Treulosigkeit

[165] Geliebte, oder Ungeliebte, je nachdem,

Du hältst mich auf in den Erneuerungen meines unruhigen rastlosen Selbst! Du fürchtest mein werdendes Werden!

Du weinst?! Du kränkst Dich?! Du siehst mich Deinem Zauber vorzubeugen freundschaftslos beflissen?! Nur dem Zauber, der mich leider fesselt!

Was liebtest Du denn an mir, achtetest, ja verehrtest Du einst sogar romantisch?! Meine Wege,

nach irgendwohin anders, stets aber nach aufwärts!

Ja, Marie Susanne, so begann es!

Für mich aber muß es so bleiben und so enden! Enden, um zu bleiben! Also bin ich treu.[165]

Man liebt nicht einen Geigenspieler um seines tiefen Geigens willen,

und später wird man eifersüchtig auf die Geige!

Wer Dich berauscht, Frau, in seinen höchsten Menschlichkeiten, die er zu bieten hat hienieden, nicht nur Dir,

Den darfst Du später, ängstlich zaghaft,

unsicher Deiner eigenen einstigen unbegrenzten Seelenkräfte und Opferfreudigkeiten,

nicht herunterzwingen wollen in das Speisezimmer,

wo der Tisch bequem und einladend für ihn gedeckt ist!

Schreite mit ihm, indem Du ihn allein schreiten läßt.

Und der ewige Schimmer Deiner Märtyrer-Krone

wird sich mit dem Licht vereinigen, bei dem er am Ende seines Weges anlangt ohne Dich!

Quelle:
Altenberg, Peter: Mein Lebensabend. Berlin 1–81919, S. 165-166.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mein Lebensabend
Mein Lebensabend: [Reprint der Originalausgabe von 1919]