V

[16] Die Stadt, in welcher die Generalin lebte, gehörte zwar eben nicht zu den größten, und war keineswegs frei von den kleinlichen Fehlern eines Tons, der sich oft durch Neugierde und Geschwäzzigkeit von dem Pfade edlerer Unterhaltung entfernte, aber an munterer Geselligkeit gab sie der Residenz nichts nach, denn mehrere Beamte, und wohlhabende Honoratioren bildeten mit dem zahlreichen Adel der umliegenden Gegend einen weiten Kreis,[16] der sich sehr oft versammelte, sich vereint des Lebens zu freuen.

Die Generalin war mit allen in gutem Vernehmen, doch ihr liebster Umgang beschränkte sich auf Frau von Willfried, deren ohnehin sanfter Charakter durch die fromme Geduld, mit der sie eine beständige Kränklichkeit trug, noch weicher und anziehender wurde.

Sie hatten gemeinschaftlich ihre Jugend in der großen Welt zugebracht, und so manche Erinnerung der Vergangenheit, die jetzt ihre Einsamkeit würzte, gab ihnen reichen Stoff der Mittheilung im traulichen Beisammenseyn, indem sich durch sie das Andenken jener Zeit ihnen erneuerte.

Ein noch innigeres Band webte aber Erna zwischen ihnen, die – gleichsam von zwei Müttern gepflegt und geliebt, und beide mit Liebe und Gehorsam umfassend, schon in der frühsten Kindheit ein herrliches Gemüth neben ausgezeichneten Geistesgaben ahnen ließ.

Die Generalin hatte keine Kinder, und Alexander, der einzige hinterlassene Sohn ihres früh verstorbenen Bruders sollte einmal in Zukunft ihr Erbe werden. Doch war diese Verfügung mehr ein Werk der Pflicht als der Neigung, denn sie hatte ihn seit seinem zehnten Jahr aus den Augen verloren, und wenn sie auch von allen Seiten hörte, er sei zu einem schönen, frohen, geistreichen[17] Jüngling heran geblüht, der allenthalben warmen Antheil erwecke, und – wie man zu sagen pflegt – Glück mache, so mischte sich doch auch manche Kunde von seinem Leichtsinn, dem aufbrausenden Ungestüm seines Charakters und seinem an Libertinage gränzenden Hang zum üppigsten Lebensgenuß als dunkler Schatten in das schimmernde Bild seiner Liebenswürdigkeit, und die Briefe, die sie von Zeit zu Zeit von ihm empfing, bestätigten ihr durch manchen charakteristischen Zug, daß Lob und Tadel über ihn gegründet sei.

Einsam, und unbekannt mit Freuden und Gespielen ihres Alters, war Erna neben ihr aufgewachsen, und hatte oft durch ihre stille, sich selbst nicht einmal bewußte Güte, durch ihre Innigkeit und kindliche Hingebung, die nie auf sich, immer nur auf das Wohl an derer, Rücksicht nahm, den Wunsch erregt, daß die Natur sie ihr zur Tochter verliehen haben möge.

Der immer leidende Zustand der Frau von Willfried, hatte ihre Reizbarkeit so unendlich erhöht, ihr Empfindungsvermögen so krankhaft geschärft, daß sie die Entfernung ihres einzigen geliebten Kindes, auch nur auf Stunden, nicht ertragen konnte. Daher, und weil eine tiefe Stille in ihrer Umgebung ihr bei ihren schwachen Nerven Bedürfnis war, wurde Erna ausgeschlossen von den munteren Kreisen anderer Kinder, und ihr Gemüth, das die[18] Sonne des Frohsinns nur selten durchscheinen durfte, neigte sich zu einem unnatürlichen Ernst, an dem es früher reifte als die eigentliche Bestimmung des Menschen es haben will.

Es war ihr nicht entgangen, daß man das stete Kränkeln ihrer Mutter von den Folgen der schweren Niederkunft ableitete, durch welche ihr das Daseyn gegeben worden war. Diese traurige Entdeckung legte ihrem tief fühlenden Herzen, das schon durch die unbegränzte Fülle der Mutterliebe, die sie erfuhr, zu der innigsten Dankbarkeit verpflichtet war, das drückende Gewicht eines inneren Vorwurfs auf, dessen Schwere ihr nur eine völlige Aufopferung eigener Freuden und Wünsche, und das Bestreben, ganz ihren kindlichen Pflichten zu leben, erleichtern konnte.

Diese Tendenz, die ihr als der heiligste Beruf vorschwebte, theilte ihr, indem sie die angebohrene Lebhaftigkeit ihres Innern dämpfte und gewissermaßen mit einem Flor umhüllte, auch in der äußeren Form jene leise Stille mit, die in allen ihren Bewegungen Geräusch zu vermeiden gewöhnt, immer nur zu lindern, zu helfen und zu tragen bemüht ist. Wie der Engel der Geduld und der stillen klaglosen Resignation war sie stets um ihre Mutter, und leistete mit zarter liebevoller Hand ihr alle Pflege, die sie bedurfte. Sie wurde in ihrem Beisein unterrichtet, sie las ihr vor – sie genoß[19] die frische Luft und die bunten Abwechselungen der Jahreszeiten nur an der Seite der Leidenden, wenn sie – statt mit den Lämmern der Wiese um die Wette umher zu springen – gehaltenen Schrittes sie hinaus führte, um mitten in der blühenden Natur sie von der Vergänglichkeit alles Irrdischen, von ihren Schmerzen und Todesahnungen sprechen zu hören.

So wurde ihr jugendlich knospendes Leben früh von einer Schwermuth verschattet, die nur durch den stillen Frieden gemildert ward, den das Bewußtseyn erfüllter Pflichten gewährt. Ihre nie ermüdende, treue Sorgfalt für ihre Mutter war ihr der mit inniger Liebe klar erschaute Mittelpunkt, von welchem all' ihr Wollen und Wirken ausging, und zu dem es wieder zurückkehrte. Wohl dämmerten zuweilen in ihrer Seele Ahnungen einer freudigeren Welt auf, als sie rings um sich erblickte, aber ihre Sehnsucht strebte nicht über die scharf gezogene Gränzlinie hin, die sie davon schied und ein stilles Genügen, das sie im Busen trug, versöhnte sie fromm und ergeben mit ihrer einförmigen und ernsten Existenz.[20]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 16-21.
Lizenz:
Kategorien: