XII

[107] Er war daher froh, als das Signal zum Aufbruch seine Verlegenheit beendigte. Still und wortkarg lenkte er den Schlitten durch die schneebedeckten Gefilde, wenig in der Gräfin heiteres Plaudern eingehend und seine düsteren Gedanken reuig in die Vergangenheit, zagend in die Zukunft senkend.

Der Weg führte durch einen Tannenwald, dessen dunkles Grün die Hülle von Schnee zuweilen durchbrach, wie eine leise Hoffnung in ihm die Nacht der Resignation durchschimmerte, zu der Erna's an Geringschätzung gränzende Gleichgültigkeit ihn zu verdammen schien.

Auf einer Anhöhe, zu der, wo der Wald aufhörte, eine breite Allee sanft empor leitete, lag Bellevue, das Ziel ihrer Fahrt, und hell und freundlich von der mittäglichen Sonne beschienen, strahlte ihnen das wohlgebaute Schloß mit den weit ausgebreiteten Orangeriegebäuden entgegen, die es umgaben.[107]

Dort stiegen sie aus, und wandelten umher. Der Reichthum so vieler tropischen Gewächse, die Zierden jedes Himmelsstrichs, und der Triumph der Kunst, die selbst in dieser Jahreszeit die dem Sommer eigenthümlichen Blumen zum Blühen zwang, machte auf Erna, die der Pflanzenwelt so hold war, einen kindlich frohen, ihr ganzes Wesen freudig umwandelnden Eindruck.

Auch Alexander fühlte sich freudiger angeregt, indem er bemerkte, daß in dieser sanften Neigung wenigstens ihr Gefühl dem seinen begegnen müsse, denn an Kinder, an Musik und Blumen hing sein Herz vorzüglich, und beurkundete eben dadurch, daß es ursprünglich eine edlere Tendenz von der Natur erhalten hatte, als sich im Getöse seelenloser, oft gar die Seele entweihender Freuden müde zu schlagen. Er selbst zog in seinen Zimmern mit der genausten Sachkenntnis, und mit wahrer väterlichen Liebe die schönsten Blumen, und so ungeduldig er auch übrigens war, so konnte sein rascher Sinn doch mit der größten Behutsamkeit und Ausdauer das Entwickeln und Fortschreiten einer Knospe belauschen, oder dem leisen Entfalten einer lang ersehnten Blüthe entgegen harren.

Es näherte ihm Erna auf eine zwanglose und ganz zufällig scheinende Art, daß seine botanische Gelehrsamkeit ihr viele Namen, die ihr fremd[108] waren, zu nennen wußte, und da er diese Wissenschaft nicht blos systematisch, sondern mit wahrer entschiedener Vorliebe und Anwendung auf das praktische Leben geübt hatte, so konnte er ihr mehr mittheilen, als die trockene Nomenclatur allein bietet, und fügte die Eigenschaften, Zwecke und charakteristischen Tugenden eines jeden Gewächses, das ihr eine neue Erscheinung war, mit hinzu.

Eine so harmlose Unterhaltung machte sie zutraulich. Schon hörte sie nicht nur mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Belehrungen zu, sondern suchte durch Fragen ihren Umfang zu erweitern, und durch Einwürfe, und oftmals keck genug ausgesprochene Zweifel sich immer gründlicher durch seine Mittheilungen zu unterrichten. Unvermerkt entfernten sie sich von den Uebrigen, die weniger lebhaften Antheil an den Einzelnen nehmend, sich lieber dem Gesammteindruck dieses erkünstelten Frühlings überließen, und vor der prächtigen camellia japonica stehend, docirte er ihr mit vielem Ernst, daß sie vermöge des ewig frischen Grüns ihrer Blätter und des pergamentartigen Stoffs ihrer Blüthen zu dem Geschlecht der Orangerie gehöre, in China und Japan zu Hause sei, und die Eigenheit besitze, daß ihre vom höchsten Purpur bis zum reinsten Weiß übergehenden Blüthen abfallen, ehe sie noch verwelkt sind.[109]

Diese Worte schienen in Erna's leicht bewegtem Gemüth eine sonderbare Erschütterung hervorzubringen. Abfallen, vor dem Verwelken, welch ein neidenswerthes Loos! sagte sie leise vor sich hin, und beugte sich auf eine der Blüthen herab, die, obgleich nur sanft von ihr berührt, sich vom Stiel trennte, und herab säuselte.

Schnell hob Alexander sie auf. Wie eine Mutter in ihren Kindern noch fortlebt, sprach er, so pflegt man diese Blüthen auf junge Knospen ihres Stammes zu setzen, wo sie noch lange in ihrer Schönheit fortdauern, ohne eine andere Nahrung in sich zu ziehen, als die, die sie in ihrer eigenen Kraft finden.

Sie nahten sich jetzt der Plumeria rubra, und Erna fragte, ob dies nicht eine Abart des Oleanders sei, den sie in südlichen Ländern so oft im Freien habe blühen sehen.

Alexander mußte eine flüchtige Familienähnlichkeit zwischen diesen Gewächsen anerkennen, berichtigte aber den freundlichen Irrthum, in welchem sie gleichsam eine alte Bekanntschaft in dieser Pflanze zu erneuern wähnte, dahin, daß er ihr aus einander setzte, wie sie, aus Jamaika abstammend, nur in heißen Lüften gedeihe, und schon in den sonderbaren, mit einander gleichlaufenden, und noch vor dem Rande der grünen Blätter sich wieder vereinigenden Seitenadern ihre indische[110] Herkunft beurkunde, da eine solche Zeichnung europäischen Gewächsen nicht eigen sei. Sie verlange stets eine gleiche, und nicht zu schwache Temperatur der Wärme, und lohne die sorgsame Pflege, die ihr unter kälteren Zonen Bedürfnis sei, durch ihren herrlichen Duft, der ihr in ihrer Heimath auch noch die Benennung: rother Jasmin zugezogen habe. Ihren botanischen Namen verdanke sie dem verdienstvollen französischen Pater Plumier, der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die westindische Naturgeschichte mit so vielem Eifer untersuchte, so treffliche Entdeckungen als Resultate seines Forschens uns hinterließ, und der erste war, der diese Zierde eines fremden Himmelsstrichs nach Europa sandte.

Mit vielem Interesse hörte Erna ihm zu. Wie schön find' ich diese Art, das Andenken eines Naturforschers zu ehren, sagte sie. Ein unvergänglicheres Denkmahl, als Erz und Marmor bieten können, blüht ihm in der ewig sich erneuernden Jugend und Schönheit des Pflanzenlebens, und trägt seinen Namen dankbar in ferne Jahrhunderte hinüber.

Ich kann's nicht ausdrücken, fuhr sie zur Gräfin gewendet, fort, die sich ihr genähert hatte, welchen warmen Antheil gerade dieser Zweig der Naturgeschichte in mir erregt, welch eine eigene, schmerzlich süße Bedeutung mein Gemüth in[111] das stille Knospen, Treiben und Vergehn der Pflanzen legt. Es gemahnt mich, wie das menschliche, oder vielmehr wie das weibliche Leben, das auch, so eng beschränkt auf eine Stelle, sich oft, wie in eine stehende Form des Daseyns gegossen, nur entfaltet, um zu verblühen – selten bemerkt – seltener noch gekannt. –

Warum schließen Sie aber die Männer aus, liebes Kind, fiel die Gräfin schalkhaft ein. Freilich – es wäre ihnen zu viel Ehre erzeigt, ihnen unter den Blumen ihren Platz anzuweisen – und sie in die Klasse des Unkrauts zu stellen, dazu sind sie offenbar zu gut. Aber es fände sich ja wohl eine andere, passendere Rubrick für sie. Lassen Sie uns ein wenig nachdenken. Sollen wir sie zu den Schmetterlingen zählen, die das Blühende umflattern, so lange es blüht? – Oder zu den Dornen, deren Zweck mehr zu verwunden, als zu schützen ist? Oder zu den Würmern, die oft zerstörend die geheimsten Wurzeln des Daseyns zernagen, daß die zarte Staude hinwelkt, ohne daß ein menschliches Auge die Ursach ihres Leidens wahrnimmt? –

Erna wurde roth. Ihr Auge erhob sich mit dem schüchternen Ausdruck leisen Forschens, welchen Eindruck diese Worte auf ihn machten, zu Alexandern, welcher, aufgebracht über den bittern Scherz der Gräfin, der seine stille Unterhaltung[112] störte, und Erna's Stimmung sichtlich eine andere Richtung gab, sich schweigend in die Lippen biß.

Das sanfte Mitleid mit seinem gereitzten und peinlichen Zustande gab indeß ihrem Blick einen unwillkührlichen Ausdruck von Zärtlichkeit, der alle Bitterkeit des Unmuths in ihm verlöschte, und indem sie leicht und schonend das Gespräch auf andere Gegenstände wandte, sparte sie ihm die Anstrengung mit so befangener Seele in die ihm misfällige Heiterkeit der Gräfin eingehen zu müssen.

Sie fragte nämlich nach einer Gemäldesammlung, die, wie sie gehört hatte, interimistisch im Schlosse Bellevüe aufbewahrt werde, bis ein eigenes Local in der Residenz für sie eingerichtet sei, und in welcher, zwar noch ungeordnet und bunt unter einander gemischt, doch manche interessante Erinnerung aus grauer Vorzeit, manches Andenken an später lebende berühmte Menschen in ihren Bildern enthalten seyn solle.

Alexander kannte diese Sammlung und erbot sich zum Cicerone, und da der kurze Wintertag nicht lange mehr volle Beleuchtung von außen versprach, so eilte man, sie noch vor der eintretenden Dämmerung zu betrachten.[113]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 107-114.
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