Die Verlassene

[51] Erklinge still, du Lied der treuen Liebe,

Nur Seufzerhauch sey deine Melodie.

Kein lauter Klang darf sich mit dir vermählen,

Denn leise nur spricht die Melancholie.


Erbebt, ihr Saiten innerer Gefühle,

Bei der Erinn'rung wundersüssem Schmerz,

Bei dem Gedanken der vergangnen Zeiten,

Und wiegt in Schlummer das erregte Herz.


Wo bist du hin, du Stunde des Entzückens,

Als seines Auges klarer Himmelsstrahl,

Wie Sonnenlicht in eines Kerkers Dunkel,

Sich in die Tiefe meiner Seele stahl?
[51]

Wo bist du hin, als seiner Stimme Zauber

Zum erstenmahl mein bebend Herz durchdrang

Und räthselhafter Ahndung leises Tönen

Mir im bewegten Busen tief erklang? –


Ach du entflohst – doch schön're Stunden kamen,

Die Scheu verschwand, ein ruhigeres Glück

Entblühte mir in der geliebten Nähe,

Und rief den innern Frieden mir zurück.


Da wagt' ich's erst mir selbst es zu gestehen,

Dass ich ihn liebte, und in seinem Blick

Lag mir, im Glanz der Hoffnung aufgeschlossen,

Die Zukunft, und ein lächelndes Geschick.


Und mich durchschauerte, wie eines Gottes Nähe,

Sein ernstes Wort, das Liebe zu mir sprach.

Ein Echo, das in meinem Innern wohnte,

Klang jede Sylbe seiner Rede nach.
[52]

Er musste scheiden – viele Monden schwanden,

Mein trauernd Herz erhielt sich ihm getreu.

Still flossen meine Tage hin, wie Thränen,

Und meine Liebe blieb mir immer neu.


Da kehrt' er wieder – zitternd ihm entgegen

Zu fliegen, und an der geliebten Brust

Ein freudiges Willkommen! ihm zu stammeln,

Schien mir des Daseyns höchste, reinste Lust.


Doch nun verstummet, leise Klagetöne,

Erneuert nicht den ewig heissen Schmerz.

Es kehrte die Gestalt des Freundes wieder,

Doch ach – erkaltet war für mich sein Herz.
[53]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gedichte von Natalie. Berlin 1808, S. 51-54.
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