XIV

[270] So waren mehrere Wochen still und friedlich in harmlosen Mittheilungen vergangen, in denen beide Ersatz für höheres, ihnen versagtes Glück fanden, da erschien plötzlich das Gespenst, das den unschuldsvollen Genuß verscheuchte, der bisher die Würze ihrer Einsamkeit gewesen war.

Linovsky nämlich kehrte zurück an den heimischen Heerd, dessen reine Flamme er zwar nicht entweiht, aber doch für eine höhere Gottheit glühend fand. Ihn empfing die Gattin mit der Achtung, die sie ihrem Gemahl, dem Vater ihrer Kinder, schuldig war, aber auch mit dem ganzen Stolz des durch keine Schuld befleckten Bewußtseyns und mit der Kälte des den irrdischen Verhältnissen nicht mehr angehörenden Gefühls. Mit alle der Eigensucht, die sich stets allein strebte in Erna's Kreise geltend zu machen, geschärft durch Mistrauen und Eifersucht, und vielleicht durch Ohrenbläsereien bereits gereizt, forschte er nach allen kleinen unbedeutenden Vorgängen während seiner Abwesenheit.

Erna, zu lauter zur Lüge, verhehlte Alexander's öftere Besuche nicht. Sie hatte es zu lebhaft empfunden, daß es ihrer Nähe, ihrer vertraulichen Hinneigung beschieden war, ihn aus der Tiefe muthloser Verzweiflung zu erheben, und[270] auf eine Stufe zu sich heraufzuziehen, auf der sie ihn frei und ohne Erröthen vor aller Welt bekennen durfte. Auch hatte sie schon längst in ihrem Innern, ohne Grausen, den ernsten Flügelschlag des nahenden Engels vernommen, der ihr die Pforte eines besseren Lebens zu öffnen versprach. Tief lagen daher unter ihr alle feindseligen Urtheile der Verläumdung und der alles Gute abläugnenden Zweifelsucht, und fest entschlossen, ihrer Pflicht getreu zu bleiben, war sie eben so entschieden, sich nicht zu versagen, was mit ihr bestehen konnte.

Sie übersah daher mit ruhigem Gleichmuth die nicht laut ausgesprochene Misbilligung Linovsky's, die aber doch in mancher bitteren Anspielung und in mancher höhnischen Seitenbemerkung sich darüber äußerte, daß sie Alexandern einen näheren Zutritt gestattet hatte, als dem gleichgültigen Bekannten geziemt.

Als er nun aber selbst erschien, ahnungslos, welche plötzliche Dazwischenkunft ihn jetzt auf einmal aus seinem Himmel stürzte – als sie in den Zügen ihres Mannes die feindselige Bitterkeit des im Verborgenen glimmenden Grolles wahrnahm, der nur einer geringen Veranlassung von Außen bedurfte, um unheilbringend und zerstörend hervorzubrechen, als sie den an Verachtung gränzenden Trotz bemerkte, den Alexander seinem[271] kühlen, kaum höflichen Benehmen entgegensetzte, da fand sie, von bangen Ahnungen ergriffen, sich zur Verhüthung ärgerlicher Auftritte verpflichtet, lieber Verzicht auf die höchste, letzte Freude ihres Lebens zu leisten, als die Furie der Zwietracht entflammen zu helfen, und Gefahren herbeizuführen, vor deren bloßen Möglichkeit sie schon erzitterte.

Sie beschloß daher unwiderruflich bei sich selbst, durch eine offene und ruhige Vorstellung Alexandern zu veranlassen, daß er seine Besuche einstelle, da sie Linovsky'n offenbar so misfällig waren. Doch ehe sie noch den unbeobachteten Augenblick fand, den sie sich zu einer kurzen Unterredung wünschte, brach der Ungestüm des Eifersüchtigen die Gelegenheit vom Zaun, seinem Unmuth Luft zu verschaffen, und den unwillkommenen Gast für immer zu entfernen.

Der kleine Otto nämlich hatte nur mit Schüchternheit dem finstern Vater sich genaht, und blöde und frostig die Liebkosungen erwiedert, mit denen er beim Wiedersehen seinen Erstgeborenen ans Herz drückte.

Wie ganz anders war der Empfang, den Alexander fand. Freudig hereinstürmend, auf seine Kniee kletternd und ihn mit beiden Armen umklammernd, als wolle er ihn nimmer wieder loslassen, schien es wirklich, als sei Linovsky[272] dem Knaben ein Fremder, und als ruhe jetzt erst das liebende Kind am Busen seines Vaters.

Düster rief Linovsky den Kleinen von Alexander's Schooße zu sich. Er gehorchte, aber nicht aus Neigung, sondern sichtbar nur aus Furcht vor dem Zorn, den er bereits in des Vaters Augen funkeln sah, und obgleich losgerissen von dem lieben, freundlichen Freund, blieben seine Blicke doch unverwandt mit dem seelenvollsten Ausdruck der zärtlichsten Anhänglichkeit an ihm hängen, wenn auch Linovsky's Arme, gleich einem beängstigenden Gefängnis, ihn umschlossen, und jede seiner Bewegungen hemmten.

Hast du mich lieb, mein Kind? flüsterte Linovsky zu dem goldenen Lockenkopf sich herabbeugend.

Ja, ach ja! antwortete der Kleine ängstlich. Erst die Mutter, hernach Norbeck, und dann Dich.

Linovsky erbleichte bei diesem naiven Geständnis. Zürnend setzte er den Knaben nieder, der sogleich wieder zu Alexandern zurückstrebte. Aber ihn heftig beim Arm fassend und seitwärts schleudernd, sprang jetzt der Vater, seiner Wuth nicht mehr gebietend, auf.

Ich hätte gehofft, Du würdest mein Andenken lebendiger in des Kindes Herzen erhalten haben, sprach er nach einer Pause mit Bitterkeit zu[273] Erna. Aber, was in Dir selbst augenscheinlich nur allzuschnell unterging, um neuen Gegenständen Platz zu machen – wie könnte es eine festere Dauer in einem so zarten Gemüthe finden, das von Pflicht und Recht noch keinen Begriff hat.

Erna's blasses Gesicht überzog sich mit einer flammenden Röthe, aber sie schwieg, weil sie fühlte, jede Erklärung in diesem Augenblick, sei sie auch noch so rechtfertigend, könne den Zwist, den sie zu vermeiden suchte, nur um so schleuniger entzünden.

Sie rief den weinenden Otto zu sich, der durch die rauhe Begegnung seines Vaters aufs Gesicht gefallen war und blutete, und indem sie ihn, ohne Parthei gegen Linovsky zu nehmen, tröstete, und die Schuld seines Fallens auf seine eigene Ungeschicklichkeit schob, band sie ein Tuch um seine verletzte Stirn, und schickte ihn fort zu Augusten.

Auch Alexander war aufgestanden. Sein Blut kochte – alle bösen Geister des Zorns, der Rache und der Vertilgungssucht wachten blutdürstig in seinem Herzen auf, und sehnten sich, nicht blos zu knirschen, sondern zu handeln. – Doch Erna's Anblick, die still in ihren Leiden den rührenden, Ruhe gebietenden Blick auf seine herausfodernden Augen heftete, entwaffnete ihn wieder,[274] aber er empfand, daß die schnellste Entfernung nöthig sei, um sich in einer wenigstens dem Anschein nach friedlichen Stimmung zu erhalten.

Er griff daher nach seinem Hute. Mit beleidigender Hast zog Linovsky bei diesem Zeichen des nahen Gehens an der Klingel, und befahl dem hereintretenden Bedienten, Herrn von Norbeck's Pferd vorzuführen. Hierauf ging er ohne Abschied in ein Nebenzimmer, wo er, die Thür hinter sich werfend, sich verschloß.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 270-275.
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