60 [57] Brief an August Macke

8.9.1911


Lieber August, ... Was Du über Kandinsky schreibst, ist vollkommen das, was auch mich an ihm so freut und begeistert. Sähest Du mehr von ihm, im Atelier selbst, und das, was ich hier habe, würdest Du Deine Freude daran verdreifachen. Der Mensch, der dahinter steht, ist das allerbeste. Betreff Münterle hast Du selbstverständlich recht; es macht ja aber gar nichts; es werden doch alle kleine Münters und keine kleinen Kandinskys. Sie ist so niedlich hier, wenn sie bayrisch geht. Daß Du so viel Schwaches und Unfertiges bei Deinen Arbeiten fühlst (– Denkst du etwa, ich fühlte es bei mir weniger? oh mei!), ist gar kein Grund, mit diesem Großberliner aus der Brandenburgstraße [Bernhard Koehler senior, d. Hrsg.] nicht sehr energisch umzugehen; ich hab es letzthin auch wieder in einer, wenn auch kleineren Sache getan, und er hat sofort klein beigegeben. Du mußt jedenfalls vollkommen ignorieren, daß Du ihm quasi verwandt bist. Mein letzter Brief über die Vereinigung war nur ein kleines Präludium zu weit größeren Plänen, die Kandinsky und ich momentan aushecken; ich brauch Dich wohl nicht extra zu bitten, gegen jedermann davon vorerst zu schweigen. Wir wollen einen ›Alma nach‹ gründen, der das Organ aller neuen echten Ideen unserer Tage werden soll. Malerei, Musik, Bühne etc. Er soll zugleich in Paris, München und Moskau erscheinen, mit vielen Illustrationen. In Paris sollen Le Fauconnier und Girieud die erste Mitarbeiterschaft übernehmen, an Musikern haben wir Schönberg und einige Moskauer, außerdem dort die Burljuks.

Es soll vor allem durch vergleichendes Material viel erklärt werden –, Deine alten Pläne, vergleichende Kunstgeschichte zu treiben, haben hier ihren Platz. Wir werden alte Glasbilder, französische und russische Volksblätter bringen, neben fremden und eigenen neuen Sachen, zuweilen dazwischen einmal ›Münchner moderne Malerei‹ zum Vergleich. Wir erhoffen soviel Heilsames und Anregendes davon, auch direkt für die eigene Arbeit, zur Klärung der Ideen, daß dieser Almanach unser ganzer Traum geworden ist. (Verleger ist natürlich ein ganz gewöhnlicher Setzerlehrling namens Piper). Mir tut es unendlich leid, Dich nicht hier zu haben bei den langen Abenden, an denen wir alles durchsprechen. Selbst wenn noch alles zu Wasser würde, wären mir diese Abende nicht leid. Auch Deine Bühnenpläne sind hier am Platz; in dieser Beziehung haben wir ziemlich feines Material (wiederum von Russen!). Wenn Du einmal ein paar neue Sachen gemalt hast, schicke sie doch her; ich bin furchtbar neugierig darauf; schreib mir auch bitte ein mal, welchen Eindruck Dir die Mannheimer Ausstellung gemacht, sowohl Girieuds wie meine. Für mich scheint diese Kollektion schon so weit zurückzuliegen, daß es mir ganz komisch vorkommt, sie wieder ausgestellt zu wissen. Ich war ziemlich fleißig seitdem, und ich glaube auch,[58] daß ich vorwärts gekommen bin. In der Erinnerung scheinen mir jene Bilder z.T. sehr äußerlich schön und vieles hinkend, Gesichter mit schiefen Backen, Wagen mit drei oder fünf Rädern. Mein ganzes Trachten ist, innerlicher zu werden, jeder auf dem Bilde vorkommenden Farbe und Form eine innerliche, nicht beweisbare Notwendigkeit zu geben. Die Wirkung echter Kunst ist nie beweisbar oder erklärbar (z.B. die Sachen Deiner Frau) ... Nun Schluß mit dem Geschwätz. Deine Glasbilderporträts hab ich fein bayrisch gerahmt, wie sich's gehört. Glänzend fand ich auch die, die Münter hat, vor allem die Schwarzrheindorfer Landschaft mit dem Fischer und das Deiner Frau. (Küss die Hand!). Viel Vergnügen und gute Arbeit in Kandern. Euch beiden herzlich verbunden

Franz und Maria

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 57-59.
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