Das Liebhaber-Theater

Eine Erzählung

[22] Unter glänzenden Abwechselungen, war in einer deutschen, ziemlich bedeutenden Residenz das Carneval vorübergegangen, und vorzüglich hatte das Theater, diese Schule der Sitten, und zugleich dieser Spiegel der Thoren und Weisen, die Gebildeteren der Gesellschaft auf das anmuthigste unterhalten, als plözlich in einem engern Kreise derselben das Verlangen entstand, selbst in dramatischen Darstellungen aufzutreten.

Sehr leicht verband man sich zu diesem, so mannigfaches Vergnügen versprechenden Zwecke. Er war ein fröhlicher geselliger Vereinigungspunkt für Alle und schmeichelte noch jedem insbesondere nach seiner Individualität mit Aussichten und Hoffnungen, die der abgemeßnere Gang des täglichen Lebens nicht gestatten wollte. Denn die durch Konvenienz und eigene Schüchternheit beschränkte Jugend glaubte in[22] den Proben sich einander traulicher nähern, und eine höhere Bedeutung in manches gehaltvolle Wort legen zu dürfen. Aeltere Damen, von deren Wangen die Zeit bereits allen Blüthenschimmer abgestreift hatte, meinten jezt durch Kunst und vortheilhafte Beleuchtung von neuem – wenigstens in einer gewissen Entfernung – wieder aufzublühen; und heiter und erfreulich schien es den Meisten, aus ihrem Character heraus treten, und eine Rolle spielen zu können.

Unter den Männern war das Interesse ebenfalls lebhaft, und motivirt nach der Verschiedenheit ihrer Jahre, und ihrer Denkungsart. Die wenigsten kannten sich selbst. Einige, denen die Natur das Privilegium ertheilt hatte, überall, theils durch ihre Gestalt, theils durch ihre Laune, Lachen zu erregen, hielten sich vollen Ernstens für das Erhabene geschaffen, und erblickten sich schon im Geist auf der Bühne in den rührendsten Heldenrollen der Tragödie. Andere, die im wirklichen Leben sich nie mit Lebhaftigkeit äußerten, glaubten jedoch, weil ihre ruhig besonnene Stimmung sich oft angenehm durch Scherz und Naivetät angesprochen fühlte, es sey nichts leichter, als selbst naiv und scherzend aufzutreten, und wiederum andere hielten für Talent in sich, was nur Neigung war, und meinten, ein innerer Beruf winke ihnen auf's Theater, wo die Zuschauer dann schnell genug gewahr wurden, daß dieser innere Beruf sich eigentlich nicht weiter, als – hinter die Coulissen hätte erstrecken sollen.

Da indessen gesellige Freude der Hauptzweck[23] ihres Bestrebens war, und eine gewisse Gutmüthigkeit die Mitglieder dieses freundschaftlichen Vereins mehr oder weniger tolerant gegen ihre wechselseitigen Schwächen machte, störten kleine Fehlgriffe die allgemeine Heiterkeit nicht, und allmählich lernte man auch dem Urtheile anderer vertrauen, und näherte sich nun einige Stuffen mehr dem Gelungenen.

Mit den glänzendsten Anlagen zur Ausübung der dramatischen Kunst sowohl als auch im gewöhnlichen Leben in der noch wichtigern Kunst zu gefallen, hatte die Natur unstreitig den Baron Sellbrok ausgestattet, denn eine schöne Gestalt, ein wohlklingendes Organ, und eine unwiderstehliche Beredsamkeit der Mienen zeichneten ihn nicht nur auf, sondern auch außer dem Theater auf eine höchst einnehmende Weise aus.

Ihm wurden, seit auch er sich mit diesem Cirkel verbunden hatte, einstimmig die bedeutendsten und empfindungsvollsten Rollen zugetheilt, und er wuste, – nicht von den Regeln der Kunst, sondern von seinem warmen Gefühl geleitet, – sie in einer Vortrefflichkeit darzustellen, durch die man mit der Mittelmäßigkeit seiner Mitspielenden versöhnt wurde.

Wenn er dann in der Fülle männlicher Schönheit, und von der Begeisterung dichterischer Liebe ergriffen, rings um sich her vergaß, und vergessen ließ, daß nur Täuschung es war, die mit allem Zauber der Wahrheit ihn durchglühte – da seufzten oft leise die, denen für den Augenblick die Flamme seines hohen Enthusiasmus gewidmet war, daß sein eignes Herz nicht so sprach, und daß das flüchtige[24] Spiel sich nimmer in dauernden Ernst verwandeln wollte. Denn wenn der Vorhang gefallen war, trat Sellbrock wieder in die Schranken conventioneller Formen zurück, und vergebens waren die geheimen Wünsche holder Mädchen und Frauen, auch außer der Bühne die Sprache des glühenden Gefühls von ihm zu vernehmen, die er dort oft so hinreißend an sie richtete.

Die Gräfin Hilmar hatte unter der Bedingung, daß ihre Tochter niemals mit spielen sollte, ihr Haus, dessen Local ganz dazu geeignet war, dem Liebhaber-Theater eingeräumt. Umsonst bemühte man sich, den Willen der strengen Mutter zu beugen, besonders da Fräulein Mariane als Zuschauerin einen sehr warmen Antheil an jeder Vorstellung nahm, und zuweilen ganz unverholen die Neigung verrieth, thätig mit zu wirken. Ihre Schönheit, ihr edler Anstand, dem bei jungfräulicher Demuth doch eine gewisse Sicherheit nicht fehlte, und der liebliche, Herz-gewinnende Ton ihrer Stimme schien sie zu den ersten Rollen zu berechtigen. Mit der Litteratur innig befreundet und vertraut, fand sie die duftendsten Blumen des Genusses in den Gefilden der Dichtkunst, und als Vorleserin ihrer Mutter wußte sie mit dem richtigen Tact, den nur ein zartes Gefühl verleiht, jede schöne Stelle so vorzutragen, wie sie gewiß der Dichter gedacht und empfunden hatte.

Alles dies wurde wohl erwogen, und in Anschlag gebracht, um zu beweisen, daß es eine Beleidigung der Kunst sey, wenn eine solche Priesterin sich weigere, ihr zu dienen. Doch die Gräfin wies[25] die allgemeinen Bitten mit den Worten ab: »Ich habe hierüber meine eigenen Ansichten. Es mögen vielleicht Grillen seyn, aber es würde mir doch weh thun, wenn Mariane sie nicht ehren wollte.«

Wie? wandte ihr Jemand ein, sollte es Ihnen, ganz gegen die Weise anderer Mütter keine Freude machen, die Talente Ihrer Tochter immer mehr ausgebildet, und bewundert zu sehn? – Die Gräfin antwortete mit einem gutmüthigen Lächeln: »Gern hör' ich Marianen im engen häuslichen Kreise vorlesen, und gern bemerke ich auch, wenn sie in Gesellschaften auftritt, daß ihr Benehmen sich ohne Schranken zwischen kindischer Blödigkeit, und einer allzukühnen Dreistigkeit erhält. Aber mit sehr peinlichen Empfindungen würde ich an ihr auf dem Theater sehen, was im geselligen Leben mich erfreut, und ich hoffe, sie unterdrückt aus Liebe zu mir den übrigens sehr verzeihlichen und unschuldigen Wunsch, mit zu spielen.«

Mariane, die ohnehin das Muster der Töchter war, fügte sich, freundlich gehorchend, in diese Eigenheit ihrer Mutter und suchte auf eine andere Art ihr Scherflein der Theilnahme an dem allgemeinen Besten abzutragen. Denn sie nahm sich des oeconomischen Faches an, half thätig mit in der Garderobe der Damen, und wußte mit geschickter Hand und verständiger Anordnung die Reize ihrer Freundinnen zu erhöhen, während die ihrigen, gleich dem Veilchen im verhüllenden Moose, nur im Verborgenen blühten, und willig den Triumpf entbehrten, öffentlich glänzend durch ihren Schimmer Alles um sich her zu überstrahlen.[26]

So hatte man eine Zeitlang im fröhlichen Wechsel bald Thalien, bald Melpomenen gehuldigt, als das vereinte Streben der Gesellschaft sich einen kühneren Zweck vorsetzte, als vorher, und man entschloßen war, an Wallensteins Tod seine Kräfte zu üben.

Der Geburtstag einer allgemein verehrten Frau sollte durch diese Darstellung gefeiert werden, und jeder beeiferte sich, in den Geist der wohl vertheilten Rollen einzudringen.

Schon war die letzte Probe gehalten, und eine glänzende Gesellschaft zum übermorgenden Tage geladen, um die Früchte einer langen und freudigen Anstrengung zu erndten, als das Fräulein, welches als Thecla auftreten sollte, plözlich durch einen Eilboten aufs Land an das Krankenbett ihrer Mutter gerufen wurde.

Dieses unangenehme Ereigniß drohte die Bemühungen mehrerer Wochen zu vereiteln – wenigstens ihren Erfolg auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben. Gleichwohl hatten alle Mitglieder trefflich memorirt, und brannten vor Begierde, in feurige Declamationen auszuströmen, was sich dem Gedächtniße so tief eingeprägt hatte, daß es ihnen auf jedem Schritte, gleich einem verborgenen Soufleur, statt der eignen Gedanken nur Schillers gehaltvolle Worte zuflüsterte.

Ungern giebt das menschliche Herz einen Plan auf, von dem es sich Genuß versprach. Hier war kein Einzelner gekränkt in seiner Hoffnung; die Mehrzahl lehnte sich, ein Complott gegen den ungünstigen[27] Zufall bildend, gegen die Hindernisse auf, die ihrer Absicht in den Weg traten, und da Mariane den wärmsten Antheil an dieser allgemeinen Bedrängniß nahm, und durch die Anmuth ihres Wesens, so wie durch ihre genaue Bekanntschaft mit dem Dichter ganz geschaffen war, die unerwartet entstandene Lücke auszufüllen, so bestürmten Alle, der Einwilligung der Tochter gewiß, die Mutter mit Bitten, nur diesmal eine gefällige Ausnahme von ihrer strengen Regel zu machen.

Lange weigerte sich die Gräfin standhaft, doch endlich, als sie sah, daß auch Marianens schüchtern sie beobachtendes Auge mit bat, willigte sie ein, und verwandelte durch ihr Gewähren das leise Sehnen ihrer Tochter schnell in die rascheste Thätigkeit. Es bedurfte nur weniger Stunden, um ihrem scharfen Gedächtniß alles eigen zu machen, was Thecla zu sagen hatte, der Fleiß einiger Kammermädchen, und ihre eigne Mitwirkung schufen in einem nicht viel längern Zeitraum den reizendsten Anzug, den wohl je eine adliche Jungfrau vergangener Jahrhunderte trug, und mit keiner andern Unruhe, als mit der, die die Begleiterin froher Erwartung ist, sah sie den Tag erscheinen, der zu der Vorstellung bestimmt war.

Der Morgen desselben ging heiter unter vielfachen Beschäftigungen hin; gegen Mittag sagte sie der Mutter ihre Rolle ohne Stocken, und mit einer Innigkeit her, die kein Werk der Kunst, sondern des zartesten Gefühls war. Als endlich die Dämmerung herab sank, wurde es lauter im Hause.[28] Bediente liefen eilfertig hin und her, und ein Wagen kam nach dem andern heran gerollt, die Mitspielenden in dem ihnen angewiesenen Costüm herbei zu bringen.

Bald sah man Wallenstein, bald die Piccolomini's im ritterlichen Schmucke, bald den Sterndeuter Semi in düsterer schwarzer Hülle, bald dir Mörder Deveroux und Macdonald mit dem erzwungenen brütalen Anstand, der in ihrem vorgeschriebenen Character lag, über die Gallerien schreiten. Marianens Herz klopfte lauter, als gewöhnlich. Ihr schien die stille, gastliche Wohnung in einen Maskeraden-Saal verwandelt, und sie konnte sich selbst des wohlgewählten eignen Anzugs nicht mehr erfreuen, denn er kam ihr vor wie eine Mummerei, andere zu täuschen.

Endlich schlug die zum Anfang festgesetzte Stunde. Mit jedem Ton der Glocke goß sich ein höheres Leben in alle ihre Glieder, und fast hätte sie dem Himmel knieend gedankt, daß sie in den beiden ersten Acten nicht zu erscheinen brauchte.

Die Symphonie begann – der Vorhang flog auf. Wallenstein und Semi, in ernster Unterredung begriffen, unerschüttert vom glänzenden Gewühl der Zuschauer, sprachen ruhig und im tiefen Frieden was der Dichter ihnen in den Mund gelegt hatte.

Marianens Zuversicht kehrte halb und halb bei diesem Anblick zurück. Sie lauschte, in einer Seitencoulisse stehend, den mächtigen Fortschritten des Stückes, über dessen Riesengang sie allmählich ihre kindische Muthlosigkeit, erst belächelte, dann vergaß.

Als aber die Gräfin Terzky auftrat, so sicher,[29] so einheimisch auf der Bühne, als wandle sie im eignen Wohnzimmer umher, wurde Mariane von neuem an sich selbst erinnert, und sie fühlte zaghaft, daß es ihr nicht gelingen werde, diese Unbefangenheit nachzuahmen.

Immer näher rückte der Moment, wo auch sie hervor sollte aus der schützenden Tiefe des verborgenen Hintergrundes, und unter dem Carmin, durch den man die zarte Rosenblüthe ihrer Wangen verdoppelt hatte, wechselte in den Fieberschauern der Angst Todesblässe mit dunkler Gluth. –

Da ging der zweite Aufzug zu Ende, und nun, nun galt es. –

Wie ein ausgesprochenes Todesurtheil jede Lebenshoffnung schaudernd vernichtet, so erklang ihr der Aufruf »zu kommen, und sich mit Gräfin Terzky und Fräulein Neubrunn, scheinbar durch weibliche Arbeit beschäftigt, im Vorgrunde des Theaters zu ordnen.« Sie empfand einen entschiedenen Widerwillen zu gehorchen: doch die Stimme der Weigerung erstarb auf ihren bebenden Lippen, und fast bewußtlos ließ sie sich mit fortziehen.

Halb ihr ermunternd zuredend, halb dieser kindischen Furcht spottend, hatte Gräfin Terzky sie in einen Sessel geschoben. Dicht vor ihnen trennte die herabgelassene Gardine sie von dem Publicum, denn noch rauschte die Musik, die den Zwischenact füllte. Aber wie das dumpfe Getöse eines fern erbrausenden Meeres, schallten einzelne Laute wohl bekannter Stimmen zu ihnen her, zur Belustigung der schon geübten, und zur völligen Verzweiflung der neu angehenden[30] Schauspielerin. Ihre Lippen bewegten sich krampfhaft. Gräfin Terzky und Fräulein Neubrunn meinten – tief im Traum der Eitelkeit versunken – sie überhöre sich selbst noch einmal ihre Rolle, und so wurde das Zeichen des Anfangs gegeben, ohne daß man Marianens angstvoll erhobene, schweigend Einhalt thun wollende Hand bemerkte.

Langsam rollte die Leinwand empor, und jetzt – – o mit welchem Gemische von Entsetzen und Vernichtung schaute Mariane in die Fülle der Zuschauer herab, die ihr alle Blicke, gleich glühenden Pfeilen zuzusenden schienen.

Jetzt fing die Gräfin Terzky an:1


»Ihr habt mich nichts zu fragen, Thecla? Gar nichts?

Schon lange wart' ich auf ein Wort von Euch,

Könnt Ihr's ertragen in so langer Zeit

Nicht einmal seinen Namen auszusprechen?

Wie? Oder wär ich jetzt schon überflüssig?

Und gäb' es andre Wege als durch mich? –

Gesteht mir, Nichte! habt Ihr ihn gesehn?«


[31]


Allein die Nichte gestand – Nichts. Sie wollte den Rosenmund öffnen: doch von der Tafel ihres Gedächtnißes hatte der Schrecken jedes vorher so tief eingeäzte Wort verwischt, und ein convulsivisches Zittern war die ganze Antwort, die die intriguante Tante erhielt.

Jetzt fing auch diese, ungewohnt, sich aus dem Stegereif zu helfen, an, die Fassung zu verlieren. Nach einer über die Gebühr ausgedehnten Pause, während welcher sie immer wartete daß Thecla den Faden ihrer Rolle finden und ergreifen werde, fing sie, von Verlegenheit und Unwillen glühend, wieder an:


»Ihr habt mich nichts zu fragen, Thecla? Gar nichts«?


Doch das übel unterdrückte Gelächter einiger Zuschauer ließen ihr die Zeile kaum endigen, und machte auch sie – bestürzt und wüthend, sich so ohne eigene Schuld aus dem dramatischen Sattel gehoben zu sehen – verstummen.

Für Marianen war das leise Murmeln, das zwischen Lachen und mitleidigen Flüstern schwankend, die Menge durchlief, zu viel. Wie die Rosenknospe, die ein Hagelschauer traf, sank ihr Haupt auf ihren Busen, der letzte Schimmer von Besinnung schwand, und eine tiefe Ohnmacht entzog sie den bitteren Gefühlen dieser schweren Augenblicke.

Jetzt schien die lächerliche Situation ins Ernsthafte über zu gehn. Es verbreitete sich eine allgemeine Bestürzung im Publicum, und die Gräfin[32] eilte, ängstlich besorgt um die Gesundheit der Tochter, aufs Theater.

Doch Max Piccolamini, den Baron Sellbrock darzustellen bestimmt war, hatte keine Lust, seine Rechte auf die holde Thecla so leicht aufzugeben, als sie ihre Rolle aufgab. Hinter der Coulisse, wo er ihr Spiel beobachten wollte, war er einer der ersten, der ihren Fall bemerkte, und da die Gräfin Terzky zu sehr die Gegenwart des Geistes verloren hatte, um ihr beyzustehen, so eilte er hinzu, faßte die Sinkende in seine Arme, und trug sie in ein stilles Nebenzimmer, wo er sie der Sorgfalt ihrer Mutter übergab.

Es bedurfte nur wenig Mühe, um Marianens entflohene Lebensgeister zurück zu rufen. Als sie die Augen wieder aufschlug, dünkt' es ihr, als habe sie geträumt. Doch Sellbrock, der im blanken Küraß, mit einem blendenden Spitzenkragen um den Hals, hoch geschmückt, und den ritterlichen Knebelbart um Kinn und Lippen gemahlt, vor ihr stand, erinnerte sie schmerzlich an die Wirklichkeit.

Sie wischte schnell die künstliche Farbe von ihren Wangen, und verbarg dann tief erglühend vor Schaam, und Thränen in den Augen, ihr Gesicht an dem Busen ihrer Mutter.

»Wie ist dir, mein Kind?« fragte die Gräfin sanft, »und was war dir, daß du uns diesen Schrecken machtest?«

»Ach Mutter! – erwiederte Mariane mit bebender Stimme – niemahls, niemahls will ich künftig wieder zweifeln, wenn mein Unverstand Ihren[33] Willen nicht begreifen kann. Ich hatte mir es so fröhlich gedacht, auf der Bühne mit zu wirken, und Theil zu nehmen an dem allgemeinen Streben, die Gesellschaft zu unterhalten. Die schönen Worte meiner Rolle waren wie mit glühenden Buchstaben in mein Innerstes geprägt; keines fehlte mir, und wohl zehnmahl recitirte ich mir sie selbst, als ich noch allein war. Doch wie die Zeit sich näherte, wo ich nun auftreten, und sie aussprechen sollte, da ergriff mich eine wunderbare Angst, wie ich sie nie empfunden. Und als der Vorhang aufging – als ich vor mir alle die bekannten Gesichter sah, die mich so treuherzig anblickten, als könne nur Wahrheit von meinem Munde ihnen erklingen – ach! da war ich nicht Thecla mehr. Da fand ich, daß es mir nicht möglich sey, die Täuschung zu behaupten, die ich andern versprochen hatte – – daß ich keinen anderen Schmerz, keine andere Liebe ausdrücken kann, als meine eigene, oder auch das Gefühl, das Theilnahme an fremden Schicksalen in der wirklichen Welt mir einflößt – kurz, daß ich nicht für's Theater geschaffen bin, und daß es gewiß eine Ahnung meiner Ungeschicklichkeit war, die Sie bisher abhielt, mir die Erlaubniß zum Mitspielen zu gewähren!«

»Sey mir gesegnet, mein Kind! mit all' deiner Ungeschicklichkeit, antwortete die Gräfin, sie fest an das freudig bewegte Mutterherz drückend. Sey und scheine immer nur Du selbst, und danke dem Himmel, daß deine Lage dir erlaubt, frei von Verstellung, im stillen häuslichen Leben, die Ideale der Kunst, die andere erschufen, zu genießen, ohne[34] sie durch mühsame Verläugnung der eigenen Individualität darstellen zu müssen.«

Sie ging hierauf zu der Gesellschaft zurück, die entstandene Störung zu entschuldigen, welche viel früher als des Dichters Wille das Ende der Vorstellung herbei geführt, und die so hoch gespannte Erwartung unbefriedigt gelassen hatte.

Mariane aber drang darauf, sich zu verbergen. Sie fürchtete den Tadel und den Spott der Zuschauer, und glaubte tief betrübt in der Demuth ihres Herzens, beides zu verdienen. Erst das Zureden der Mutter, der eigenen Vernunft und einiger achtungswerthen Menschen, deren Meinung sie vorzüglich ehrte, bewog sie, schüchtern wie eine ertappte Sünderin, sich wieder sehen zu lassen, doch nur um wegen des unwillkührlich begangenen Fehlers sehr beschämt um Verzeihung zu bitten.

Ihre naiven Klagen über ihre Unfähigkeit zum Theater, so wie ihr ganzes Wesen, aus dem die reinste Weiblichkeit hervorging, machte den Eindruck tief und unauslöschlich, den ihre Schönheit schon lange vorher, jedoch nur flüchtig, auf Sellbrocks Herz hervorgebracht hatte. Ihm dünkten bei der Wahl einer Gefährtin fürs ganze Leben diese kindliche Blödigkeit, diese Wahrheit des Gemüths, die auch selbst den Schein der erlaubtesten Verstellung nicht ergreifen und tragen konnte, liebenswürdigere, und Zutrauen erweckendere Eigenschaften, als alle theatralischen Talente, wodurch andere ihn hatten blen den, aber nicht rühren können.

Da die zarte Schonung und Theilnahme die[35] er als Max ihr bewiesen hatte, sie mit einer Dankbarkeit gegen ihn erfüllte, die verschmolzen mit sanftem Vertrauen war, so gelang es ihm leicht bei den Annehmlichkeiten seiner Gestalt und bei dem Werth seines Innern, diese leise ihm entgegen kommende Neigung zu erhöhen, und in innige Liebe zu verwandeln, und Mariane spielt jezt als Baronin Sellbrock mit ungetheiltem Beifall die schwere Rolle einet guten Hausfrau, Gattin und Mutter, ohne nur ein einziges mahl in ihr zu stocken.[36]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Gesammelte Erzählungen. Schleswig 1822, Band 1, S. 22-37.
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