesehenen zu bringen, wie z.B. Vögel, Blumen oder reichere Tafelprunkstücke. Doch nur, weil man nicht weiß, wie diese in den Originalgemälden gemalt wor den wären.
Noch verwerflicher scheint mir die Art, wie von den Modernsten die Figurenbilder behandelt werden. Jedes ernste Studium der Natur und die Elementarwissenschaften, die allen Anfängern so notwendig sind, werden hier mit Füßen getreten. Der Zusammenhang in der Körperkonstruktion und das Organische fehlen gänzlich in dem Bestreben, jenen exotischen Vorbildern der Naturvölker möglichst nahezukommen, und dennoch, wenn man den Dingen auf den Grund geht, erkennt man selbst in diesen Werken der Franzosen Motive und Art ihrer großen Vorfahren, nebst Cézanne, Puvis de Chavanne und gar Michel Angelo, zwar verwässert, aber unverkennbar. Die Jugend vergißt, daß kein Meister vom Himmel gefallen ist, und daß alles Große durch Mühe, Arbeit und Lernen entstanden ist. Sie fängt damit an – wie Liebermann richtig sagt –, womit die großen Meister aufgehört haben. Nicht durch angestrengtes Ringen (wie Rembrandt zu seiner letzten Anatomie, jenem großen Fragment aus dem Ryksmuseum, gekommen ist; oder Franz Hals zu seinen letzten Porträtgruppen in Harlem) gewinnt die jüngste Generation ihre Freiheit und Großzügigkeit, sondern durch leere und bequeme Vernachlässigung aller ernsthaften künstlerischen Bemühungen, ohne jede Selbstüberwindung und Selbsterkenntnis. Wie die Extreme sich berühren und das Ferne und Nahe in ewigem Kreislauf wieder einander trifft, so wird bald die Welt dieser falschen Genialität müde werden. Diese »Modemalerei«, nicht modernste Malerei, wird sich als das entpuppen, was sie in der Tat ist, nämlich als ein Übergangsstadium. Strengste Arbeit und eifrigstes Studium wird wieder an Stelle dieser frivolen Ungebundenheit treten, und alle Nachahmung exotischer Negerkunst wird in einem Winkel der Vergangenheit für lange Feit wieder begraben liegen.[61]
Ohne Frage ist jedem kunstverständigen klar, daß in Deutschland heut gesundere Bestrebungen und intensivere Lebenskraft herrschen als in dem bis dahin leitenden Frankreich. Denn bei uns sind die Nachahmer dieser französischen Neuerung immerhin in kleinerer Anzahl, wahrend in Frankreich nach Abzug dieser Modernsten fast nichts Qualitatives übrigbleibt.
Wir können mit Sicherheit darauf rechnen, daß den Deutschen nach Überwindung dieser Epoche eine nationale Kunst zugeeignet sein wird, und dann werden wir die Gebenden werden, wo wir so lange mit Recht die Empfangenden waren. Ich verstehe unter deutscher Kunst nicht diese Merkmale, welche gewöhnlich von Kunstliteraten als spezifisch national genannt werden, als da sind: deutsche Gemütlichkeit, Mondscheinandacht mit Violinespielen oder Hundegebell, der krähende Hahn auf dem Misthaufen und anderes mehr, noch meine ich, wie man oft lesen kann, daß die Maler, welche längs den Ufern des deutschen Rheins wohnen, befähigter wären, deutsch zu malen, als die, welche anderwärts ihr Atelier aufgeschlagen haben.
Die deutsche Kunst wird da sein, ohne unser geringstes Zutun und unabhängig von der geographischen Lage, wo Maler arbeiten. Lediglich dadurch, daß jeder sein Bestes tut, und zwar jeder aus seinem eigensten Wesen heraus. Wir haben bereits die ersten Anfänge überwunden, denn schon heute gibt es deutsche Künstler, die denen anderer Länder ebenbürtig sind und durch ihre starke Individualität hervorstechen. Für Talente in der Zukunft wird eine gütige Vorsehung Sorge tragen.
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